Kapitel 3

Am nächsten Morgen stand Belial auf und ging in den Waschraum, um sich bereit zu machen. Er bemerkte nicht, dass es an seiner Tür klopfte. Der Engel trat ohne Erlaubnis in das Zimmer des Dämons, da er es nicht gewohnt ist, auf andere zu warten.

Haniels blick fiel sofort auf das große Bett mit roter Satinbettwäsche, welches prachtvoll in der Mitte des Raumes stand. Schaffelle zierten die Seiten des Bettes und sahen weich aus. Ein Kleiderschrank in dunklem Holzton stand zu seiner linken Seite und beherbergte wohl die gesamte Kleidung des Dämons. Konnten Dämonen ihre Kleidung nicht mit Magie verschwinden lassen?

Belial öffnete die Tür zum Waschraum und graue Haare drangen in sein Sichtfeld. Er blieb stehen und schaute den unwillkommenen Gast an, der in seinem Zimmer stand und seine Nase in seinem Kleiderschrank hatte.

Haniel bemerkte, dass Belial den Raum betrat und drehte sich zu diesem um. Dessen nasse Haare klebten leicht in seinem Gesicht und er bemerkte auch, dass der Dämon seine Augen zusammenkniff und ihn aufgebracht ansah. Unverblümt wanderte er mit seinen grauen Augen die Konturen des oberkörperfreien Dämonen nach und erkannte, welch hartes Training dieser hinter sich haben musste.

Die Augen des Engel wanderten über seinen Körper und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. "Dreh dich um, Engel. Ich weiß nicht, wie ihr es im Himmel handhabt, doch man betritt nicht ohne Erlaubnis das Zimmer eines anderen."

Schmunzelnd drehte sich Haniel um und musste sein Lachen unterdrücken. "Nur höhere Engel und die, die sich einen Namen angeeignet haben, erhalten das Privileg eines Einzelzimmers. Es gibt nichts, für das du dich schämen musst Belial, wir haben das gleiche Geschlecht", erklärte Haniel seine Direktheit und wollte nicht, dass der Dämon sich schlecht fühlte, nur weil er an andere Dinge gewohnt war.

Und erneut hatte der Engel etwas gesagt, was ihn überraschte. Langsam ging er auf den Engel zu. "Dir ist bewusst, dass auch zwei Männer körperliche Nähe teilen können, oder?" Er hatte eine Vermutung. Dieser Engel war absolut unschuldig und desillusioniert über das Leben außerhalb des Himmels.

Diese Tatsache war Haniel bewusst, doch kam es selten im Himmel vor. "Gewiss, doch dient diese Art nicht der Fortpflanzung."

Zum ersten Mal lachte Belial leise. Er lief zu Haniel und drängte ihn nach hinten, bis er gegen eine Wand stieß. Er kam nahe an ihn heran, nah genug um seinen Geruch wahrzunehmen. Kamelien und Orangen. Er platzierte seine Lippen neben dem Kopf des Engels und flüsterte: "Das trifft nur auf Menschen zu. Dämonen können sich auch mit Männern fortpflanzen." Er meinte den Herzschlag des Engels zu hören, er flatterte wie ein kleiner Kolibri.

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, holte sich Kleidung aus dem Schrank und ging in den Waschraum, um sich umzuziehen.

Haniel schaute ihm mit schnell schlagendem Herzen hinterher und wusste nicht, ob das eben gesagt stimmte. Im Himmel wurde ihnen beigebracht, dass nur die weiblichen und männlichen Engel Nachwuchs zeugen können und alles andere nur ein Zeitvertreib sei. Eine Art Druckabbau, wenn das andere Geschlecht in diesem Moment nicht anwesend war.

Der Grauhaarige kannte sich mit diesem Thema nicht aus, da er bis jetzt kein sexuelles Verlangen verspürt hatte und sich dies auch nicht vorstellen konnte zu können. Zu lange war er bereits alleine und an das Gefühl der Einsamkeit gewohnt. Seltsam. Ich bin an viele Dinge gewöhnt, die der Dämon anders sieht.

Gemeinsam gingen sie in die Eingangshalle, wo Belial ein Portal in die Menschenwelt rief. Er war vor ein paar Jahren in New York gewesen, konnte sie also direkt hinführen. "Dann wollen wir mal, Engel." Sie traten nacheinander durch das Portal und landeten im Central Park.

Haniel war das erste Mal in der Welt der Menschen und war von dem schönen Anblick verzaubert. Überall, wo er hinsah, stachen zahlreiche Bäume hervor, die in verschiedenen Farben erstrahlten. Von Grün bis Rot war alles vertreten und gaben untereinander einen schönen Kontrast ab.

Das leise Rauschen von Wasser zog des Engels Aufmerksamkeit auf sich und so sah er einen für ihn kleinen See, der wohl für die Menschen unendlich groß erscheinen musste. Das saftige gesunde Blau lächelte Haniel an und spiegelte seine Silhouette wieder, die im Wasser leicht hin und her schwenkte. Der Engel spürte den kräftigen Erdboden unter seinen Füßen und erfreute sich an dem Gefühl, da er mehr flog, als lief.

Der Grauhaarige richtete seinen Körper zur vollen Größe auf und betrachtete die Umgebung und erkannte diverse Häuser, die um die schöne Grünlandschaft herum aufgebaut worden waren, und drehte sich zu Belial um, der ihn die gesamte Zeit still beobachtet hatte.

Haniel wirkte wie nicht von dieser Welt. Belial beobachtete den Engel und hatte nur einen Gedanken, war er noch nie in der Menschenwelt? Die Stadt hatte sich sehr verändert seit seinem letzten Besuch. Die Menschen hatten zahlreiche Fortschritte gemacht und sich gewandelt. "Lass uns nach ihren Spuren suchen. Hat sie vielleicht eine Signatur, an der du sie erkennst, Haniel?", fragte er den Engel.

"Sie hat ihre Flügel noch nicht unter Kontrolle und verliert dadurch Engelsstaub, der ihren Weg markiert. Dies können aber nur Engel wahrnehmen", antwortete der Grauhaarige und rückte seinen Mantel zurecht. "Leider ist an diesem Ort keine Spur vorhanden. Kennst du dich in dieser Welt aus?"

Belial nickte leicht. Es war schon etwas her. "Lass uns doch die Stadt überfliegen, vielleicht findest du einen Hinweis." Er sprach einen Zauber, der sie für die Menschen unsichtbar machte und Haniel nickte. Langsam entfaltete er seine Dämonenflügel und mit einem kräftigen Schlag hob er vom Boden ab. Nachdem sich Haniel zu ihm gesellt hatte, begannen sie über die Stadt zu fliegen. Er sah, wie Haniel konzentriert Ausschau hielt.

Sein Blick wanderte wachsam über alle Gebäude und blieb an einem hängen, welches auf dem Dach an einer Stelle rosa glitzerte. Haniel gab Belial ein Handzeichen und steuerte das ihm unbekannte hohe Gebäude an. Der Dämon folgte ihm und sah sich die Struktur des Hochhauses genau an.

Der Engel schritt auf die Stelle zu, ging in die Knie und fasste mit seiner rechten Hand in den veralteten Engelsstaub. Nachdenklich rieb er den rosanen Staub zwischen Daumen und Zeigefinger. Wieso hat das keiner bemerkt?

"Hast du ihre Signatur gefunden?" Der Engel schaute und nickte bedächtig. "Haniel, was ist los?", fragte der Dämon ihn. Der Grauhaarige folgte der Spur und blieb am Rande des Daches stehen. "Mir ist nicht klar, wie ihre Spur übersehen werden konnte und diese hört genau hier auf. Geflogen ist sie nicht, denn dann wäre sie ja anwesend."

Belial schaute auf die Stelle, auf die Haniel deutete. Wie kann ein Engel an solch einer Stelle verschwinden? Sie standen mitten auf dem Dach, wobei diese vom Rand nach innen führte. Wahrscheinlich war Amora am Rand gesessen, hatte irgendetwas oder irgendjemand beobachtet. Dann hatte sie sich aus irgendwelchen Gründen umgedreht und war nach innen gelaufen, doch das machte keinen Sinn. "Wenn sie fliegen hätte wollen, wäre sie über die Kante gesprungen. Es gab also nur eine sinnvolle Erklärung - sie musste jemandem entgegengelaufen sein. Dieser jemand muss sie überwältigt und weggetragen haben oder, was eher wahrscheinlich ist, durch ein Portal weggebracht haben."

Der Dämon schloss die Augen und konzentrierte sich. Er sprach einen alten Zauber und öffnete die Augen. Mit diesem hatte er seine Sicht verändert. Alle Spuren, die Dämonen hinterließen, leuchteten in einem tiefen rot, wobei die Spuren des Engels blau leuchteten. Seine Vermutung bestätigte sich, als er die blauen Fäden von der Kante zu diesem Punkt führen sah. Diesen entgegengesetzt waren dämonische, doch er konnte nicht sagen, ob ein Kampf stattgefunden hatte, denn beide waren zu schwach.

"Wie lange ist es her, seit ihr Verschwinden bemerkt wurde, Haniel?" Der Engel traute sich nach der Erkenntnis nicht, dem Dämon die richtige Zahl zu nennen, doch war ihm bewusst, dass er es musste. "Zwölf Tage. Ihre Vorgesetzten dachten, dass sie womöglich bereits ihrer Arbeit nachkam, doch reichte sie nie einen Bericht ein."

Haniel bemerkte, dass sich Belials Augen weiteten und konnte die Reaktion nachvollziehen, denn der Himmel bemerkte das fehlen der Engel erst vor zwei Tagen und seit zwölf verschwinden sie. Diesen Fehler konnte man nicht erklären, egal wie sehr man es versuchte.

"Hat diese Amora Zugang zu Informationen, wo sich die anderen verschwundenen Engel befinden? Wenn ja, sollten die betroffenen sofort abgezogen werden, denn sonst haben wir bald weitere auf der Liste."

Der Engel überlegte. "Amora war nur ein einfacher Schutzengel. Keine besonderen Fähigkeiten und Merkmale, die sie auszeichnen und für die Engel als wichtig einstufen."

Sofort fiel Belial etwas auf, etwas, das nicht ins Bild passte. "Wie kann es dann sein, dass sie vier weitere Engel fangen konnten? Das ist schlichtweg nicht möglich, ohne die Hilfe eines Engels. Lass uns die Orte besuchen, an denen die anderen zuletzt gesichtet oder gemeldet worden sind."

Daraufhin machten sich beide auf dem Weg. Bei zwei weiteren zeigte sich dasselbe Muster. Der dritte war völlig spurlos verschwunden und beim letzten endete die Spur an einem See in der Hölle in Astaroths Gebiet. Es passte einfach nicht ins Bild. Sie setzten sich zusammen besprachen die verschwundenen Engel, ihre Aufgabenbereiche und wie weit ihre Informationsreichweite war. Kein Ergebnis.

Belial war mehr als frustriert. "Haniel. Wer im Himmel ist für die Koordination der Engel zuständig und wer hat Zugriff zu Informationen über deren Einsatzbereiche und Standorte?"

Der Grauhaarige musste nicht lange überlegen, bis er dem Dämon antwortete. "Der Stellvertreter von Erzengel Uriel verwaltet sämtliche Informationen der Einsatzbereiche und der Stellvertreter von Erzengel Jophiel ist für deren Koordination zuständig. Erzengel Uriels Vertreter heißt Chasan und der Vertreter von Erzengel Jophiel heißt Geron."

Belial glaubte nicht, dass ein Erzengel beteiligt war. Sie interessierten sich nicht für niedere Belange oder Macht. Bei Stellvertretern sah es anders aus. Es bestand die Möglichkeit, dass jemand die Hierarchie nach oben wandern wollte. Selbst Engel waren vor so etwas nicht gefeit, auch wenn diese arroganten Säcke sich immer als Heilige aufspielten. Er schaute den Engel an und formulierte seine nächste Frage etwas vorsichtiger, denn er wollte ihn nicht verärgern: "Hat einer der beiden Ambitionen, Erzengel zu werden?"

Haniel schwieg. Er ahnte worauf Belial hinaus wollte und der Gedanke gefiel ihm nicht. Leider musste er sich aber eingestehen, dass diese Möglichkeit existierte und nicht so abwegig war. "Beide haben des öfteren angemerkt, dass sie es gerne in Zukunft werden möchten. Aber diese Option ist ihnen nicht gestattet, denn wie ich bereits gesagt hatte, steigen Engel durch ihre Taten auf. Eine andere Möglichkeit gibt es für uns nicht. Nur ein großes Opfer oder eine große Rettung der Engelwelt wären möglich."

Das war bisher der stand, doch eine Sache störte Belial. Wer hatte festgelegt, dass nur diese Optionen zur Auswahl standen? Dämonen und Engel waren beide Geschöpfe der Götter und hatten mehr gemeinsam, als die Himmelsknaben zugeben wollten. Beide bedienten sich der Magie, um ihre Ziele zu erreichen.

Haniel bemerkte den nachdenklichen Blick des Dämons und versuchte zu erraten, was dieser dachte. Was stört ihn dieses Mal? Falten bildeten sich auf Belials Stirn und er spielte unbewusst mit seinen Fingern, in denen er seine Magie leicht aufwallen ließ. Der Engel ahmte diese Bewegungen nach und da geschah etwas, was ihn erschrocken aufspringen ließ.

Er wusste nicht, wie das passieren konnte, doch nahm er den kleinen Magieanteil des Dämons in sich auf und wandelte es in seine eigene um. Es fühlte sich wie ein Schub an, welcher ihn für kurze Zeit stärker werden ließ, doch gefiel dem Engel dieses eigenartige Gefühl nicht und machte ihn innerlich fertig. Es fühlte sich einfach falsch an. Zumal er diese Magie ohne Erlaubnis genommen hatte. Wie ist das möglich?

Belial hatte das Ganze gar nicht bemerkt, doch für heute hatten sie genug getan. Gemeinsam kehrten sie zurück. Belial entschied sich ein Bad zu nehmen, um sich zu entspannen. Er lehnte sich zurück und genoss das warme Wasser, dass seine Muskeln lockerten.

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