24 - Stalker

»Was zur Hölle machst du hier? Stalkst du mich jetzt etwa?«, fauche ich und fahre drohend auf die Nervensäge zu, die es gewagt hat, in mein Haus zu kommen und wahrscheinlich auf ein gratis Abendessen bei meiner Oma gegeiert.

»Angi!«, empört sich Oma, angesichts meines heftigen Tonfalls nicht wirklich begeistert. Wahrscheinlich geht sie gerade im Kopf all die Jahre, in denen ich nun schon bei ihr Leben durch und sucht nach einer Schwachstelle, dir mein Verhalten erklären würde.

»Ist schon gut, Mrs. Hawton«, beschwichtigt bei Gegenüber sie und wendet sich dann an mich, ein keckes Grinsen auf dem Gesicht. »Ach komm' schon, Angi. Willst du mich wirklich immer noch abmurksen, sobald ich in deine Nähe komme?«

Die Antwort ist ein dickes, fettes ja. Nur, weil wir ein paar Konversationen geführt haben, er mich eventuell zum Schmunzeln gebracht hätte – dafür verfluche ich ihn im übrigen tausendfach – und ich inzwischen nur noch Resignation verspüre, wenn er mir mal wieder auf die Nerven geht, heißt das nicht, dass ich ihn mag. Es ist eher eine Akzeptanz, die alleine deswegen besteht, weil ich nicht dauernd all meine Nerven verlieren will.

»Muss ich darauf wirklich antworten?« Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und bedenke ihn mit einem Blick, der eindeutig sagt, dass mich die falsche Antwort definitiv davon überzeugend wird, auch nur eine Sekunde länger meine Zeit an ihn zu verschwenden.

Bevor er allerdings etwas erwidern kann, mischt sich Oma ein. »Also Kinderchen, da ihr euch ja offensichtlich schon kennt, lasse ich euch mal in Ruhe. Falls ihr was sucht, ich bin in der Küche«, lässt sie uns wissen. Ihr Blick schweift einmal zwischen ihm und mir hin und her, als würde sie versuchen herauszufinden, wie genau unsere Beziehung zueinander ist, – hoffentlich bildet sie sich jetzt nichts Romantisches ein! - bevor sie sich schließlich abwendet und den Raum verlässt.

Na klasse! Jetzt darf ich mich alleine mit dieser Nervensäge herumschlagen!

Mit einem Blick, der wohl auch die Sonne erkalten lassen kann, wende ich mich zu der Nervensäge. Dieser hebt prompt abwehren sie Hände. »Bevor du mich jetzt wieder mit irgendwelchen Vorwürfen zuballerst, kann ich vielleicht erst einmal sagen, warum ich hier bin?«, sagt er schnell, ehe ich auch nur ein Wort über die Lippen bringen kann.

Gespielt überrascht blicke ich ihn an. »Sag bloß, du hast einen Grund, außer mir nur auf die Nerven gehen zu wollen!« Dass ich den Satz vollkommen rhetorisch und ironisch meine, muss ich wohl kaum erwähnen.

Seine Mundwinkel zucken leicht. »So überraschend es jetzt ist, das habe ich«, schmunzelt er und hält ein paar Papiere hoch, die mir zuvor noch nicht aufgefallen ist. Will er mir jetzt Lancelot abkaufen? Wenn ja, bekommt er ihn gerne kostenlos, allerdings glaube ich kaum, dass er das Biest schon kennengelernt hat und selbst wenn, würde er wohl eher von seiner Schauspielkariere trennen, als diesen Kater zu kaufen. Was allerdings die Frage aufwirft, was er sonst mit den Blättern will. Origami höchstwahrscheinlich nicht.

»Ich muss dir aber jetzt nicht beibringen, wie man Papierflieger bastelt, oder?« Skeptisch blicke ich von den Papieren auf sein Gesicht, das gerade in Schnellgeschwindigkeit jeweils neunzig Grad nach links und rechts geschleudert wird.

»Nope, du sollst mit mir üben«, verbessert er mich lachend und lässt endlich seinen armen Kopf zur Ruhe kommen. Nicht mehr lange und das Teil wäre ihm noch von den Schultern gehüpft.

Meine Gedankengänge werden jäh unterbrochen, als ich den Inhalt seiner Worte realisiere. »Aha. Und was genau?«, schlüpft es mir statt dem eigentlichen »Und du denkst, dass ich mit dir üben werden oder was?« heraus. Warum muss meine Zunge eigentlich immer schneller sein, als mein Gehirn? Ist doch klar, dass dann nur scheiße rauskommt!

Die Nervensäge scheint ebenfalls etwas überrascht über meine Wortwahl, lässt es sich aber bis auf ein kleines Zucken der Wimpern nicht anmerken. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, ich stimme ab so fort allem zu, was er vorschlägt!

»Morgen drehen wir die Szene, in der sich Skyla und Reed zum ersten Mal begegnen. Und da wir beide das spielen, dachte ich, wir könnten zusammen üben, damit das morgen reibungslos verläuft«, erklärt er vorsichtig und lässt mich dabei keine Sekunde aus den Augen, als hätte er Angst, dass ich in der nächsten Sekunde an die Decke gehen werde.

»Und du schlägst das nicht vor, weil du denkst, dass ich vollkommen untalentiert bin und du nicht möchtest, dass ich dich morgen blamiere, oder?«, frage ich in einem ironischen Tonfall, aber der scharfe Unterton sollte eigentlich jedem Deppen klarmachen, dass er nun nichts Falsches sagen sollte. Wobei Lügen auch eine ganz, ganz schlechte Idee gewesen wäre.

Ein fassungsloser Ton entkommt seinen Lippen, bevor er heftig den Kopf schüttelt. Dass er kein Schütteltrauma bekommt, ist auch ein Rätsel für sich. »Gott, nein! Wie kommst du denn darauf?«

Skeptisch blicke ich ihn an, nicht wissend, ob er mir gerade die Wahrheit erzählt oder lügt. Bei letzterem wüsste ich, wie ich zu reagieren hätte, aber ersterem macht mir dezent angst. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass Menschen außer Nico und Oma nett zu mir sind, ohne Hintergedanken zu haben. Und dass Kian versucht, nett zu sein, kann ich leider nicht mehr abstreiten. Ja, er ist nervig und bring meine Nerven regelmäßig auf eine unterirdische Anzahl, aber er ist immer nett. Was auch immer man unter dem Wort nun verstehen mag.

»Schau mal, wenn ich dich so schlecht finde, warum hätte ich dich dann als Skyla vorschlagen sollen?«, argumentiert er etwas verzweifelt und scheint teilweise auch etwas geschockt darüber zu sein, wie wenig Vertrauen ich ihm entgegenbringen. Wobei er froh sein kann, dass ich ihm nur das unterstelle. Und was das Vertrauen angeht...es ist ein Wunder, dass ich ihm überhaupt so weit vertraue!

Trotzdem gebe ich nach. »Schön. Und wie hast du dir das vorgestellt? Wir beide machen uns einen netten Nachmittag, trinken Tee und üben, oder was?« Ich versuche, meinen Sarkasmus in Grenzen zu halten. Wirklich. Aber irgendwie schleicht er sich dann doch dazwischen und macht aus dem eigentlich nett gemeinten Satz, ein etwas spöttisch klingender Vorschlag. Wobei er mir so auch viel besser gefällt.

»So irgendwie, ja. Aber vielleicht solltest du dir erst einmal etwas anziehen. Es sei denn natürlich, du bevorzugst das Handtuch«, schlägt er schmunzelnd vor und erst da fällt mir siedend heiß ein, dass ich immer noch nur mit einem Handtuch bekleidet da sitze, das im übrigen nur gerade so über meine Knie reicht. Bei Oma oder Nico würde mir das nichts ausmachen, aber bei Kian...es ist mir nicht direkt peinlich, sondern vielmehr extremst unangenehm, da selbst ein Körper sehr viel über einen preisgeben kann. Und wie ich dazu stehe, Menschen mich kennenlernen zu lassen, habe ich wahrscheinlich schon oft genug erwähnt.

»Shit!«, murmele ich leise, bevor ich eine schnelle 180 Grad Drehung absolviere und davon fahre, wobei rasen wohl eher zutrifft. Dass ich weder gegen irgendwelche Gegenstände knalle, noch in die Ecken krache, habe ich wohl meinem Schutzengel zu verdanken, der wohl gerade für ein paar Sekunden aus seinem Urlaub zurückgekehrt ist und danach gleich wieder flieht.

Obwohl ich viel zu konzentriert damit bin, meine Blutzirkulation im Griff zu halten und nicht das ganze Blut in meinen Kopf strömen zu lassen, kann ich trotzdem Kians Blick auf meiner nackten Haut im Nacken spüren und wünschte mir, die Haare wären offen.

Als ich endlich in der Sicherheit meines Zimmers bin, würde ich am liebsten meinen Kopf gegen die nächstbeste Wand knallen. Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße! So etwas ist mir noch nie passiert und wenn es nach mir ginge, wäre es auch nie geschehen. Es macht mir seltsam viel aus, dass Kian mich praktisch nackt gesehen hat, obwohl er sicherlich schon viele Mädchen mit weitaus weniger Bekleidung gesehen hat. Vielleicht, weil er mich so verletzbar gesehen hat. Vielleicht, weil ich mich entblößt gefühlt habe, wie schon lange nicht mehr. Was es auch ist, ich will es nie wieder erleben.

Eilig schlüpfe ich in Unterwäsche, einer Jogginghose und einem T-Shirt, das einst meinem Vater gehört hat. Es ist ein schlichtes Blau, ohne Bedruckung und so lange, dass ich es als Minikleid tragen könnte. Kurz: Es verdeckt genug, dass ich mich wohlfühle und zeigt trotzdem genug, dass es als Sommershirt durchgeht.

Der Moment wird zerstört, als ein leises Klopfen ertönt, das mir eine Vorahnung auf das gibt, was folgenden wird. Unweigerlich verdrehe ich die Augen. »Angi?«, ertönt Kians gedämpfte Stimme, gefolgt von einem erneuten Klopfen. Toll, jetzt ha die Nervensäge auch noch mein Zimmer entdeckt.

»Sorry für die Störung, aber da sitzt ein Kater in der Küche und miaut. Soll ich irgendwas tun?«, entschuldigt er dich prompt, bevor ich ihn auch nur ansatzweise auf den Mond wünschen kann. Als ich allerdings den zweiten Teil höre, handelt mein verräterischer Körper, ehe ich auch nur anfangen kann, mir etwas zu überlegen.

Blitzschnell reiße ich dir Tür auf, zerre Kian ins Zimmer und knalle sie dann wieder zu, darauf hoffend, dass sich kein Stück Lancelot im Zimmer befindet. Als meine Augen jeden Zentimeter nach Lancelot verdächtigem Fell abgesucht haben und immer noch nicht fündig geworden sind, kann ich endlich erleichter aufatmen. Zwei Nervenkiller vertrage ich heute nicht mehr.

Schließlich wende ich mich an den verdatterten Kian, der gerade dabei ist, sich etwas im Zimmer umzusehen. Eventuelle hätte ich meine Entscheidung noch einmal überdenken sollen. Ich glaube nämlich nicht, dass ein Kian im Zimmer besser ist, als ein Lacelot. Aber dafür ist es jetzt ohnehin zu spät.

»Hübsches Zimmer«, merkt er kreativ-los an, bevor er auf mein Bett zeigt. »Darf ich?« Dass er damit meint, ob er sich setzten darf, blicke ich erst im zweiten Moment. Mehr als ein Schulterzucken bringe ich nicht zustande. Was genau mich geritten hat, ihn in mein Zimmer zu bringen – freiwillig – weiß ich auch nicht mehr. Wahrscheinlich eine nervige Kurzschlussreaktion. Tja und jetzt habe ich den Salat. Zumal ich viel zu stolz bin, als jetzt noch irgendwo anders hinzugehen. Und Kian sich bereits aufs Bett gesetzt hat.

Mich innerlich verfluchend, rollere ich ebenfalls auf das Bett zu und befreie währenddessen meine Haare von dem Handtuch. Prompt hängen mir einige feuchte Strähnen in die Stirn und wieder einmal hasse ich meine langen Haare. Genervt streiche ich sie zurück, in der Hoffnung, wenigstens für eine Minute Ruhe zu haben und hieve mich neben Kian aufs Bett. Dieser beobachtet jeden meiner Bewegungen genau, als fände er es unheimlich interessant, wie ich mich feengleich aus dem Rollstuhl aufs Bett fallen lasse. Oder eben wahlrossgleich.

»Was?«, frage ich mit einem genervten Unterton und stecke mir ein Kissen unter den Rücken, um nicht in der nächsten Stunde an Rückenversagen zu sterben. Oder zumindest nicht die nächsten Tage mit einem steifen Rücken durch die Gegend fahren zu müssen.

»Wenn ich das jetzt laut ausspreche, bekomme ich sicherlich wieder deine Faust zu spüren«, gibt er lachend zurück und entlockt mir einen finsteren Blick. Wenn er das wirklich denkt, sollte ich es meinen Nerven zuliebe gar nicht wissen.

»Wie auch immer. Kannst du den Text schon auswendig?«, wechsele ich Thema, in der Hoffnung, damit auf ein wenig nervenschädigenderes Terrain zu kommen und krame meinen eigenen Skripts hervor. Als Antwort nickt er bloß.

Die nächsten zwei Stunden verbringen wir damit, unsere Darbietung zu perfektionieren und überraschenderweise macht es sogar irgendwie Spaß. Gut, er malträtiert meine Nerven auch nicht mehr und ich hören in der Zeit nichts von Lancelot. Und man muss sagen, dass er ein wirklich guter Schauspieler ist, bei dem ich mich nicht vor lauter grauen unter das nächstbeste Kissen vergraben will.

Irgendwann um sechs beschließe ich dann, dass für heute Schluss ist. Ich brauche eine Pause und vor allem meine Ruhe, denn egal wie nett das Üben auch war, ich bin trotzdem ausgelaugt. »Das reicht für heute, okay?«, sage ich, als wir zum Gefühl dreißigsten Mal die Darbietung wiederholen. Inzwischen ist sie wirklich gut und ich bin davon überzeugt, dass alle andere am Set das auch so sehen werde. Nicht, dass mich kümmert, was sie denken, aber es ist schon ganz nett, die Szene nicht mehr als dreimal drehen zu müssen.

»Klar doch, ich sollte sowieso gehen«, gibt Kian zwinkernd zurück und schwingt sich zugleich vom Bett. Kurz spiele ich mich dem Gedanken, es ihm gleichzutun und wie ein höflicher Mensch zur Tür zu begleiten, muss dann aber einsehen, dass mir das der Aufwand nicht wert ist. Wenn ich jetzt schon einmal in meinem Bett liege, bleibe ich das auch. Er findet schon alleine raus.

»Danke, dass du mich nicht gleich vor die Tür gesetzt hast«, bedankt er sich doch allen erstens mit einem schelmischen Grinsen und zwinkert mir so. Ich verdrehe dir Augen. »Danke, dass du meine Nerven am Leben gelassen hast«, gebe ich ebenso sarkastisch zurück, kann mir ein winziges Grinsen allerdings nicht verkneifen.

Dann wendet er sich ab und gerade als ich denke, er verlässt endlich dieses Zimmer, dreht er sich noch einmal um. Seine braunen Augen halten meinen Blick fest und irgendwas sagt mir, dass gleich etwas kommt, dass mir nicht so wirklich gefallen könnte.

»Im Übrigen kommst du morgen Mittag zu mir und ich koche für uns. Bis dann«, eröffnet er mir und ist aus dem Zimmer, bevor ich auch nur ein Wort des Protestes sagen kann. Hat er mich gerade zum Essen eingeladen? Oder wohl eher befohlen.

Vor Empörung bleibt mir glatt der Mund offen stehen. Er glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich komme, oder? Wenn man mich nicht einmal fragt, sondern gleich herzitiert, mir also praktisch etwas befehlt, kann man sich schon einmal darauf einstellen, dass ich definitiv nicht erscheinen werden. Alleine schon aus Trotz und um meines Stolzes willen. Weswegen ich auch einfach meinen Mittelfinger hochhalte und ihm ein »Vergiss es!« hinterher brülle, dass er wahrscheinlich eh nicht mehr hört.

***

Ach, Angi taut endlich auf! Und wer dachte, Aric taucht jetzt auf^^? 

Im übrigen noch ein frohes, neues Jahr und wir lesen uns xD

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