12 - Prinzessin Lillifee

»Ach du heiliges Makkarönchen! Ich dachte, hier ist eine Dreißigerzone!«, ächzt das Opfer meines ungewollten Überfalls und rollt sich auf den Rücken. Ungläubig blicke ich die Person an. »Heiliges Makkarönchen?« Was ist dass denn für ein Ausdruck?

Plötzlich hebt das seltsame Ding ruckartig seinen Kopf und blickte mich aus großen, hellgrünen Augen an. Der Blick ist so durchdringend, dass ich mich wie das nächste Versuchskaninchen eines verrückten Professors fühle. Ich zucke unweigerlich zurück.

Trotzdem schaffe ich es nicht wie ein sozialinkompentes Miststück davon zu fahren. Auch wenn dieses Mädchen vor mir nicht so aussieht, als hätte sie irgendwelche Schäden davon getragen. Jedenfalls keine körperlichen. Und so einen krassen Dachschaden kann ich auch nicht verursacht haben.

»Sorry«, presse ich mühevoll heraus und unterdrücke das Bedürfnis, wie eine Irre auf der Flucht wegzurasen. Selbst wenn mein Fluchtinstinkt bei ihrem Blick beinahe übermächtig wird.

Eilig wende ich den Blick von ihr ab und rollere schnell weiter. Ich komme geschlagene drei Meter, bevor ihre nervige Stimme mich erreicht.

»Sorry? Nicht mehr? Oh Brokkoli, du bist ja noch wortkarger als Aric!« Ich ignoriere ihre Worte gekonnt und fahre unbeirrt weiter. Wie alt ist dieses Mädchen bitte? Sieben? »Brokkoli«. Als ob sie ernsthaft Gemüse für eine Beleidigung benutzt!

»Hey! Blondchen! Asozial sein geht auch einfacher!«, brüllt sie mir erneut hinterher. Ich bleibe überrascht stehen und muss eingestehen, dass ich der Irren solche Worte nicht einmal im Alptraum zugeschrieben hätte. Na das sind doch mal ganz neue Töne!

»Mir auf die Nerven zu gehen, geht auch viel einfacher! Da reicht meist nur die Anwesenheit von bestimmten Arschgeigen aus!«, kontere ich und drehe mich nun doch um. Wer weiß, ob sie mich nicht von hinten überfällt und absticht.

»Du kannst ja doch reden!«, ruft sie aus und beginnt zu grinsen. Ich rolle mit den Augen. Was soll das denn jetzt heißen? Dass ich, nur, weil ich im Rollstuhl sitze, nicht genügend Gehirnschmalz für das Aussprechen von Worten besitze? Na danke auch!

»Manche Menschen nutzen ihr Sprechorgan eben nicht, um Scheiße von sich zu geben«, gebe ich süffisant lächelnd zurück und warte darauf, dass dem Mädchen ihre verdammte Klappe zufriert. Aber sie überrascht mich. Denn statt mich dümmlich anzublinzeln, als wäre ihr Hirn plötzlich aus dem Kopf gefallen, mimt sie nur mein Lächeln nach und hebt provokant eine Augenbraue.

»Bei manchen Menschen erkennt man die Intelligenz halt erst auf den zweiten Blick«, sagt sie dann mit ihren geklauten Fake-Lächeln und blitzt mich aus hellgrünen Augen munter an.

Ich komme nicht umhin, zu bemerken, dass dieses Mädchen, so durchgeknallt sie auch scheint, nicht dumm wie ein Backstein ist und Sarkasmus nicht nur versteht, sondern ihn auch gegen mich verwenden kann. Nur bin ich mir nicht sicher, ob ich sie dafür vom Eiffelturm schmeißen sollte oder lieber doch nicht.

»Stimmt. Und bei manchen springt sie einen schon an, bevor man auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt hat.« Immer noch habe ich mir das süffisante Lächeln ins Gesicht genagelt und sehe bestimmt aus, wie ein Clown, der versucht, nicht psychokillermäßig zu lächeln und damit eventuell Kinder in die Hölle ihrer Fantasie zu schicken.

»So wie bei dir?«, fragt die Irre unschuldig nach und meine Mundwinkel ziehen sich unweigerlich in die Höhe. Endlich mal jemand, der nicht sofort den Schwanz wie ein verängstigter Hund einzieht!

»Eher wie bei dir«, gebe ich genauso unschuldig von mir und auch das Mädchen beginnt zu grinsen. Wie von selbst verzieht sich mein Mundwinkel zu der gleichen Mimik, sodass ich plötzlich ehrlich grinse.

»Eins zu Null für dich«, sagt sie schließlich und nickt mir zu. Erst jetzt fällt mir auf, wie außergewöhnlich dieses Mädchen eigentlich aussieht. Erst einmal ihre Größe, mit der sie locker für einen der Zwerge für Schneewittchen gecastet werden kann. Es würde mich ja schon wundern, wenn sie überhaupt an die eins fünfzig kommt. Was allerdings auch heißt, dass wir beide so ziemlich auf Augenhöhe sind. Fragt sich nur, ob das wirklich so toll ist, schließlich kann sie mir dann problemlos meine Augen ausstechen.

Aber weiter im Programm. Mal abgesehen von den hellgrünen Augen, welche echt extrem cool sind, ist ihr Gesicht nicht wirklich besonders. Sieht man mal von dem knallgrünen Lidschatten ab, der auf irgendeine kuriose Weise zu ihr passt. Dann allerdings kommen die Haare. Und glaubt mir, so eine Farbe sollte wegen hohem Risiko auf Augenkrebs verboten werden!

Hüftlange, rosafarbene und abgrundtief hässliche Zöpfe hängen über ihren Rücken und ich frage mich, wie besoffen sie eigentlich gewesen war, als sie sich das hat machen lassen. Selbst ein Mensch, dessen Gehirnzellen restlos abgestorben sind, würde sich niemals eine solche Hässlichkeit antun. Aber gut, dass dieses Mädchen irre ist, hatten wie ja schon geklärt.

Weiter zu den Klamotten. Erinnert ihr euch noch, als ich vorhin etwas mit einem Clown sagte? Ja? Genau so sieht diese Irre aus. Alles beginnt schon mit dieser extrem schrägen lila-grün gestreiften Strumpfhose, welche mich auf eine gruselige Art und Weise an Pippi Langstrumpf erinnert. Habe ich schon ihre Schuhe erwähnt? Wobei, viel zu erklären gibt es da nicht. Ich denke, "knallgelbe Sneakers" erklären so ziemlich alles. Okay, weiter mit ihrem Rock, der als solcher eigentlich nicht mehr bezeichnet werden konnte. Er bedeckte eigentlich nichts, wobei es da auch nicht wirklich viel zum Bedecken gäbe. Zu guter Letzt noch das Oberteil oder eher die Oberteile.

Den Anfang bildet ein schwarzes Shirt mit weißen Punkten, dass aussieht, als hätte sie einen Dalmatiner gekillt und daraus ein Shirt gemacht. Und dann kommt dieser total zerrissene, extrem scheußliche neonorangenen Stofffetzen, der mit viel Fantasie und Willen mal als T-Shirt bezeichnet werden konnten.

Abgerundet wird ihre Erscheinung durch diverse Ketten und anderen nutzloser Kram, der sie zu einem wandelnden Tannenbaum macht. Kurz: Dieses Mädchen sieht aus wie ein Mischung aus in-den-Farbtopf-gefallen, Omas-Klamotten-von-vor-dreißig-Jahren und einem missglücktem Fasnachtskostüm. Dass sie sich so überhaupt auf die Straße traut, zeugt entweder von großem Selbstbewusstsein oder von grenzenloser Dummheit. Fakt ist, dass Prinzessin Lillifee den Rekord im schräg sein geknackt hat.

»Weißt du, du siehst gerade aus wie ein Kröte, die gerade angegriffen und eingefroren wird, bevor der Feind sie auffuttern kann«, bemerkt Prinzessin Lillifee. Erst da wird mir bewusst, wie weit meine Gedanken Richtung Afrika verschifft wurden.

Der gewohnt mürrische, leicht angepisste Blick kommt wie von selbst und auch das Grinsen hat begriffen, dass es hier in der falschen Adresse ist. Zeit, endlich hier weg zu kommen und Prinzessin Lillifee mit ihren durchgeknallten Gedanken auf Nimmerwiedersehen zu sagen.

»Danke. Und du wie Shopping-Junki ohne Sinn für Mode!«, antworte ich trocken. Prinzessin Lillifee beginnt wieder zu grinsen. Vielleicht hat sie die selbe Krankheit wie Mr. Nervensäge und muss deshalb die ganze Zeit dieses ich-bin-so-unschuldig-und-ersteche-dich-gleich-Lächeln auf den Lippen geklebt haben. Widerlich!

»Der Dank geht zurück. Aber was zur großen Peperoni machst du hier? Bist du vielleicht ein Fan von Kian? Oder irgendeine durchgeknallte Stalkerin?«, fragt sie und legt den Kopf leicht schief. Ich blicke sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, wobei das wahrscheinlich sowieso der Fall ist.

»Als ob ich freiwillig diese Nervensäge besuchen würde! Der ging mir vorhin schon genug auf den Sender! Und das mit dem durchgeknallt überlasse ich dir. Wie man sieht, machst du deinen Job hervorsagend, da möchte ich mich nicht einmischen«, gebe ich abschätzig zurück. Wie kommt überhaupt irgendjemand auf die Idee, dass ich Zeit mit irgendjemanden verbringen will? Und dann auch noch mit der wohl größten Nervensäge des ganzen Planeten!

»Ui, eine Kian-Hasserin! Was hat diese hirnlose Karotte denn angestellt, dass du ihn nicht magst?«, fragt Prinzessin Lillifee nach und übergeht meine Seitenhieb einfach. Stattdessen blickt sie mich weiterhin an. Ihre Augen erinnern mich an die eines Geckos, der ein paar Mal zu oft von einem zehn Meter hohen Baum gefallen ist. Gruselig.

»Diese hirnlose Karotte, wie du ihn nennst«, und dessen Sinn sich mir nicht erschließt..., »hat mich mit einem müllhaldegroßen Haufen Scheiße vollgelabert und mir mit vergnügen einen Nerv nach dem anderen abgemurkst!« Bei der Erinnerung an diese Folter legte sich eine grimmiges Lächeln auf meine Lippen, die jedem im Umkreis von vier Kilometer versichert, dass man Kians Folter nicht nachmachen sollte, es sei denn, man hat einen dringenden Todeswunsch.

»Was sprichst du ihn halt auch an, Blondchen!«, gibt Prinzessin Lillifee ungerührt von sich. Ich muss unweigerlich schmunzeln. Ich mochte ihre Art, nicht gleich in diese mimimi-du-bist-so-arm-und-ich-tröste-dich-Art zu verfallen.

»Der Typ hat mich davon abgehalten, einem frauenfeindlichem Arschloch die Fresse zu polieren, also hat er mich wohl eher angesprochen, Prinzessin Lillifee!«, stelle ich klar und das rosafarbene Etwas hebt skeptisch ihre Augenbrauen. Ratet mal, welche Farbe die haben. Genau. Rosa!

»Ich sag ja: hirnlose Karotte! Ich hab ihm schon oft gesagt, dass nicht jeder seine Hilfe braucht. Vielleicht sollte ich ihm mal wieder eine Standpauke halten, hab ich schon seit zwei Tagen nicht mehr getan...» Der letzte Satz ist eher an sie selbst gerichtet, aber ich höre ihn dank meines intakten Hörorgans trotzdem.

Überrascht blicke ich Prinzessin Lillifee etwas genauer an. Wie es scheint, kennt sie Mr. Nervensäge ziemlich gut. Sogar so gut, dass sie ihm etwas befehlen kann. Aber hatte er nicht gesagt, dass er noch nie einem Mädchen ohne das ich-verfalle-dir-auf-der-Stelle-oh-großer-Gott-Syndrom getroffen hat? Tja, dann hat er da offenbar gelogen.

»Hast du ihn wenigsten deine Meinung geigt? Oder vielleicht sogar eine runter gehauen«, will Prinzessin Lillifee wissen und blickt mich beinahe hoffnungsvoll an. Wenn das Kians Freundin ist, hat er die Arschkarte gezogen. Aber gut zu wissen, dass noch jemand außer mir keine Hemmungen besitzt, dem Großkotz zu zeigen, wofür eine Faust gut ist.

»Beides«, gebe ich zu und kann nicht verhindern, dass ich bei der Erinnerung daran anfange zu grinsen. Das Highlight des Tages war definitiv mein Faustschlag nach Mr. Nervensäge.

Prinzessin Lillifee nickt mir anerkennend zu und plötzlich scheint ihr ein Licht aufzugehen. Begeistert blickt sie mich an und ich frage mich, ob sie mich gleich mit einer ihrer vielen Ketten erhängen will. »Ach, du bist das! Kian hat von dir erzählt! Oh Brokkoli, du hast meinem Bruder total den Kopf verdreht!«

Hätte ich etwas im Mund gehabt, hätte ich mich jetzt verschluckt. Oder es postwendend ausgespuckt. So aber habe ich das Gefühl, einmal gegen die Wand geknallt zu werden. Ungläubig blicke ich Prinzessin Lillifee vor mir an und suche nach irgendeiner Ähnlichkeit, die Mr. Nervensäge mit ihr hat. Mein Ergebnis: nichts.

»Sag bloß, du wusstest das nicht! Heilige Peperoni, das gib's ja nicht!«, ruft Prinzessin Lillifee aus, als sie meinen Blick auffängt und auch noch richtig deutet. Kann sie vielleicht Gedanken lesen? Falls ja...Verpiss dich aus meinem Kopf und zwar dalli!

»Offenbar ja nicht!«, grummele ich, wieder den grimmigen, leicht genervten Gesichtsausdruck auf meinem Gesicht. Woher sollte ich das auch bitte wissen? Bin ich jetzt plötzlich die wandelnde Klatsch-und-Tratsch-Zeitschrift? "Die genervte Vollzeitpessimistin". Toller Name für eine Klatschzeitschrift!

»Ich mag dich immer mehr, Blondchen!«, kichert die Irre und klimpert mit den blauen Wimpern. Ich rolle mit den Augen. Blondchen! Wie ich den Namen hasse! Er passt zu einer aufgetakelten Tusse mit wasserstoffblonden Haaren, die mehr Plastik als Mensch ist. Aber definitiv nicht zu einer rollstuhlfahrenden Dauerpessimistin!

»Und ich dich immer weniger. Also Schnauze, Lillifee!«, murre ich, kann mir ein kleines Grinsen aber nicht verkneifen. Eigentlich mag ich solche hyperaktiven Menschen genauso wenige wie Lancelot. Aber dieses Mädchen ist mir irgendwie sympathisch, so ungern ich es auch zugebe. Allerdings verspüre ich bei ihr nicht das Bedürfnis, meinem Hirn zuliebe das Weite zu suchen, was sonst nur bei zwei Personen der Fall ist.

»Jedenfalls hat er total von dir geschwärmt und gesagt, du siehst aus wie ein Engel. Hat irgendwie recht, aber deine große Klappe macht das wieder wett!«, erzählt sie mir und ich kann nur mühsam mein Lachen zurück drängen. Ich? Ein Engel? Ich bin wohl eher der Teufel im Engelskostüm! Wobei sie mit dem Aussehen leider Gottes recht hat.

»Achso und du sollst sehr dickköpfig und sexy sein«, ergänzt sie und grinst mich abwartend an, als würde sie erwarten, dass ich gleich aus dem Stuhl kippe. Das passiert nicht, stattdessen verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke und beginn laut zu husten.

»Huch!, ist das einzige, was Prinzessin Lillifee raus bekommt, bevor sie in Rekordgeschwindigkeit zu mir gesprintet kommt und meine Organe die Speiseröhre hinauf schickt.

Willst du mich umbringen?«, frage ich irgendwo zwischen abkratzen und verzweifelt nach Luft schnappen, während sie munter meinen Rücken weiter malträtierte.

»Nö«, antwortet die Irre und schlägt unbeirrt weiter wie besessen meinen Rücken zusammen. Wenn ich nachher eine gebrochene Rippe habe, zahlt sie den Schaden!

Schließlich gelingt es mir, meine Lunge von der Spucke zu befreien und ich setzte mich keuchend aus meiner nach vorne gebeugten Position auf. Mein Gesicht macht sicher einem Dummkopf ohne Sonnencreme nach vier Stunden in der Sonne liegen Konkurrenz und ich bin mir sicher, dass ich wie halb ertrunken in meinem Rollstuhl hänge.

»Sexy?«, krächzte ich. Meine Stimmbänder haben nach diesem Hustanfall beschlossen zu streiken und lassen mich nun knallhart im Stich. Nette Stimmbänder!

»Yep, ich stimme dir da auch nicht zu. So, wie du gerade aussiehst, ist selbst eine verfaulte Gurke heißer. Allerdings hat es dich, wie es scheint, ziemlich aus dem Konzept gebracht. Sicher, dass du ihn hasst, Blondchen?« fragt Prinzessin Lillifee wissend, aber mit einem gespielt unschuldigen Ton in der Stimme. Wenn Kian genauso gut schauspielern kann wie sie, dann wird der Film das reinste Desaster.

»Ich kann ihn auf den Tod nicht ausstehen!«, knurre ich, mit dem typischen zynischen Tonfall. Was auch der Wahrheit entspricht. Ich mag diese Nervensäge echt nicht.

»Aber?«, bohrt Prinzessin Lillifee nach und nun weiß ich, woher Kian seine Nervigkeit hat. Wenigstens habe ich jetzt eine Gemeinsamkeit gefunden.

»Ich weiß nicht, was dich das angehen soll!«, gebe ich genervt von mir und will nichts lieber, als das Thema "Kian" in die Mülltonne zu schmeißen. Ich hatte vorhin schon eine Überdosis von ihm.

»Uh, du blockst ab! Sehr verdächtig, Blondchen!«, zieht sie mich auf und ich unterdrücke das Bedürfnis, das zweideutige Grinsen aus ihrem Gesicht zu schlagen. Wo sind wie hier? Im Kindergarten?

»Stimmt, ich bin ja soooowas von in ihn verknallt!« Zur Verdeutlichung verdrehe ich einmal im großen Stiel meine Augen, um ihr auch ja zu zeigen, wie sarkastisch ich diese Antwort meine. Es ist mir selbst ein Rätsel, warum ich so heftig auf ihre Worte reagiert habe. Gut, keiner hat mich bisher als sexy bezeichnet. Es war das erste mal und ich war zugegebenermaßen ziemlich überrascht. Vor allem, da ich eigentlich dachte, ich hätte ihn ausreichend vertrieben. Trügerisch, wie sich nun heraus stellt. Während andere Mädchen allerdings jetzt wahrscheinlich wie ein gefällter Baum umfliegen oder die wohl kitschigste Hochzeit der Weltgeschichte planen, überlege ich mir nur, wie ich Mr. Nervensäge dazu bringen kann, mir nicht noch einmal auf den Sender zu gehen.

»Siehst mir ehrlich gesagt nicht so aus. Aber war ja klar, dass sich diese hirnlose Karotte ausgerechnet in eine unerreichbare und sehr exzentrische Persönlichkeit verlieben muss«, murmelt Prinzessin Lillifee und legt nachdenklich ihre Stirn in Falten. Ob ihr Bruder wohl weiß, dass sie mir gerade alles über sein Gefühlsleben verrät?

Ich überlege, ob ich das als Beleidigung auffassen soll, nehme es dann aber lieber als Kompliment. Es trifft beides wie meine Faust auf Kians Auge und ist zudem gewollt.

»Willst du mir jetzt vielleicht einmal verraten, was genau du hier zu suchen hast? Eigentlich dürfen hier nur Leute vom Filmteam sein. Nicht, dass ich etwas gegen deine reizende Anwesenheit habe, aber ich kenne da so ein paar Typen, die da etwas dagegen haben und dich postwendend rausschmeißen würden«, bricht Prinzessin Lillifee die Stille, nur ein paar Sekunden, nachdem sie aufgehört hat zu plappern.

»Die Wiese gehört euch nicht, also könnt ihr mich wohl kaum raus schmeißen. Und eigentlich wollte ich nur zum Wald, wurde aber leider von jemandem aufgehalten!« Letzteres sage ich mit Nachdruck und blicke das Mädchen vor mir anklagend an. Sie grinst nur frech zurück und scheint genauso viel Reue zu haben wie eine Krone auf den Kopf: gar nicht.

»Dann bist du also eine Dorfbewohnerin!«, stellte sie nach fünfzig Jahren dann auch mal fest und sieht mich stolz an. Wahrscheinlich soll ich ihr zustimmen, damit sie sich selbst die Königin von Honolulu nennen kann. Da kann sie lange warten.

»Soll ich dich vielleicht begleiten?«, bietet sie mir an und überspring mein Schweigen einfach. Ich blicke sie mit meinem besten dein-Ernst-Blick an und kann mich gerade noch davon abhalten, meine Hand wie ein Kleinkind vor meinem Gesicht hin und her zu wedeln. Da sage ich ihr lieber ins Gesicht, dass sie verrückt wäre, sollte sie ernsthaft glauben, dass ich sie mitnehmen würde.

»Soll ich ein Farbtrauma bekommen? Noch ein paar Minuten länger und du verursachst genau das. Gibt es nicht irgendein Verbot, dass so ein Auftreten verbietet?« Der Zynismus ist auch endlich mal wieder eingetroffen und holt nun aus.

Allerdings verfehlt er die gewünschte Wirkung. Hätte auch gleich in seinem Loch bleiben können! »Gute Frage, daran habe ich noch nie gedacht. Und ich setzte mich bei dir auch der Gefahr von Gehirnverlust aus, also was soll's.« Betont unbekümmert zuckt sie mit den Schultern und ich rechne es ihr hoch an, darauf nicht beleidigt reagiert zu haben. Auch wenn ich mir jetzt einen neuen Plan ausdenken muss. Keines falls möchte ich noch länger Zeit mit ihr verbringen, geschweige denn mit ihr nach Nico suchen.

»Gut, jetzt mal für Dumme: Ich werde alleine gehen und du- Oh shit!«, unterbreche ich mich selbst. Nicht, weil ich meine Worte bereue. So weit kommt's noch! Nein, der Grund meiner plötzlichen Unterbrechung ist eine Person, welche gerade lässig auf uns zu geschlendert kommt.

Sie ist groß, schlank, hat braune Haare und hat in meinen Augen mit nerongrüner Schrift "Achtung Nervenkiller" auf der Stirn stehen. Kian. Die letzte Person, die ich gerade sehen möchte. Mal von Mr. Petersen abgesehen.

Trotz der schwarzen Sonnenbrille, die seine Augen verdeckt, könnte ich schwören, er würde mich anschauen. Und damit meine ich nicht nur meinen Körper, sondern mein Inneres. Gruselig.

Ich verkneife es mir, wie ein Feigling das Weite zu suchen, auch wenn ich gerade nichts lieber tun möchte. Mein Nervenvorrat hat heute schon genug gelitten und auf einen weiterer Massenmord kann ich gerne verzichten.

Mit steigender schlechter Laune beobachte ich, wie er immer näher kommt und schließlich neben Prinzessin Lillifee stehen bleibt. Neben ihm sieht sie aus wie eine Erbse. Eine winzige Erbse. »Du wirst gebraucht«, sagt er an sie gewandt und irgendwie hört sich seine Stimme tiefer an, als ich in Erinnerung habe. Was aber auch kein Wunder ist, schließlich verbinde ich eine nervige Persönlichkeit wie seine immer mit einer quitschigen Stimme und habe sie deshalb so abgespeichert.

Prinzessin Lillifee rollt mit den Augen. »Ich geh ja schon, du Stinkstiefel!«, murrt sie und wendet sich an mich. Auf einmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass diese Irre noch etwas länger bleibt, nur, damit ich nicht mit Kian alleine sein muss. Ein sehr beängstigendes Gefühl!

»Du hast ihn ja gehört. Wir sehen uns, Blondchen!«, ruft sie über ihre Schulter und verschwindet dann hopsend wie ein Kleinkind über die Wiese zurück zu dem Platz, an welchem gerade diverse Zelte aufgebaut werden. Ich blicke ihr nur kurz nach, bevor mein Blick wieder zu Kian wandert, dessen Augen nun mich zu mustern scheinen. Großer Gott, bitte lass ihn von einem Blitz erschlagen!

»So, und jetzt zu dir...«, beginnt er und bedenkt mich mit einem Blick, den ich leider nicht sehen kann.

Mein finsterer Blick fixiert die Sonnenbrille und ich lehne mich fast automatisch etwas nach vorne. »Wenn du meinen Nerven noch einmal einen Massenmord bescherst, kastriere ich dich!«, knurre ich und funkele ihn finster an. Kian hebt überrascht eine Augenbraue.

»Noch einmal?«, fragt er, belustigt und verwirrt zugleich. Ich rolle mit den Augen. Jetzt tut er auch noch auf unschuldig!

»Tue nicht so! Du weißt genau, wovon ich spreche!«, zische ich und beobachte ihn genau. Er soll bloß nicht glauben, dass ich mich verarschen lasse.

Kian macht langsam einen Schritt auf mich zu und senkt seinen Kopf etwas zu mir herab. Eine Geste, die er sich vorhin nicht getraut hatte, jetzt aber mit einer arroganten Selbstverständlichkeit ausführt, als ob er mich verspotten würde. Er ist mir fast schon wieder zu nahe und ich beschließe, ihm beim nächsten Zentimeter wieder meine Faust ins Gesicht zu rammen. »Da musst du etwas verwechseln. Ich habe nie auch nur ein Wort mit dir gesprochen, Engelchen!«, lächelte er. Sein Lächeln war nicht freundlich. Es war fies, als würde er sich über mich lustig machen.

Wütend ziehe ich die Augenbraue zusammen und kann nicht glauben, was er gerade mit mir abzieht. Was denkt dieses Arschloch eigentlich, wer er sei? Vorhin tat er einen auf nett und höflich, versuchte penetrant, sich entgegen meiner Vorstellungen zu verhalten, nur um jetzt sein wahres ich raus zuhauen. Welches ganz offensichtlich dem entsprach, was ich hasste.

»Leidest du gerade an Alzheimer oder was? So einen Scheiß muss ich mir echt nicht geben! Zieh den Schrott bei jemand anderem ab aber halt dich von mir und Nico fern!«, zische ich ihn feindselig an.

Kian hebt spöttisch eine Augenbraue und hätte er keine Sonnenbrille auf, hätten seine Augen wohl dieses arrogante Funkeln in den Augen gehabt, dass ich vorhin kurz einmal habe aufblitzen sehen.

»Ich weiß zwar nicht, was bei dir gerade schief läuft, Blondchen, aber du brauchst dir gar keine Hoffnungen zu machen, dass ich irgendwas mit dir Anfangen werde«, gab er eingebildet von sich und brachte mich schier zur Sprachlosigkeit. Und ich war auch noch auf den Typen reingefallen...

Empört setze ich zu einer Erwiderung an, stocke aber abrupt. Nicht, weil mir die Worte ausgingen oder weil ich von einer plötzlichen Schüchternheit überfallen wurde. Nein. Kian hat seine Sonnenbrille abgenommen, was wahrlich nichts besonderes ist. Doch als seine Augen auf meine treffen, scheint irgendwas in mir mit einem lauten Knall zu explodieren. 

***

Hach, ich liebe das Kapitelende! Und ich warte nur noch auf eure Reaktionen xD

Meinungen zu "Prinzessin Lillifee"? Und zu Kian? Hat sich ja irgendwie doch als Arsch herausgestellt...

Macht euch noch einen schönen Tag und genießt die Feiertage ^^

Wir lesen uns xD


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