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Angst war eine der vier Grundemotionen, das wusste Jimin. Sie begleitete alle durchs Leben, mal mehr und mal weniger. In Jimins Fall war sie häufiger präsent, als es normalerweise üblich war. Sie verfolgte ihn, wenn sein Vater auf einem Einsatz war und ließ ihn nicht los, bevor er zurückgekehrt war.

Auch ergriff sie sein Herz, hatte er sich mal wieder in eine gefährliche Situation gebracht, auch wenn er sich gerne einredete, dass es keine Angst war, die sein Herz zum Rasen brachte.

Trotzdem war die Angst für ihn etwas Normales, doch auf Yoon Chans Gesicht war sie in seinen Augen definitiv fehl am Platz. Sie passte nicht zu seinen sanft geschwungenen Augenbrauen und den leicht abfallenden Augenwinkeln, genauso wenig wie zu seinen vollen Lippen, die meistens von einem Lächeln geziert wurden.

"Du denkst tatsächlich, dass ich irgendetwas mit seinem Verschwinden zu tun habe?", fügte Jimin seine Gedanken in eine Frage. An dieser Stelle wollte er noch so viel mehr sagen, sich erklären und alle Verbindungen zwischen ihm und dem Fall kappen, doch schon ab der Hälfte des Satzes hatte seine Stimme an Lautstärke abgenommen, bis sie schlussendlich nur noch ein Flüstern war.

Chan atmete tief aus, bevor er seine Mundwinkel noch weiter hängen ließ, als wollte er sie gen Boden strecken. In Jimins Brust verkrampfte sich sein Herz, das sich wie von einer imaginären Hand zusammengepresst anfühlte.

Der Ältere zuckte demotiviert mit den Schultern. "Ich weiß es nicht, Jimin. Vielleicht denke ich das, vielleicht will ich auch nur meinen Frust an jemandem auslassen. Es ist nur, dass ich jetzt meinen Job los bin, verstehst du? Ich war noch praktisch in der Eingewöhnungsphase und jetzt habe ich nichts. Wo soll mich denn noch jemand nehmen? Sie werden herausfinden, wieso ich gefeuert wurde und werden mich ablehnen. Wer will denn schon einen Polizisten, dem nicht zu vetrauen ist?".

"Ich werde mit meinem Vater reden und ihm erklären, dass es nicht deine Schuld war. Er wird das schon irgendwie richten können." in Jimins Stimme schwang all die Hoffnung mit, die er in diesem Moment aufbringen konnte. Schon die Erwähnung seines Vaters beruhigte ihn etwas und erlaubte ihm, die Situation aus der Sicht eines Unbeteiligten zu sehen.

Soweit Jimin wusste, hatte Chan seine Ausbildung in der lokalen Polizeistation gemacht, wo er zwar nicht als einer der Besten abgeschlossen hatte, aber irgendwie trotzdem angenommen wurde. Nun hatte er seit einigen Monaten eine Stelle dort gehabt und hatte bei den Polizisten zumindest mit Sympathie gepunktet. Besänftigende Worte und traurige Gesichter würden vielleicht nicht helfen, aber ausschlaggebende Argumente konnten einem rational denkenden Menschen nicht kalt lassen, so hoffte er zumindest.

"Aber ich habe doch Schuld. Wäre ich nicht eingeschlafen, wäre er noch dort und vielleicht wüssten wir bis jetzt, was wirklich passiert war. Oh verdammt, wieso interessieren sich alle so für diesen Fall? Es war eine Prügelei, das passiert. Wieso schaut die ganze Nachbarschaft auf uns, als wäre hier ein Alien gelandet?"

Dem Älteren war seine Anspannung anzusehen, die seinen ganzen Körper eingenommen hatte. Von seinen zusammen gekniffenen Augenbrauen und den zu Fäusten geballten Händen bis zu den ruhelosen Füßen. Es war, als stünde sein Körper unter Strom, den er durch seine Worte loszuwerden versuchte.

Jimin nickte nur, traute sich noch nicht, etwas zu sagen, weil er befürchtete, dass er diesen Moment des Vetrauens zerstören könnte, wählte er seine Worte nicht bedacht genug. Sein Verstand schrie ihm Worte entgegen und bat darum, diese äußern zu dürfen.

Er überlegte, ihm weiterhin Mut zu zu sprechen, indem er versprach, dass es vorbei gehen würde, dass sich jeder Skandal irgendwann legen würde und sie diesen Moment zum Angriff nützen würden. Zugleich wollte er aber auch sein Mitleid kundtun und sich irgendwie entschuldigen, ohne zu implizieren, dass es tatsächlich seine Schuld war. 

Als Worte aber seinen Mund verließen, war es nichts dieser Dinge. "Ich denke, wenn ein Alien hier gelandet wäre, wäre hier viel mehr los.". Sobald diese Bemerkung seine Lippen passiert hatte, hätte er sich am liebsten selbst bestraft.

Ohne den heißblütigen Blick Chans zu beachten, fügte er noch hinzu "Aber ich verstehe schon.". Daraufhin ließ er einen rasselnden Atemzug seine Kehle verlassen und biss sich auf die Lippe, um einen weiteren Fehltritt zu verhindern.

Die kurzweilige Stille, die darauf folgte, war in Jimins Ohren schmerzhaft laut und hätte er nicht befürchtet, den anderen mit einer einfältigen Bemerkung in die Flucht zu schlagen, so hätte er gesprochen.

"Sieh mal, Jimin, ich bin mit meinen Nerven am Ende und weiß nicht wohin. Alles ist auf einmal so anders. Von einem auf den anderen Moment habe ich keinen Job und werde von all meinen ehemaligen Kollegen für etwas verurteilt, das jedem hätte passieren können. Jimin, hörst du mir zu?".

Der Angesprochene nahm seinen Blick von den, sich im Wind bewegenden, Baumkronen und nickte, bevor er zum Sprechen ansetzte "Ich biege das schon irgendwie gerade.".

"Und wie willst du das anstellen? Nicht, dass ich nicht darin vertraue, dass du Choi Kibum findest und sich alles aufklärt, aber irgendwie tue ich genau das nicht.". Jimin empfand seinen anzweifelnden Ton und die gehobenen Augenbrauen nicht gerade als motivierend, ließ sich davon aber nicht beirren.

"Ich mache das schon irgendwie. Du musst einfach nur versuchen, dich zu beruhigen und nur darauf zu achten, dass du es mir sofort sagst, wenn du etwas gehört oder gesehen hast. Ist das klar?".

Chan erklärte sich mit einem Nicken einverstanden und lockerte seine Muskeln minimal, um den Eindruck zu verstärken, dass er seinen Worten Glauben schenkte. Auf Jimins Lippen bildete sich ein zaghaftes Lächeln, mit dem er sich von seinem Ex-Kollegen verabschiedete.

Wenige Minuten später befand er sich auf seinem Heimweg, den er normalerweise schon früher angetreten hätte. Obwohl er nicht gerne alleine zu Hause war, hielt ihn nur wenig außerhalb seiner eigenen vier Wände, hätte er nicht die Kontaktschaft zu Jungkook und Yoongi.

Seine eigenen Schritte auf dem Gehweg machten es ihm schwer, klar zu denken und an einem Plan zu pfeilen, den er nutzen könnte, um sein mündliches Versprechen gegenüber Yoon zu erfüllen. Schnell gab er diesen Versuch auf und konzentrierte sich einfach auf den Weg, der vor ihm lag.

Die abendliche Stille lag jedoch schwer auf seinem Herzen und brachte Gedanken mit sich, die er anpacken und beiseite schieben wollte. Jungkook wie er zögernd im Türrahmen stand, sein Vater, der ihn über Kibum ausfragte und Yoongi mit seiner Persönlichkeit, die für ihn noch weitgehend im Dunkeln lag.

Bevor ihn diese Überlegungen vollkommen übernehmen konnten, griff er in seine Jackentasche und fischte sein Handy mitsamt seiner Kopfhörer heraus. Ehe er sich versah war er mit dröhnender Musik in den Ohren dabei, den restlichen Weg zu rennen. Als er zu Hause ankam, war er völlig aus der Puste und verfehlte aufgrund seiner zitternden Hände mehrmals das Schlüsselloch.

Wie er erwartet hatte, war sein Vater noch nicht zu Hause und so beschloss er, sich einfach in sein Zimmer zurück zu ziehen und auf ihn zu warten. Doch obwohl er den halben Tag lang gearbeitet hatte und sich sowohl physischen als auch psychischen Belastungen ausgesetzt hatte, fühlte er, wie sich die überschüssige Energie in ihm anstaute.

Also lief er durch sein Zimmer, nicht in der Lage dazu, ruhig zu bleiben. Selbst der Fernseher lenkte ihn nicht ab und auch die Nachricht von Chan, die er erhalten hatte und ihm sagte, dass er ihm vertraute, beschwichtigte ihn nicht.

Nachdem er das Haus mehrere Male abgelaufen war, vergrub er sich unter einer Decke im Wohnzimmer und kniff seine Augen zusammen. Dem Drang, Jungkook zu schreiben, widerstand er und viele weitere Optionen blieben nicht.

Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er Yoongis Nummer nicht hatte und keiner der beiden je einen Versuch gestartet hatte, dies zu ändern. Er war sich nicht einmal sicher, ob er ein Handy besaß oder ob er irgendwo in einem Funkloch mit seinen gewalttätigen Freunden lebte, wo sie jeden Tag den Mond anheulten und den Teufel anbeteten.

Irgendwann gingen Jimins Überlegungen in einen Traum über. Yoongi und der Junge aus der Gasse tanzten Hände haltend um ein großes Feuer. Ihre Augen glänzten im Schein des brennenden Holzes und ihre Münder waren zu fratzenhaften Lächeln verzogen.

Es war ein unangenehmer Traum, der Dunkelhaarige konnte die Glut auf seiner Haut spüren und ihr schallendes Lachen direkt neben seinem Ohr hören. Gerade, als die beiden Jungen ihn bemerkten und in ihrer Bewegung innehielten, begann die Szene zu bröckeln.

Ein entferntes Geräusch rüttelte an seinem Traum und verschlang alles in wenigen Sekunden, bis er nur noch die Dunkelheit hinter seinen Lidern sah.

Benebelt fuhr er hoch und öffnete seine Augen, die ihn realisieren ließen, dass das Zimmer in Schwärze getaucht war. Die Nacht war über ihn herein gebrochen und hatte den Raum in Schwarz und Weiß gefärbt. Selbst die Person hinter dem Fenster konnte er nur schemenhaft ausmachen.

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