19
Jimin schluckte den faustgroßen Kloß in seinem Hals hinunter und nickte langsam "Natürlich". Am liebsten hätte er noch eine Erklärung angehängt, jedoch wusste er nicht, wofür er sich erklären musste. Was hatte Yoon Chan gehört oder gesehen, dass ihm das Gefühl gegeben hatte, dass Jimin nicht zu vertrauen war? Der Dunkelhaarige zumindest konnte sich nichts ins Gedächtnis rufen, von dem er Bescheid wissen konnte. Nur Jungkook ahnte, dass er sich mit Yoongi traf und viel aufsehenerregenderes wollte ihm partout nicht einfallen.
"Das sagt sich leicht", erwiderte der Ältere und reckte sein Kinn in die Höhe, als wäre seine Größe nicht genug, um auf ihn hinunter zu blicken. Entgegen seinem Gefühl, das ihm sagte, dass es an der Zeit war, sich wie ein Igel einzurollen, richtete sich auch Jimin auf und hielt dem eisernen Blick seines Gegenübers stand.
So verharrten sie für einen Moment, der wie in Zeitlupe an dem angehenden Polizisten vorbei kroch, ehe sich Jimin eines besseren belehrte und die Schultern erneut sinken ließ. Versöhnlich machte er einen Schritt auf seinen Kollegen zu und ließ sich nicht davon entmutigen, dass dieser zurückwich.
"Bitte lass uns reden", versuchte er es in einem sanfteren Ton und schabte mit seiner Schuhspitze über den betonierten Boden, als könnte er somit all die Fehler seiner Vergangenheit unkenntlich machen oder zumindest die bestehende Auseinandersetzung aus der Welt fegen.
Sein Gegenüber zögerte sichtlich, bevor er dann seine Gesichtszüge entspannte, was einen etwas freundlicheren Anblick zum Erscheinen brachten. Der Dunkelhaarige hatte gewusst, dass er sich nicht geändert hatte, höchstens war er selbst etwas überfordert, aber so schnell täuschte man sich nicht in Menschen; das hoffte er zumindest.
"Hälst du das für eine gute Idee?" den zweifelnden Unterton seiner Stimme filterte Jimins Ohr selbstverständlich heraus, als wollte sein Gehirn sicherstellen, dass ihm dieser nicht entging. Das ignorierend machte der Dunkelhaarige erneut einen Schritt auf Yoon zu, welcher es dieses Mal über sich ergehen ließ, um eine Hand auf seiner Schulter zu platzieren.
Unter seiner Handfläche spürte Jimin die Anspannung in den Muskeln seines Kollegen, blieb aber in dieser Position, obwohl ihm sein Wissen über Körpersignale sagte, dass das kein gutes Zeichen war.
Erst nach wenigen Sekunden, in denen er sich vergewisserte, dass Yoon sowohl seinen Händedruck als auch seinen durchdringenden Blick Beachtung geschenkt hatte, ließ er wieder von dem jungen Mann ab.
"Ja, das denke ich tatsächlich", bestätigte Jimin daraufhin, ohne den Blickkontakt abzubrechen, der wenige Sekunden später von Yoon unterbrochen wurde.
Dieser zögerte, ließ seinen Blick in die Ferne schweifen, um ihn dann zurück auf Jimin zu richten, bevor er sich räusperte und dann mit schwacher Stimme antwortete "Müsstest du nicht arbeiten?".
Er fühlte sich, als wären ihm urplötzlich die Hände verbunden, zumindest kam es ihm vor, als hätte ihm eine höhere Kraft einen Strich durch die Rechnung gemacht, ihm den Stift zum Zeichnen vor der Nase weggeschnappt.
Entnervt seufzte er auf, fuhr sich kurz durch die Haare und drehte sich in die andere Richtung, um einen Blick auf das Polizeigebäude werfen zu können.
Die weiße Zentrale hebte sich stark von dem wolkenlosen Himmel ab und warf dunkle Schatten in Richtung der beiden Jungen. Der Dunkelhaarige schloss für eine Sekunde seine Augen und genoss die Dunkelheit, die sich hinter seinen Lidern versteckte, bevor er sich zögerlich wieder zu seinem Gesprächspartner umdrehte, welcher geduldig auf ihn gewartet hatte.
"Musst du heute noch arbeiten?", erkundigte sich Jimin statt eine Antwort zu geben und hoffte auf eine positive Auskunft, bekam aber nur ein Lachen zu hören.
Verwirrt wiegte er seinen Kopf zur Seite und betrachtete ihn stumm, während sein Kollege lachte, ohne jegliche Art von Emotion mitschwingen zu lassen. Diese Art von Lachen ähnelte eher einem unregelmäßigen Ausstoßen von Luft, als einem Ausdruck von Freude. Das nannte man wohl trockenen Humor, dachte Jimin.
Als hätte er sich eines besseren belehrt, stoppte Yoon plötzlich in seiner Bewegung und blieb mit leicht geöffnetem Mund stehen. In Jimin bahnte sich die Befürchtung an, dass irgendetwas mit ihm passiert war, seit dem letzten Mal, als sie sich begegnet waren und nicht nur, weil er sich so sonderlich gegenüber dem Polizisten an der Rezeption verhalten hatte, was ein erstes Indiz gewesen war.
Bevor er diese Gedanken jedoch weiter verfolgen konnte, lenkte Yoon Jimins ganze Aufmerksamkeit wieder auf ihn "Nein.". Seine Stimme war nun wieder so bitter wie noch vor wenigen Minuten, als Jimin ihn praktisch ein Gespräch aufgezwungen hatte und sein Gesicht so leblos wie eine Maske.
Erneut räusperte sich der angehende Polizist und kratzte sich am Hinterkopf "Heißt das, dass wir uns auch nach meiner Schicht sehen können?". Er selbst fand nicht, dass das aus seiner schlichten Antwort abzuleiten war, wollte aber sichergehen, dass er sein Anliegen verständlich gemacht hatte.
Yoon Chan sah gedankenverloren auf die Stelle vor Jimins Füße, warf seinen Blick dann wie eine Angel in die Ferne aus und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern, als ginge es ihn eigentlich gar nichts an "Von mir aus.".
Bevor er es sich anders überlegen konnte, verbeugte sich Jimin leicht und verabschiedete sich schnellstmöglich von dem anderen Mann, der sich kurzerhand umdrehte und mit schlürfendem Gang davon lief.
Erst als er schon einige Meter entfernt war, schaffte es Jimin, seine Aufmerksamkeit von den hängenden Schultern Yoons zu nehmen und auch seinen Rückweg anzutreten.
In der Eingangshalle angekommen, wurde er mit einem stechenden Seitenblick von dem Polizisten hinter der Rezeption begrüßt, der ihn mit seinen Augen verfolgte, bis Jimin außer Sichtweite war. Der Dunkelhaarige hatte ihm ein einfaches Lächeln geschenkt, bevor er in einer Verzweigung des Ganges verschwunden war, welche zurück zu dem Büro, in dem beide Männer arbeiteten, führte.
Obwohl Jimin versucht hatte, die Tür so leise wie möglich zu öffnen, fuhr Jungkooks Kopf sofort in die Höhe. Seine dunklen Augen scannten seinen besten Freund, der das Misstrauen sogar von der anderen Seite des Raumes spüren konnte.
Dieses ignorierend schritt er zügig durch den abgedunkelten Raum und ließ sich zurück auf seinem Platz nieder. Auf seinem Schreibtisch warteten noch immer mehrere Stapel, die bearbeitet werden mussten.
Seufzend zog er eines der Blätter zu sich und überflog die Buchstaben, die sich in Jimins Kopf nicht zu Wörtern formen wollten. Er fühlte sich zurück versetzt in die Zeit, als er das erste Mal mit Englisch in der Schule konfrontiert wurde.
"Ist alles okay bei dir?" Jungkooks Stimme drang laut an sein Ohr, woraufhin er angestrengt seinen Kopf hob. Verständnislos betrachtete er seinen besten Freund, der genauso zurück blickte.
Ein quälend langsamer Moment verstrich, dem Jimin nur allzu gerne entkommen wäre. "Alles okay. Das" Jimin hob den Zettel etwas an "ist einfach nicht meins.". Jungkook nickte, fuhr aber fort, Jimin anzusehen, was diesen sehr unangenehm berührte.
"Ich wollte nur sehen, wie es Yoon so geht, was in einer etwas längeren Unterhaltung ausgeartet ist", erklärte sich der ältere und starrte betreten auf die Papiere vor ihm. Ihm war selbst nicht bewusst, wieso er auf einmal den Drang verspürt hatte, Jungkook eine Erklärung zu liefern, aber vielleicht wollte er auch einfach nur, dass dieser aufhörte, ihn anzustarren.
"Jimin, ich", begann Jungkook mit sanfter Stimme, die Jimin aufhorchen ließ. Sein Atem stockte, während er auf etwas hoffte, dass die beiden Freunde wieder enger zusammenbringen würde, doch stattdessen ruderte Jungkook zurück "Nicht so wichtig".
Am liebsten hätte der ältere erneut geseufzt oder seiner Enttäuschung anders Ausdruck verliehen, nickte aber nur und biss sich auf die Unterlippe.
Er fragte sich, ob es jemals wieder so werden würde, wie es damals war, als sie nur zwei Teenager waren, die ihrer Zukunft mit leuchtenden Augen entgegen sahen und ohne Angst vor dem lebten, was war und was noch kommen mochte.
Dieser Gedanke schmerzte Jimin, während er sich der mühsamen Arbeit zu wendete und Anzeigen durchging, die ihm genauso fern erschienen, wie sein Freund, der nur wenige Schritte von ihm entfernt saß und doch unerreichbar schien.
Wie die Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die dünnen Zwischenräume der Rollos bahnten und sich vor seinen Augen wie ein Teppich ausbreiteten. Er konnte sie zwar erreichen, ihnen so nah kommen, wie er wollte, doch mehr als ihre oberflächliche Wärme spürte er nicht.
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