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Vom Licht angezogen prallte die Fliege gegen das milchige Glas der Deckenbeleuchtung, die schräg über meinem Kopf und auf der gegenüberliegenden Seite oberhalb der Fenster die Werbereklamen einrahmte. Das kalte, weiße Licht flackerte in unregelmäßigen Abständen. Immer wieder wurde das hektische Surren des Insekts von dumpfen Schlägen unterbrochen, wenn es mit dem Lampenschirm kollidierte. Die nervtötende Geräuschkulisse vermischte sich mit dem stetigen Rattern und Schleifen der U-Bahn. In rasantem Tempo holperte sie über die Gleise, und mir blieb nichts anderes übrig, als mich dem Ruckeln anzupassen. Mich auf meinem harten Sitzplatz vor und zurück wiegen zu lassen.

Mein Blick schweifte von der Fliege und ihren hoffnungslos dummen Angriffen zum anderen Wagenende. Zu dem komplett in schwarz gekleideten Typen vor der Verbindungstür zum nächsten Abteil. Erst seitdem sich die Sitzreihen bei der letzten Haltestelle drastisch geleert hatten, außer ihm und mir niemand mehr da war, war er mir aufgefallen. Vornübergebeugt hockte er auf der orange lackierten, metallenen Sitzbank. Seine Ellbogen hatte er auf den Oberschenkeln abgestützt, und er starrte den schmutzigen Linoleumbelag zu seinen Füßen an. Vielleicht schlief er auch, schwer zu sagen. Er bewegte sich jedenfalls nicht. Die Kapuze seines Pullovers hatte er sich so tief über den Kopf gezogen, dass ich seine Gesichtszüge kaum ausmachen konnte. Im flackernden Licht blitzte bloß bleiche Haut auf.

Wie er überhaupt einen Pullover und darüber noch einen langen Trenchcoatmantel, eine Jeanshose und Stiefel tragen konnte, war mir ein absolutes Rätsel. Hatte ich doch schon in meinem kurzen Sommerkleid und den Riemchensandalen das Gefühl, vor Hitze einzugehen. Zumindest außerhalb der angenehm klimatisierten Luft dieses Wagens und den zugigen Bahnsteigen. An der Oberfläche, fernab des U-Bahnnetzes, bewegten sich selbst nach Mitternacht die Temperaturen nicht unter die Fünfundzwanzig-Grad-Marke. Weshalb für mich so wenig Kleidungsschichten wie nur irgend möglich infrage kamen.

Schaudernd umklammerte ich den abgegriffenen Lederbezug meines braunen Handtäschchens, das ich auf meinem Schoß platziert hatte. Obwohl sich der Typ nicht regte, ja nicht ein Mal in meine Richtung geschaut hatte, reichte es nicht aus, dass er am anderen Ende des Wagens saß. Der Abstand war nicht groß genug. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Irgendwie war er zu reglos; sein Körper schien nicht wie meiner von dem Geruckel erfasst zu werden. Die Härchen an meinen Armen und im Nacken stellten sich auf. Ich wollte weg von hier. Weg von dem unheimlichen Typen.

Doch bis zur nächsten Station war ich mit ihm in diesem fahrenden Käfig aus Metall gefangen.

Anmerkungen

Vorweg: Ich habe nicht zu jedem Punkt, der mir auffällt, auch gleich die passende Lösung parat. Das kommt dann eher spontan beim Überarbeiten. Noch überarbeite ich aber gar nichts, sondern verschaffe mir einen Überblick darüber, welche Baustellen alles behoben werden sollten (Kommafehler fallen mir eher weniger auf, und mein Fokus liegt hier auch mehr bei der Logik/dem Plot sowie dem Show don't tell). Fallen dir hingegen Vorschläge ein, dann scheue dich nicht, sie mir in den Kommentaren mitzuteilen.

Vom Licht angezogen prallte die Fliege gegen das milchige Glas der Deckenbeleuchtung, die schräg über meinem Kopf und auf der gegenüberliegenden Seite oberhalb der Fenster die Werbereklamen einrahmte.

Was für ein laaanger erster Satz. Hätte ich das nicht geschrieben, hätte ich das Buch gleich wieder weggelegt. Ja, die Beobachtung der Fliege ist cool. Das ist ein Einstieg, der einen gut in eine Geschichte hineinziehen kann, weil die Protagonistin nicht mit dem Klingeln ihres Weckers anfängt. Oder mit der Beschreibung ihres Aussehens. Oder der Schilderung ihrer Lebensgeschichte und der Regeln ihrer Welt. Oder noch schlimmer: Sie erzählt nur über ihre Persönlichkeit, zeigt das aber nicht in entsprechenden Handlungen. Trotzdem wäre "Vom Licht angezogen prallte die Fliege gegen das milchige Glas der Deckenbeleuchtung." besser. Oder man beginnt mit der Beschreibung des Geräuschs und lässt das "Vom Licht angezogen" weg.

Dann fallen mir gleich noch die vielen Adjektive allein im ersten Absatz auf:

- milchig
- kalt
- weiß
- unregelmäßig
- hektisch
- dumpf
- nervtötend
- stetig
- rasant
- hart

Adjektive sorgen für eine gewisse Stimmung, aber diese hier sind teilweise nicht präzise genug, was man durch Umschreibung (also die Sätze umstellen oder anders formulieren) lösen könnte.

Immer wieder wurde das hektische Surren des Insekts von dumpfen Schlägen unterbrochen, ...

Das "wurde" wirkt distanziert.

Die nervtötende Geräuschkulisse vermischte sich mit dem stetigen Rattern und Schleifen der U-Bahn.

Anstatt "nervtötend" könnte man eine Reaktion der Protagonistin beschreiben, z.B. ein Augenrollen, Kopfschütteln, Seufzen, irgendetwas, das zeigt, wie genervt sie von der Geräuschkulisse ist.

Mich auf meinem harten Sitzplatz vor und zurück wiegen zu lassen.

Das ist kein vollständiger Satz.

Zu dem komplett in schwarz gekleideten Typen vor der Verbindungstür zum nächsten Abteil.

Auch hier fehlt eine Reaktion auf die schwarze Kleidung, z.B. ein Schlucken, ein Schauer, ein mulmiges Gefühl, irgendetwas, das zeigt, dass sich die Protagonistin unwohl fühlt. Oder sie fragt sich, was das über den Typen wohl aussagt. Zur Verbindungstür fehlt auch etwas. Auf ihrer Seite des Wagens gibt es ebenfalls eine Tür. Wenn diese nicht direkt auf die Gleise führen würde, hätte sie schon längst das Abteil wechseln können. So aber traut sie sich nicht an dem Typen vorbei. Er könnte sich ja nur schlafend stellen ... Solche Überlegungen und Beschreibungen fehlen noch. Nicht unbedingt gleich an dieser Stelle, aber allgemein.

Erst seitdem sich die Sitzreihen bei der letzten Haltestelle drastisch geleert hatten, außer ihm und mir niemand mehr da war, war er mir aufgefallen.

Dieser Satz kann gestrichen werden, weil er nicht handlungsrelevant ist. Dass ihr der Typ aufgefallen ist, wird dadurch klar, dass sie in seine Richtung schaut und sein Aussehen/Verhalten beschreibt.

Er bewegte sich jedenfalls nicht.

Hier könnte Jane sich halb im Scherz fragen, ob der Typ vielleicht tot ist.

Im flackernden Licht blitzte bloß bleiche Haut auf.

Der Satz ist irgendwie drüber, zu viel und gewollt. Die Aussage ist eigentlich, dass Jane unter der schwarzen Kleidung nur bleiche Haut sieht, vielleicht die Hände oder Teile seines Profils.

Trenchcoatmantel

"Trenchcoat" reicht.

Hatte ich doch schon in meinem kurzen Sommerkleid und den Riemchensandalen das Gefühl, vor Hitze einzugehen.

Seltsame Formulierung, und besser wäre es im Show don't tell, z.B. getrockneter Schweiß, klebrige, klamme Haut, irgendetwas, das zeigt, dass Jane geschwitzt hat, als sie sich noch nicht in der U-Bahn befunden hat.

Zumindest außerhalb der angenehm klimatisierten Luft dieses Wagens und den zugigen Bahnsteigen. An der Oberfläche, fernab des U-Bahnnetzes, bewegten sich selbst nach Mitternacht die Temperaturen nicht unter die Fünfundzwanzig-Grad-Marke. Weshalb für mich so wenig Kleidungsschichten wie nur irgend möglich infrage kamen.

Das Worldbuilding hier kann man auch anders machen, z.B. mit einer Informationsanzeige mit Wetter/Temperaturen, Uhrzeit und die nächste Haltestelle.

Schaudernd umklammerte ich den abgegriffenen Lederbezug meines braunen Handtäschchens, das ich auf meinem Schoß platziert hatte.

Der Nebensatz "das ich auf meinem Schoß platziert hatte" wirkt distanziert und unnötig. Nur "auf meinem Schoß" wäre besser. Außerdem könnte man hier noch mehr in Bezug auf die Handtasche schreiben. Zum Beispiel über den Inhalt und was auf dem Spiel steht, sollte Jane ihr eigentliches Ziel, warum sie mit der U-Bahn unterwegs ist, nicht erreichen. Das Ziel muss sie ja nicht direkt im ersten Kapitel klar benennen, aber eine Andeutung wäre schon ganz gut, damit der Leser mehr hat, als nur Janes Angst/ungutes Gefühl. Das lässt ihren Charakter im Moment noch sehr flach wirken.

Ich wollte weg von hier. Weg von dem unheimlichen Typen.

Genau das meine ich. Jetzt hat sie Angst vor dem Typen, aber wer - vor allem als Frau nachts allein unterwegs - würde sich da nicht (zumindest ein bisschen) komisch fühlen? Diese Angst ist verständlich, aber noch viel zu allgemein. Ein innerer Konflikt mit Want/Ziel und Angst/Konsequenz, sollte das Want/Ziel nicht erreicht werden, würde den Charakter gleich viel interessanter machen. Klar, das in 500 Wörtern zu etablieren ist sehr schwer. Deshalb werde ich bei der Überarbeitung nicht mehr auf die Wortanzahl achten, wie ich es für den "Young Storyteller Award" tun musste, weil es da nun mal ein Limit gab. Ohne die ganzen Einschränkungen wird aus dieser Geschichte wahrscheinlich mehr eine Novelle (mit etwa 15.000 - 20.000 Wörter). Ich hab nämlich schon ein paar Ideen, um meinen Charakteren mehr Tiefe zu geben.

Doch bis zur nächsten Station war ich mit ihm in diesem fahrenden Käfig aus Metall gefangen.

Mit dem Hintergrund, dass es die Verbindungstür gibt, ist Jane streng genommen nicht "gefangen". Zumindest nicht in diesem Wagen/Abteil. Vielmehr muss klarer werden, warum sie sitzen bleibt, warum sie nicht an dem Typen vorbei durch die Verbindungstür in das nächste Abteil geht, und warum sie überhaupt mit der U-Bahn unterwegs ist. Die Motivation/der Grund ist der Motor der Geschichte. Ohne wirkt alles wie gesagt noch sehr flach und nicht wirklich interessant.

Und ja, man muss und sollte im ersten Kapitel nicht gleich alles preisgeben, schließlich muss es ja noch Raum zum Miträtseln geben, aber Andeutungen/subtile Hinweise (z.B. das mit der Handtasche und der Verbindungstür) sind sehr wichtig, um das Interesse des Lesers nicht zu verlieren. Er liest die Geschichte ja, um herauszufinden, OB und WIE der Charakter sein Ziel erreicht. Wenn sich der Leser das nicht fragen kann, bedeutet es, dass das im ersten Kapitel noch besser ausgearbeitet werden muss. Und nicht, dass die Geschichte deswegen gleich für die Tonne ist. 

Soweit zu meinen Anmerkungen. Ist dir noch etwas aufgefallen? Wenn ja, dann freue ich mich sehr über einen oder mehrere Kommentar/e (orientiere dich dabei gern an meinen Anmerkungen; zeige mir Beispiele auf oder gib mir Begründungen, warum du etwas so siehst - das ist für mich konstruktive Kritik, mit der ich was anfangen kann).

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