17. Kapitel: Zu Hause
Ich sah genau in Diegos Augen. Ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen. Ich merkte nur, wie Nico immer näher zu mir kam und mir seinen Arm um die Taille legte. Das war auch recht gut so, denn wäre er später gekommen, wären meine Beine Gummi gewesen und ich würde jetzt auf dem Boden liegen.
,,Na Diego! Auch mal wieder im Lande?", fragte mein Bruder so neutral wie möglich, obwohl ich seine Abneigung Diego gegenüber genau kannte.
,,Das musst du gerade sagen. Du bist doch derjenige, der in New York wohnt, anstatt hier in deiner Heimat.", erwiderte Diego und bedachte ihn und mich mit einem herablassenden Blick.
,,Tja, New York finde ich halt schöner. Aber ich dachte, du solltest mit One Direction auf Tour gehen?", entgegnete Nico selbstbewusst, wofür ich ihn nur allzu sehr bewunderte, denn, wenn Diego vor mir stand, war mein Selbstbewusstsein wie weggeblasen.
,,Ja sollte ich eigentlich. Aber ich habe mir für meine Familie heute und morgen Zeit genommen.", antwortete Diego.
Er klang dabei so, als erwartete er, dass man ihm dafür dankte, dass er uns ja auch in dieser schwierigen Zeit so sehr beisteht, obwohl er eh nur am Meckern war. Langsam nervte mich sein Getue. Hach, wir sind ja so eine tolle Familie, die immer und überall zusammenhält. Bläh! Kotzen konnte ich bei diesen Gedanken.
,,Können wir jetzt endlich los? Ich habe keine Lust, hier noch weiter rumzustehen.", meinte ich dann und verdrehte total genervt die Augen.
,,Das ist mal wieder typisch für dich, Lucia. Immer nur am Rumnörgeln und so ungeduldig.", erwiderte er und grinste mich spöttisch an.
Dann wandte er sich ab und ging in Richtung Ausgang. Es war mal ein Wunder, dass er das machte, was ich wollte. Aber wahrscheinlich war das auch das einzige Mal, dass ich so was erleben durfte. Mit meinem Koffer trottete ich ihm hinterher, während Nico Diego ebenfalls fröhlich hinterhereilt. Ich hingegen war alles andere als fröhlich. Natürlich fand ich es super, wieder in meiner Heimat zu sein, aber wirklich angenehm würde es hier bestimmt nicht werden.
Es wäre nur zu schön, wenn Niall, Louis, Halyey, Liam und Harry hier wären. Das würde bestimmt lustig werden und ich müsste mich nicht die ganze Zeit darum kümmern und darauf achten, was ich sage und mache. Bei meinen Freunden würde ich mich wohl fühlen und ich hätte immer jemanden, der mich zum Lachen bringt. Aber diese Gelegenheit werde ich ja schon bald haben, wenn sie hier in Barcelona und in Sydney ihre Konzerte geben.
Die Fahrt zu unserem Haus verlief in völligem Schweigen. Ich fühlte mich zu müde, um überhaupt etwas zu sagen als auch Niall oder Louis zu schreiben, dass wir gelandet waren. Wahrscheinlich lag es aber auch daran, dass mich Diegos Verhalten wieder total ankotzte. Selbst mein Bruder sagte auf der Fahrt nichts, was normalerweise nicht üblich ist, widmete sich jedoch seinem Handy, wo er, wie ich kurz erkennen konnte, Angelique schrieb.
Ich mochte sie eigentlich, aber manchmal war sie unausstehlich. Ich weiß echt nicht, wie mein Bruder es mit der aushalten kann. Es grenzt an ein Wunder, dass Mum ihm noch nicht geraten hat, sie zu heiraten. Vielleicht hat sie es bei ihm doch aufgegeben, denn Nico war jemand, der nicht ganz so schnell den Bund der Ehe eingehen will, auch wenn er mit Angelique schon seit drei Jahren zusammen ist.
Als wir vor dem Haus anhielten und ich ausstieg, fühlte ich mich gleich in meine wunderschöne Kindheit versetzt. Auch wenn das Haus ziemlich modern geworden ist, mag ich es trotzdem. Zumindest ist das das Gute an Diegos Rumgeprahle, denn er hat das Haus komplett neu renovieren lassen dazu natürlich auch den Garten. Nico hatte das Haus schon seit fast sechs Jahren nicht mehr gesehen, weshalb es mich nicht wirklich überraschte, dass er jetzt mit offenem Mund davorstand.
,,Da siehst du mal Nicolas, was du die letzten Jahren verpasst hast. Aber keine Sorge deine Sachen sind alle noch da und deine ebenfalls Lucia.", sagte Diego, nachdem er das Gepäck aus den Kofferraum geladen hatte.
,,Ich... ich bin sprachlos.", erwiderte mein Bruder.
,,Komm! Es wird dir sicherlich gefallen.", entgegnete er und schloss die Haustür auf.
Ja, wahrscheinlich wird es ihm gefallen, aber dieses Haus war fast ganze sechs Jahre ein Gefängnis für mich gewesen. Während ich in mein Zimmer spazierte, zeigte Diego Nico mit voller Stolz das Haus und den Garten.
Als ich mein Zimmer betrat, musste ich feststellen, dass sich nichts verändert hatte, außer dass Mum Staub gewischt und geputzt hatte. Alles stand da, wo es immer stand. Das Buch, was ich als letztes gelesen hatte, lag immer noch sorgfältig auf meinem Nachttisch. Selbst an meinem etwas unordentlichen, unübersichtlichen Tisch, wie meine Mum immer fand, obwohl ich mich darauf immer zurechtfand, hatte sich nichts geändert. Lediglich das Bett hatte sie mit frischer Bettwäsche bezogen, die Vorhänge vor dem Fenster zurückgezogen und dieses geöffnet, sodass etwas frische Luft in das Zimmer kam. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und genoss dabei den Ausblick auf das Meer.
Ich wusste nicht genau, wann ich das das letzte Mal gemacht hatte. Es war wahrscheinlich Ewigkeiten her. Sonst hatte ich immer auf dem Fenstersims oder dem Bett gesessen und nur das Meer betrachtet. Ich bildete mir meistens ein, dass Meer sogar von hier oben rauschen zu hören, obwohl das bei der Entfernung unmöglich ist. Es gab mir immer das Gefühl von Ruhe und Entspanntheit.
,,Lucia?", fragte jemand hinter mir.
Ich setzte mich auf und sah meine Mutter in der Tür stehen. Sie hatte Tränen in den Augen.
,,Mama!", flüsterte ich und stand schnell auf, um in ihre Arme zu rennen.
,,Ich habe dich so sehr vermisst, meine Kleine", hauchte sie unter Tränen in meine Haare.
,,Ich dich auch.", schluchzte ich und die ersten Tränen rannen über meine Wangen.
,,Es hat sich viel verändert seit du weg warst.", meinte meine Mum und löste sich von mir, ehe sie sich auf mein Bett fallen ließ.
,,Oh ja, das hat es.", stimmte ich ihr zu.
,,Die ganzen Monate hat mich meine Mutter auf dem Laufenden gehalten. Ich schätze, ich habe mich nicht getraut, mich selbst bei dir zu melden. Ich dachte, dass du mich nicht mehr wie deine Mutter liebst und deswegen zu deinem Vater gegangen bist.", fing sie an.
,,Mama, du weißt genau, dass ich dich liebe.", erwiderte ich. Ich wollte es eigentlich selbstbewusst sagen, stattdessen kamen nur geflüsterte Worte aus meinem Mund.
,,Aber ich schätze, dass es nicht an dir lag, weshalb du weggegangen bist. Ich glaube, ich war, als du noch hier warst, die schlechteste Mutter der Welt. Dir ging es schlecht und ich habe es einfach ignoriert, obwohl ich für dich da sein sollte. Es tut mir so leid.", redete sie dann einfach weiter, ohne auf mein Geflüster einzugehen.
,,Mama, du hast vielleicht Fehler gemacht, aber ohne diese Fehler, würde ich jetzt nicht hier sein und wäre nicht so, wie ich bin.", entgegnete ich und umarmte sie.
,,Ich hab dich so lieb Lucia!", murmelte sie.
,,Ich dich auch!"
Noch eine Weile saßen wir so da, ehe sie meinte, sie müsse noch das Essen machen.
,,Ist heute irgendwas besonderes?", fragte ich sie, weil sie sich sonst nie wirklich die Mühe macht, groß zu kochen.
,,Wir bekommen wichtigen Besuch, weshalb ich dich bitten würde, dich gemäß zu kleiden.", antwortete sie.
,,Aber..."
,,Kein aber. Du erscheinst! Es ist wirklich wichtig für die Familie.", erwiderte sie mit Nachdruck.
Und genau das war es, was ich die letzten Monate lang nicht vermisst hatte, nämlich, dass man von mir als jüngstes Kind erwartet, dass ich alles mache, wenn man mir etwas sagt. Nico durfte als Kind schon immer mehr als ich. Es hat niemanden interessiert, dass er mal später nach Hause gekommen ist. Ich hingegen musste immer die perfekte Tochter spielen. Wenn ich mal nicht ganz so perfekt war, wie man es von mir erwartete, sah es für mich nicht ganz so rosig aus.
,,Soll ich irgendwelchen Kriterien entsprechen?", fragte ich sie.
,,Zieh dich einfach nur hübsch an.", antwortete sie.
,,Also Jogginghose und Kapuzenpullover.", stellte ich fest, nur, um sie aufzuziehen.
,,Maria Lucia Gomez, treib es nicht zu weit. Du weißt genau, wie es gemeint war.", fing sie an, sich aufzuregen und rauschte aus dem Raum.
,,Ja."
Ich schaute auf die Uhr, um festzustellen, dass es schon 19 Uhr war und ich es immer noch nicht geschafft habe, Niall zu schreiben. Also griff ich nach meinem Handy.
(L= Lucia, N= Niall)
L: Ich bin wohlbehalten in Barcelona angekommen.
Natürlich folgte seine Antwort gleich.
N: Das ist schön. Wenn du mich brauchen solltest oder so, kannst du dich jederzeit melden.
L: Mach ich, versprochen.
Und damit war das kurze ,,Gespräch" auch wieder zu Ende.
Jetzt musste ich mir nur noch überlegen, was ich anziehen sollte. Ich fragte mich nur, warum ich mir etwas Hübsches anziehen sollte. Kommt hier noch ein Star oder ein wichtiger Politiker oder was? Ich hätte nie gedacht, dass meine Mutter mal so wird wie Diego, aber bei seinem Verhalten. Was erwarte ich schon? Ich meine, er ist super erfolgreich, ist doch klar, dass das irgendwie auf meine Mum abfärbt. Wahrscheinlich hätte sie sonst auch nie dieses Haus so renovieren lassen, obwohl das das einzig Gute an Diegos Reichtum ist.
Ich ging zu meinem Koffer, um zu gucken, ob ich irgendwas darin zum Anziehen fand, aber das meiste davon war auf das Wetter in London abgestimmt gewesen und dort war es auch nicht so warm wie hier, obwohl es gerade Sommer ist. Und der Rest meines Kleiderschrankes befand sich in Australien. Ich wühlte also in meinem Koffer herum und musste feststellen, dass all die Kleider in meinem Koffer nicht wirklich ansprechend waren, außer vielleicht das dunkelblaue von Chi Chi London. Aber nur für ein Essen war es mir zu schade.
Ich lief grübelnd in meinem Zimmer auf und ab. Ich hätte wohl doch nur Jogginghose und Kapuzenpullover anziehen sollen. Ich glaube, ich hatte sogar noch etwas hier in Barcelona gelassen, weil es unmöglich ist, alles mit nach Sydney zu nehmen.
Ich ging also ins Nebenzimmer, was sich als mein Kleiderschrank entpuppte. Doch dieser war nur noch spärlich mit Kleidungsstücken gefüllt. Letztendlich entdeckte ich doch etwas, eine weiße Bluse mit schwarzen Punkten, eine dazu gut passende, dünne, rote Jacke und eine schwarze Jeans. Aus meinem Schuhschrank nahm ich mir die roten Wildleder High Heels. Ich öffnete meinen Zopf, damit meine welligen Haare offen über meine Schulter fallen. Die Haarsträhnen, die mir ins Gesicht fielen, wurden nach hinten geschlungen und mit einer Klammer befestigt. Dann legte ich mir noch ein Armband um das Handgelenk und suchte mir Ohrringe heraus. Zuletzt betrachtete ich mich im Spiegel, um festzustellen, dass ich gar nicht mal so schlecht aussah. Hayley wäre bestimmt stolz auf mich gewesen. Obwohl... Sie hat ja immer was, zu meckern.
Als ich nach unten in das Esszimmer kam, wirbelte meine Mum mit dem Essen und dem Geschirr in der Hand.
,,Mama, ich glaube, du solltest lieber auf das Essen achten. Ich deck schon den Tisch.", schlug ich vor.
,,Danke, dass du mir zur Hand gehst."
,,Kein Problem.", murmelte ich.
Ich deckte den Tisch und dekorierte ihn ein wenig, bis meine Mutter das Essen auf den Tisch stellte. Nico war inzwischen auch schon in den Raum gekommen. Wie auch ich musste er sich was Hübsches anziehen. Er trug ein Hemd, Jeans und Schuhe, seine Haare ordentlich gekämmt und etwas hochgegelt.
Diego kam herbeigeeilt und, wie zu erwarten, sah er so ähnlich aus wie mein Bruder.
,,Lucia, du siehst aber mal hübsch aus.", meinte er dann und grinste mich an.
,,Deine Komplimente kannst du dir sonst wo hinschieben.", erwiderte ich und setzte mich auf einen der 7 Stühle, die um den ovalen Tisch drum herum standen.
Nico setze sich neben mich und warf mir einen Blick zu, der in etwa das sagte: ,,Glaub mir, ich hab auch keine Lust auf diesen Scheiß hier."
Da klingelte es auch schon an der Tür und meine Mutter war gleich an Diegos Seite. Da Nico und ich mit Disziplin erzogen wurden, erhoben wir uns aus reiner (nicht) Höflichkeit auch.
,,Gabriela du siehst ja wieder wunderschön aus.", sagte eine weibliche Stimme, die mir wohl bekannt vorkam.
,,Danke."
Dahinter kam ein Mann gleichen Alters wie Diego herein und dann folgte ein junger Mann, so alt wie ich. Und als er in meine Richtung schaute, blieb mir das Herz stehen, so dass ich kaum noch atmen konnte. Ich konnte es einfach fassen, dass er hier ist.
Nach langem endlich mal wieder ein Kapitel. Ich hatte schon lange diese Idee mit dem Cliffhanger und auch dem Essen und hoffe, dass es euch dann ebenso viel Spaß gemacht hat oder noch machen wird, es zu lesen.
Wer könnte wohl der junge Mann sein, der Lucia den Atem raubt?
Schönes Wochenende noch
Chloe :)
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