Kapitel 8
~Charly~
„Und du musst wirklich schon abreisen?" Val ließ schwer seufzend den Kofferraumdeckel meines Mercedes zufallen und zog ein sorgenvolles Gesicht wie ein Hush puppy. Auch mir fiel es schwer, Abschied von meiner besten Freundin und der Anlage zu nehmen- vor allem, da ich wusste, was, oder vielmehr wer im Internat auf mich wartete. „Tja, leider habe ich morgen schon wieder Schule und Chrissy hat sich ja schon die ganze Woche um Zack gekümmert, die kann ich nicht länger warten lassen!" versuchte ich mich zu erklären und öffnete die Fahrertür. Der kalte Oktoberwind fegte heulend über unseren Köpfen hinweg und auch der Himmel hielt sich in einem trüben grau, weshalb ich meine beste Freundin lediglich noch einmal fest an mich drückte und ihr ein strenges: „Mach nur keine Dummheiten während ich nicht da bin und trainier fleißig!" zurief, bevor ich mich endgültig in den Sitz fallen ließ und den Motor meines Schätzchens startete. Der mächtige 8 Zylinder bi turbo unter der Motorhaube brüllte auf und ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, während ich meiner besten Freundin ein letztes Mal zuwinkte und ihr einen Luftkuss zu hauchte, den sie mit der Faust auffing und die Geste für mich imitierte.
It's just another war, just another family torn, (Falling from my faith today), Just a step from the edge, Just another day in the world we live brüllte Skillet aus den Boxen meines Mercedes, als ich unzählige Stunden später endlich das große schmiedeeiserne Tor des Internats passierte- Ich war gefühlt nur im Stau gestanden und als ich bereits nach der ersten halben Stunde Fahrt in die erste Vollsperrung gerauscht war, hatte ich den Traum begraben, mein Baby richtig laufen zu lassen. Stattdessen hatte ich mich von Geschwindigkeitsbegrenzung zu Baustelle, zu schrecklichen Linke- Spur- Schleichern gehangelt und war nun dementsprechend froh, endlich wieder auf dem heimischen Internatsboden stehen zu können. Mit einem letzten stolzen Brummen erstarb der Motor meines Mercedes AMG GT C Roadster, als ich den Sportwagen in eine freie Lücke manövriert hatte und ich packte seufzend die Überreste meines Mcces- Mittagessens zusammen, dass ich mir auf der Fahrt gegönnt hatte. Leider hatte ich den Burger nicht ganz geschafft, weshalb ich ihn mir nun etwas übermotiviert in einem Stück in den Mund steckte und eifrig darauf herumkaute- ich sah wahrscheinlich aus, wie ein Hamster nach einer Weisheitszahn-OP, aber das war mir in diesem Moment total egal. Ich schnappte mir noch meine Handtasche und öffnete die Fahrertür, um von einem eisigen Wind begrüßt zu werden, der fauchend durch meine blonde Mähne fuhr. „Ja, ich freu mich auch, wieder hier zu sein! Arschloch!" grummelte ich und warf dem Himmel, der mir dieses beschissene Wetter beschert hatte, einen bösen Blick zu. „Na, na, na! Charlotte Emilia Brendel, dass sind aber keine netten Worte zur Begrüßung!" seine raue Stimme ließ mich wie eingefroren über dem Kofferraum verharren, aus dem ich gerade meinen schweren Koffer hieven wollte. Ein stummer Fluch verließ meinen Mund und ich wagte einen kurzen Blick über meine rechte Schulter. Die Hände lässig in beide Hosentaschen vergraben und die Mundwinkel zu einem verschmitzten Grinsen verzogen, spazierte Logan gemütlich zu mir hinüber.
Nun gab es nur noch die Flucht nach vorne. „Logan!" ich setzte ein unverbindliches Lächeln auf und ignorierte dabei geflissentlich, dass ich bei jedem Wort ein paar Stückchen meines Burgers wieder ausspuckte. Schnell kaute ich weiter, um weitere Missgeschicke zu verhindern. „Na, was macht das Gestüt? Ein Vöglein hat mir gezwitschert, dass unsere Valerie nun doch auch in die USA reisen wird!" seine azurblauen Augen ruhten gelassen auf mir und keine seiner Regungen verriet mir, dass sein Herz genauso sehnsuchtsvoll pulsierte, wie meins es gerade tat. Sein Anblick tat mir weh, sein Anblick machte mich wütend, doch gleichzeitig glitten meine Augen wie von selbst über seine lange Gestalt, über die weichen Haare, durch die ich sooft mit den Händen gefahren war, die schelmisch grinsenden Augen, die mich mit einem einzigen Blick verzaubert hatten, die vollen Lippen, die mir so oft seine größten Träume und Ängste verraten hatten, bis zu seinen breiten Schultern, an denen ich mich unzählige Male vertrauensvoll angelehnt hatte, die mein Anker im Sturm gewesen waren. Doch nun nicht mehr. Er hatte mit einem Schlag jegliches Vertrauen, dass ich ihm geschenkt hatte, verloren. Für immer. Ruckartig löste ich meinen sehnsuchtsvollen Blick von meinem Ex- Freund und ignorierte das schmerzhafte Stechen in meiner Brust. „Dann bist du ja bereits bestens im Bilde und kannst mich mit deinen dämlichen Fragen in Ruhe lassen, ich hab nämlich noch zu tun!" giftete ich und würgte gleichzeitig den letzten Rest des Burgers runter. Hastig wandte ich mich wieder meinem Kofferraum zu und ergriff mit beiden Händen den riesigen Koffer, der bereits von außen den Verdacht bestätigte, völlig überfüllt zu sein. Im Gestüt heute Morgen, war Michi so großzügig gewesen und hatte mir dieses unförmige Ding zum Auto gebracht, und mir graute jetzt schon bei dem Gedanken daran, diesen Koffer vom Parkplatz zu meinem Wohnheim zu bugsieren. Aber es half ja alles nichts und ich packte die Griffe noch fester, bevor sich lange Arme um mich herumschlangen und ich an meinem Ohr ein sanftes Flüstern hörte. „Ich kann dir auch helfen, wenn du willst!" Als hätte Logans Körper mich verbrannt sprang ich einen ungelenken Satz zu Seite und funkelte ihn mit, vor Zorn glänzenden Augen, böse an. Er selbst grinste nur überheblich. „Untersteh dich! Und jetzt schleich dich, ich mag dich nicht mehr sehen!" bebend vor Wut und den Zeigefinger anklagend ausgestreckt, stand ich ihm gegenüber und beobachtete, wie er mir ein letztes Mal tief in die Augen sah, bevor er gleichgültig mit den Schultern zuckte und seinen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche zog.
„Keine Sorge, bin schon weg!" er zwinkerte mir verschwörerisch zu und drehte sich auf dem Absatz um, um zu seinem roten Porsche zu schlendern. Ich atmete einmal tief durch und würgte die Tränen krampfhaft zurück, die gefährlich hinter meinen Augen brannten. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang ich mich einen Schritt nach vorne zu treten und das gewaltige Ungeheuer in Form meines Koffers aus dem Mercedes zu heben, während ich hörte, wie der starke Motor des 911ers gestartet wurde. Mit Schwung ließ ich den Kofferraumdeckel zufallen und drückte gerade auf den Schlüssel, um mein Baby abzuschließen, als ich erneut seine Stimme hörte. „Zuckerhäschen?" unüberhörbarer Schalk in seiner Stimme ließ mich herumfahren. Grinsend beugte er sich aus seinem Seitenfenster und seine weißen Zähne blitzten unübersehbar in dem fahlen Licht der Straßenlaternen, die rings um den Parkplatz aufgestellt worden waren. „Wir sehen uns bald wieder!" Er zwinkerte mir vergnügt zu und trat im selben Moment das Gaspedal seines Sportwagens durch. Mir blieb nur, ihm einen saftigen Mittelfinger hinterher zu zeigen und ärgerlich mit dem Fuß aufzustampfen. Dieser Fischer würde mir noch den letzten Nerv rauben!
Als ich eine gute halbe Stunde später meinen Koffer endlich in mein Wohnheimzimmer bugsiert und mich bereits in meine Reitklamotten geschmissen hatte, joggte ich über die gepflasterten Wege, die mich vom Wohnheim zu den Springställen bringen würde. Inzwischen hatte auch noch ein leichtes Nieseln eingesetzt und die Dunkelheit war auch mehr und mehr hereingebrochen, weshalb ich meine Schritte nochmals verlängerte und erst anhielt, als die große Stalltür vor mir aufragte. Mit einem Lächeln auf den Lippen öffnete ich ebendiese und sog den unverkennbaren Geruch nach Pferden, Stroh und Lederzeug ein, der mich sofort wie eine warme Decke umhüllte. Im Stall selbst herrschte immer noch mäßiger Betrieb, weshalb ich mich immer wieder an Pferden und Reitern vorbeischob, die auf der Stallgasse standen und sich für Training vor oder nachbereiteten. Fröhliches Stimmengewirr summte um mich herum wie ein Bienenstock, als ich schließlich bei meinem Zack ankam und schnell die Schiebetür der Box öffnete, die mein massiger brauner Wallach sein Zuhause nannte. Grummelnd begrüßte er mich und streckte fragend seinen etwas überdimensionierten Kopf nach meiner Jackentasche aus, als wolle er mich darauf hinweisen, dass er den Apfel in ebendieser bereits gerochen hatte. Grinsend fuhr ich ihm über die kleine Flocke auf der Stirn und bot ihm die Leckerei an, die er eifrig verschlang und den Saft des Apfels fröhlich über meine Jacke verteilte. „Oh Zack. Hab ich dich vermisst!" gespielt verärgert verdrehte ich die Augen und knickte spielerisch eines seiner Ohren, was ihm aber eher gefallen zu schien, da er sich danach ausgiebig an mir kratzte. Schnell duckte ich mich von ihm weg und streifte ihm das Halfter über, um weitere Schlabber- Attacken zu vermeiden.
Brav ließ sich mein Brauner von mir auf die Stallgasse führen, auf der ich ihn anband und ihm über sein bereits sehr langes Winterfell bürstete. Ich musste ihn dringend scheren, jedoch wusste ich aus langjähriger Erfahrung, dass Zackary damit sicherlich große Probleme haben würden. Mein Selle-fancais hasste das brummende Vibrieren der Schermaschine auf seiner Haut. Doch das sollte ein anderes Mal meine Sorge sein. Ich kümmerte mich nicht länger darum, sondern legte ihm schnell den braunen Sattel auf den breiten Rücken und trenste ihn nur wenige Augenblicke später auf und führte ihn geradewegs in die große Springhalle, in der sich immer noch einige Reiter befanden.
Also stieg ich schnell außen auf und reihte mich schnell in den Fluss der anderen Springer ein. Ich liebte diese wuselige Atmosphäre, wenn mehrere Reiter in einer Halle trainierten, vor allem, wenn es so entspannt zuging, wie hier. Manche der Schüler hatten ihre Trainingseinheit beendet und ritten entspannt am langen Zügel zu zweit nebeneinanderher, in ein reges Gespräch vertieft, während andere gerade erst mit der lösenden Arbeit begannen und dritte sich auf die bunten Hindernisse in der Mitte der Bahn konzentrierten und mit lauten Stimmen immer wieder „Steil frei!" oder „Oxer!" riefen. Und auch ich tätschelte Zack nach zehnminütiger Schrittphase aufmunternd den langen glänzenden Hals und hängte die Abschwitzdecke, die er davor noch auf der Kruppe getragen hatte, an die Bande, bevor ich ihn antraben ließen und ihn erst ein paar Runden ganze Bahn traben ließ, um seine Muskeln bestmöglich aufzuwärmen. Danach galoppierte ich an und genoss den flotten Dreitakt unter mir, als Zack direkt übermütig die nächste lange Seite hinunterfegte. Grinsend fing ich ihn an der kurzen Seite wieder ein und konzentrierte mich die nächsten zehn Minuten auf gymnastizierende Arbeit. Als er diese willig und mit konzentriert nach hinten gestellten Ohren ausgeführt hatte, klopfte ich ihm anerkennend die Kruppe und parierte ihn zum Schritt durch. Am langen Zügel stapfte er mit gespitzten Öhrchen durch die immer voller werdende Halle- anscheinend hatten die meisten Schüler noch ewig über ihren Hausaufgaben gehangen, denn normalerweise war in der Halle ab 20 Uhr viel weniger Betrieb als heute der Fall war. Und so bemerkte ich den hochgewachsenen Springreiter auf seinem schneeweißen Schimmel erst, als er sich an meine Seite schlich. Verwundert drehte ich meinen Kopf, um zu sehen, wer da direkt neben mir ritt und verspannte mich für den Bruchteil einer Sekunde.
„Och ne, nicht noch einen von euch!" entfuhr mir und blickte London stirnrunzelnd an, der mir einen fragenden Blick zuwarf. „Ich hatte vorher schon die Freude, deinen Bruder zu treffen!" murrte ich und versuchte Zack und mich mit einer kurzfristigen Volte weg von Fischer und seinem Schimmel Caesar zu bringen, doch er rief mir hinterher: „Charly! Wir müssen reden!" ich hielt an und wartete mit undurchsichtigem Gesichtsausdruck, bis London sein Pferd ebenfalls gewendet hatte und wieder auf gleicher Höhe wie Zack stand, bevor ich meinen Braunen wieder losschreiten ließ. London tat es mir gleich. Eine kurze Stille entstand, doch ich ritt unbeirrt weiter. „Val, ähm also Valerie fliegt also doch in die USA?" Doch statt zu antworten warf ich ihm nur einen bösen Blick zu- deswegen wollte er mit mir sprechen? Um mich über Val auszuquetschen? Da hatte er sich aber sowas von geschnitten! „Charly! Es ist wirklich wichtig! Denn ich habe bereits einige wichtige Sachen in Erfahrung bringen können. Wusstest du zum Beispiel, dass man nur eine Begleitperson mitnehmen darf?" Ich blickte überrascht zu ihm- davon hatte ich wirklich nichts gewusst! „Michi wird mit ihr mitfliegen!" sagte ich, mehr zu mir selbst, doch London antwortete und brachte mich dazu, die Augenbrauen überrascht zusammenzuziehen. „Ich weiß. Aber ich weiß auch, dass sie ohne dich aufgeschmissen wäre. Und deshalb würde ich dir gerne ein Angebot machen..."
Als er geendet hatte, hielt ich meinen Braunen an und blickte ernst in sein fein gemeißeltes Gesicht. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf und auch wenn ich es selbst kaum glauben konnte, aber dieses Angebot ließ mich hadern, ob Valerie mit der Trennung zu London nicht doch einen großen Fehler gemacht hatte...
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