Kapitel 15
Kaum war ich aus dem Flughafen herausgetreten und hatte mich von der schwülen Luft umgeben lassen, ging alles ganz schnell. Eine große hagere Frau mit den plattesten Haaren, die ich seit langer Zeit zu Gesicht bekommen hatte, winkte mich eilig zu sich heran. „Du musst Valerie sein! Team Österreich?" frage sie mich auf Englisch und ich brauchte eine Sekunde, um mich an den amerikanischen Akzent zu gewöhnen. Doch danach nickte ich und sie deutete auf eine schwarze Limo, vor der bereits zwei weitere Jugendliche- ein Junge und ein Mädchen- warteten. „Du kannst dich schon am Auto positionieren, wir fahren jeden Moment los, wenn wir vollständig sind." Instruierte mich die Frau und schenkte mir ein letztes abgehetztes Lächeln, bevor sie auch schon dem nächsten Mädchen zuwinkte. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich etwas verloren in dem großen Eingangsbereich und ließ meinen Blick hektisch über meine Umgebung schweifen- in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu erkennen. Doch das war nicht der Fall, stattdessen bemerkte ich die großen Palmen, die schon fast spaliermäßig die Wege säumten. Ich hatte bereits gewusst, dass es in Florida viel wärmer war als im frostigen NRW, dennoch war ich überrascht, dass sich die Luft beinahe schwül anfühlte.
Als ich bemerkte, dass ich nur blöd herumstand, schnappte ich schnell meinen Koffer und trabte zu der mir zugewiesenen Limo, die im Sonnenlicht nobel glänzte. Mit einem kurzen Lächeln gesellte ich mich zu den anderen beiden und trat unruhig von einem Bein aufs andere, als eine kurze peinliche Pause entstand. „Heyy, du musst Valerie sein, ich hab dich auf der EM gesehen!" brach das Mädchen das Schweigen und drückte mich sogar in einer kurzen Umarmung an sich, was ich perplex über mich ergehen ließ. „Hey, ja, und du bist-" „die verrückte zu deiner linken ist Ana! Sie ist manchmal etwas zu stürmisch, also fühl dich nicht überrumpelt! Und dabei sagt man doch normalerweise, Russinnen seien kühl und zurückhaltend!" schaltete sich eine angenehm tiefe Stimme ein und mein Blick streifte den Jungen, dessen schmale, beinahe knochige Figur trotz der Hitze von einem langen schwarzen Mantel verhüllt wurde. „Johann, freut mich!" fügte er hinzu, als hätte er meinen Gedanken erraten. „Okay, also du bist Ana," ich deutete auf das blonde Mädchen mit den babyblauen Kulleraugen, das so klein war, dass sie mir gerade bis zur Schulter reichte. „..Und du bist Johann! Jetzt müsst ihr mir nur noch verraten, für welches Team ihr startet! Ich dachte bisher, dass Mexico und Russland mit mir in einem Camp sind! " Ich blickte mein Gegenüber an und er nickte formvollendet. „Wir starten beide für Russland und sind beide bereits heute mit angereist, da Johann eigentlich aus Rumänien kommt und ich noch die letzten Wochen in Valencia verbracht habe, um mich vorzubereiten." Erklärte mir Ana und ihre Backen nahmen eine leicht rote Färbung an, während sie sprach.
Ich hatte dieses Mädchen sofort ins Herz geschlossen, ihre leicht verpeilte Art erinnerte mich an Charly, die ich nur ungern im Flughafengebäude zurückgelassen hatte. Sie allerdings würde nicht mit den Reitern mitfahren, sondern würde auf das Flugzeug der Pferde warten, dass heute Abend eintreffen würde. Und dann würde sie Londons Pferde in dessen Camp bringen. Auch Michi und Olympio würde ich erst spät am Abend wiedersehen, beide flogen nämlich gerade über den großen Teich. „Hei, ich bin Daniel!" Eine Stimme mit starkem österreichischem Akzent ließ mich herumwirbeln. Ich selbst hatte meine Teammitglieder- also sowohl den Spring- als auch den Vielseitigkeitsreiter- noch nicht kennengelernt, sondern nur auf dem offiziellen Aufstellungsbrief ihre Namen gelesen. Deshalb beäugte ich den Jungen, der sich neben mich stellte und freundlich in die Runde blickte. Sein blondes Haar war modisch kurz geschnitten und sein gesamtes Aussehen, von den Slippern an den Füßen, bis zum Burberry- Schal strahlte aristokratische Macht aus. Mit einem Blick wusste ich- der Typ stammte aus „altem Geldadel", wie Charly das betitelt hätte. Doch als sein Blick den meinen traf, wurde meine Skepsis in Luft aufgelöst, seine braunen Augen leuchteten freundlich und er schenkte mir ein kurzes Lächeln, bevor er sich dem Nächsten zuwandte, der sich zu unserem Grüppchen dazugesellte. Er war deutlich größer, und schaffte es gerade noch, seinen Namen zu nennen (Gerald), bevor die Frau von vorhin auf uns zukam und uns mit einer hektischen Handbewegung in die Limo scheuchte. Wie von der Tarantel gestochen, folgten wir alle brav und nur zwei Minuten später setzte sich das Auto in Bewegung. In Richtung Camp.
„Ui, nicht übel!" pfiff Johann wenige Minuten später durch die Zähne und sprang als erstes aus dem Auto. Ich konnte ihm nur zustimmen. Auf dem Gelände, dass die nächsten Wochen unser Zuhause werden würde, war auf keinen Fall gespart worden. Die Allee aus Palmen lichtete sich vor dem Vorplatz eines stattlichen Herrenhauses, dass dreistöckig vor uns emporragte. Zu beiden Seiten gingen Sandwege ab, und während der Linke zu den Stallungen zu führen schien, schlängelte sich der Rechte erst am Haus entlang, bevor er im kleinen Wäldchen aus meinem Sichtfeld verschwand. „Nicht schlecht, oder? Wir hätten es echt schlimmer haben können!" schaltete sich Daniel auf Deutsch ein und stellte sich neben mich. Ich wollte ihm gerade zustimmen, als sich die breiten Flügeltüren am Haupthaus öffneten und eine Frau mittleren Alters heraustrat, bei der man sofort erkannte, dass es sich um ihr Anwesen handelte. „Hallo! Ich freue mich sehr, euch in dieser Residenz begrüßen zu dürfen und es ist uns eine Ehre, dass ihr hier die nächsten Wochen trainieren und leben werdet. Mein Mann Charles und ich werden zwar für die nächsten Wochen nicht hier wohnen- wir werden in unser Loft in NY ziehen, um euch freie Hand zu lassen- aber dafür wird Kelsey hier," sie deutete auf die blonde Frau, die uns bereits am Flughafen eingesammelt hatte und nun nochmals die Hand hob, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, „auf euch aufpassen! Ich wünsche euch eine tolle Zeit und drücke euch ganz fest die Daumen, dass ihr bis ins Finale einziehen werdet!" sie schenkte uns ein herzliches Lächeln. Wir applaudierten kurz, was sie mit einer abwehrenden Handbewegung über sich ergehen ließ, bevor Kelsey das Wort ergriff.
„Also Leute, ihr habt gehört, ich werde für die nächsten Wochen eure Ansprechpartnerin sein. Wenn ihr Fragen oder Probleme hat, meldet euch bitte sofort bei mir. Eigentlich bin ich auch dafür verantwortlich, dass ihr keine Dummheiten macht, aber ich muss ehrlich sagen, dass ihr inzwischen in einem Alter sein solltet, in dem ihr selbst wissen solltet, was scheiße ist und was nicht, deshalb seid vorsichtig!" sie warf uns einen strengen Blick zu. „Ich werde dort hinten im Nebengebäude, gemeinsam mit den Pflegern wohnen, also wenn ihr ein Problem habt, werdet ihr mich dort finden." Sie deutete auf den linken Pfad, der wohl zu den Stallungen führen würde. „Und nun zu euren Zimmern. Jede Nation hat ihre eigene Wohnung, sprich, Küche, Bad und jeweils drei Zimmer. Allerdings sind die Gemeinschaftsräume, sowie der Speisesaal unten, dort werdet ihr ebenfalls viel Zeit verbringen. Ich habe euch eure Schlüsselkarten schon bereitgelegt." Endete sie ihren langen Vortrag und sprang erstaunlich leichtfüßig von den Stufen der Veranda, auf der sie zuvor gestanden hatte und fing an, jedem von uns eine weiße Karte auszuhändigen. Als sie vor mir stand, drückte sie mir das glänzende Kärtchen in die Hand und drehte sich dann nochmal um, sodass alle sie verstehen konnten: „Und die Trainingszeiten und andere wichtige Termine stehen sowohl im Eingangsbereich an der großen digitalen Wand, und sind auch gleichzeitig in der App gespeichert, die bereits auf euren neuen Handys vorinstalliert ist. Dort könnt ihr auch alle anderen Informationen entnehmen, wie zum Beispiel derzeitige Rankings oder ausstehende Aufgaben." Ich nickte nur perplex, völlig überrumpelt von den vielen Informationen, die sie mir um die Ohren gehauen hatte.
„Dang! Das ist ja echt nicht übel!" dieses Mal war es Gerald, der ehrfürchtig durch die Zähne pfiff. Ich hatte bisher kaum ein Wort von dem großgewachsenen Österreicher gehört, doch nun spitzte ich neugierig die Ohren. Gemeinsam mit Daniel waren wir in den Aufzug gestiegen und hatten auf den Knopf mit der österreichischen Flagge gedrückt (für meinen Geschmack übertrieben sie es etwas mit den Team- Zugehörigkeiten) und hatten gespannt darauf gewartet, dass sich die Aufzugtüren mit einem Pling öffneten. Und kaum waren diese aufgesprungen, waren wir drei auch schon herausgetreten und inspizierten neugierig unser neues Zuhause. Das erste, das mir ins Auge sprang waren die weißen Marmorböden, die in der Sonne, die durch die großen Fenster hereinschien, sanft spiegelten. Vor uns erstreckte sich ein großer Wohnraum, an dessen Rand eine große Kochzeile zum Kochen einlud und mit dem hohen Tisch und den vier Barhockern aussah, als wären sie aus einem Lifestyle- Magazin entsprungen. Auf der rechten Hand ragte ein großes schwarzes Ledersofa auf, das in einer Eckform aufgestellt worden war, sodass ein Teil auf das große Fenster ausgerichtet war, aus dem man hervorragend auf den großen Sandplatz hinunterschauen konnte. Die andere Seite war auf einen großen Plasma- Fernseher ausgerichtet. „Sollen wir mal nach den Zimmern schauen?" fragte Daniel vorsichtig und auch wenn er Deutsch sprach, so hatte ich Mühe, ihm zu folgen, da sein österreichischer Dialekt nicht nur im Englischen herauszuhören war, sondern sich im Deutschen sogar noch verstärkte. Ich nickte lediglich zustimmend und ließ meinen Koffer los, an dem ich mich zuvor krampfhaft festgehalten hatte. Mit neugierigen Schritten folgte ich Gerald und Daniel, die mir beide einen Schritt voraus waren und schon auf den Gang zusteuerten, der vom Wohnzimmer abging.
Der Gang war relativ breit und an den cremefarben gestrichenen Wänden hingen extravagante Gemälde, die bestimmt von unschätzbarem Wert waren. „Valerie? Das scheint dein Zimmer zu sein, weder meine noch Geralds Karte wird angenommen!" riss mich Daniels Stimme aus meinen Gedanken und er deutete auf eine weiße Tür, an dessen Knopf ein kleines Kästchen angebracht war, das in regelmäßigen Abständen aufleuchtete. Ich nickte, zückte meine Karte und hielt sie an das Kästchen. Ein Summen erklang und die Tür öffnete sich mit einem Schwung. Gleichzeitig streckten wir neugierig die Köpfe hinein und ich stieß ein verzücktes Quietschen aus. Mein Zimmer war auf der Seite der Stallungen und so hatte ich durch die bodentiefen Fenster einen hervorragenden Blick auf die Stallungen und den Reitplatz, den man schon aus dem Wohnzimmer hatte sehen können. „Joa, also so lässt es sich leben!" stimmte Gerald meiner Freudenbekundung zu und lächelte mir nochmals zu, bevor er seinen Kopf zurückzog und im Flur verschwand, wahrscheinlich, um sein Zimmer zu suchen. Ich folgte den beiden nicht, sondern trat stattdessen ans Fenster und ließ meinen Blick schweifen. Und mit einem Mal überkam mich eine eigenartige Ruhe.
Ich war angekommen.
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