Kapitel 12
„Valerie! Ich hab' es erst gar nicht glauben wollen, dass du wirklich hier bist!" Sam kam mit ihrem voll beladenen Tablett auf Charlys und meinen Tisch zugehastet, an dem wir beide gerade lustlos in unserem Essen herumstocherten. Mein Magen zog sich immer noch jedes Mal zusammen, wenn mich jemand begrüßte, zu schwer waren die alten Erinnerungen, an unbeschwerte Internatstage, die sich dabei automatisch vor mein inneres Auge schoben. So auch bei Sam, doch ich zwang mich, diese niederdrückenden Gedanken beiseite zu schieben, denn Sam war seit der ersten Stunde in der Princess- Show, in der wir uns kennenlernten, eine meiner engsten Freundinnen gewesen und hatte immer zu mir gehalten. Deshalb erwiderte ich ihre feste Umarmung, in die sie mich zog, nachdem sie ihr wackeliges Tablett mit einem energischen Platsch auf unserem Tisch hatte fallen gelassen. „Sam, schön dich wieder zu sehen!" sagte ich, als ich wir uns wieder gelöst hatten und sie sich kurz Charly zuwandte, um sie ebenfalls in eine Umarmung zu ziehen, und räusperte mich gleichzeitig, nur zu lange hatte ich nicht mehr wirklich gesprochen. „Erzähl mir, was gibt es Neues, was hab' ich verpasst?" fragte ich und lächelte sie leicht an. Sam setzte sich geräuschvoll hin und warf daraufhin einen bedeutungsvollen Blick zu meiner besten Freundin, die lediglich ergeben die Schultern zuckte.
„Nun ja, ich weiß nicht, ob man es dir schon gesagt hat, aber nicht nur Logan wurde als Reiter für die Queen- Show zugelassen." Ihre großen grünen Augen beobachteten mich wachsam, als sich meine Augenbrauen fragend zusammenzogen. „Nun ja, Val, es ist ja so, dass nicht nur die Dressurreiter dieses Mal um die Krone kämpfen, sondern auch die Springreiter und die Vielseitigkeitsreiter jeweils unter sich um den Sieg, um die Krone kämpfen..." Ich nickte, als ihre Stimme leiser wurde. So viel wusste ich bereits, doch als ich den mitfühlenden Blick von Sam auffing, wurde mir klar, dass da noch mehr im Busch war. Also bedeutete ich ihr mit einer kleinen Kopfbewegung fortzufahren und ließ die Gabel sinken, mit der ich bisher unruhig in meinem Obstsalat herumgewühlt hatte. „Also und Logan wurde, nachdem die Vorwürfe dieses Mädchens aus Hagen endlich fallen gelassen wurden, als deutscher Springreiter nominiert und wird mit Julian und mir," sie deutete auf einen hageren Jungen, der am anderen Ende des Speisesaals saß und angestrengt auf sein Handy blickte, „Deutschland vertreten dürfen. Jedoch ist er nicht der einzige deutsche Springreiter, der nach Wellington reisen wird..." Leise verklang ihre Stimme, als sie meinen alarmierten Gesichtsausdruck bemerkte und nun richteten sich sowohl mein, als auch ihr irritierter Blick auf Charly, die seelenruhig mit ihrem Löffel in ihrem Müsli herumstocherte.
„Charly?" zischte ich leise und versuchte so, die neugierigen Blicke der anderen nicht auf mich zu lenken. Eine unangenehme Stille bereitete sich kurz über unserem Tisch aus, bevor die Blonde den Löffel geräuschvoll in die Schüssel vor ihr fallen ließ und mich mit ruhigem Blick fixierte. „Val, es tut mir sehr leid, dass ich dir das nicht früher gesagt habe, ich habe selbst erst vor ein paar Tagen davon erfahren, dass er auch nach Wellington reisen wird, aber er hat mir ein Angebot gemacht, dass ich schlecht ausschlagen konnte." Wut kochte in mir hoch, die ich mühsam versuchte zu unterdrücken, weshalb ich erst einmal tief durchatmete, bevor ich ihr antwortete. „Wer. Ist. Er?" Kopfschmerzen breiteten sich in meinem Kopf aus, wellenförmig und brachten meinen ganzen Schädel zum Vibrieren. Tief in meinem Inneren war mir bereits bewusst, wer mit er gemeint war, jedoch wollte ich es aus ihrem Mund hören. Wieder einer ihrer undurchschaubaren Blicke. Ich hätte sie am liebsten an ihren blonden Haaren nach draußen gezogen und sie dort mit allen Schimpfwörtern überhäuft, die mir eingefallen wären, doch stattdessen saß ich wie angewurzelt auf einem der noblen Stühle und warf meiner besten Freundin einen bitterbösen Blick zu, der an ihr allerdings abprallte, wie Regen an struppigen Ponyfell.
„Es ist London. London Fischer."
Und obwohl ich mich innerlich darauf vorbereitet hatte, brach genau in diesem Moment etwas in mir zusammen, dass mich die letzten Stunden seit meiner Ankunft am Leben erhalten hatte. Ein eiskalter Schauder durchfuhr mich und in meinem Ohr breitete sich ein haarsträubendes Fiepen aus, was mich reflexartig die Augen zukneifen ließ.
„Val?" Sams federleichte Hand auf meinem Arm brachte mich zurück in die Realität und durchbrach die Angst, die mich kurzzeitig überrollt hatte. Langsam öffnete ich meine Augen wieder und blickte in zwei entsetzte Gesichter. Ich ignorierte sie so gut wie möglich, entspannte meine Hände, die ich noch krampfhaft zu Fäusten geballt hatte und kleisterte mir ein Lächeln ins Gesicht. Kaum hatte ich mich wieder unter Kontrolle, wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auch schon wieder nach vorne gerichtet, als Dr. Stefan Helmer, der Direktor des Internats, nach vorne auf die kleine Bühne stieg und das Wort ergriff. Jedoch schaffte ich es nicht, seinen Worten zu folgen, da mein Herz immer noch unkontrolliert schnell in meiner Brust pulsierte und meine Finger immer noch leicht zitterten. Unauffällig wagte ich einen Blick auf die anderen Tische, jedoch schien glücklicherweise keiner außer Charly und Sam meinen Anfall mitbekommen zu haben. Gerade wollte ich mich in meinem Stuhl zurücklehnen, als ich unsanft von meinem Stuhl hochgerissen wurde und links und rechts von meinen Freundinnen flankiert nach draußen geschleppt wurde. Ich verbiss mir Hilfeschreie, die meinen Abgang nur noch peinlicher gestaltet hätten.
Erst als wir draußen angekommen waren, ließen mich die beiden los und verschränkten gleichzeitig die Arme vor der Brust. Ich tat es ihnen gleich, und auch wenn sich der Herbst hier in NRW von seiner schönsten Seite zeigte und noch ein paar schwache wärmende Sonnenstrahlen vom Himmel schickte, war es dennoch kalt. Und als mein Blick erneut auf meiner besten Freundin landete, sprudelte es erzürnt aus mir heraus: „Und Charly, wann hattest du vor, mir von so einer Kleinigkeit zu berichten?!" Sie wollte gerade den Mund öffnen, als ich sie unwirsch unterbrach: „Und überhaupt, was für ein tolles Angebot konnte er dir denn überhaupt machen, dass es wichtiger ist, als die Freundschaft zu mir?! Hat er dir Geld gegeben?! Das würde ihm nämlich verdammt ähnlichsehen!" schnaubte ich und merkte gar nicht, wie sehr ich mich in Rage geredet hatte. Zornig funkelte ich meine beste Freundin an, die ebenso böse zurück blickte, die sonst so weich glänzenden braunen Augen zu Schlitzen verengt.
Doch dieses Mal war es Sam, die uns beide zurück auf den Boden der Tatsachen brachte, indem sie sich beschwichtigend zwischen uns stellte, wie ein Schiedsrichter, der zwei Profiboxer voneinander trennte. „So, danke Val, ich denke, du hast deinen Standpunkt klargemacht, und nach der ganzen Scheiße, durch die du die letzten Monate gegangen bist, ist das auch mehr als verständlich, aber vielleicht solltest du Charly mal aussprechen lassen!" Respekt, falls es mit der Dressurreiterei nichts werden sollte, könnte Sam definitiv eine Karriere als Streitschlichterin starten, dachte ich mir, während ich erneut zu einer Schimpftirade ansetzen wollte, wurde aber erneut von Sam mit einem ärgerlichen „Valerie!" unterbrochen, was mich sofort zum Verstummen brachte. Ein letzter warnender Blick ihrerseits, bevor sie sich meiner besten Freundin zuwandte.
„Also Charly, erzähl, warum hast du es Val verheimlicht und um was für ein Angebot handelt es sich dort?" „Es war Londons Wunsch, dass du es so spät wie möglich erfährst," fing sie an und fuhr aber hastig fort, als ich meinen Mund bereits öffnete, um eine gesalzene Antwort zurückzupfeffern. „Und bevor du wieder direkt tobst, ich habe nur geschwiegen, weil ich wusste, dass es sonst keine andere Möglichkeit gäbe, dass du erstens auf die Show fährst und ich zweitens dennoch mitkann." Als sie sah, dass ich meine Augenbrauen fragend zusammenzog, erklärte sie hastig, dass in den Regelungen der Show stand, dass nur jeweils ein Pfleger pro Reiter mit nach Wellington reisen dürfte und da ich sicherlich Michi mitnehmen wollen würde, hätte sie keinen Platz, um ebenfalls in die USA zu fliegen und mir zur Seite zu stehen. „Und das wusste auch London. Und genau aus diesem Grund hat er mich gefragt, ob ich als seine offizielle Pflegerin mit nach Wellington reisen möchte. Inoffiziell wird sich weiterhin Per um die Pferde von London kümmern, aber da der mit Logan mitfliegt, hat London noch den Posten des Pflegers freigehabt." Schloss sie schließlich und blickte mich offen an. Mit offenem Mund hatte ich ihrer Erzählung gelauscht und auch wenn mir noch der Kopf rauchte vor lauter, wenn, dann, rieselte langsam die Erkenntnis zu mir hindurch. Und die ließ mich schlucken. „Also, also hat London dir den Platz gegeben, obwohl er es gar nicht hätte machen müssen? Nur damit ich dich weiterhin an meiner Seite habe?" hakte ich vorsichtig nach, immer noch völlig überrumpelt von den Erkenntnissen der vergangenen Sekunden. „Ja. Er wollte nur nicht, dass du es so schnell erfährst, weil dann immer noch die Gefahr bestanden hätte, dass du doch gekniffen hättest." Ich schluckte erneut.
Erneut war es Sam, die versuchte, diese Situation zu entschärfen. „Aber das ist doch super! Charly, dann begleitest du uns mit nach Wellington und kannst uns immer gleich berichten was abläuft!" rief sie freudig aus und auf ihrem Gesicht breitete sich ein leichtes Lächeln aus, während sie hoffnungsvoll zu mir hinüberblickte. Ich rang mir ein kleines Lächeln ab und blickte dann zu meiner besten Freundin hinüber, die mir ebenfalls ein geisterhaftes Lächeln schenkte. Gerade hatte noch die Wut in mir regiert, doch nun war ich völlig geplättet von den neuen Erkenntnissen, die Charly ausgeplaudert hatte. „Na dann, auf nach Wellington!" Sam warf uns einen wissenden Blick zu und streckte ihre Hand in unsere Kreismitte, in dem wir verteilt standen. „Auf nach Wellington!" imitierte Charly Sams Geste und legte ihre Hand auf Sams. Nun lagen zwei fragende Augenpaare auf mir. Nach einer kurzen Pause nickte ich und legte feierlich meine Hand auf die der anderen.
„Auf nach Wellington!"
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Heyy meine lieben Zuckerhasen,
allzu lange ist es her, seit ich das letzte Mal ein Kapitel hochgeladen habe. Aber nun hier das versprochene Kapitel, ich hoffe, es konnte nochmal ein bisschen Licht in diese mysteriöse Show- Vorbereitung bringen. Seid ihr denn genauso gehyped wie ich? Ich freu mich schon so unglaublich darauf, die Zeit in Wellington mit euch schreiben zu dürfen.
Für mich geht es jetzt wieder zurück an den Schreibtisch (an dem ich heute schon den ganzen Tag hätte sitzen sollen, hihi) um für meine Klausuren zu lernen.
Euch noch einen wunderschönen Abend
Eure Honey Summer
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