Kapitel 92
A/N: Bitte hasst mich nicht👀
"Wie hieß der Mann?", frage ich, davon ausgehend, ihn ohnehin nicht zu kennen.
- "Jim Fallon".
Mein Schwimmtrainer.
- "Louis, geht es Ihnen nicht gut? Kennen Sie den Mann etwa?", fragt Officer Benett, als ich meine Tassen fallen lasse, die ich bis gerade noch in meinen Händen hielt. - "I-ich... das kann nicht sein, s-sie müssen sich irren", flüstere ich bloß.
"Nein, wir haben ihn in unserer Datenbank. Auf dem einen Bild von... der Tat... konnten wir ihn anhand seiner Tattoos identifizieren, nachdem auf den Bildern ja alle Gesichter weggeschnitten wurden. Er ist wohl der Bruder von Jack Fallon. Aber woher kennen Sie Jim Fallon?", fragt Officer Benett und kehrt mit einem kleinen Besen vorsichtig die Scherben auf dem Boden zusammen, nachdem er mir einige Tücher für meine, von Kaffee durchtränkte, Hose gereicht hat.
"Einen Moment, ich bin gleich wieder da", sagt er und verschwindet aus dem Raum. Kurz darauf reicht er mir eine kurze Hose. "Ich habe leider gerade nichts anderes an Klamotten in meinem Spind, außer meiner Uniform. Ich hoffe, die Hose passt Ihnen", sagt er. Wortlos nehme ich sie an und ziehe mich schnell um, nachdem er sich höflich mit dem Rücken zu mir gedreht hat. Als er mich wieder anblickt, steht das Fragezeichen ihm ins Gesicht geschrieben. "Jim Fallon, er... er ist mein Schwimmtrainer", sage ich monoton. Officer Benetts Augen werden groß und er zieht mich eilig hinter sich her in O'Brians Büro.
Die ganzen anderen Polizisten verlassen nach und nach das Zimmer, sie scheinen zu merken, dass sie gerade unerwünscht sind.
Als alle weg sind, setze ich mich auf einen Stuhl, den Officer Benett mir anbietet. "Mr. Tomlinson kennt Jim Fallon. Er ist sein Schwimmtrainer", erklärt er knapp.
Officer O'Brian schaut mich geschockt an und dreht dann seinen Computer so herum, dass ich den Bildschirm sehen kann. "Ist er das?", fragt er. Ich schlucke schwer und nicke. "Aber warum hat Harry dann nie etwas erzählt? Und warum war er weiterhin noch im Training? Das ergibt doch keinen Sinn!", platzt es aus mir heraus.
"Mr. Tomlinson, hat Mr. Fallon sich irgendwann denn mal auffällig verhalten? Hat er Andeutungen zu seinem Privatleben oder Vorlieben gemacht?", fragt Officer O'Brian. Und plötzlich wird mir alles klar. "Es ging mal das Gerücht herum, er hätte... eine Neigung zu... zu Kindern und Jugendlichen. Aber niemand hat gedacht, dass das wahr ist. Jim hat einem zwar gern Komplimente gemacht und wollte immer etwas mit uns Jugendlichen unternehmen, aber das war es auch schon. Aber wenn ich mir das jetzt genau überlege... besonders bei mir war es oft der Fall, dass er mich entweder berührt hat oder dass er plötzlich in die Umkleide gekommen ist, wo ich mich gerade umgezogen habe, aber ich habe mir nie etwas dabei gedacht. Und Harry... oh Gott!" Ich schlage mir meine Hände vor den Mund und muss mich zusammenreißen, nicht in Tränen auszubrechen. Officer Benett stellt mir ein Glas Wasser hin, dass ich gleich austrinke. O'Brian sitzt auf seinem Stuhl und wartet geduldig, bis ich mich wieder gefasst habe, um weiter zu erzählen.
"Harry hat... er hat immer so komisch geschaut, wenn Jim mir wieder näher gekommen ist. Ich dachte mir nie etwas dabei, doch Harry hat mich nie allein in der Halle gelassen. Auch samstags, wenn kein Training ist und ich aber trotzdem schwimmen gehe, war er immer da. Er... er wurde von Jim vergewaltigt und ist trotzdem immer zum Training gekommen, um mich zu beschützen", erzähle ich stockend. Und dann fließen auch schon die Tränen.
Ich kann es einfach nicht glauben. Obwohl ich Harry am Anfang immer so scheiße behandelt habe, hat er jederzeit Acht auf mich gegeben. Er hat sich einem seiner Vergewaltiger ausgesetzt, damit mir nichts passiert. "I-ich... ich muss hier raus", hauche ich und poltere aus dem Büro. Bei den Männertoiletten angekommen, stürze ich in eine der Kabinen, schließe hinter mir ab und lasse mich auf den Boden sinken. Ich fange bitterlich an zu weinen.
Ich mache Anne die ganze Zeit Vorwürfe, sie hätte nicht auf Harry geachtet, ihm nicht zugehört, und ich? Ich bin kein Deut besser! Warum sind mir nie Harrys Blicke aufgefallen, wenn Jack mal wieder den Arm um meine Schultern gelegt hat oder mich anderweitig berührt hat!?
Plötzlich klopft es an der Klotür. "Louis, sind Sie da drin?", höre ich Officer Benetts Stimme, doch ich gebe ihm keine Antwort. Noch ein paar mal klopft er, bis wieder Stille ist, doch ich habe nicht gehört, dass er rausgegangen ist. Langsam öffne ich den Riegel der Tür, bleibe aber dennoch sitzen. Die Tür öffnet sich und Officer Benett kniet sich mit etwas Abstand zu mir hin. "Kann ich Ihnen irgendwie helfen?", fragt er besorgt, doch ich zucke nur mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Harry ist jetzt schon seit zwei Tagen wie vom Erdboden verschluckt und Sie und Ihre Kollegen haben keine Ahnung, wo er sein könnte. Das Einzige, wie Sie mir momentan helfen könnten, ist Harry zu finden", erkläre ich leise. Officer Benett nickt verstehend. "Ich kann nachvollziehen, dass Sie sich Sorgen machen. Wir geben unser Bestes, allen möglichen Spuren nachzugehen. Wir haben bereits sämtliche Überwachungskameras hier in der Umgebung überprüft, doch Ihr Freund taucht in keinem der Videos auf. Auch in den Autos konnten wir keine der gesuchten Personen entdecken. Jack und Jim Fallon werden gefahndet, ebenso wie die beiden anderen Männer. Doch bis jetzt ohne Ergebnis." Ich nicke bloß.
"Stimmt es, dass nach drei Tagen die Chance sinkt, ein Entführungsopfer noch lebendig aufzufinden?", flüstere ich dann mit Tränen in den Augen. Officer Benett legt eine Hand auf meinen Unterarm und streicht sanft darüber. "So weit dürfen Sie nicht einmal denken, okay? Sie müssen fest daran glauben, dass es Ihrem Freund gut geht. Ich glaube, von allem was ich bereits über Sie beide gehört habe, dass zwischen Ihnen eine Art Seelenverwandtschaft besteht. Und glauben Sie mir, wenn ich das sage, obwohl ich Sie erst zwei Tage kenne, dann muss da auch was dran sein. Sie hätten schon längst gespürt, wenn Harry etwas Schlimmes zugestoßen wäre." Ich atme tief durch und lächle den jungen Polizisten vor mir dankbar an. "Das bedeutet mir viel, dass Sie das sagen."
- "Gern. Und jetzt kommen Sie, wir müssen Ihren Freund finden", sagt Officer Benett. Er steht auf und reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen.
Als wir aus der Toilette gehen, stürmen eine Menge Polizisten an und vorbei zum Ausgang des Gebäudes. "Was ist denn passiert?", fragt Officer Benett einen Kollegen. - "Wir haben eine Spur", erklärt dieser knapp und rennt weiter. Nun gibt auch Officer O'Brian seinem jungen Kollegen ein Zeichen, ihm zu folgen. "Louis, Sie bleiben hier!", werde ich angewiesen, doch ich denke gar nicht daran. Gerade als der Wagen von O'Brian und Benett losfährt, öffne ich die hintere Tür und springe hinein. Ich bekomme zwei genervte Blicke zugeworfen, doch das ist mir egal, Hauptsache ich darf mit fahren.
Im Auto ist es still. Viel zu still.
"Was ist denn passiert?", frage ich nach einigen Minuten leise. Officer O'Brian atmet tief durch und blickt mich dann durch den Rückspiegel an. "Wir haben in den Unterlagen aus dem Keller einen Stadtplan gefunden, auf dem mehrere Teile und Gebäude herausgetrennt wurden. Wir konnten diesen Plan wiederherstellen und dabei einige der Stellen ausschließen, da sie entweder zu viele Anwohner in der Nähe haben oder sich nicht für eine Entführung eignen. Und schließlich konnten wir ein bestimmtes Gebäude herausfiltern, zu welchem wir jetzt fahren. Wir hoffen, dort eine Spur zu finden", erklärt der Polizist. Eine Spur. Hallelujah, sie haben eine Spur! Jetzt heisst es nurnoch beten, dass Harry sich dort befindet und es ihm einigermaßen gut geht. Während der ganzen Fahrt knete ich nervös meine Hände und blicke aus dem Fenster heraus auf die Straßen Londons. Mit der Zeit werden diese immer leerer und grauer. Die Gebäude in diesem Viertel sind heruntergekommen und verlassen. Alles in allem wirkt dieser Stadtteil wirklich beängstigend, allein würde ich mich hier nicht hertrauen.
"Das ist ein altes Industriegelände. Es steht schon seit vielen Jahren leer", erklärt Officer Benett mir, als er meinen skeptischen Blick bemerkt.
Mir erscheint das Gelände zu auffällig, ich habe das Gefühl, hier ist irgendetwas faul. Harry wird nicht hier sein.
Und ich soll recht behalten.
Als wir ankommen, schwärmen alle zwanzig Polizisten aus, um das Gelände zu durchsuchen, ich dagegen soll ich Auto sitzen bleiben. Immerhin bekomme ich das Funkgerät im Auto so eingestellt, dass ich bei der Aktion mithören kann.
Immer wieder höre ich Sätze wie: "Raum 1 gesichert" oder "Gebäude zwei sicher". Und mit jedem weiteren Wort sinkt meine Hoffnung darauf, dass mein Bauchgefühlt mich bloß getäuscht hat und die Beamten Harry hier auffinden. Doch wie so oft im Leben habe ich Pech. Nach einigen Minuten kommen die Polizisten wieder aus dem Gebäude, steigen in ihre Autos und fahren zurück zum Revier. Nur Officer O'Brian und Officer Benett kommen nun zu mir in den Wagen und sehen mich mitleidig an. "Sie haben nichts gefunden?", frage ich unnötigerweise. O'Brian reicht mir eine kleine Tüte. Bevor ich einen Blick darauf werfen kann, sagt er: "Wir fanden dieses Schmuckstück in einem Art Keller. Gehört es ihrem Freund?" Ich halte geschockt die Luft an, als ich erkenne, was ich in meiner Hand halte. Es ist ein silberner Ring mit einer Rose daran. Er gehört Harry. Augenblicklich schiessen mir die Tränen in die Augen. Ich schaffe es bloß, schwach zu nicken und nehme wahr, wie die beiden Polizisten sich einen unsicheren Blick zuwerfen. "Das war noch nicht alles, oder?"
Officer Benett dreht sich mehr oder weniger zu mir um und schaut mir in die Augen.
"Wir haben an der Stelle, wo der Ring lag, eine riesige Menge Blut gefunden. Wir haben eine Probe mitgenommen, um zu testen, ob die DNA mit der Ihres Freundes übereinstimmt. Das Ergebnis erhalten wir in wenigen Minuten. Doch das ist noch nicht alles...
Sollte dieses Blut wirklich von Mr. Styles stammen, dann ist es unmöglich, dass er noch lebt. Berechnet mit seiner Körpergröße, seines Gewichts und auch durch den großen Blutverlust vor der Operation, kann er nicht überlebt haben. Der Gerichtsmediziner hat alles genau berechnet, eine Überlebenschance bei dieser Menge Blut liegt unter Null Prozent. Es tut mir leid".
Ich sitze wie erstarrt da und merke nicht einmal, wie die Tränen in Sturzbächen meine Augen verlassen.
Ich habe verloren. Ich habe Harry versprochen, bei ihm zu sein und ihn nie allein zu lassen. Und doch habe ich es getan. Ich bin Schuld an allem.
Schuld daran, dass Jack und seine Leute Harry verfolgt und vergewaltigt haben, dass Harry im Krankenhaus gelandet und zweimal fast gestorben ist und dass er schlussendlich entführt und umgebracht wurde.
"Mr. Tomlinson?", höre ich die Stimme von Officer O'Brian. Ich reagiere nicht, doch er spricht weiter.
"Es besteht immernoch die Hoffnung, dass das Blut nicht von Mr. Styles stammt. Wir müssen noch ein paar Minuten warten, bis das Ergebnis da ist, doch sie dürfen jetzt nicht aufgeben. Bloß weil der Ring Ihres Freundes dort lag, muss es nicht automatisch heißen, dass das auch sein Blut ist."
Ich schüttle bloß verzweifelt den Kopf und steige aus dem Wagen.
Ich gehe einige Schritte und lasse mich dann in den sandigen Boden vor dem Gebäude fallen. Ich spüre gar nichts mehr. Mein Verstand ist komplett ausgeschaltet, genauso wie mein Herz. Es ist alles leer. Das einzige was ich noch spüre, ist meine Liebe zu Harry.
Verzweifelt kralle ich mich in meine Haare und lasse einen lauten Schrei los.
Das darf doch alles nicht wahr sein! Vor ein paar Monaten war alles perfekt und jetzt?! Jetzt habe ich ein Menschenleben auf meinem Gewissen und ausgerechnet auch noch die Person, die ich mehr als alles andere liebe. Mein Seelenverwandter. Mein Herz.
Ich bin Schuld an Harrys Tod.
"Mr. Tomlinson? Das Ergebnis ist da.
Es tut mir so leid. Mein herzliches Beileid".
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ALSO: Das Buch wird noch ein paar Kapitel beinhalten, die euch vermutlich nicht gefallen werden🤐
ABER: es wird direkt im Anschluss mit dem zweiten Teil fortgeführt werden, von daher können sich vielleicht schon manche von euch etwas zu Harrys Tod denken🤫
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