Kapitel 80
Das Wochenende vergeht ohne irgendwelche Zwischenfälle. Ich sitze die meiste Zeit bei Harry im Krankenhaus und leiste ihm Gesellschaft. Zum Glück ist das Gespräch mit seiner beziehungsweise meiner Niere nicht noch einmal aufgekommen. Allerdings macht Harry sich Sorgen. Er möchte nicht nach Hause und wenn ich ehrlich bin... ich habe Angst, dass er sich etwas antut, nur um nicht wieder dorthin zu müssen. Das ist auch der Grund, weshalb ich ausnahmsweise die Nächte bei Harry verbringen durfte. Ich habe ihm natürlich nicht verraten, weshalb, doch ich denke, dass er es schon geahnt hat.
Heute ist Montag. Eigentlich dürfte ich es mir nicht erlauben, schonwieder in der Uni zu fehlen, aber ich schaue mir einfach im Onlineforum die Präsentation an und fertig. Es ist zwar nicht die optimale Lösung, aber ein Tag mehr oder weniger hauts auch nicht mehr raus.
Als ich bei Harry ankomme, steht er bereits mit seiner gepackten Tasche im Eingangsbereich und wartet auf mich. Niall hat mir sein Auto geliehen, damit ich Harry abholen kann. Als ich aus dem Wagen steige und auf Harry zugehe, lässt er plötzlich seine Tasche fallen und schmeißt sich in meine Arme. "Ich möchte nicht dorthin", murmelt er verzweifelt. Ich seufze zustimmend und drücke meinen Freund sanft an mich. "Es tut mir so leid, Harry", entgegne ich traurig. Mir ist keine geeignete Lösung eingefallen. Dabei hatte ich es ihm versprochen.
Nach einigen Minuten lässt Harry mich plötzlich los, nimmt seine Tasche und schmeißt diese ins Auto. Dann setzt er sich auf den Beifahrersitz und schließt die Tür hinter sich. Seufzend gehe ich auf die Fahrerseite und steige ein. "Sollen wir noch frühstücken gehen oder so?", schlage ich vor, als wir losfahren. Harry starrt aus den Fenster und schüttelt den Kopf. "Nein. Ich muss ja ohnehin wieder zurück, also bringt es nichts, es aufzuschieben". Ich erwidere nichts darauf. Ich nehme es Harry auch nicht übel, ich merke, dass er nicht sauer auf mich ist, sondern einfach nur Angst hat.
Der Lockenkopf dirigiert mich in die Straße, wo er wohnt und wir bleiben schließlich vor einer riesen Villa stehen. Schluckend erinnere ich mich an den Morgen nach dieser schrecklichen Party, als Harry mich plötzlich aus dem Haus geschmissen hat. Erst jetzt realisiere ich, dass er mich bereits damals vor Jack beschützt hat. Und ich habe ihn am nächsten Morgen dumm angemacht und es ihm übel genommen. Ich parke den Wagen auf der andere Straßenseite und wende meinen Blick zu Harry.
Dieser starrt mit angsterfüllten Augen auf die Villa und ist bleich im Gesicht. "Harry, du schaffst das, ja? Du kannst dich jederzeit bei mir melden, auch nachts. Und du kannst natürlich auch an den Wochenenden bei mir schlafen, meine Wohnung ist ja groß genug und...-", ich stocke. Ich muss gerade wieder an die Kündigung denken. Wenn ich Pech habe -und das habe ich mit Sicherheit- fliege ich zeitnah aus meiner Wohnung, weil ich die Miete nicht weiter bezahlen kann. Dann muss ich mir etwas anderes suchen, wo ich wohnen kann, denn Harry...
Moment- ja, das ist die Idee! "Harry!", rufe ich euphorisch und halte ihn vom Aussteigen ab. Er sieht mich an und blinzelt verdächtig. "Hazza, ich hab die Lösung gefunden!"
Verwirrt runzelt er die Stirn. "Und die wäre?" - "Du ziehst einfach zu mir!"
"Ich soll... ich ähm.... zu dir? In deine Wohnung?", fragt Harry stotternd und sieht mich an, als hätte ich gerade gesagt, er solle in die Kanalisation umziehen. "Ja, schau mal: ich kann nicht kochen, du schon. Du hasst putzen, ich habe kein Problem damit. Ich bin pleite und kann mir meine Wohnung nicht mehr allein finanzieren, aber zu zweit schon. Und das beste daran: du wohnst nicht mehr mit diesem Monster unter einem Dach und ich bin nicht mehr so allein!" Ich klatsche begeistert in die Hände und kann gar nicht mehr still sitzen.
Als ich jedoch merke, dass meine Begeisterung wohl nicht sehr ansteckend ist, bemühe ich mich, ruhig zu bleiben und Harrys Meinung abzuwarten. Er schaut grübelnd zwischen mir und der Riesen Villa im Hintergrund hin und her. "Und du bist dir wirklich sicher?", fragt er nach einer Weile unschlüssig. - "Harry, ich war mir selten so sicher wie jetzt!" Ich nehme seine linke Hand in meine beiden und führe sie zu meinem Mund. Harry beobachtet, wie ich auf jeden seiner Fingerknöchel einen Kuss hauchen. "Ich liebe dich, Hazza und ich möchte dich immer bei mir haben. Ich meine... vielleicht nerve ich dich ja auch, wenn wir dauerhaft aufeinander sitzen, aber dann sag mir einfach Bescheid und ich halte meine Klappe. Wir können dir natürlich auch in dem freien Zimmer bei mir ein eigenes Schlafzimmer einrichten, wenn du möchtest". Harry beginnt langsam zu Grinsen. "Du meinst das wirklich ernst, oder?"
- "Ja, natürlich meine ich das ernst! Wir reden mit deiner Mum, packen deine Sachen und fahren zu mir!"
Plötzlich beginnt Harry zu strahlen und wild zu nicken. Bevor ich reagieren kann, steigt er auf meinen Schoß und küsst mich stürmisch. Etwas überrumpelt stütze ich ihn am unteren Rücken und genieße das kribbelnde Gefühl unserer aufeinanderliegenden Lippen und seiner Hände, die mich im Nacken bei sich behalten. Ich muss mich jedoch wieder einmal zurückhalten, nicht erregt zu keuchen, da Harry etwas ungünstig seinen Schritt gegen meinen drückt. Widerwillig stoppe ich den Kuss und streiche Harry ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. Meine Hand wandert über seine Wange und seine geschwollenen roten Lippen. "Irgendwann können wir weiter gehen, als das hier, das verspreche ich dir, aber... ich brauche Zeit. Auch wenn ich dir vertraue, aber in mir ist einfach eine... keine Ahnung, eine Blockade. Mein Herz möchte dich endlich spüren, dir näher sein, aber mein Kopf... der lässt es einfach nicht zu. Ich habe nur Angst, dass ich zu lange brauche, bis ich es zulassen kann", erklärt Harry und lehnt seine Stirn gegen meine.
"Mach dir keine Gedanken. Wir gehen es ganz langsam an und irgendwann klappt es auch", beruhige ich ihn und lege seine Hand auf mein Herz. "Siehst du, mein Herzschlag rast jetzt schon und das nur nach einem Kuss. Solche Gefühle habe ich nur bei dir. Und solange sich das nicht ändert, warte ich, bis du bereit bist. Und glaub mir, das wird sich niemals ändern", verspreche ich. Harry atmet tief durch und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann nickt er einmal entschlossen und steigt von mir runter und aus dem Wagen. Ich folge ihm und wir gehen gemeinsam zum Eingang der Villa. "Jack ist nicht Zuhause. Sein Auto steht nicht in der Garage", kündigt Harry zufrieden an und schließt die Haustür auf.
"Mum?", ruft er laut. Eine junge Frau kommt aus einem Zimmer und nimmt Harrys und meine Jacke ab. "Guten Morgen, Mr. Styles. Schön, dass Sie wieder da sind", begrüßt sie ihn und nickt auch mir freundlich zu. "Danke, Katie. Ist meine Mutter auch im Haus?", fragt Harry. Okay, die Familie ist noch reicher, als ich ohnehin schon dachte. Die haben ein Hausmädchen?? Kopfschüttelnd folge ich Harry durch die Villa in den Garten, wo Anne sich befindet. Überall im Flur stehen edle Skulpturen und teure Vasen. Ich traue mich kaum, über den Teppich zu laufen, da dieser mit Sicherheit mehr kostet als unser Haus in Doncaster. An den Wänden sind keine Familienfotos zu sehen, nur Gemälde mit goldenen Rahmen. Ansonsten ist das komplette Haus in einem schlichten weiß gehalten. An der Decke hängt ein Kronleuchter, der allerdings bestimmt nur zur Zierde dient und nicht, um Licht zu spenden. Harry läuft vor mir her und öffnet die Glastür, die zum Garten hinausführt. Anne dreht sich zu uns um und schließt Harry in eine Umarmung. Ich dagegen betrachte lediglich den riesigen Garten, der größer als ein Sportplatz ist. Am Rand unter einigen Bäumen ist ein großer Pool eingebaut und auch ansonsten wurde nicht an Sitzecken, Hängematten und komischen Pflanzen gespart. Neben der Terassentür steht ein hässlicher Steinmops mit Glubschaugen. Meine Güte sieht das scheußlich aus!
Schließlich bemerke ich, dass sowohl Harry als auch Anne mich erwartend ansehen. Ich blinzle ein paar mal. "Entschuldigt, was habt ihr gesagt?", frage ich peinlich berührt nach. Harry grinst nur wissend und Anne streicht mir über die Schulter. "Ich wollte nur wissen, wie es dir geht?", fragt sie. Aus ihrem Blick kann ich lesen, dass sie nach der Operationsnarbe fragt, doch Harry weiterhin nichts davon wissen soll. "Ähm ja... mir geht es gut, danke", entgegne ich.
"Das freut mich. Und danke, dass du Harry nach Hause gefahren hast. Möchtest du noch zu Mittag bleiben? Mein Mann müsste auch zum Essen kommen, ich würde euch gern vorstellen. Die erste Begegnung zwischen euch ist ja leider nicht so gut verlaufen", sagt sie lächelnd. Ich sehe, wie Harry sich anspannt und mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Er wusste nicht, dass ich Jack bereits kennengelernt habe.
"Du... du kennst ihn?", fragt er geschockt. Anne sieht ihren Sohn nur verwirrt an und schnippt ihn einmal belustigt gegen die Stirn, woraufhin Harry jedoch mit einem genuschelten 'Entschuldigt mich kurz' nach drinnen verschwindet. Anne blickt ihm kopfschüttelnd hinterher. "Harry ist heute aber komisch drauf. Naja, aber erzähl mal, wie fühlst du dich denn jetzt so?", fragt sie an mich gewandt. Ich zucke einmal mit den Schultern. "Eigentlich gut, manchmal ziept die Naht noch etwas, aber sobald die Fäden gezogen werden, ist das bestimmt auch besser", erkläre ich. "Wie geht es denn Gemma? Arbeitet sie wieder?"
- "Sie ist erst nach dem Wochenende wieder in der Praxis. Wir mussten uns beide erstmal von dem Schock erholen", sagt Anne. Schock?! Und was passiert, wenn sie die ganze restliche Geschichte erfahren?? Werden sie dann nie wieder arbeiten gehen, weil sie das nicht verkraften? Was soll denn bitte Harry sagen?!
"Ich... ich schau mal kurz, wo Harry bleibt, ja?", frage ich und eile ins Haus. "Hazza?", rufe ich im Flur. Ich habe keine Lust, mich hier zu verirren. Ich höre ein leises Husten und folge den Geräuschen. Schließlich finde ich mich wieder zurecht, in diesem Teil des Hauses war ich schon einmal. Ein unterdrücktes Keuchen ertönt und ich klopfe einmal gegen die Badezimmertür. "Haz, bist du da drin?", frage ich. Als keine Antwort ertönt, öffne ich die Tür und schließe sie direkt hinter mir wieder. Vor mir sitzt Harry über die Toilette gebeugt auf dem Boden und übergibt sich erneut. Schnell nehme ich ein kleines Handtuch und mache es mit Wasser nass. Als Harry sich mit zitternden Händen etwas zurücklehnt, wische ich ihm damit sanft über das Gesicht und betätige dann die Spülung der Toilette. Harry blickt mich verzweifelt und mit zitternder Unterlippe an. Ich setze mich zu ihm auf den Boden und schließe ihn in meine Arme. "Du... du k-kennst ihn?", fragt er mit leiser und brüchiger Stimme. Ich nicke leicht. "Ich musste Anne und ihn mal im Restaurant bedienen. Ich wusste selbst nicht mal, dass er das war, bis ich Anne letzte Woche kennengelernt habe. Ich wollte dich nicht beunruhigen, deshalb habe ich dir nichts erzählt", sage ich und streiche durch Harrys Locken. Ich spüre Harrys warmen Atem auf meinen Lippen, als er sein Gesicht an meins schmiegt. "Ich hatte gerade so eine Angst um dich", gesteht er zittrig. Ich küsse seine Stirn und streiche auf beiden Seiten über seine Wangenknochen. "Mir geht es gut. Wir reden schnell mit deiner Mum und dann verschwinden wir von hier, einverstanden?" Harry nickt zustimmend und ich helfe ihm, nach oben zu kommen. Als wir stehen, atmet er einmal tief durch und geht denn mit entschlossenen Schritten zu Anne zurück. "Da seid ihr ja wieder, ich habe mich schon gefragt, wo ihr abgeblieben seid", sagt Anne.
"Mum? Ich ziehe aus".
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Bitte das Voten nicht vergessen😊
Wie findet ihr Louis' Idee mit dem Umzug?
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