Kapitel 8
Als ich am nächsten Tag in der Mensa auf die anderen warte, bekomme ich eine Nachricht von Eleanor:
Eleanor: Wann hast du mal wieder Zeit?
Ich: Morgen um 3?
Eleanor: Super. Ich komme dann zu dir
Kurz darauf kommen Niall, Liam und Zayn zu mir.
"Ist Harry noch nicht hier?", fragt Niall mich. "Nein, ich habe ihn heute noch nicht gesehen. War er nicht bei dir in der Vorlesung?", antworte ich ihm etwas verwundert. "Nein, also er saß zumindest nicht neben mir wie normalerweise immer. Vielleicht ist er ja krank", denkt er laut nach.
"Jungs, ich muss mal kurz. Ich bin gleich wieder da", sage ich und gehe zu den Toiletten. Als ich fertig bin, stehe ich vor dem Waschbecken und richte meine Haare, da ich heute eindeutig einen Bad-hair-day habe. Kurz darauf höre ich eine Klospülung und jemand stellt sich an das Waschbecken neben mir. Ich schaue kurz rüber und sehe erstaunt, dass es Harry ist. Komischerweise trägt er eine Sonnenbrille. Er hat mich noch nicht bemerkt, da zwischen beiden Waschbecken eine Säule ist, die die Sicht etwas verdeckt. Gerade als ich ihn begrüßen möchte, setzt er die Brille ab und ich sehe seine Augen im Spiegel. Fuck.
Doch in dem Moment hat er mich gesehen und dreht sich schnell weg. "Hi", sagt er kurz, verdeckt seine Augen wieder und möchte zügig an mir vorbei gehen. Ich halte ihn jedoch am Ärmel fest und ziehe ihn zurück. "Harry, was ist passiert?", frage ich ihn bestürzt. "Nichts, alles gut. Lass mich los", fordert er und möchte sich losreißen, aber da habe ich ihm bereits die Sonnenbrille vom Gesicht gezogen. Ich ziehe scharf die Luft ein, während er sich wegdreht.
Sein linkes Auge ist stark angeschwollen und blau. Direkt darüber, knapp über der Augenbraue prangt eine Wunde, die nur notdürftig mit einem Pflaster verdeckt ist. Man sieht sie trotzdem. Ich schaue ihn bestürzt an, als ich seinen Kopf leicht zu mir drehe. Er dagegen sieht neben mir vorbei und bleibt still. "Wie ist das passiert?", versuche ich es erneut. "Das ist nichts, nur ein kleiner Kratzer", murmelt er und zwingt sich ein unechtes Lächeln auf die Lippen.
"Und du denkst jetzt, dass ich dir das glaube und das ansonsten einfach unkommentiert lasse?", gebe ich zurück. "Genau das erwarte ich von dir, ja. Wir kennen uns ja nicht mal", fährt er mich auf einmal an. Ich weiche erschrocken einen Schritt von ihm weg. "Ich bin einfach gegen die Badezimmertüre geknallt, okay?! Und wehe du sagst jemandem davon, das geht niemanden etwas an!" Er setzt seine Sonnenbrille wieder auf und flüchtet. Dieses Mal hindere ich ihn nicht daran.
Als ich wieder zurück zu meinen Freunden gehe, bin ich kurz davor, ihnen davon zu erzählen. Dann erinnere ich mich jedoch an Harry's Worte und setze mich schweigend zu ihnen. "Bist du zwischenzeitlich in's Klo gefallen?", scherzt Niall. Die anderen Beiden lachen, aber ich bleibe still. "Hallo?? Erde an Louis!"
"Hm?"- "Wir haben dich gefragt, wo du so lange warst". - "Ich war auf dem Klo, aber ich habe noch jemanden getroffen", erkläre ich meine Abwesenheit. Gelogen ist das ja nicht, ich habe nur etwas verschwiegen. Die anderen unterhalten sich und essen weiter, aber mir ist der Appetit vergangen.
Harry kann mir doch nicht erzählen, er sei gegen die Türe geklatscht. Der Abdruck an seinem Auge stammt eindeutig von einer Faust. Und ich würde meinen Arsch darauf verwetten, dass das die Person war, weswegen er gestern das Telefonat so überstürzt beendet hat.
Nach der Mittagspause beginnt wieder meine Vorlesung und mal wieder -wie sollte es auch anders sein- kann ich mich nicht konzentrieren. Wenn das so weiter geht, werde ich bald jemanden bestechen müssen, der mir seine Unterlagen und Notizen schickt. Als wir endlich gehen können, fahre ich heim und esse etwas. Danach lege ich mich auf das Sofa und lege ein Kissen unter meinen einen Fuß. Da ich weiß, dass mir bestimmt gleich die Augen zufallen, stelle ich mir noch einen Wecker, damit ich nicht zu spät zum Training komme.
Tatsächlich nicke ich dann auch relativ schnell weg. Nach einer Weile klingelt mein Handy und ich schrecke hoch. Ich habe eine Nachricht erhalten.
Harry: Sorry wegen heute Mittag...
Ich: Alles gut. Bis später?
Harry: Klar
Da es sich nicht rendiert, nochmal zu schlafen, nehme ich mir meine Tasche mit meinen Schwimmsachen und laufe Richtung Tube. Dann kann ich mich wenigstens schon mal aufwärmen, wenn ich wieder früher an der Halle bin.
Dort angekommen, ziehe ich mich um und springe ins Wasser. Gemütlich schwimme ich los, ich habe ja genug Zeit. Nach einigen Minuten höre ich eine Tür knallen. Jim kann es nicht sein, er kommt immer erst kurz vor Beginn des Trainings. Es kann eigentlich nur einer sein.
Ich hatte Recht. Kurz darauf kommt nämlich Harry in die Halle. Komischerweise trägt er ein Schwimmshirt, sodass sein ganzer Oberkörper außer seiner Arme bedeckt ist. Merkwürdig. Als er mich sieht, stockt er kurz, nickt mir dann aber zu und schmeißt sein Handtuch in die Ecke. Als er näher kommt, betrachte ich sein Gesicht. Von seinen Verletzungen ist nicht mehr viel zu sehen.
Als er meinen Blick bemerkt, sagt er erst nichts weiter dazu und springt ins Wasser. Er schwimmt zu mir und hält sich etwas entfernt von mir am Rand fest. "Das ist der einzige Vorteil, wenn man noch bei seinen Eltern wohnt." Er merkt, dass mir nicht klar ist, worauf er hinauswill, und fügt hinzu: "Meine Mum hat das Gröbste überschminkt. Nicht unbedingt so mein Fall, aber solange es seinen Zweck erfüllt". Er deutet auf sein Gesicht und schmunzelt.
"Das tut es. Es ist fast nichts mehr zu sehen. Nur, dass dein Auge etwas angeschwollen ist", versichere ich ihm. "Das ist aber hoffentlich wasserfest, oder?", frage ich Harry noch. Erschrocken sieht er mich an. "Scheiße, daran habe ich nicht gedacht." Ich schmunzle und schwimme ein Stückchen näher auf ihn zu. Dann strecke ich meine Hand aus und streiche sanft über den Rand des Kratzers an seiner Stirn. Dann betrachte ich ihn noch einmal. Es ist immernoch nichts nichts zu sehen.
"Es scheint zwar zu halten, aber weisst du, was wir noch nicht getestet haben?", frage ich ihn und verkneife mir ein Grinsen. Er zuckt mit den Schultern und sieht mich ratlos an. "Den Härtetest!", rufe ich und wirble eine riesen Welle aus Wasser auf, die direkt in Harry's Gesicht klatscht. Er sieht dabei so bescheuert aus, dass ich mein Lachen nicht länger zurückhalten kann. Er sieht mich überfordert an, während das letzte Wasser aus seinen Haaren an ihm herunterläuft. Bevor ich jedoch reagieren kann, brüllt er nur: "Na warte, das kriegst du zurück!" Er stürzt sich den letzten Meter durch das Wasser zu mir, packt mich und drückt meinen Kopf unter Wasser. Als ich prustend wieder an die Oberfläche komme, ist er derjenige, der sich vor Lachen nicht mehr halten kann. Ich muss wohl ähnlich bekloppt aussehen wie er vor einem kurzen Moment.
Eine Weile rangeln wir uns noch weiter, bis er plötzlich wie aus dem Nichts von mir ablässt und schmerzverzehrt die Augen zusammenkneift. "Was ist los? Hab ich dir wehgetan?", frage ich ihn bestürzt. "Nein", erwidert nur knapp und schwimmt zur Leiter. Er steigt aus dem Becken und verschwindet Richtung Umkleiden. Dabei presst er seine Hände auf seine rechte Rippenseite, wohl darauf bedacht, dass ich das nicht bemerke.
Ich steige auch aus dem Wasser und folge ihm. Als ich jedoch die Türe öffne, ist niemand da. Ich probiere es bei den Einzelumkleiden. Eine Tür ist verschlossen. Da wir beide hier die einzigen sind, muss er da drin sein. "Harry?", frage ich vorsichtig und klopfe leise. Als ich nichts von ihm höre, klopfe ich etwas lauter. Auf einmal höre ich ihn rufen:"Alles okay. Geh wieder zurück!" Ich bleibe noch einen Moment stehen, aber da kommen auch schon die anderen Jungen aus dem Team und gehen zu den Sammelumkleiden.
Da Harry die Tür nicht öffnet, gehe ich zurück in die Halle und setze mich auf eine Liege. Nach einer Weile sehe ich ihn in meine Richtung kommen. Kurz vor mir schlägt er jedoch einen Bogen und läuft mit einem großen Abstand an mir vorbei. Verdattert blicke ich ihm nach, aber er schaut mich nicht an. Gerade als ich zu ihm gehen möchte, kommt Jim in die Halle und ruft alle zu sich. "So Jungs, ich hoffe ihr seid alle fit." Ich werfe Harry einen Seitenblick zu, doch er beachtet mich nicht. Als wäre ich Luft. Vor 15 Minuten war noch alles okay, wir haben herumgealbert und auf einmal habe ich das Gefühl, er hasst mich. Ich meine, ich würde zu weit gehen, wenn ich sagen würde, dass ich ihn mag. Hassen ist aber auch nicht der richtige Begriff. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit ihm klarkommen könnte. Das beschreibt es besser. Aber woher zur Hölle kommt dieser Stimmungsumschwung von ihm?! Ich wüsste nicht, dass ich etwas Falsches gemacht habe. Und getreten oder so etwas habe ich ihn auch nicht.
Auf einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Wie blöd bin ich eigentlich??? Seine Verletzungen am Auge, sein Schwimmshirt und seine plötzliche Schmerzreaktion. Er muss noch mehr abbekommen haben, als "nur" das blaue Auge. Und ich Idiot kämpfe auch noch mit ihm. Bevor ich jedoch meine Gedanken vertiefen kann, unterbricht mich Jim.
"Ich habe mir heute mal etwas Besonderes überlegt. Wir spielen Volleyball im Wasser. Zwei von euch werden gleich ein Seil über der Hälfte des Beckens halten, die anderen bilden schon einmal 2 Teams", erklärt er uns begeistert. Als er unsere verwirrten Stimmen hört, meint er noch: "Das wird cool, glaubt mir. Damit fördert ihr eure Wendigkeit und euer Tempo im Wasser, weil ihr nicht schnell zu dem Ball hinrennen könnt, sondern schwimmen müsst. Dementsprechend müsst ihr den Ball immer ziemlich hoch werfen, damit ihr genug Zeit zum Reagieren habt. Alles soweit verstanden?"
Wir nicken und Paul und ich machen uns auf den Weg, das Seil zu spannen. Ich bin gerade dabei, meine Seite festzuknoten, als Jim zu mir kommt. Er zieht mich ein Stückchen zur Seite, wobei er natürlich ganz unauffällig meinen Rücken mit seiner Hand streift. Ich lasse mir nichts weiter anmerken. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel in sein Verhalten. "Weißt du, was mit Harry los ist?", fragt er mich dann. "Wieso, was soll mit ihm sein?", antworte ich ihm so unschuldig, wie ich kann. Harry hat mir ja bereits deutlich gemacht, dass ich das nicht überall herumerzählen soll. Ausserdem sehe ich im Augenwinkel, dass er etwas abseits von den anderen Jungen steht und uns möglichst unauffällig beobachtet. Er sieht etwas skeptisch aus, ich denke, er weiss, dass wir über ihn reden und hofft, dass ich mich an seine Worte halte.
"Ja hast du ihn denn mal angesehen? Seit wann tragen wir hier beim Training denn ein Schwimmshirt? Außerdem redet er absolut nichts", meint Jim jetzt. "Ich hab keine Ahnung, da fragst du den Falschen", erwidere ich. Er sieht mich noch einmal nachdenklich an und nickt dann. Ich drehe mich um und gehe wieder zum Team zurück. Ich spüre aber immernoch Harry's Blick auf mir. Ich nicke ihm leicht zu, woraufhin er mich dankend ansieht.
Kurz darauf beginnen wir, zu spielen. Ich muss zugeben, es macht echt Spaß. Auch wenn es anstrengend ist, sich die ganze Zeit so schnell durch das Wasser zu ziehen, lachen wir uns alle kaputt. Das Training vergeht recht schnell und als wir alle aus dem Wasser steigen, höre ich plötzlich lautes Gelächter. Ich blicke mich um und sehe, dass Steven und Johnny bei Harry stehen. Ich höre zwar nicht genau, was sie sagen, aber ich weiss, dass es auf Harrys Shirt bezogen ist. Ich kenne die beiden gut und weiss, dass sie es nicht böse meinen, was sie zu Harry sagen, aber er weiß es nicht. "Steven! Lasst ihn doch mal in Ruhe!" Sie lachen beide und klopfen Harry einmal scherzhaft auf die Schulter, woraufhin dieser erstarrt und sein Blick leer wird. Als er sich wieder gefasst hat, läuft er in meine Richtung und zischt mir zu: "Ich brauche deine Hilfe nicht, kapiert?!"
Verdattert bleibe ich stehen und sehe ihm hinterher. Was war das denn jetzt? Ich habe doch gar nichts Schlimmes getan? Verwirrt ziehe ich mich schnell um und verschwinde dann zur Tube.
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