Kapitel 72

"Das würdest du wirklich tun??", ruft Anne gleich und schaut mich hoffnungsvoll an. Ich nicke sofort. "Ja, wenn ich als Spender infrage komme, dann bekommt Harry meine Niere", sage ich entschlossen.

"Mr. Tomlinson, sind Sie sich da wirklich sicher? Solche Entscheidungen sollten gut überlegt sein. Bei der Entnahme des Organs können auch bei Ihnen Komplikationen auftreten", warnt mich Dr. Carter. - "Selbst wenn es so sein sollte: it is what it is. Dann kann ich es nicht mehr ändern. Aber wenn ich für Harry somit eine Chance aufs Überleben darstelle, dann möchte ich sie ihm nicht verweigern", erkläre ich, woraufhin mir sowohl Anne als auch Gemma um den Hals fallen. "Danke danke danke! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll", schluchzt Anne. Ich streiche ihr beruhigend über den Rücken. "Das brauchst du nicht. Ich mache das gerne. Harry wird das schaffen, hörst du? Ich habe selten einen so starken Menschen kennengelernt. Er hat Lebenswillen. Harry wird leben, Anne".

"Also dann, Mr. Tomlinson. Auf geht's", sagt Dr. Carter und ich folge ihr zurück in des Behandlungsraum.

Sie legt mir einige Blätter vor, die ich am Ende mit einer Unterschrift zu versehen habe. Ich lese über die Risiken, die Nachwirkungen einer solchen Operation und eventuelle Komplikationen. Doch egal was ich alles lese, meine Meinung steht fest. Während Dr. Carter sämtliche Tests zu meiner allgemeinen Gesundheit durchführt, sitze ich nervös daneben. Plötzlich fällt mir etwas ein. Fuck.

"Dr. Carter, wäre es möglich, dass ich kurz meine Mutter anrufe? Sie soll Bescheid wissen", erkläre ich. - "Selbstverständlich, tun Sie das. Es dauert noch einen Moment, bis das endgültige Testergebnis vorliegt, aber bis jetzt würden Sie als potenzieller Spender infrage kommen", sagt sie. Zufrieden wähle ich die Nummer meines Zuhauses in Doncaster. Bitte Mum, nimm das Telefon ab, bete ich. Hoffentlich ist sie nicht auf Arbeit, das wäre wirklich-
"Johannah Deakin?", vernehme ich die Stimme meiner Mutter.

"Mum?", frage ich unsicher.

"Louis, Schatz! Schön, dich zu hören! Wie kommt es dass du anrufst?", fragt sie. Ich hole Luft, möchte ihr erklären, dass ihr Sohn gleich unters Messer kommt und eine Niere loswird, doch irgendetwas hindert mich daran.

"Ich... ich wollte dir nur sagen, dass ich euch lieb habe", murmle ich. Total unauffällig, ich weiß, aber ich kann ihr gerade einfach nicht mehr als das sagen.

"Das ähm... wir haben dich natürlich auch lieb, Honey. Ist alles okay bei dir?", fragt sie besorgt. - "Nein ich ähm... hatte gerade einfach ein wenig Heimweh. Ich wollte mal wieder deine Stimme hören", sage ich leise. Dann höre ich sie seufzen. "Wir vermissen dich auch. Harry und du müsst uns bald mal wieder besuchen, ja? Wie geht es deinem Freund denn?", fragt meine Mum. Ich muss schlucken und mir schießen wieder einmal die Tränen in die Augen. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter.

"Ihm geht es... Mum ich muss Schluss machen. Richte bitte an alle viele Grüße aus, ja?" Bevor sie noch etwas sagen kann, habe ich aufgelegt. Dr. Carter sieht mich einen Moment mitfühlend an und wendet sich dann wieder dem Blatt zu, das gerade aus dem Drucker kommt. Sie liest einen Moment mit gerunzelter Stirn, bevor sich ihre Miene wieder zu einer freudigen verwandelt. "Gott sei Dank, Mr. Tomlinson, Sie kommen als Spender infrage!" Begeistert springe ich auf. "Dann geht's jetzt los?", frage ich. Sie wirft einen Blick auf die Uhr und nickt.

"Ja, es wird höchste Zeit. Die Kollegen, die Mr. Styles operieren, müssten bald soweit sein. Sie haben Harry bereits auf eine Spende vorbereitet. Es ist die letzte Möglichkeit und wir hatten die Hoffnung, im letzten Moment ein Spenderorgan zu erhalten. Was ja jetzt glücklicherweise auch der Fall ist", sagt sie, während wir zum Operationssaal laufen. Ich erhasche noch einen Blick auf Anne und Gemma, die nervös auf den Boden starren.

Ich bekomme einen speziellen Kittel angezogen, während alle Ärzte und Anästhesisten sich bereits vorbereiten. Ein junger Mann erklärt mir noch kurz den Ablauf der Operation. Ich werde auf jeden Fall eine Vollnarkose erhalten. Während ein paar Schläuche an mich angeschlossen werden, schaue ich starr an die Decke. Ich bin nervös. Es ist aber nicht so, dass ich um mein eigenes Leben bange, sondern viel mehr um Harrys. Wenn sein Körper meine Niere abstößt, ist das sein Todesurteil.

Nein, Louis! Halt deine Klappe! Das wird nicht passieren. Harry wird wieder gesund. Es wird alles gut gehen. Immer wieder rede ich mir diese Worte ein.

Der junge Mann von gerade eben kommt wieder zu mir und hält die Atemmaske in seiner Hand. "Also Louis, ich werde Ihnen gleich diese Maske aufsetzen. Wir werden gemeinsam von zehn runter auf eins zählen. Wichtig ist, dass Sie dabei an etwas Schönes denken. Ich habe gehört, die Niere ist für Ihren Freund?", fragt er. Ich nicke und starre ihn an. "Dann denken Sie an ihn. Stellen Sie sich vor, wie sie nach der Genesung gemeinsam glücklich aus diesem - nach Desinfektionsmittel stinkenden, sterilen Gebäude herausspazieren." Ich nicke erneut.

"Okay, dann beginnen wir jetzt mit der Narkose, einverstanden?" Und wieder nicke ich.

Ich bekomme die Maske aufgesetzt und bemühe mich, gleichmäßig ein - und auszuatmen.

"Zehn", sagen wir gemeinsam.

"Neun".

"Acht".

"Sieben".

"Sechs". Langsam wird mir etwas schummerig vor den Augen.

"Fünf ". Der junge Mann, der mit mir zählt, sieht auf einmal aus wie Harry. Seine grünen Augen blitzen mich an und eine Locke hängt ihm in die Stirn.

"Vier". Ich höre seine Stimme immer leiser- wie durch Watte. Die Sicht verschwimmt, doch ich schließe die Augen noch nicht. Ich möchte Harry weiterhin sehen.

"Drei". Ich bringe nurnoch ein leises Flüstern heraus. Alles kribbelt und fühlt sich taub zugleich an. Auf einmal erscheinen vor meinen Augen grüne Smaragde. Sie glitzern und funkeln im Sonnenlicht.

"Zwei". Ich sehe einen Schmetterling. Oder eine Motte? Sie ähnelt Harrys Tattoo unter der Brust. Die Motte fliegt in Richtung des Lichts - das helle Funkeln der Smaragde.

"Eins". Und dann ist alles schwarz.

~*~

"Louis?", höre ich eine wunderschöne Stimme. "Hallo, Engel. Hörst du mich?" Wieder dieser angenehme Klang. Verwirrt öffne ich die Augen und blinzle in das helle Licht. Ich strecke meinen Körper aus. An der einen Seite spüre ich ein leichtes Ziehen, doch ich kann an dieser Stelle nichts sehen, sie ist von Nebel umgeben. Ich runzle die Stirn und setze mich auf. Ich liege auf etwas Weichem. Verwirrt blicke ich um mich herum. Plötzlich sehe ich, worauf ich liege. Es ist ein - Regenbogen?!

Ich schließe die Augen und reibe mit meinen Handballen darüber. Als ich sie wieder öffne, hat sich jedoch fast nichts geändert. Nur eine Kleinigkeit. Doch diese macht einen gewaltigen Unterschied. Vor mir sitzt eine Person, die von hellem Licht umgeben ist. Um sie herum fliegen Schmetterlinge.

Das grelle Licht verschwindet langsam und ich erkenne, wer es ist. Harry.

"Da bist du ja", sagt er lächelnd.

"Was heisst da? Wo bin ich?", frage ich, immernoch verwirrt. - "Wir sitzen auf einem Regenbogen", erklärt Harry. Seine Locken wehen im leichten Wind und seine Augen funkeln. Er trägt eine Kette, an der ein kleiner Smaragd baumelt. Ein grüner Schmetterling kommt herbeigeflogen und landet auf Harrys Haaren.

Harry kichert und stupst den Schmetterling sanft mit seinem Finger weg. Ich beobachte ihn lächelnd. Mein Freund sieht genauso aus, wie ich ihn kenne und liebe. Allerdings gibt es einen kleinen Unterschied.

Er sieht glücklich aus.

"Harry?", frage ich. Er sieht mich mit leuchtenden Augen an und lässt die Füße vom Regenbogen baumeln.
"Ja?"

- "Bin ich tot?", frage ich direkt heraus. Ich bekomme einen verwirrten Blick zugeworfen. "Ich weiß nicht. Fühlst du dich denn tot?", stellt Harry als Gegenfrage. - "Ich... denke nicht. Und... also... bist du tot?"

Harry kichert erneut. "Nicht dass ich wüsste". Erleichtert atme ich tief durch. Harry beobachtet die Schmetterlinge, die um uns herum fliegen. "Es ist so schön hier, oder?", fragt er leise. Ich nicke und lege meinen Kopf in den Nacken. "Ja, da hast du recht." Über uns scheint die Sonne angenehm warm und leuchtet auf uns herab. "Weisst du noch, als wir uns das erste mal geküsst habe", meint Harry. Ich nicke und muss lächeln, wenn ich daran zurückdenke.  "Als könnte ich das vergessen", murmle ich.

"Ich glaube ich habe mich damals auf der Stelle in dich verknallt", gibt Harry schüchtern zu. Ich schaue zu ihm und er blickt mit roten Wangen in die Ferne, während er sich nervös auf seiner Unterlippe herumkaut. "Hör auf damit. Du machst nur deine wunderschönen und weichen Lippen kaputt", sage ich und streiche mit meinem Daumen darüber. Harry löst seine Zähne wieder und grinst mich verschmitzt an. "Dann küss mich doch stattdessen".

Dem gehe ich nur zu gerne nach. Ich beuge mich zu ihm herüber, doch Harry hat wohl andere Pläne. Er setzt sich kurzerhand auf meinen Schoß mit je einem Bein pro Seite. Dann verschränkt er seine Arme hinter meinem Nacken, schließt die Augen und spitzt abwartend die Lippen. Ich überbrücke den restlichen Abstand zwischen uns und sofort breitet sich wieder dieses unglaubliche Kribbeln in meinem Bauch aus. Harry passt sich meiner Bewegung an und öffnet bereitwillig seinen Mund etwas mehr, sodass meine Zunge hineingleiten kann.

Ich stupse seine Zunge immer wieder neckisch an, sodass sich ein wilder und verlangend Tanz daraus entwickelt. Harry seufzt genüsslich in den Kuss und lehnt sich mehr an mich. Meine Hände, die zuvor um seine Taille lagen, wandern seinen Rücken hoch und vergraben sich in Harrys Locken. Als ich leicht daran ziehe, keucht er überrascht und intensiviert den Kuss noch mehr als ohnehin schon.

Bevor ich die Kontrolle über mich verliere, löse ich mich langsam wieder von Harry. Er holt tief Luft und lehnt seine Stirn an meine. "Das war unglaublich schön", flüstert er. Ich gebe ein zustimmendes Brummen von mir.

Plötzlich richtet Harry sich auf und schaut mich erschrocken an. "Ich muss gehen, Louis", sagt er hastig.

"Was?! Aber wohin denn?", frage ich und kralle seine Hand fest. - "An den gleichen Ort wie du. Wir sehen uns bald wieder. Ich liebe dich, Louis. Du bist mein Schutzengel. Du zeigst mir immer und immer wieder, wie schön das Leben ist. Ohne dich hätte ich längst nicht die Kraft, das hier alles durchzuhalten. Und jetzt schenkst du mir auch noch ein zweites Leben. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, mein Engel. Ich liebe dich so sehr, vergiss das nie".

Ehe ich noch etwas erwidern kann, verblasst Harry immer mehr und der sanfte Druck von seinen Fingern, die mit meinen verschränkt waren, verschwindet. Ich kann noch einen kurzen Blick auf meinen wunderschönen Freund erhaschen, wie er mir einen Kuss auf die Wange haucht, bis er schließlich im Nebel verschwunden ist.

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Bitte das Voten nicht vergessen😊

Was sagt ihr zu Louis' Traum? Ausser dass er kitschig ist?😂

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