Kapitel 62

Harry klammert sich weinend und schluchzend an mich, während mir der Atem ausbleibt. Ich kann einfach nicht fassen, was er mir da gerade erzählt hat. Natürlich habe ich so etwas in der Art schon vermutet, aber das jetzt so zu hören, ist einfach nur schrecklich. Harry hat einfach alles Gute dieser Welt verdient, aber sicherlich nicht so etwas.

"Was soll ich denn jetzt machen?", bringt er zwischen einigen Hicksern vom Weinen hervor und sieht mich mit tränenverschleierten Augen an. "Ganz ehrlich-ich weiß es nicht, Harry. Ich denke nicht, dass du zur Polizei gehen möchtest, oder?" Zu meiner Verwunderung zuckt Harry mit den Schultern. Ich hätte gedacht, dass er sofort abgeblockt, aber ein Schulterzucken ist ein Zeichen der Unentschiedenheit und nicht der kompletten Ablehnung. "Du ziehst es also in Betracht?", hake ich daher nach. - "Ich weiß nicht was ich machen soll, Louis. Auf der einen Seite möchte ich dich in Sicherheit wissen, aber das geht nur wenn Jack hinter Gittern ist. Aber auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll. Ich habe keine Beweise, mir würde niemand glauben und dann ständen vier Aussagen gegen eine", erklärt er leise. Dass es ihm anscheinend in erster Linie um meine Sicherheit geht schmeichelt mir enorm, doch ich möchte vor allem, dass Harry nicht noch mehr passiert als ohnehin schon.

"Und was hältst du von einem DNA-Test?", schlage ich vor, woraufhin ich einen verwirrten Blick ernte. "Naja ich meine... angenommen du würdest das heute bei der Polizei melden, dann würde bestimmt ein DNA-Test durchgeführt werden. Dann können sie ja feststellen, ob deine Aussage stimmt oder nicht". Für einen Moment schaut Harry aufgrund dieser Idee etwas zuversichtlicher, doch dann fällt seine Miene wieder. "An sich keine schlechte Idee, aber die vier würden behaupten, alles wäre einvernehmlich abgelaufen", entgegnet er.

"Aber Harry, so wie du humpelst und alles hast du mit Sicherheit starke Verletzungen und ich rede nicht von ein paar blauen Flecken, sondern... eben... du weisst schon... im Analbereich. Da würde niemand denken, dass du solche Verletzungen freiwillig zulässt". Als ich seinen Gesichtsausdruck sehe, wünsche ich mir augenblicklich, ich hätte mich anders ausgedrückt. Harry wird knallrot, kneift die Augen zusammen und blickt beschämt zur Seite. "Ich wusste doch, du findest mich jetzt ekelig", flüstert er. Bestürzt greife ich nach seiner Hand und rücke vorsichtig etwas näher zu ihm. "Fuck Harry, so war das doch nicht gemeint! Rede dir doch so etwas nicht ein! Für mich bist du immernoch der gleiche junge Mann, in den ich mich verliebt habe und der mir alles bedeutet. Genau aus dem Grund möchte ich auch nicht, dass so etwas wieder passiert und wir uns stattdessen einen Weg überlegen, wie wir Jack der Polizei ausliefern können", sage ich.

Harry sieht mich endlich wieder an und ich kann gar nicht anders, als meine Arme um ihn zu schlingen. Im ersten Moment zuckt er erschrocken zurück, doch dann drückt er sich an mich und seufzt. "Ich liebe dich auch", murmelt mein little spoon an meine Brust, was mir eine Gänsehaut beschert. Einige Minuten bleiben wir in dieser Position sitzen. Irgendwann schnauft Harry jedoch etwas merkwürdig und wird unruhig, weshalb ich mich von ihn löse und meinen Freund fragend ansehe. "Alles klar?"

Für meinen Geschmack etwas zu eilig nickt er. "Harry?", hake ich erneut nach, da sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn bilden, die er sich schnell wegwischt. "Es ist alles okay", nuschelt er, was ich jedoch kaum verstehe, da er die Zähne zusammengebissen hat. "Hazza, bitte sei ehrlich mit mir. Ich merke doch, dass etwas nicht mit dir stimmt. Magst du die Nähe gerade nicht? Soll ich mich weiter weg setzen?", frage ich und will wieder etwas zur Seite rutschen. Sofort schüttelt er den Kopf und behält mich bei sich. "Aber was ist denn dann los? Du kannst mir doch vertrauen".

"Ich ähm... hab... ich hab etwas Schmerzen. Das habe ich gerade nur etwas mehr beim längeren Sitzen gemerkt", sagt Harry leise. - "Darf ich fragen, wo du überall Schmerzen hast?", entgegne ich vorsichtig. Ich möchte ihm auf keinen Fall zu nahe treten oder in die Ecke drängen. - "Es... naja... überall?"

Besorgt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. "Sollen wir nicht vielleicht doch ins Krankenhaus?" Ein entschiedenes Kopfschütteln. "Dann zum Arzt?" Erneut eine Verneinung. "Kann... also... kann ich es mir dann vielleicht anschauen? Zumindest die  Verletzungen am Oberkörper? Ein bisschen kenne ich mich ja inzwischen aus und so kann ich Schlimmeres gegebenenfalls ausschließen", schlage ich vor, bereit, eine Abfuhr zu erhalten. Doch zu meinem Erstaunen sinkt Harry für einen Moment noch etwas mehr in sich zusammen, bevor er ganz zaghaft nickt. "Wenn das für dich okay wäre?", versichert er sich. - "Natürlich ist es das, Hazza".

Seufzend richtet er sich auf und beginnt damit, sein Hemd aufzuknöpfen. Obwohl er noch ein T-Shirt darunter trägt, sehe ich bereits jetzt an seinen Armen einige Hämatome und Kratzer. Vor allem an seinen Handgelenken ist die Haut stark gerötet, teilweise aufgerissen und außenherum komplett lilablau. Auch an seinen Oberarmen sind deutliche Handabdrücke zu sehen, wo sich teilweise die Fingernägel der perversen Monster in die Haut gebohrt haben. Als er sein Shirt ebenso über den Kopf gezogen hat, ziehe ich bestürzt die Luft ein. Am Hals ist ein deutliches Würgemal zu erkennen, der komplette Bauchbereich ist ebenso dunkellila und eine linke Rippe steht verdächtig hervor. Augenblicklich treten mir die Tränen in die Augen. Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, die Harry gelitten haben muss. Die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein.

Als er sich ein wenig dreht, erkenne ich Kratzer auf dem Rücken, die ständig neu aufreißen, sobald Harry sich zu viel bewegt. Am schlimmsten ist jedoch sein unterer Rücken. Starke Handabdrücke sind zu sehen, aber am meisten Sorge bereitet mir sein Steißbein- zumindest bis wohin ich es sehen kann. Der untere Teil der Wirbelsäule ist merkwürdig angeschwollen und verfärbt. Vor Schock bemerke ich gar nicht, wie ich beide Hände vor meinen Mund geschlagen habe und die Tränen in Strömen meine Wangen herunterlaufen. Harry so zu sehen, bereitet mir selbst Schmerzen- nicht nur seelisch sondern auch körperlich. Mein Herz zieht sich krampfhaft zusammen und ich habe das Gefühl, nicht mehr normal atmen zu können.

Erst als Harry plötzlich meine Hände von meinem Gesicht wegnimmt, sie zu seinem Mund führt und einen sanften Kuss daraufhaucht, erwache ich aus meiner Schockstarre. "Es sieht schlimmer aus, als es ist", flüstert er. - "Harry das... das kann nicht dein Ernst sein! Wir müssen mit dir ins Krankenhaus! Deine Rippe ist vermutlich gebrochen und dein Steißbein mehr als nur leicht angeprellt. Vor allem kann ich keine inneren Verletzungen ausschließen, da dein kompletter Bauch dunkellila ist. Ich mein... darf... darf ich kurz mal-", ich halte inne und gehe mit meinen Händen in Richtung seines Bauchs. Langsam und mit einem skeptischen Blick nickt er und lehnt sich leicht zurück. Vorsichtig lege ich meine Hände auf seinen Bauch und taste diesen etwas ab. Mit großen Augen starre ich Harry an. "Harry dein Bauch ist steinhart! Du hast mit Sicherheit innere Verletzungen, vermutlich ein stumpfes Bauchtrauma oder eine Milzruptur! Du musst ins Krankenhaus, bitte!"

Entschieden schnappt Harry sich sein Shirt, streift es sich über den Kopf und steht von der Couch auf. "Nein, ich will das nicht!", ruft er wütend. "Schatz bitte. Ich gehe natürlich auch mit und die Ärzte werden nichts tun, was du nicht möchtest, aber wir müssen das abklären lassen. Wenn das wirklich eine innere Ruptur ist, zählt je nach Schweregrad jede Minute, da du sonst zu viel Blut verlierst!"

"Ich möchte da nicht hin, Louis", sagt Harry mit Tränen in den Augen. Er ist extrem blass im Gesicht und weicht vor mir zurück, als ich einen Schritt auf ihn zugehe. Sofort bleibe ich stehen. "Verdammt ich will aber nicht, dass du stirbst!", rufe ich in einem regelrechten Kreischton. "Das werde ich schon nicht! Ich laufe seit gestern Abend hier herum und es ist nichts Schlimmeres passiert, also wird auch weiterhin nichts sein", versucht er mich zu überzeugen. Kopfschüttelnd wende ich mich von ihm ab und schaue aus dem Fenster, um zu überlegen. Ich kann es nicht riskieren, dass Harry unbehandelte, innere Blutungen hat, die im Schlimmsten Fall tödlich enden, aber gleichzeitig kann und will ich meinen Freund auch nicht zwingen, sich von fremden Menschen berühren und untersuchen zu lassen. Vor allem würden diese wissen wollen, was passiert ist.

Irgendwann höre ich, wie Harry hinter mich tritt und seine Arme um mich legt und vor meinem Bauch verschränkt. Seinen Kopf legt er auf meiner Schulter ab. "Ich habe eine Idee", sagt er zögerlich. - "Und die wäre?"

- "Ich muss heute nicht ins Krankenhaus, sondern schlafe hier bei dir. Sollte ich in der Nacht irgendetwas feststellen, dass die Schmerzen schlimmer werden oder sich etwas komisch anfühlt, gehe ich sofort in die Notaufnahme, ohne Diskussion. Einverstanden?"

Eine ganze Weile lasse ich mir seine Idee durch den Kopf gehen. Allerdings fällt mir keine bessere Lösung ein, mit der wir beide zufrieden sind, weshalb ich im Endeffekt ergeben nicke. "Danke, Lou. Das werde ich dir nie vergessen. Ich liebe dich", sagt Harry.

"Freu dich nicht zu früh. Ich werde dich die ganze Nacht im Auge behalten und bei der kleinsten Veränderung fahren wir. Weil ich dich nämlich auch liebe".

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