Kapitel 59
Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt habe, gehen Niall und ich in die Cafeteria zu Liam und Zayn zurück. Ich habe die Hoffnung, jetzt mit meinem Freund reden zu können, doch Harry ist immernoch nicht wieder gekommen. Ich denke inzwischen auch nicht, dass er sich überhaupt noch hier im Gebäude aufhält. Während Niall die beiden Jungs mehr oder weniger eingeweiht, überlege ich fieberhaft, wo der Lockenkopf stecken könnte. Bei sich zu Hause wird er bestimmt nicht sein. Das ist mit Sicherheit der letzte Ort, an dem er jetzt sein möchte, vorausgesetzt Niall hat wirklich Recht mit seiner Vermutung. Natürlich stimmt alles überein, was er mir erzählt hat, doch in mir ist immernoch ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass er sich täuscht. Harry darf das einfach nicht erneut passiert sein, verdammt! Es hätte nie passieren dürfen, doch leider Gottes kannte ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht und konnte somit nicht für ihn da sein.
Während ich immer mehr in Gedanken versinke, bemerke ich nicht, dass Niall, Liam und Zayn mich besorgt mustern. Auch die lauten Geräusche der anderen Studenten und das Klappern des Geschirrs in diesem Raum blende ich aus. In mir dreht sich alles nur um Harry. Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare. Wo kann er nur sein?! In meiner Wohnung ist er bestimmt auch nicht, immerhin ist er vorhin regelrecht vor mir geflüchtet. Fuck, ich möchte ihm doch helfen!
"Louis, iss doch erst einmal etwas, derweil kannst du immernoch überlegen, wo Harry ist", bittet Liam mich. Ich schüttle nur abwesend den Kopf und schiebe den Teller zurück, den er mir reicht. - "Aber warum soll das denn genau jetzt erneut passiert sein? Es ist doch nichts vorgefallen, was Louis und Harry verraten könnte, oder?", fragt Zayn nachdenklich. Genau das habe ich mich ja auch schon gefragt. Natürlich ist es möglich, dass Jack diese Typen einfach zu seiner eigenen Belustigung zu Harry geschickt hat, aber mein Bauchgefühl sagt mir etwas Anderes. Ob es damit was zu tun hat, dass gestern irgendjemand in der Schwimmhalle war? Hat mich jemand verfolgt?
"Fuck, ich hab keine Ahnung, Zayn! Wenn ich das nur wüsste! Aber egal wegen was es auch war, ich muss zu Harry. Ich möchte nicht, dass er allein ist... ich habe aber keine Ahnung, wo...-", plötzlich kommt mir ein Gedanke. Das ist es!
"Niall, bitte sag mir, dass du mit deinem Auto hier bist!", flehe ich. - "Ja, bin ich, wieso?", fragt er verwirrt.
"Ich glaube, ich weiß wo er ist, aber dafür brauche ich ein Auto! Ich fahre auch vorsichtig, versprochen", sage ich. Normalerweise vertraut mir niemand sein Auto an, da ich wirklich kein guter Fahrer bin, aber gerade ist es meine letzte Möglichkeit, zu Harry zu gelangen. Niall runzelt die Stirn, überlegt ein paar Sekunden, greift dann aber schlussendlich in seine Jackentasche und nimmt seinen Autoschlüssel heraus, den er mir zuwirft.
Ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu, bevor ich Hals über Kopf aus der Cafeteria renne. "Pass auf dich auf!", höre ich meinen besten Freund noch rufen. Ich laufe durch die Parkplatzreihen auf der Suche nach Nialls Auto. Als ich es endlich gefunden habe, schließe ich schnell die Türen auf und springe in den Wagen. Mit quietschenden Reifen rase ich los. Bitte lieber Gott, lass mich mit meiner Vermutung richtig liegen, dass Harry dort ist, wo ich denke!
~*~
Die Fahrt zieht sich. Obwohl ich gefühlt durchgehend mit ganzer Kraft auf das Gaspedal eintrete, wird der Wagen nicht schneller. Ich verfluche Nialls Schrottauto. Aber besser als gar keins, sonst wäre ich jetzt nicht hier.
An meinem Ziel angekommen, lege ich eine Vollbremsung in einer freien Parklücke am Straßenrand ein und springe aus dem Wagen. Mein Herz klopft schnell gegen meine Brust und ich fange an zu schwitzen. 'Harry, ich liebe dich so sehr. Bitte, lass mich dir helfen', flehe ich in stummen Gedanken immer und immer wieder. Schnell klettere ich die klapprige Wendeltreppe aus Eisen nach oben. Immerhin liegt heute kein Schnee, sodass ich keine Angst haben muss, zu fallen. Mit zitternden Händen erklimme ich die Leiter, die auf die Treppe folgt. Als ich die letzte Sprosse überwunden habe, kneife ich kurz betend die Augen zusammen, dass Harry wirklich hier ist.
Als ich sie wieder öffne, stoße ich beinahe einen erschrockenen Schrei aus. Ich kann mich gerade noch so zurückhalten. Das Bild, was sich mir bietet, jagt mir Angst ein. Große Angst.
Langsam laufe ich ein paar Schritte weiter.
Ich achte darauf, keinen Lärm von mir zu geben, um ihn nicht zu erschrecken.
Mein Atem geht schnell.
Meine Hände zittern und mir läuft eine Träne die Wange hinunter.
Ich versuche, den Kloß in meinem Hals loszuwerden.
"Du bist hier", unterbricht mich plötzlich die Stimme, die wie Musik in meinen Ohren klingt.
"Wo soll ich denn sonst sein, wenn nicht bei dir?", frage ich leise.
"Wie hast du mich gefunden?", fragt Harry, ohne sich zu mir umzudrehen.
"Du hast mir mal erzählt, dass du hier gern herkommst, wenn du nachdenken oder allein sein willst. Wobei ich natürlich hoffe, dass nur Ersteres davon zutrifft", erkläre ich.
Wir stehen auf dem Dach des Krankenhauses, in dem seine Mutter arbeitet. Ich weiß noch genau, wie Harry mich abends nach dem Schwimmtraining hierher entführt hat, um mir diesen Ort zu zeigen. Es fiel Schnee und die Lichter der Stadt funkelten uns entgegen, während wir aneinandergekuschelt auf der Bank saßen und Tee tranken.
Harry steht ein paar Meter entfernt mit dem Rücken zu mir. Seine Haare wehen sanft im Wind und er hat eine leicht gekrümmte Haltung. Die Hände hat er in seinen Jackentaschen versteckt. Doch das ist nicht das, was mir so Angst einjagt. Viel mehr beängstigt mich, wie dicht Harry am Abgrund des Gebäude steht. Ein stärkerer Windstoß und er würde fallen.
"Ich weiß nicht, was davon zutrifft", murmelt er in dem Moment so leise, dass ich es kaum verstehen kann. - "Aber ich weiß es. Denn egal ob du allein sein willst, du bist es nicht. Ich bin für dich da. Immer".
Harry schluchzt gedämpft. Sein ganzer Körper bebt. Verdammt, wie gern würde ich ihn jetzt in dem Arm nehmen, aber ich habe Angst, dass er springt, wenn ich jetzt etwas Unüberlegtes von mir gebe. Verzweifelt überlege ich, was ich tun könnte, doch irgendwann entscheidet einfach mein Herz.
"Egal was passiert ist oder noch passieren wird, ich werde dich nicht allein lassen. Das würde ich niemals und könnte ich auch nicht. Harry, du bist alles für mich. Ohne dich kann ich nicht leben, auch wenn ich es leider viel zu spät gemerkt habe. Ich liebe dich. Ich habe noch nie jemanden nur ansatzweise so sehr geliebt, wie dich. Bitte lass mich nicht allein. Wenn du gehst, gehe ich mit", schluchze ich und gehe näher zu ihm.
"Ich liebe dich", flüstere ich.
Mein Herz steht still, als ich eine Bewegung von ihm wahrnehme. Während ich meinen Freund weiter beobachte, halte ich unbewusst die Luft an.
Er dreht sich zu mir um.
Ich blicke in seine Augen.
Sofort ziehe ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Ich habe noch nie einen so traurigen und zerstörten Gesichtsausdruck wie diesen gesehen. Harry ist am Ende. Seine Augen strahlen nicht. Sie sind matt und trüb, doch trotzdem laufen Tränen aus ihnen. Darunter haben sich tiefe, dunkellila Augenringe gebildet und seine Mundwinkel zeigen nicht mehr dieses wunderschöne Strahlen, was ich so liebe. Sofort schießen auch mir wieder die Tränen in die Augen.
"Glaubst du wirklich, ich lasse dich allein?", fragt er mich leise, wobei er meinem Blick standhält.
"Tust du es denn?", entgegne ich zögerlich.
Harry schluckt und schaut in den Himmel. Gerade zieht ein Schwarm Vögel über uns hinweg. Einige Sekunden vergehen, bevor er zu einer Antwort ansetzt. "Ich weiß es nicht. Ich wäre auch gerne so frei wie sie", sagt er und verfolgt mit seinen Augen weiterhin die kleinen Flieger über uns.
"Harry, schau mich an", bitte ich ihn, doch er hört nicht auf mich.
"Harry, bitte", versuche ich es erneut. Erfolglos.
"Hazza"
Dann endlich schaut er mir in die Augen. "Du kannst frei sein, okay? Wir finden einen Weg, aber nur zusammen. Ich werde dich nicht gehen lassen, hörst du? Dafür liebe ich dich viel zu sehr", hauche ich.
Plötzlich fängt sein Körper erneut an, zu beben. Die Tränen laufen in Strömen aus seinen wunderschönen grünen Augen und er schluchzt laut. Zitternd versucht er Luft zu holen.
Verzweifelt überlege ich, was ich machen soll, doch auf einmal wankt Harry auch mich zu, fällt mir in die Arme und reißt mich schluchzend mit sich zu Boden.
Immer wieder streiche ich ihm seine Locken aus der Stirn, lasse meine Hände beruhigend an seinem Rücken auf und ab fahren und flüstere leise Liebeserklärungen in sein Ohr. Harry klammert sich an mir fest und stößt immer wieder klägliche Laute aus. Inzwischen ist mein Pullover unter der geöffneten Jacke nahezu durchnässt von Harrys Tränen, doch das ist mit so was von egal. Alles was zählt ist, dass er hier bei mir ist. Seine zittrigen Hände halten sich an meiner Jacke fest, während er weiterhin bebt.
Als er sich jedoch nach einigen Minuten immernoch nicht beruhigt und sein Atem unregelmäßig und schnell wird, kommt mir eine Idee.
Ich lege seine Hand über mein Herz, wo er gleich sein Ohr daneben legt, um dem Rhythmus meines Herzschlags zu verfolgen. Ob er dies bewusst tut oder nicht, ist mir egal, Hauptsache es wirkt. Gleichzeitig beginne ich ein Lied zu summen. I found. Der Song, der uns immer wieder begleitet, seit wir uns kennen. Der Song, der unsere Situation widerspiegelt. Der uns zeigt, wie sehr wir uns lieben, trotz der ganzen Scheiße um uns herum.
I'll use you as a warning sign
That if you talk enough sense then you'll lose your mind
And I'll use you as a focal point
So I don't lose sight of what I want
And I've moved further than I thought I could
But I missed you more than I thought I would
And I'll use you as a warning sign
That if you talk enough sense then you'll lose your mind
Zufrieden nehme ich nach einiger Zeit wahr, wie sich Harrys Atmung wieder etwas beruhigt und sein Körper entspannter in meinen Armen liegt.
"Ich liebe dich, mein Hazza".
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