Kapitel 56

"Louis, beeil dich, sonst kommen wir noch zu spät!", ruft Harry aufgedreht und tritt nervös von einem Fuß auf den anderen, während ich mir gerade meine Schuhe anziehe. "Entspann dich doch mal, Hazza. Es ist früh genug und mit dem Auto sind wir doch relativ schnell da. Außerdem ist auf einen Sonntag weniger auf den Straßen los", entgegne ich mehr oder weniger genervt. Schon den ganzen Morgen ist Harry so aufgedreht und lässt mich nicht mal eine Minute zur Ruhe kommen.

"Komm jetzt!", ruft er und ehe ich mich versehe, hat er meine Wohnung auch schon verlassen. Gestresst seufze ich, schnappe mir Harrys Schal und Mütze und renne ihm hinterher zu seinem Auto vor der Tür. Er sitzt bereits hinter dem Lenkrad und trommelt unruhig darauf herum. "So du entspannst dich jz mal, sonst sage ich dem Kutschfahrer, dass wir nicht kommen können", sage ich entschlossen, während er mich wie ein kleines Kind beleidigt anschaut.

Grinsend setze ich ihm seine Mütze auf und schlinge meinem Freund den Schal um den Hals. Immerhin hat es wieder geschneit und ich habe keine Lust, dass er später krank zu Hause sitzt. "Können wir jetzt endlich los?", fragt er, ist inzwischen jedoch etwas ruhiger.

"Ja, fahr schon los, du kleines Kind", sage ich und bringe ihn damit zum Grinsen. - "Tut mir leid, wenn ich mich einfach freue. Ich habe schon seit Jahren kein Pferd mehr angefasst", argumentiert er und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich streiche ihm sanft darüber, während ich vorsichtig frage: "Wie kam es eigentlich dazu, dass du Reitstunden hattest?"

Seufzend hält er ein paar Sekunden inne, bevor er anfängt zu erzählen. "Ich war zehn Jahre alt, als mein Vater Robin an Krebs starb. Er war Mums große Liebe und einfach die gute Seele der Familie. Er hat Gemma und mir die schönste Kindheit beschafft, die man sich wünschen kann, obwohl wir damals nicht viel Geld hatten. So kam es dann auch, dass ich mit 8 Jahren Reitstunden nehmen durfte. Ich glaube, er wusste schon immer, dass ich etwas anders ticke.

Nachdem er gestorben ist, hat es ein paar Jahre gedauert, doch dann hat meine Mum Jack kennengelernt. Ich war 16, als er zu uns gezogen ist. Anfangs war alles okay, wir haben uns nicht direkt gestritten oder so, aber ich habe immer gemerkt, dass er Gemma und mich nicht leiden kann. Besonders mich. Kaum dass er bei und war, durfte ich nicht mehr reiten gehen. Schwimmen hat er mir gerade noch erlaubt. Und dann... ist eben die ganze restliche Scheiße passiert", erzählt er leise. Währenddessen halte ich weiter seine Hand und drücke sie leicht, damit er weiß, dass ich für ihn da bin und ihn für nichts verurteile.

"Das tut mir unfassbar leid", sage ich nach einem kurzen Moment. "Du hast besseres verdient als dieses widerliche Arschloch", versichere ich ihm. Er zuckt allerdings nur mit den Schultern, als würde er mir nicht wirklich zustimmen. Weil ich nicht weiß, was ich darauf sagen soll, schweigen wir die restliche Fahrt.

Auf den Parkplatz angekommen, schnalle ich mich schnell ab und klettere auf Harrys Schoß. Es ist zwar ziemlich eng, aber da Harry relativ weit hinten sitzt, wegen seiner langen Beine, passe ich genau dazwischen. Ich schließe meine Arme eng um seinen Nacken und drücke seinen Kopf in meine Halsbeuge. Er legt seine Hände an meine Taille und hält mich fest, während er tief durchatmet. "Irgendwann kannst du diese ganze Scheisse hinter dir lassen, das verspreche ich dir. Zusammen schaffen wir das", versichere ich.

"Danke für alles", murmelt er leise und gibt mir einen Kuss auf meinen Kieferknochen. "Doch nicht dafür", antworte ich und bemerke nach einer Weile grinsend, wie Harry tief meinen Geruch einatmet. "Stinke ich etwa?", frage ich kichernd, da seine Locken an meinem Hals etwas kitzeln. "Absolut nicht. Du riechst verdammt gut... fuck", stößt er aus und schnuppert weiter an meinem Parfüm. Lachend löse ich mich von ihm, drücke ihm einen Kuss auf die Lippen und steige aus dem Wagen.

"Na komm, kleiner Hazza. Wir gehen jetzt zu den Pferden", sage ich in einer betonten Erwachsenenstimme. Sofort folgt Harry mir, schnappt sich seine Hand und schließt den Wagen ab. "Au ja! Darf ich die denn auch streicheln?", fragt er in einer hohen Piepsstimme und schaut mich bettelnd mit Hundeaugen an. "Das werden wir dann sehen, wenn wir da sind, Baby", antworte ich.

Begeistert nickt er und zieht mich mit sich mit. Als wir an dem Ort ankommen, an dem ich mich mit den Kutscher verabredet habe, sieht man schon von weitem die Pferde. Ein pechschwarzes und ein schneeweißes. Sie sind sauber gestriegelt und glänzen in der Wintersonne, die langsam durch die Wolkendecke durchbricht und den Schnee zum Glitzern bringt.

"Hi, ich denke wir sind bei Ihnen richtig, oder? Ich bin Louis", begrüße ich den älteren Herrn, der neben den Pferden steht und uns sofort die Hand reicht. "Ja, wir haben telefoniert. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Richard", stellt er sich freundlich vor. "Dann müssen Sie Harry sein?", fragt er an meinen Freund gewandt, welcher lächelnd nickt und den Händedruck erwidert.

Während ich mich kurz mich Richard unterhalte, merke ich wie Harry immer wieder ungeduldig zu den Pferden schaut. "Da freut sich aber jemand, was?", fragt der ältere Herr lachend. Harry errötet leicht. "Kann gut sein", sagt er schüchtern. Richard geht zu der Kutsche und holt ein paar Karottenstückchen heraus, welche er Harry reicht. "Du kannst die beiden ja mal begrüßen. Der Schwarze ist Spirit und die Weiße heißt Amber. Sie sind unendlich brav und geduldig", sagt Richard.

"Hallo ihr zwei. Na, habt ihr Hunger?", sagt Harry und reicht ihnen die Leckerlies. Amber wiehert leise und schnuppert an Harrys Schal, was ihn zum Kichern bringt. Es freut mich unendlich, ihn so zu sehen. Ich hätte niemals gedacht, dass ihn mein Geschenk so riesig freuen würde. Die ganze Zeit hatte ich Angst, ich würde damit voll ins Fettnäpfchen treten, da ich ja noch nicht wusste, was damals passiert ist, dass er mit dem Reiten aufgehört hat. "Louis, gib Spirit doch auch mal ein Stück Karotte", schlägt Harry euphorisch vor, doch ich bin mir unsicher. Eigentlich hatte ich nicht vor, diese Tiere zu berühren.

Zögerlich folge ich Harry, der mich sanft zu den Pferden zieht. "Sie sind ganz lieb. Du musst nur deine flache Hand hinhalten und sie nehmen das Futter. Es passiert nichts", versichert er mir mit leuchtenden Augen. Er legt ein Stück Karotte auf meine Hand und führt sie dann zu Spirits Maul. Dieser schnuppert kurz daran und zack ist das Stück Futter auch schon weg, ohne dass ich es überhaupt groß gemerkt habe. "Streich mal über seine Nase", sagt Harry.

Etwas skeptisch folge ich Harrys Anweisung und führe meine Hand zu der Nase des schwarzen Pferdes. "Wahnsinn! Das ist ja richtig weich", staune ich. - "Siehst du, sie tun dir nichts", sagt Harry stolz lächelnd und gibt Spirit und Amber jeweils einen lobenden Klaps auf den Hals - anscheinend macht man das bei Pferden so.

"So die Herrschaften, wenn ich bitten darf?", fragt Richard und zeigt grinsend auf die Kutsche. Harry streicht beiden Pferden noch einmal über die Stirn und steigt dann die zwei Stufen nach oben, wo er sich auf die kleine Bank setzt. Ich folge ihm und sofort kuschelt er sich an mich, nachdem er die Decke ausgebreitet hat, die bereit liegt.

"Kann es losgehen?", fragt Richard und dreht sich zu uns um. Wir nicken beide und der ältere Herr schnalzt einmal mit der Zunge. Sofort spitzen die Pferde die Ohren und setzen sich in Bewegung.

"Wahnsinn!", staunt Harry immer wieder, während wir durch eine kleine Allee fahren, die mit Lichtern geschmückt ist. Inzwischen ist es schon etwas düster, sodass alles unfassbar romantisch erscheint. Zwischendurch hört man außer dem Hufgetrappel immer wieder das Schnauben eines Pferdes oder das Klirren ihrer Geschirre. Harry lehnt an mir uns atmet leichte Rauchwolken aus. Seine Wangen haben eine gesunde rote Farbe angenommen und seine grünen Augen glitzern begeistert. "Ist es so, wie du es dir gewünscht hast?", frage ich ihn leise. - "Viel besser", gibt er sofort zurück und küsst meine Handknöchel.

Richard lenkt die Kutsche zuerst ein bisschen durch die Stadt und anschließend durch einen großen Park, wo uns teilweise kleine Kinder zuwinken. Harry erwidert diesen Gruß jedes mal strahlend, was mich unendlich glücklich macht. Es erwärmt mein Herz jedes mal, wenn ich ihn so sehe. Er hat es wirklich verdient, auch mal etwas Schönes zu erleben, nachdem er die letzten Jahre so gelitten hat.

Kurz bevor die Kutschfahrt sich dem Ende zuneigt, sehe ich wieder zu ihm. "Hazza?", fange ich vorsichtig an.

"Ja?"

"Ich... hoffe wirklich, dass ich jetzt nichts kaputt mache oder dass es zu früh ist, aber ich kann es jetzt nicht länger für mich behalten", sage ich. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. - "Was möchtest du denn sagen?", fragt Harry mich zögerlich. Ich hole tief Luft. "Ich habe dir ja bereits gestanden, dass ich mich in dich verliebt habe, also...also so richtig. Ich... fuck Harry, ich liebe dich", sage ich und sehe ihm in die Augen, die sofort noch mehr leuchten, falls das überhaupt noch möglich ist.

"Wirklich?", fragt er ungläubig, aber glücklich. Ich nicke bestimmt und warte auch eine weitere Reaktion. Schließlich wischt er sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor er sich zu mir neigt. Kurz bevor sich unsere Lippen jedoch berühren, flüstert er noch etwas.

"Ich liebe dich auch, Lou. So sehr".

---
Bitte das Voten nicht vergessen😊

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top