Kapitel 35

"Lass mich bitte los!", schreie ich, doch der Griff um meinen Hals lockert sich nicht. Ich spüre die Wand in meinem Rücken, an die ich gedrückt werde. Plötzlich legen sich ein paar Hände auf meinen Schritt und fassen mich an. Ich versuche mich zu wehren, doch die Kerle sind zu dritt und deutlich stärker als ich. 

Ich kann keine Gesichter erkennen, sie sind vermummt. Verzweifelt lasse ich einen Laut von mir, was die Typen nur noch mehr anspornt. Jemand rammt mir seinen Ellenbogen in den Bauch und ich bekomme für einen Moment keinen Sauerstoff mehr in meine Lunge. Überall an meinem Körper spüre ich die Hände der Kerle.

"Du willst es doch genauso!", flüstert mir der eine in mein Ohr, wodurch ich ein paar Spucketropfen abbekomme. Angewidert versuche ich, meinen Kopf wegzudrehen, doch er zieht mich an meinen Haaren zurück. Sie reißen an meiner Hose und meinem Shirt.

Plötzlich sehe ich den Lockenkopf vor mir. "Harry... bitte... hilf mir", gebe ich verzweifelt von mir. Er mustert mich nur mit einem angewiderten und abschätzigen Blick. "Warum? Du bist doch selbst schuld. Hättest du nicht so viel getrunken, würde das hier nicht passieren", entgegnet er und fängt auf einmal an hämisch zu grinsen.

Geschockt starre ich ihn an. Wie kann er so etwas sagen?! Einer der Kerle rammt mir sein Knie in meine untere Region und ich sacke keuchend zusammen. Hart lande ich auf dem Boden. Daraufhin spüre ich einen Tritt in den Rücken und stöhne vor Schmerzen auf.

Kurz bevor ich das Bewusstsein verliere, erstarre ich. Harry schaut auf mich herunter und plötzlich steht Niall neben ihm. Sie küssen sich auf den Mund und grinsen. "Hast du echt gedacht, du würdest mir etwas bedeuten? Du bist einfach nur ein Nichts und selbst das ist zu viel. Ich liebe Niall. Du warst mir schon immer egal", sagt Harry. Niall verpasst mir noch einen letzten Tritt in die Magengegend, bevor sie sich umdrehen und weggehen. Dann wird alles schwarz...

Ich fahre hoch und sitze aufrecht in meinem Bett. Ich bin klatschnass geschwitzt. Mein Herz schlägt verdammt schnell und ich schaffe es nicht, mich zu beruhigen. Es war nur ein Albtraum. Es hat nichts zu bedeuten.  Ich konzentriere mich auf meine Atmung, die sich nach ein paar Minuten endlich wieder etwas verlangsamt.

Ich ziehe mein verschwitztes Shirt aus. Als ich mich jedoch wieder hinlegen möchte, stelle ich fest, dass auch mein ganzes Bettlaken nassgeschwitzt ist. Genervt ziehe ich es ab und schmeiße es in die Waschmaschine, die ich auch gleich anschalte. Es ist gerade mal drei Uhr nachts. 

Da ich aber keine Lust habe, mein Bett wieder zu überziehen, lege ich mich wohl oder übel auf meine Couch im Wohnzimmer. Ich werde zwar morgen wahrscheinlich mit Rückenschmerzen aufwachen, aber selbst das ist mir gerade egal. Hauptsache ich kann noch etwas schlafen- ohne Albträume.

Tatsächlich schaffe ich das dann auch mehr oder weniger. Am nächsten Morgen fühle ich mich, als wären ein paar Lastwagen über mich drüber gefahren. Mein Rücken schmerzt und ich fühle mich einfach nicht fit. Seufzend stelle ich mich unter die Dusche und schalte das Wasser auf kalt.

Anschließend stelle ich mit einem Blick in den Spiegel jedoch fest, dass selbst das nichts gebracht hat. Meine Augenringe sind deutlich zu sehen und meine Haare sehen irgendwie platt aus. Mit schlechter Laune gehe ich in mein Schlafzimmer und ziehe mir einfach eine Jogginghose und einen Hoodie an. Zu mehr habe ich heute keine Lust. Ich gehe ja nur in die Uni und nicht auf eine Modenschau.

In der Küche esse ich schnell einen Apfel, wobei ich eigentlich absolut keinen Appetit habe. Harrys Klamotten, die er mir gestern geliehen hat, lege ich ordentlich zusammen und packe sie in eine Tüte. Vielleicht sehe ich ja Liam und kann sie ihm geben. Er trifft Harry in der Uni eher als ich, da er und Zayn BWL studieren und das Gebäude dafür neben Harrys ist.

Ich schaue auf mein Handy und stelle fest, dass ich einige entgangene Anrufe habe. Einige von Harry und sogar ein paar von Niall. Verwundert schaue ich nach, ob sie mir vielleicht sogar eine Nachricht hinterlassen haben, wenn es anscheinend so wichtig war, aber der Einzige, der mir geschrieben hat, ist Liam. Er fährt heute nicht mit der Tube und wollte mir nur kurz Bescheid geben, dass ich ihn nicht suche.

Ich sperre mein Handy wieder und packe meinen Rucksack. Als ich in der Uni ankomme, sehe ich, dass Harry und Niall ein Stück neben dem Eingangsbereich stehen. Ich denke mir zuerst nichts dabei, bis ich jedoch merke, dass sie mich beobachten. Sofort muss ich wieder an meinen Traum heute Nacht denken. Ich erwarte schon regelrecht, dass mich gleich ein paar Typen packen und mich verprügeln, während sich Harry und Niall küssen.

Automatisch merke ich, wie ich blass im Gesicht werde und meine Atmung sich verschnellert. Zu allem Überfluss kommen gerade alle anderen Studenten von der Tubestation an der Uni an, wodurch ein leichtes Gedränge an den Türen entsteht. Plötzlich habe ich das Gefühl, von allen Seiten berührt zu werden, weswegen ich nicht mehr richtig Luft bekomme. 

Auf einmal merke ich, wie mich jemand am Ärmel packt und mit sich zieht. Ich will mich wehren und schreien, dass er mich loslassen soll, aber es kommt kein Ton. Plötzlich stehe ich abseits der Masse und kann langsam wieder ruhiger atmen. "Louis... was ist los?", höre ich eine bekannte Stimme und löse meinen Blick vom Boden.

Direkt vor mir steht Harry und sieht mich besorgt an. Ich höre seine Stimme wie durch Watte und bin nicht in der Lage, ihm zu antworten. Mit einem Mal steht Niall neben ihm und sie starren mich an. Ängstlich wende ich meinen Blick wieder dem Boden zu. Ich habe das Gefühl, als könnte mein Albtraum gleich Wirklichkeit werden.

"Louis, rede doch bitte mit uns", fordert Harry mich leise auf. Erstaunt über seine Ruhe sehe ich ihn vorsichtig an. Komischerweise wirkt sein Blick eher besorgt statt drohend. "Was soll ich denn sagen?", frage ich dann vorsichtig. "Zum Beispiel warum du eben wie erstarrt und bleich wie eine Wand stehengeblieben bist", schlägt Niall vor.

"Bin ich nicht", entgegne ich schlicht. "Louis, bitte", sagt mein ehemals bester Freund und verdreht die Augen. "Niall, hör auf. Dräng ihn doch nicht so", mischt Harry sich auf einmal ein und - nimmt mich in Schutz? Was ist denn mit dem schiefgelaufen?!

Plötzlich packt mich die Wut. Ich bin den beiden doch egal, da müssen sie sich jetzt nicht als die starken und barmherzigen Ritter aufspielen, bloß weil ich gerade nicht ganz bei mir war und sie mich ja netterweise gerettet haben- man beachte die Ironie. Niall und Harry können mir mal gestohlen bleiben.

"Danke Harry, aber ich brauche deine Hilfe nicht", fauche ich und spucke ihm seinen Namen förmlich entgegen, während ich beide wütend anfunkle. Erschrocken weicht er einen Schritt zurück. "Und wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, aber ich habe gleich eine Vorlesung", füge ich hinzu und wende mich gerade zum Gehen, als mir noch etwas einfällt.

Ich ziehe mir meinen Rucksack von den Schultern und ziehe die Tüte mit Harrys Klamotten heraus. Ich schmeiße sie ihm vor die Füße, mir ist egal, was Niall von der Situation halten könnte. Soll er doch wissen, dass ich mit seinem Freund gestern zusammen in der Dusche stand. Okay, das hatte zwar einen anderen Grund aber egal.

"Was ist das?", fragt Harry und hebt die Tüte auf. "Schau doch einfach nach", fauche ich und gehe nun endgültig in das Gebäude. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass sie mir nicht folgen, das hätte mir ja gerade noch gefehlt.

~*~

In der Mittagspause sitze ich ausnahmsweise mal wieder in der Cafeteria. Liam und Zayn setzen sich mit mir an einen anderen Tisch als sonst. Ich hatte zwar nicht unbedingt vor, die beiden vor eine Wahl zu stellen, aber irgendwie haben sie sich indirekt für mich und gegen Harry und Niall entschieden. Zumindest wüsste ich nicht, dass sie noch wirklich Kontakt miteinander haben.

Teilweise habe ich natürlich ein schlechtes Gewissen, weil sie auch enger mit Niall befreundet waren und mit Harry haben sie sich auch gut verstanden. Während wir essen, mustere ich das Pärchen vor mir nachdenklich. "Ich muss euch mal was fragen", sage ich dann.

"Klar, schieß los", meint Zayn und auch Liam sieht mich erwartend an. "Bin ich schuld daran, dass unsere Freundesgruppe so auseinander gegangen ist?", frage ich. Sofort schüttelt Zayn den Kopf. "Quatsch, wie kommst du denn darauf?" Ich zucke mit den Schultern und trinke ein Schluck meiner Wasserflasche. "Ich weiß nicht, irgendwie hat es doch damit angefangen, weil ich auf einmal herausgefunden habe, dass ich auch auf Männer stehe, oder?"

"Nein, denk so etwas doch nicht. Wir sind doch auch schwul und haben wir uns deshalb mit Niall gestritten? Nein. Du kannst doch da nichts dafür. Harry hat einfach scheiße reagiert und Niall hätte sich auch sparen können, deine Sexualität auszuplaudern", beruhigt mich Liam.

Und genau das schafft er auch- ich bin tatsächlich erleichtert. Während wir weiteressen, sehe ich auf einmal, wie Harry und Niall die Cafeteria betreten und sich suchend umschauen. Die denken wohl auch, dass sie wirken wie die drei Musketiere- nur dass sie eben zu zweit sind. Lächerlich.

Plötzlich kommen sie an unseren Tisch. Liam und Zayn begrüßen sie, ich dagegen bleibe stumm und widme mich weiterhin meinem Essen. Können die nicht einfach verschwinden? Ich wollte hier mit meinen Freunden sitzen und einfach in Ruhe meine Mittagspause genießen. Und da passen die zwei Musketiere einfach nicht ins Schema.

"Louis?", höre ich Harrys fragende Stimme. Ich sehe nicht auf sondern ignoriere ihn weiterhin. Ich nehme ihm vor allem immernoch übel, dass er mich gestern einfach raus in den Regen geschickt hat. Ich hätte mir wirklich den Tod holen können und ihm war es egal, er hat mich ja nicht mal gesucht. Seine Anrufe heute Nacht hätte er sich dann auch sparen können.

"Erde an Louis!", meint dann auch Niall. - "Was?!", fahre ich ihn sauer an. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, etwas Angst oder Sorge in seinen Augen aufflackern zu sehen, doch da habe ich ich bestimmt getäuscht.

"Können ich mal kurz mit dir reden?", fragt Harry. Genervt verdrehe ich die Augen. "Wozu? Damit ich gleich wieder draußen im Regen sitze? Stundenlang?", entgegne ich und sehe ihn mit einem herabschauenden Blick an. Dass er zwar größer ist als ich und ich somit eher heraufschauen muss ignoriere ich.

"Es tut mir leid wegen gestern. Das war so nicht geplant. Ich würde es dir nur gern erklären", sagt er. - "Was willst du denn da erklären?! Es gibt nichts, worüber wir reden müssten! Vergnüg dich lieber mit deinem tollen Freund und schlabber ihn ab, aber lass mich gefälligst in Ruhe, kapiert?", fauche ich und packe meine Sachen zusammen. Der Appetit ist mir jetzt gehörig vergangen.

"Warte mal- was?! Mein Freund?! Welcher Freund denn bitte?", fragt er dann verwirrt und komischerweise sieht sogar Niall ihn komisch an.

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