Kapitel 24

Als ich fertig bin, merke ich, dass das Pflaster an meiner Stirn durch das warme Wasser abgegangen ist. Ich ziehe mich schnell an und gehe zur Küche. Harry hat die Tür geschlossen, da er mich ja überraschen will, doch leider befinden sich genau hinter dieser Tür Pflaster. Ich höre, wie Harry leise summt und mit Töpfen herumhantiert. Ich bleibe einen Moment länger stehen und lausche seiner Stimme. Er summt die Melodie von I found , und ich lege mein Ohr an dir Tür, wodurch ich ihn noch deutlicher höre. Er kann extrem gut singen, es klingt unglaublich schön.

Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ich falle geradewegs gegen Harry's Brust. Um mich zu stützen, legt er kurz seine Arme um mich. Ohne uns zu lösen, schaue ich zu ihm hoch. Direkt in dieses wunderschöne Grün, womit er mich intensiv mustert. "Du hast wunderschöne Augen, weisst du das eigentlich?", fragt er in dem Moment. Ich halte den Atem an. Kurz weiss ich nicht, ob ich mir das gerade nur eingebildet habe, doch er redet weiter. "Sie sind so was von blau, da verliert man sich fast drin", gesteht er leise. "Das sagst gerade du? Deine Augen sind der Hammer. Die sehen aus wie grüne Sterne!" Er schmunzelt.

"Du weißt aber, dass Sterne gelb beziehungsweise weiß sind?", hakt er nach. Ich zucke mit den Schultern. "Ist mir egal, für mich gibt es auch grüne Sterne. Generell glaube ich, dass weltweit viel mehr von dem existiert, woran man fest glaubt. Man weiss nur nicht, wo". Harry sieht mich nachdenklich an. "So habe ich das noch nie gesehen. Der Gedanke gefällt mir aber".

Lächelnd nimmt er langsam seine Arme von mir. Ich räuspere mich und trete einen Schritt zurück. "Was wolltest du eigentlich an der Tür? Hast du schon so einen Hunger?", fragt Harry. Ich schüttle den Kopf und zeige auf meine Stirn. "Das Pflaster ist abgegangen und ich wollte mir ein Neues holen". Verstehend nickt er und schiebt mich noch ein Stück zurück. "Warte kurz", meint er und schließt die Tür vor meiner Nase.

Verwirrt bleibe ich stehen und befolge seine Anweisung. Ich höre ihn drinnen herumwühlen, bis er plötzlich wieder vor mir steht. Er dreht mich mit dem Rücken zur Tür und stellt sich vor mich. "Kopf hoch", weist er mich an und ich lege meinen Kopf leicht in den Nacken, wodurch ich gezwungen bin, in sein konzentriertes Gesicht zu schauen. Er sprüht noch einmal Desinfektionsspray auf meine Stirn und tupft es dann ab. Anschließend klebt er ein neues Pflaster darüber.

Wir bleiben noch einen Moment länger als eigentlich nötig so stehen, unsere Gesichter nahe beieinander. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut und sein angenehmer Geruch steigt mir in die Nase. Ich kann nicht einmal beschreiben, was ich rieche. Ein bisschen Vanille und Parfüm. Harry einfach. Unauffällig atme ich tief den Geruch ein. Er streicht sanft über meinen Rücken und legt seine Hände an meine Hüfte; ich meine dagegen an seine Brust.

Ich spüre seinen Herzschlag. Der Rhythmus ist erstaunlich schnell. Auch, wenn ich es nicht zugeben möchte, aber wenn ich daran denke, dass das vielleicht an der Situation hier liegt, ja vielleicht sogar an mir, dann geht es mir genauso wie ihm.

Wir blicken uns direkt in die Augen und unsere Lippen nähern sich gegenseitig an. Er sieht für eine Sekunde auf meine Lippen, ich tue es ihm gleich. Seine sehen so weich und sanft aus. Auch, wenn ich unsere Lippen ja schon einmal aufeinander spüren konnte, habe ich jetzt trotzdem das Gefühl, als würde man mir dauerhaft kleine Stromschläge verpassen. So etwas habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gespürt. Auch nicht mit Eleanor. Ich bin kurz davor, meine Augen zu schließen, als ich plötzlich ein zischendes Geräusch hinter mir höre.

"Fuck!", stößt Harry aus, lässt mich los und rennt in die Küche. Er knallt die Tür hinter sich zu. "Alles okay?", rufe ich hindurch. Genervt stöhnt er, bevor er antwortet: "Ja, mir ist nur das Wasser übergekocht". Ich muss mir ein Lachen verkneifen. "Ich möchte mir nicht extra einen neuen Herd kaufen müssen, klar?" Ich höre ihn lachen. "Du kochst doch eh nie!" Okay, 1 zu 0 für Harry. "Da hat es dir jetzt die Sprache verschlagen, was?", fügt er hinzu. "Hör auf, mich zu nerven, und koch lieber, ich habe Hunger!" Wieder lacht er.

Ich gehe ins Wohnzimmer und lege mich auch die Couch. Mit einem Blick auf mein Handy sehe ich, dass Harry noch eine halbe Stunde Zeit hat. Ich war so gnädig und wir haben uns auf acht Uhr geeinigt, da ja durch meinen Unfall etwas Verzögerung entstand. Außerdem habe ich keine Lust, dass er mir ein halb fertiges Essen vor die Nase stellt. Mein Handy klingelt, meine Mum ruft an.

"Hey Mum!", begrüße ich sie.

"Hallo Schatz, hast du kurz Zeit?", erwidert sie.

"Klar, was gibt's?" Vielleicht habe ich ja Glück und kann mal wieder mit Lottie reden. Ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit meiner Schwester telefoniert. Entweder sie hat keine Zeit, oder eben ich selbst nicht.

"Nichts Bestimmtes. Ich wollte mich einfach mal wieder mit dir unterhalten. Die kleinen Zwillinge sind bei Freundinnen und ich hätte endlich mal wieder Zeit, mit dir zu telefonieren".

Meine Mum ist durch die Zwillinge ziemlich eingespannt, wodurch wir schon seit einigen Wochen nicht mehr reden konnten. Vormittags ist sie arbeiten und anschließend muss sie die Kinder zu ihren Hobbies fahren oder sich mit ihnen beschäfitigen. Ich kann ihr da aber keinen Vorwurf machen, dass sie sich für mich keine Zeit nehmen kann. Schließlich bezahlt sie mein Studium, weswegen ich immernoch ein schlechtes Gewissen habe.

"Und, was hast du heute Gesundes gegessen?", fragt sie nach einer Weile. Ich wusste, dass diese Frage wieder aufkommt. Die Ironie darin ist kaum zu überhören. "Beziehungsweise hast du überhaupt schon etwas zu Abend gegessen?", fügt sie noch hinzu.

"Noch nichts", antworte ich kleinlaut. Seit ich einmal ohne Abendessen ins Bett bin, weil ich nichts mehr Zuhause hatte, fragt sie mich das ständig.

"Noch nichts??? Louis, du musst doch was essen! Zur Not bestell dir eben in Gottes Namen etwas, oder hast du kein Geld mehr? Ich kann dir etwas zuschicken!"

"Mum, lass mich doch mal ausreden. Ich habe noch nichts gegessen, weil ich heute jemanden da habe, mit dem ich eine Wette offen habe. Er denkt, er kann besser als Willy und Tommy kochen, und das will er heute beweisen."

Ich höre ihr Grinsen förmlich durch mein Handy, als sie meint:" Also schlimmer als dein Essen kann es ja gar nicht werden!"

"Haha, wie lustig, Mum."

"War nur ein Spaß. Wie heisst er denn?"

"Harry. Ich glaube ich habe dir mal von ihm erzählt. Er ist seit einiger Zeit im Schwimmteam und studiert bei uns an der Uni. Dadurch haben wir uns angefreundet".

"Das freut mich. Was kocht er denn?"

"Keine Ahnung, er wollte mich überraschen".

Plötzlich ertönt Harry's Stimme aus der Küche. "Louis! Essen ist fertig!" Tja, das Gespräch mit Lottie kann ich für heute abhaken.

"War er das?", fragt Mum neugierig durch das Telefon. Harry ruft erneut, bevor ich höre, dass er Richtung Wohnzimmer kommt.

"Mum, ich muss Schluss machen. Und ja, das war Harry. Sag Bescheid, wenn du mal wieder Zeit hast. Hab dich lieb."

"Mach ich. Ich dich auch und guten Appetit! Viele Grüsse noch unbekannterweise an Harry, immerhin sorgt er dafür, dass du heute noch eine richtige Mahlzeit bekommst!"

Ich verabschiede mich, lege auf und sehe, dass Harry hinter mir steht und neugierig zu mir schaut. "Habe ich dich jetzt unterbrochen?", fragt er. Ich schüttle den Kopf. "Nein, ich habe nur mit meiner Mum telefoniert. Sie wollte mal wieder wissen, was ich gegessen habe. Sie macht sich immer Sorgen, dass ich zu ungesund esse". Belustigt grinst Harry und ich muss mal wieder seine niedlichen Grübchen betrachten. "Ganz unrecht hat sie damit ja nicht, oder?"

Ich stehe vom Sofa auf und haue ihm leicht gegen die Schulter. "Mir reicht mein Tütenfutter." Das stimmt zwar nicht ganz, ich esse schon gerne etwas Anderes, aber was soll ich machen? Ich kann nun mal nicht kochen und ein Kochkurs ist zu teuer und zu aufwändig. Kichernd geht Harry voraus zur Küche. "Wer's glaubt wird seelig!", murmelt er belustigt. Augenverdrehend folge ich ihm. Ich muss zugeben, es riecht köstlich. "Ich soll dir noch viele Grüsse von meiner Mum ausrichten. Sie bedankt sich dafür, dass ich heute etwas richtiges zu essen bekomme!", sage ich. Grinsend dreht er sich um. "Wenn ich ja dadurch einen Wunsch frei habe, mache ich das gern". - "Ansonsten etwa nicht?" Er grinst noch mehr. "Doch, aber dann hättest ja nur du etwas davon". Ich verstehe nur schmunzelnd die Augen.

Als ich die Küche betrete, staune ich leicht. Er hat den Tisch ordentlich gedeckt und eine Kerze aufgestellt. Normalerweise steht bei mir immer nur ein Teller darauf und fertig. Auf den Fensterbänken stehen frische Kräuter, die den ganzen Raun richtig gemütlich erscheinen lassen. Alles ist aufgeräumt, die schmutzigen Töpfe gespült und der Herd ist so blank poliert, dass man sich darin spiegeln kann. Er hat sich wirklich Mühe gegeben. Aber gut, von einem schön gedeckten Tisch wird man ja immernoch nicht satt.

"Setz dich", bittet er mich. Ich lasse mich auf einem Stuhl nieder, Harry mir gegenüber. Sogar Wein hat er eingeschenkt. Bier wäre mir zwar lieber, aber das liegt einfach daran, dass die ganzen billigen Weinsorten nach Spülmittel schmecken und ich dadurch immer nur Bier trinke. Harry bringt auf einmal zwei gefüllte Teller zum Vorschein.

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Bitte wieder das Voten nicht vergessen😊

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