Kapitel 18
Niall und ich diskutierten noch eine ganze Weile darüber, wie wir Harry helfen könnten. Wir kamen allerdings zu keinem Ergebnis. Das Problem ist vor allem auch, dass weder Liam und Zayn noch Niall und ich eine richtige Vertrauensperson für Harry sind. Klar, er hat vor unserem Kuss gemeint, dass er mir vertraut, aber seitdem ist viel passiert. Vor allem nach seinem komischen Verhalten vorhin.
Ich entschliesse mich dazu, Harry eine Nachricht zu schreiben. Ich überlege ewig, wie ich es am besten formulieren könnte, doch dann bin ich relativ zufrieden mit meinem Ergebnis:
Ich: Hey Harry, ich habe mich noch gar nicht für dein kleines Paket neulich bedankt. Also ja, danke... Ich bin dir etwas schuldig, also sag Bescheid, falls ich etwas für dich tun kann. L
Meiner Meinung nach klingt das nicht zu aufdringlich oder so. Ausserdem habe ich ihm ja jetzt schon oft versichert, dass er mit mir reden kann.
Kurz bevor ich ins Bett gehe, schaue ich nochmal auf mein Handy. Ich habe keine Nachricht bekommen. Hinter meiner stehen jedoch zwei blaue Häkchen, Harry war also online. Naja, vielleicht antwortet er ja später noch.
~*~
Am nächsten Morgen habe ich allerdings immernoch keine Nachricht bekommen. Und auch am Montag nicht. Als ich in der ersten Vorlesung sitze, schreibe ich Niall kurz.
Ich: Ist H da?
Niall: Ja, wieso
Ich: Okay
Niall: wieso?
Ich: ...
Niall: Kannst du mir nicht einfach antworten?
Ich: Habe ich doch ;)
Niall: Idiot
Ich: Hab dich auch lieb, Blondie <3
In der Mittagspause ist Harry mal wieder in der Bibliothek. Statt in die Mensa zu gehen, sage ich den Anderen, ich müsse etwas recherchieren. Stimmt ja auch- zum Thema Harry.
Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, was ich vor habe, aber diese Ignoranz geht mir einfach so auf den Zeiger.
Ich betrete die Bibliothek und halte Ausschau nach dem Lockenkopf. Auf den ersten Blick ist er nicht zu sehen, also laufe ich die Bücherreihen entlang und schaue an jeder Sitzgelegenheit nach. Ganz am Ende des Raums sehe ich dann jemanden mit dem Rücken zu mir sitzen, der Harry sein könnte. Ich gehe näher und merke, dass ich Recht hatte. Er liest irgendein Buch und isst heimlich einen Müsliriegel- eigentlich ist Essen hier drinnen strengstens verboten.
Ich komme näher und setze mich ihm gegenüber. Erst nach ein paar Sekunden schielt er ein Stückchen zu mir hoch, ohne seinen Kopf zu heben. Ich lehne mich in dem Sessel zurück und schaue aus dem Fenster. Ich will mich ja nicht aufdrängen. Dass ich hier sitze, kann er mir nicht verbieten, aber Reden schon. Ich habe keine Lust, von einem der Dozenten rausgeschmissen zu werden. Im Augenwinkel sehe ich, wie er langsam das Buch zuklappt. Dann steht er auf und geht. Ich will ihm gerade hinterherlaufen, da sehe ich, dass er nur seinen Müll weggebracht hat.
Ich tue so, als würde ich die Wolken draußen betrachten, dabei sehe ich im Augenwinkel die ganze Zeit, was Harry macht. Nämlich nichts. Ich muss zugeben, das er heute mal wieder ziemlich gut aussieht. Er trägt einen gelben Pulli, was relativ ungewohnt ist, aber im positiven Sinne. Dazu trägt er eine schwarze Jeans und ausgelatschte Vans- meine Lieblingsschuhe.
Nach einigen Minuten, in denen keiner von uns etwas gesagt hat, merke ich, dass er von seinem Handy aufschaut und meinem Blick in den Himmel folgt. Die Wolken sehen trist und grau aus. Man könnte meinen, es fängt gleich an zu regnen. Ich gehe an meinen Rucksack und hole unauffällig eine Packung Gummibärchen heraus. Ich nehme mir zwei und bemerke, dass Harry mich unauffällig mustert. Innerlich grinse ich. Er ist in meine Falle getappt.
Wortlos schiebe ich meinen Rucksack zu ihm rüber, woraufhin er schnell ein paar Gummibärchen nimmt und mir meine Tasche zurückreicht. Er fängt an zu kauen. "Danke", sagt er plötzlich. "Gern geschehen", erwidere ich und schaue wieder in den Himmel. Eine ganze Weile betrachten wir die graue Himmelsdecke, bis er sich plötzlich räuspert. "Ziemlich tristes Wetter, hm?" Okay, das Wetter ist jetzt nicht unbedingt ein interessantes Thema, aber besser als nichts. Ich nicke und antworte dann: "Ja, man merkt, dass bald schon der Winter kommt".
Er nickt und ich merke, dass er sein Blick wieder zu meinem Rucksack gleitet. Da scheint wohl jemand Hunger zu haben. "Willst du noch welche?", frage ich und deute auf die versteckten Gummibärchen. Schnell schüttelt er den Kopf. "Passt schon, die willst du doch bestimmt selbst essen". Ich winke ab. "Ach Quatsch, ich hab keinen Hunger", erwidere ich. Mit einem Seitenblick auf meine Uhr sehe ich, dass ich zur nächsten Vorlesung muss.
Ich stehe auf, nehme meinen Rucksack und lasse die Tüte mit den Gummibärchen unauffällig in Harrys Schoß fallen. Als ich hinter ihm stehe, wispere ich ihm noch ins Ohr: "Wenn du so einen Hunger hast, wäre es vielleicht besser, wenn du morgen mal wieder etwas richtiges in der Mensa isst". Seine Antwort warte ich gar nicht erst ab, sondern gehe aus der Bibliothek. Ich bin mir nicht zu 100 Prozent sicher, aber ich könnte mir vorstellen, dass Harry morgen seine "Recherche" mal pausiert und zu uns in die Mensa kommt.
Auch wenn Harry und ich nicht wirklich viel miteinander geredet haben, bin ich doch froh, dass ich zu ihm gegangen bin. Nicht, dass er am Ende noch denkt, ich hätte Angst vor ihm wegen seinem Anfall am Samstag.
Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass sich plötzlich alle Wolken verzogen haben und die Sonne strahlt. Der Himmel ist knallig blau.
Später schreibt mir Niall auf einmal:
Niall: Harry ist unheimlich
Ich: Wieso?
Niall: Heute morgen saß er da wie ein Trauerkloß und auf einmal hat er so ein merkwürdiges Lächeln auf den Lippen
Ich: Echt?
Niall: Tu nicht so unschuldig, hast du ihn bestochen?
Ich: Nee, das ist mein guter Einfluss
Niall: Bestimmt... *würg
Niall: Nee, aber mal im Ernst, was auch immer du gemacht hast, irgendwie tut es ihm gut
Ich: Das war meine Absicht :p
Auch wenn ich es niemals zugeben würde, aber Nialls letzte Nachricht schmeichelt mir irgendwie. Es freut mich, dass es Harry anscheinend zumindest etwas besser geht. Ich hoffe jedoch nicht, dass das nur der Einfluss der Gummibärchen ist- das wäre deprimierend.
~*~
Abends beim Training trägt Harry wieder sein Shirt. Ich weiß genau warum und mich überläuft jedes Mal ein Schauer, wenn ich daran denke, wie Harrys Rücken unter dem Stoff aussieht. Unglücklicherweise hat Jim heute seine sentimentale Seite. Jeder soll sich einen Partner suchen, mit dem wir Vertrauensübungen im Wasser machen sollen. Diese Art von Training finde ich zwar normalerweise nicht schlecht, wenn ein wichtiges Turnier ansteht, aber jeder Junge hat sich bereits seinen besten Kumpel aus dem Team herausgesucht. Harry und ich bleiben übrig.
Jim hat eine Art Parcours im niedrigeren Wasser aufgebaut, wo man gut stehen kann. Dieser besteht zum Beispiel aus Hütchen, die man am Boden des Schwimmbeckens befestigen kann, sodass sie nicht davonschwimmen. Außerdem muss man teilweise den Partner auf dem Rücken tragen, welcher versuchen muss, blind Ringe zu angeln, die Jim ein Stück über dem Wasser mit einer Leine gespannt hat. Eigentlich easy, doch der untere des Teams ist blind. Der Obere muss einen also durch den Parcours leiten und der Untere muss ihm Vertrauen, dass er um Balken, Hütchen und Bälle herumgeführt wird.
Das Ganze mag vielleicht bescheuert klingen, aber ich habe das Gefühl, es hilft wirklich, das Vertrauen zwischen den Teammitglieder noch mehr als ohnehin schon zu stärken.
Wir springen alle ins Wasser und Harry kommt auf mich zugeschwommen. Bei mir angekommen, schaut er mich zögernd an. "Wer soll zuerst getragen werden?", fragt er. Ich zucke mit den Schultern. Ich befürchte, Harry hat Jim nichts von seinen Verletzungen erzählt. Dementsprechend wird es für ihn die Hölle sein, mich zu tragen. Ausserdem glaube ich nicht, dass er das Vertrauen zu mir hat, sich die Augen gleich verbinden zu lassen. Mir geht es, was das anbelangt zwar nicht unbedingt anders, aber ich opfere mich auf.
"Soll ich dich zuerst tragen?", erwidere ich. Sein Gesicht nimmt einen erleichterten Ausdruck an. "Ja, wenn dir das nichts ausmacht?" Ich schüttle den Kopf. Jim kommt zu und und reicht mit eine Taucherbrille, deren Gläser er schwarz abgeklebt hat. Ich schaue mir einen letztes Mal den Parcours an, in der Hoffnung, mir irgendetwas merken zu können. Alle anderen Teams haben bereits angefangen. Innerlich seufzend setze ich die Taucherbrille auf und bin augenblicklich blind.
"Oh man, das kann ja was werden", sage ich ausversehen laut. Shit. Hoffentlich nimmt Harry das jetzt nicht falsch auf. Ein paar Sekunden ist Stille, bis ich ihn plötzlich neben mir kichern höre. Erleichtert grinse ich. "Bereit?", fragt er mich. Ich nicke und halte meine Hände hinter meinen Rücken. Kurz darauf spüre ich, wie er vorsichtig auf meinen Rücken gleitet. Zum Glück sind wir im Wasser, wo er kaum Gewicht hat, ansonsten wäre ich ganz schön im Nachteil mit seiner Größe. Er legt seine Hände auf meine Schultern und seine Beine um meinen Bauch. Ich stütze ihn unter seinen Knie. "Hü hott!", ruft er auf einmal und drückt mir leicht seine Hacken in die Seite. "Ich bin kein Pferd", lache ich, setze mich aber in Bewegung. Ich weiss, dass zuerst das Slalom um die Hütchen kommt.
"Schade. Dann eben eine Kuh. Geh zuerst mal ein paar Schritte nach vorn. Gut. Stopp. Und jetzt musst du seitwärts und nach vorn. HALT! Doch nicht nach links, du musst nach rechts laufen!", dirigiert er mich. "Harry, du musst mir auch gleich sagen, in welche Richtung, ich sehe ja nichts", weise ich ihn grinsend an.
"Okay, neuer Versuch. Also nach rechts vorwärts. Noch ein Stück, gut. Und jetzt einen Bogen und nach links vorne... Genau, und wieder nach rechts", erklärt er. Nach ein paar Minuten sind wir sicher durch das Slalom gekommen. Im Hintergrund höre ich die ganze Zeit das Lachen und Gebrüll der anderen, wenn jemand gegen ein Hütchen gelaufen ist. "Bei was sind wir jetzt?", frage ich Harry. Ich kann mich gerade absolut nicht orientieren, wo wir sind.
Plötzlich merke ich, wie er seinen Oberkörper gegen meinen Rücken lehnt und seine Arme über meine Schultern hängt und vor meiner Brust verschränkt. Mein Körper fängt an zu Kribbeln. Ich habe keine Ahnung, warum, aber es fühlt sich gerade so gut an. Harrys Kopf liegt direkt neben meinem und ich erschaudere leicht, als ich seine Stimme direkt neben meinem Ohr höre. "Die Anderen brüllen so, deswegen muss ich dir auf die Pelle rücken. Wir sind jetzt bei den Balken. Gleich kommt das Stück, wo du schwimmen musst".
Moment was?! Das hatte ich vorher nicht gesehen, ich dachte, der komplette Parcours wäre im niedrigen Wasser aufgebaut. Wie soll ich denn unter Balken durchschwimmen?! Mit Harry auf meinem Rücken?! Unmerklich spanne ich mich an. "Hey, alles gut?", fragt Harry mich verwundert. "Wie zur Hölle soll ich denn jetzt schwimmen?!", erwidere ich entsetzt. Ich höre, wie er anfängt, zu lachen. Ist das denn nicht eine berechtigte Frage?!
"Du musst gleich meine Beine loslassen und untertauchen. Mich ziehst du quasi mit. Zumindest haben es die anderen Teams vor uns so gemacht", erklärt er mir. Okay, das ergibt Sinn. Blind getaucht bin ich allerdings trotzdem noch nie. "Ganz ruhig, ich geb dir Bescheid, wenn du unter Wasser tauchst und ich halte mich einfach an dir fest. Wenn wir unter den Balken durch sind, gebe ich die ein Zeichen, dass du wieder auftauchen kannst", meint Harry. Ich nicke nur und laufe noch ein paar Schritte vorwärts.
"Okay, hol jetzt Luft und tauch unter. Und dann immer geradeaus schwimmen". Ich atme tief ein und gehe unter Wasser. Harry löst seine Beine von mir und hält sich an meinen Schultern fest. Ich merke, dass er mit seinen Beinen etwas mithilfe, sodass wir schneller vorwärts kommen. Er scheint sich unter dem Balken durch zu ducken und kurz darauf drückt er mich ein Stück nach rechts, sodass ich quasi einen Bogen schwimme. Dann tippt er mich an und ich weiss, dass ich auftauchen kann. Ich komme wieder an die Oberfläche und hole Luft.
"Und? Schlimm?", fragt er. "Nein, ich hätte es schlimmer erwartet", gebe ich zu. "Naja, du hast dich ziemlich gut geschlagen. Bei den anderen ist immer der Obere mit dem Kopf an den Balken geknallt."
"Jungs, bereit zu tauschen? Nach dem Wechsel kommen noch einmal Slalom und dann die Ringe!", höre ich Jim rufen.
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