Emanon

Sheila starrte unentwegt auf Tamira. Alles hing von ihr ab. Was würde sie sagen? Wieder erfüllte drückende Stille die Runde. Nestor hockte angespannt auf dem Zweig einer dicken, uralten Buche, bestimmt die einzige in diesem Wald. Tamira sah den Greifvögeln tief in die Augen. Plötzlich schrie sie: "Ergreift die Beiden!" die Raubvögel ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie wollten sich gerade auf Sheila und Nestor stürzen, da brüllte dieser: "Angriff!"

Plötzlich gab es einen lauten Knall und aus der Buche stieg violetter Rauch auf. Dahinter schien eine Öffnung, denn auf einmal schossen mehrere Vögel heraus, wie kleine Kanonenkugeln. Sheila konnte ihren Augen nicht trauen Was war hier los? Tamira war für einen Schreck wie gelähmt, dann schrie sie ebenfalls: "Nun greift endlich an!" Die zwei Raubvögel waren zwar in der Unterzahl, hatten aber spitze Schnäbel und waren den Singvögeln größenmäßig überlegen. Die kleinen Singvögel, vor allem Meisen, wie Sheila jetzt erkannte, flatterten auf sie zu und ergriffen ihren Mantel. Vor Schreck konnte Sheila sich nicht rühren. Sie zerrten sie in die Luft und flogen eilig zu der Buche, auf den dicken Stamm zu. Was wird das?, fragte sich Sheila panisch. Dann griffen die Raubvögel an. Sie sausten auf die kleinen Meisen nieder, ihre spitzen Schnäbel wie Waffen erhoben. Die Kleinen versuchten panisch, ihr Ziel zu erreichen, wobei Sheila nicht wusste, was es überhaupt war. Sie schloss die Augen und hoffte, dass sie es schaffen würden.

Doch die Raubvögel waren schneller. Sie schlugen nach den Meisen, sodass diese ängstlich auseinanderstoben. Sheila schrie auf, sah sich auf die Erde zustürzen... Die Raubvögel fingen sie aus dem Fall und schlugen ihre Krallen in Sheilas Schulter. Nestor wurde auch gepackt, obwohl er sich zu wehren versuchte. Ein paar Federn flatterten in den Schnee. Für einen kurzen Moment erhaschte Sheila einen Blick auf seinen Kopf, er sah verzweifelt aus.

Dann hörte sie ein Piepsen. "Bitte, lasst mich leben! Anemonius möchte es bestimmt nicht, dass die Meisen ohne einen König dastehen! Bitte, ich flehe euch an! ich werde nichts verraten! Lasst mich und das Mädchen leben! Ich habe doch das Recht, vor den König geführt zu werden, bevor ein Urteil gefällt wird und sie auch!" Panisch starrte er Tamira an, von der Sheila immer noch nicht wusste, ob sie aus Misstrauen oder wegen dem Streit Sheila ausliefern wollte.

Tamiras Augen glitzerten, sie rief etwas Unverständliches, dann stoben die Raubvögel  rasend schnell auf die Buche zu. Was hatten sie bloß vor? Gleich würden sie gegen den Stamm krachen...

Da gab es plötzlich einen gewaltigen Knall und Sheila wirbelte durch violetten Rauch, hinein in eine scheinbar endlose Leere.

                                                     *

Sie hörte Geräusche, viele Geräusche. Sheila bemerkte erst jetzt, wie fest sie die Augen zugedrückt hatte. Wie viel Zeit war zwischen dem Knall und jetzt vergangen? Sie spürte immer noch den stechenden Schmerz von Krallen in der Schulter und Schwingen, die sie eilig irgendwohin brachten. Was hatte Tamira zuletzt gerufen? Ließen sie die Raubvögel am Leben, weil Nestor sie angefleht hatte? Vorsichtig blinzelte sie. Und riss sofort die Augen weit auf. War das Emanon? Wenn ja, dann war es wirklich überwältigend groß! Sheila wurde gerade über eine riesige Halle geflogen. Überall waren Tiere jeder Art. Vor allem Vögel waren hier in der Überzahl. Sie vertrugen sich sogar mit Mäusen und Füchsen, was Sheila übermäßig verwunderte. Alle flatterten, liefen oder krochen herum und gaben erschrockene Laute von sich, als sie Sheila erblickten. Warum hatten sie solche Angst vor ihr? Glaubten sie immer noch, sie sei böse? Sie sah sich die Wände an und stutzte. Das war doch nicht möglich!  Die Halle bestand aus Gestein, in dem Diamanten und sogar Goldadern eingelagert waren. Erhellt wurde die Halle von einem riesigen Steinkreis an der Wand, der mit vielen geschwungenen Linien verziert war. Er strahlte ein gefährliches rotes Licht aus und schien leicht zu zittern. Sheila wurde fatal an die Skizze, die sie in der Hütte des Sasayakus auf dem Papier, was jetzt in ihrer Kleidtasche ruhte, gefunden hatte, erinnert. Darauf war doch so ein ähnlicher Kreis gewesen! Außerdem sah der Kreis verdammt wertvoll aus. Er glänzte in den verschiedensten Farben und wies an manchen Stellen sogar Kristalle auf. Nun wurde ihr auch klar, warum ihr Vater so erpicht darauf war, diese Welt zu finden. Er würde auf jeden Fall reich werden!

Inzwischen waren die Raubvögel, die sie verschleppten, in einem Gang angekommen. Sie drehte sich noch einmal um und sah Nestor, der ihr hinterhergebracht wurde. Es wurde dunkel. Nur vereinzelt hingen an der Wand grün schimmernde Kristalle, die den Gang schummrig erleuchteten. Sheila betrachtete sie mit großen Augen. Diese Art von Gestein schien die Menschheit noch nicht entdeckt zu haben!

Endlich wurden die Vögel langsamer. Sheila bemerkte erst jetzt, dass noch ein paar Eulen dazugekommen waren, die sie jetzt hielten und ihre Flucht verhinderten. Am Ende des Ganges war eine Gabelung, an der sie links abbogen. Ganz hinten, am Ende erwartete sie die Dunkelheit. Ängstlich bemerkte Sheila, dass die Raubvögel stoppten. Etwas rasselte, dann ein Quietschen und plötzlich wurde Sheila gestoßen. Sie stolperte ins Nichts und prallte gegen eine erdige Wand. Ihre Hände wurden von Klauen umfasst und ehe sie sich versah, war sie mit Eisenringen an die Wand gefesselt. Ängstlich versuchte sie, sich zu befreien, doch es war unmöglich. Sie hörte ein zweites Rasseln und konnte gerade so erkennen, wie auch dem kleinen Nestor an einem Fuß eine Eisenfessel befestigt wurde. Daher also die Eulen! Sie konnten im Dunklen besser sehen als so manches Tier. Würden sie hier Wache stehen? Eine Eisentür wurde ächzend zu gezerrt und abgeschlossen.

Verzweifelt rief Sheila: "Was wird das denn hier?", aber niemand beachtete sie. Sie wusste nicht, ob sie jetzt sterben oder leben sollte... Die Eulen blieben vor dem Tor stehen, ihre weisen Köpfe ihr abgewandt, die zwei Raubvögel flogen davon. Die Schlüssel für die Handschellen hingen hinter der Eisentür, ganz nah, aber für Sheila nicht erreichbar. Bald kehrte beängstigende Stille ein.

Die Raubvögel wollten Sheila nicht töten... hatte Nestors Ausruf noch etwas genützt? Sheila hoffte es inständig. Sie hielt die Luft an und wartete, dass vielleicht noch etwas passierte, doch nichts rührte sich, sogar Nestor hielt inne.

Sheila wurde unheimlich zu Mute. Die Eulen bewegten sich kaum noch und es war so duster... Doch langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie sah die kleine Gestalt Nestors neben sich und flüsterte zitternd: "Du... du Nestor? Danke, dass du dich so für mich eingesetzt hast!"

Die Meise schwieg. Ob sie es bereute, Sheila geholfen zu haben? Nun saß sie selber in der Klemme! Sheila versuchte es erneut: "Du hast sicher das Richtige getan, als du mich verteidigt hast. Ich bin nämlich kein böser Mensch. Mein Name ist Sheila und ich würde liebend gerne eure Welt beschützen, vor meinem gemeinen Vater. Ich bin kein Feind für euch!"

Nestor drehte seinen Kopf zu ihr, seinen Blick konnte Sheila wegen der Dunkelheit nicht sehen. Sie begann wieder: "Bitte, erzähl mir doch von Emanon! Ich kenne mich hier doch gar nicht aus... und solange wir hier sind, müssen wir ja etwas tun!"

Nestor seufzte. "Gut. Dann hör mal zu..."

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Hey,

wie ihr sicher festgestellt habt, hat Emanon nun ein neues Titelbild;-)

Gefällts euch oder war das alte schöner? (hab auch noch andere parat XD)

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