Prolog




"Sie sah mich an; ihr Leben hing, mit diesem Blick' an meinem Leben, und um uns wards' Elysium."

- Gottlieb Friedrich Klopstock -

* * *

Es war ein wundervoller Ort.

Und er selbst hatte ihn gefunden.

Ein Ort gleich dem Paradies. Jenem Paradies nach dem er all die Jahre gesucht hatte und schließlich auch gefunden. Sein Lebenswerk, vollendet.

Weiße Wolken schwebten lautlos an ihm vorbei, als wären sie gestaltlose Vögel. Die Sonne blickte ihm entgegen, tunkte das schwebende Stück Land auf welchem er sich befand in ein güldenes Licht. Eine leichte Windböe strich sanft über die Insel, und ließ eine kleine, gold glänzende Welle über die zuvor stille Wasseroberfläche ziehen. Strich durch das Gras wie ein unsichtbarer Kamm.

Er blickte um sich, noch immer wie erstarrt, der Schönheit dieses Ortes wegen. Sah auf die majestätischen, menschenähnlichen Statuen, welche sich über die Insel verteilten. Schaute den glänzenden Fischen im Wasser zu, wie sie durch das klare Wasser tanzten. Und ein von Moos und Blauregen bewachsener Steintempel spendete ihm Schatten. Er nahm auf den kühlen Steinplatten der Treppe platz. Und würde wohl nie begreifen können, dass dies nicht nur Traum war.

Er hatte es tatsächlich geschafft.

Er hatte das Paradies gefunden! Ein Paradies in welchem die Sonne nie von kalter Dunkelheit abgelöst wurde. An dem das Leben jeglicher Art in seiner schönsten Form zutage kam. Es war ein Ort des Friedens. Der Freiheit. Ein Ort an dem das Leben sprießte. Und jede Faser der Insel war überzogen  mit abertausend von märchenhaften Pflanzen. Lebewesen, welche ihm noch nie zuvor begegnet waren. Und er verbrachte seine Zeit mit der Erkundung dieses Insellandes, mit der Aufzeichnung der Flora und Fauna.

Es war faszinierend. Die Gewässer, klar wie Diamanten selbst, zogen sich durch die Erde wie ein vielverzweigtes Netz aus Adern, welches die Insel am Leben hielt. Sie waren so klar und so rein wie er noch Keines zuvor gesehen hatte. Im Zentrum, ein kleiner See von Seerosen und anderen Pflanzen übersät, bildete es das Herzstück.

Begeisterung und Staunen prägten seinen Aufenthalt auf jenem Fleck Erde. Und seine Studien nahmen kein Ende. Schien es, als hätte er alles Leben dieser Insel verzeichnet, so erblickte er ein neues Geschöpf. Betrachtete es voller Faszination und vermerkte schließlich auch dieses Exemplar in seinen zahlreichen Unterlagen.

Doch je mehr Zeit er an diesem Ort der Herrlichkeit verbrachte, desto mehr verschwanden seine Erinnerungen an das, was for dieser Insel war. Sein Leben vor der Entdeckung dieses Ortes. Kaum merkbar lösten sich die Erinnerungsstücke seiner Vergangenheit aus seinem Gedächtnis und ließen Lücken zurück. Lücken die bald zu flächendeckender Leere führte. Bis er nur noch das Hier und Jetzt kannte. Die Lücken mit der Erforschung der Insel füllte und sie schließlich nichtmehr bemerkte.

Umso öfter stellte er sich jedoch die Frage wie er an diesen Ort gelangt war. Nur eine alte, metallene Apparatur, welche zertrümmert auf der anderen Seite des Sees lag, zeugte von seiner Anreise. Doch wurde diese bereits zu einem Teil der Insel und weckte ebenfalls keine Erinnerungen mehr in ihm. Das Gerät war bewachsen von Moosen und Flechten, und schließlich blieb von ihm nur noch ein Grasbewachsener Hügel übrig, aus welchem vereinzelt das schwache Glänzen des rostenden Metalls hervorlugte. Verschlungen von der Insel, deren Vollkommenheit nicht gestört werden durfte. Er wusste, dass es etwas vor der Zeit auf dieser Insel gegeben haben muss, jedoch konnte er nicht mehr sagen was es war.

Wie lang war er bereits hier? Eine Woche? Oder doch schon einen Monat? Die Zeit schien an diesem Ort keine Relevanz zu haben. Doch was spielte es schon für eine Rolle? Er war doch im Paradies!

Dem Elysium voll Glorie und Herrlichkeit.

Aber er war ein Entdecker, ein Forscher. Und nun da er einige Tage vielleicht schon einige Wochen hier verbracht hatte, nagte es an ihm. Was befand sich auf der anderen Seite der Welt? Jenseits dieser Insel? Was gab es da noch? Und mit der Zeit wurde er der vollkommenen Perfektion dieses Ortes müde. Auch wenn sich die Insel stetig zu verändern schien, blieb sie im Kern gleich. Sie versetzte ihn nicht mehr in Staunen. Und Sehnsucht kam in ihm auf, die Sehnsucht nach der Ferne. Und das Verlangen diese Insel zu verlassen wurde immer größer in ihm, schien ihn zu verschlingen. Sein Herz rief nach der Ferne.

Er wollte fort. Er musste fort. Diese Insel konnte ihn nicht für immer erfüllen. Die Existenz fernab dieser Perfektion lockte ihn. 

Und je mehr diese Gedanken in ihm zunahmen, desto schwermütiger wurde er. Die Insel hatte ihren Glanz aus seinen Augen verloren. Und nach einigen geschätzten Tagen wirkte sie nicht mehr so rein und harmlos. Der Himmel wurde zunehmend von dichten Wolken bedeckt, Risse zogen sich durch das Gestein des Tempels und die Statuen, welche sich über die Insel verteilten vielen zunehmend in sich zusammen.

Er suchte einen Ausweg. Und er verbrachte viel Zeit mit dem Austüfteln eines Planes. Die Papiere, welche erst noch voll von Aufzeichnungen seines Planes waren, verschwanden. Es blieben leere, unbeschriebene Seiten zurück. Die Insel schien alles zu tun, um ihn vergessen zu lassen, dass er fort von hier wollte.

Und als er wieder einmal in jenem Schatten des Tempels saß und das Schauspiel der Natur beobachtete. Bemerkte er die Zwecklosigkeit seiner Versuche. Die Insel würde ihn nicht mehr gehen lassen. Sie hielt ihn hier fest. Stellte sicher, ihm keine Möglichkeit zu geben um zu fliehen. Sie würde ihn niemals freilassen. Bis er ein teil der Insel wurde.

Wie ein Vogel dessen Flügel gestutzt wurden saß er hier fest. Seines freien Willen beraubt. Er fühlte sich gefangen.

Gefangen im Paradies.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top