24 - Exkursionswoche
Die Exkursionswoche startete.
Die Mädels verabschiedeten ihre Mae mit pochendem Herzen und betend, dass sich etwas auf dieser Reise verändern oder bestimmen würde.
Linda und Jenica versanken voll und ganz im studentischen Nachtleben. Tagsüber schliefen sie und Nachts wurden sie lebendig, wie Vampire. Ella hoffte, dass sie ihre Prüfungen dieses Semester bestehen würden. Wenn sie ihre Scheine nicht schaffen und dann plötzlich kein Bafög mehr kriegen, dann würden sie realisieren, was für ein Schwachsinn sie da gerade taten. Neema war ebenfalls auf einer Exkursion, aber nicht auf derselben, wie Benji und Mae.
Das Wohnheim war deswegen sehr ruhig. Darren schien auch irgendwie verschwunden zu sein, was Ella sehr erfreute. Es war ihr immer unangenehm, ignorant an ihm vorbei zu laufen. Es strapazierte die Nerven und so eine gute Schauspielerin war sie nun auch nicht.
Lotte gefiel diese Ruhe nicht und sie lud Ella ein, mit ihr nach Fulda zu fahren. Es war eine Stadt in der Nähe von Kassel und ihre Eltern lebten dort. Ella hatte ihr schon öfters versprochen, sie besuchen zu kommen. Und irgendwie schien das nun der richtige Zeitpunkt zu sein.
So fuhren sie also gemeinsam nach Fulda. Unterwegs unterhielten sie sich kurz über Darren. Lotte hatte nämlich gehört, er hätte eine Freundin und sei bei ihr. Sie lachten. Was für eine Frau das wohl sein müsste. Übellaunig, grimmig, verstimmt, düster. Keiner aus ihrem Wohnheim würde sie kennen lernen wollen.
Lottes Eltern hatten ein großes Haus mit einem schönen Garten in Fulda. Ihre ganze Familie hatte sich versammelt. Ihre beiden Brüder und ihre große Schwester waren auch gekommen und sie hatten ein Mittagessen in ihrem Garten geplant. Lotte hatte eine wunderbare Familie die stark zusammen hielt. Nachdem Ella ihr Gästezimmer gezeigt wurde, gesellten sie sich alle in den Garten.
Vor dem Essen hielten sich alle die Hände. Die rechte wurde nach oben gezeigt und die linke nach unten. Und dann sagte der Vater einige ernste Worte und sie fingen an zu essen. Lotte lächelte Ella an, da sie ihr einen fragenden Blick zu warf.
„Die rechte zeigt nach oben und die linke nach unten, weil man in der Familie in einem ständigen Geben und Nehmen ist. Das ist der Wert einer Familie... Wie auch in unserem Wohnheim... Wir sind wie eine kleine Familie." Und sie lächelten sich an.
Nach einer Weile redeten und lachten alle zusammen und Ella fühlte sich nach langer Zeit wieder so richtig wohl, wissend hier war sie in behüteten und sicheren Händen. Die Natur verstärkte ihre Ruhe noch dazu.
Gegen Nachmittag fuhren sie alle gemeinsam zum Schrebergarten von Lottes Eltern. Ihre Mutter hatte ihnen extra Waffeln gemacht und sie aßen sie zusammen mit Eis. Allgemein war ihre Familie sehr warm und großzügig unter ihnen wie auch zu Fremden. Ihr Garten war groß und hatte viele Blumen und Pflanzen mit denen es sich schmückte. Ella fing gerade an komplett abzuschalten, als etwas wirklich unvorhergesehenes passierte. Die Nachbarn von Lottes Eltern kamen zu ihnen in den Garten. Lotte entschuldigte sich bei Ella und fragte, ob es okay sei. Sie hatte nichts dagegen, zumal sie alle hier furchtbar freundlich waren.
Doch dann sprang ihre Laune von einem Moment auf den anderen, als sie die Person erblickte, die ebenfalls in ihren Garten mit den Nachbarn, die Werners, zusammen zu ihnen stieß. Ihr Herz verkrampfte und ihr Hals verknotete sich. Lotte schien genauso überrascht. Nur war sie ihm gegenüber nicht so abweisend eingestellt, wie Ella und deswegen begrüßte sie ihn freundlich. Ob Darren überrascht war oder nicht, konnte sie nicht an seinem Gesicht erkennen. Er blieb ziemlich kalt und unberührt. Sie fing an zu denken, ob sie nicht vielleicht verflucht war. Das war ein Gespräch mit Neemas Großmutter wert. Sie begrüßte ihn nicht und tat auch sonst alles, um seine Anwesenheit einfach zu vergessen.
Sie saßen alle zusammen und redeten über interessante Sachen, wobei Darren natürlich kein Wort von sich gab. Ella bemerkte schnell, dass Frau Werner nicht so freundlich und offen, wie Lottes Eltern waren.
„Was studierst du denn, Ella war das nicht?"
Sie nickte Frau Werner zu.
„Ich studiere Kunst in Kassel."
„Auf Gymnasiallehramt?"
„Oh nein. Einfach nur freie Kunst."
„Wirklich? Ist das nicht riskant? Was willst du denn später einmal machen?"
„Einen reichen Mann heiraten!" lachte Ella auf und alle stimmten ein, außer Darren. Der beobachtete sie ausdruckslos. Ella redete weiter: „Also nein. Ich bin ja noch jung und ich weiß ehrlich gesagt noch nicht wirklich, was ich machen will, nach meinen Studium. Vielleicht an der Uni bleiben."
„Ja, ich habe schon gehört, dass Kunststudenten mit diesem Problem kämpfen."
„Also so direkt kämpfen würde ich es jetzt nicht nennen..."
„Hättest du es mal lieber auf Lehramt studiert."
„Ich hatte auf Lehramt angefangen, aber schnell bemerkt, dass das Lehrerdasein nichts für mich ist."
„Wie schade... Es ist immer traurig, wenn man sieht, wie die Jugend ihre Talente verschwendet..." Ihr Sohn, Peter, stutzte sie wegen dieser Bemerkung zurecht.
„Mama, es steht jedem frei, das zu machen, was er für richtig hält." Sie fuhr leider unbeirrt fort.
„Willst du nicht wenigstens versuchen, dich im modernen Kunstmarkt zu etablieren?"
„Ich glaube, wenn ich ehrlich bin, fehlen mir dafür die Verbindungen und der Ehrgeiz."
„Traurig..." Lotte und Ella tauschten vielsagende Blicke aus.
„Was sagt denn dein Freund dazu?" fragte Frau Werners weiter.
„Ich habe keinen Freund." Die Antwort verblüffte sie.
„So hübsch und keinen Freund?"
Ella lächelte ein wenig beschämt auf.
„Hat sich noch nicht so ergeben..."
„Was hat dein letzter Freund dazu gesagt?"
„Mit 'Hat sich noch nie so ergeben', meinte ich eigentlich, dass ich noch nie einen Freund hatte..." Darrens Blick traf sich ganz kurz mit ihrem.
„Du hattest noch nie einen Freund?!" hakte Frau Werner überrascht nach. Warum interessierte es diese Frau so sehr, dachte sich Ella verbissen.
„Ich... Ich verstehe ihren überraschten Blick nicht." eine leichte Röte legte sich um ihre Wangen.
„Um Gottes Willen! Das ist ja wirklich eigen! Gehörst du etwa zu diesen... diesen Frauen, die sich mit anderen Frauen begnügen?"
„Mama, jetzt übertreibst du aber!" ging Peter ihr scharf dazwischen.
Doch Ella spürte das Bedürfnis einer Aufklärung.
„Ich bin nicht lesbisch, wenn sie das meinen. Ich finde nur nicht, dass man Beziehungen auf die leichte Schulter nehmen sollte! Ich spiele nicht gerne mit Gefühlen und Menschen! Es mag sein, dass ich sehr wählerisch bin, aber das gewiss auch nur, weil ich keine falschen Entscheidungen treffen will und auch im Nachhinein nichts bereuen will. Ich war schon immer der Meinung, dass man sich einmal binden sollte und das sollte der richtige sein!" Und daran war nichts Wunderliches dran! Ihre ganze Etage dachte so, ging es ihr durch den Kopf.
Diese harte Antwort verdutzte Frau Werner bloß noch mehr.
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Jugend noch so ernst denkt... Entschuldige mich bitte. Ich bewundere deine Einstellung."
„Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich zu forsch wurde..." Das dieses Thema in der Gegenwart von Darren angesprochen wurde, ließ es bloß umso unerträglicher und unangenehmer für Ella werden.
Lotte versuchte das Thema auf etwas anderes zu lenken, da sie Ella helfen wollte.
„Wir leben mit Ella übrigens im selben Wohnheim. Und auch Darren wohnt mit uns zusammen."
„Das ist aber reizend." antwortete Frau Werner.
„Ja, wir sind ein ganz reizend bunter Haufen. Welche Nation fehlt uns nochmal ganz?" lachte Lotte.
„Ich glaube, die Indianer." beantwortete Ella.
„Wir haben Koreaner, Afrikaner und Sinti." lachte Lotte auf.
In Frau Werners Gesicht zeichnete sich wieder starke Verwunderung.
„Ist es denn nicht schwierig mit ihnen zusammen zu leben? Sind sie denn alle der deutschen Sprache mächtig?"
Ella versuchte ihren Argwohn über diese Bemerkung herunter zu schlucken.
„Natürlich. Sie sind alle hier geboren. Mae, unsere Koreanerin, ist sogar freie Journalistin."
„Oh... Das ist aber verwunderlich... Und auch lobenswert."
Ella fiel der Blick von Darren auf, als sie Maes Namen erwähnte. Er sah plötzlich auf seinen Teller.
„Und unser Hausmeister ist Türke und seine Frau ebenfalls."
„Sie kocht immer so oft und lecker für uns." schwärmte Lotte.
„Das ist... aber lieb von ihr... Trägt sie denn auch diese... Bedeckung?" Sie nickten ihr zu.
„Ach ja... Und sie dürfen da trotzdem arbeiten.. Und ihr habt auch keine Angst... Sinti sagtet ihr... Sind das nicht diese Zigeuner?"
Darren runzelte langsam seine Stirn. Ihre Engstirnigkeit schien ihn ebenfalls zu nerven.
„Mama, sie sind auch nur einfache Menschen... Genau wie du und ich." ging ihr Sohn dazwischen.
„Sie machen ihre Jobs sehr gut. Und ich wüsste überhaupt nicht, warum wir uns vor ihnen fürchten sollten, inklusive unserer Sinteza. Sie fürchten sich ja auch nicht vor uns." meinte Ella.
„Erst neulich hat unser Hausmeister Ella vor einem nervigen Spanner gerettet."
Darrens Aufmerksamkeit war wieder voll und ganz auf Ella. Sie lächelte leicht.
„Ja, das war unglaublich lieb von ihm. Er hat ihn einfach rausgeschmissen... Ich sollte ihm wirklich etwas Großartiges dafür zurück geben."
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