You′re frozen When your heart's not open

Dieses Kapitel möchte ich Nezumigami widmen, meiner allerersten Followerin und seit dieser Zeit treuen Begleiterin. Danke, dass Du mir Belial an meinem Seerosenblatt vorbeigeschickt hast. Höllische Grüße!

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Sachte streicht Rhys über den Bogen Pergament. Andächtig gleiten seine Fingerspitzen über die Buchstaben. Doch nichts ändert sich an den Worten, die dort für ihn, in Dafydds fein geschwungener Handschrift, niedergeschrieben sind.

»Wann dachtest du, mir davon zu erzählen?«, fragt er Bruder Martin mit gefährlich ruhiger Stimme. Die kochende Wut, die ihn die letzten zwei Tage umtrieb, hat sich in etwas kaltes und tödliches verwandelt.

»Ich habe Dafydd versprochen, eine Woche zu warten.« Der Mönch steht ihm mit offenem Blick gefasst gegenüber, die Hände locker vor seinem stattlichen Leib gefaltet. Ganz der ehrliche, brave Gottesmann. Rhys verkneift sich ein abfälliges Lachen.

»Habt ihr geglaubt, ich stürme ihm hinterher und schleife ihn wieder zurück?« Der Gedanke ist ihm tatsächlich gekommen, doch das würde er niemals zugeben.

Martin antwortet schlauerweise nur mit einem Schulterzucken.

Behutsam legt Rhys den Brief beiseite, den er zufällig wegen der Klärung eines Streitfalls gefunden hat. Es ist eigentlich auch egal, ob sein Bruder vier Wochen, vier Monate oder vier Jahre unterwegs sein wird. Er wird ihn nicht wiedersehen. In acht Tagen ist Alban Hevin, die Sommersonnenwende. Sein Entschluss steht fest. Sein einziger Freund und die Frau, der er sein Herz geöffnet hat, haben ihn hintergangen. Himmel, selbst sein eigener Bruder vertraut ihm nicht. Allerdings hält der es für nötig, eine beschwerliche und gefährliche Pilgerreise zu unternehmen, um Rhys' Seele vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Welch unnütze Zeitverschwendung. Um seine Rettung wird er sich selbst kümmern. Hier hält ihn jedenfalls nichts mehr.

»Es ist gerechtfertigt, wenn du deinen Groll an mir auslässt. Doch Lady Arwen trifft in keinster Weise eine Schuld.«

Rhys blickt auf. Ach ja, der Mönch steht immer noch vor dem Tisch. Martin schweigend ignorierend, betrachtet Rhys die Bücherregale der Schreibstube. Sie werden einen Verwalter brauchen, bis Dafydd zurückkehrt. Seine eigene Abwesenheit wird kein so großes Loch hinterlassen.

»Was du ihr unterstellt hast, ist eine grobe Beleidigung. Sie ist keine Frau, die ihre Gunst kaltblütig verschenkt, um irgendein Ziel zu erreichen.«

Bla, bla, bla. Es stimmt, kaltblütig ist Arwen auf gar keinen Fall. Aber wenn an seinem Vorwurf nichts dran wäre, hätte sie Gift und Galle gespuckt und ihm die Kniescheibe zertrümmert. Oder etwa nicht?

Rhys beginnt, die Fugenkreuze der steineren Wand hinter Martin zu zählen. Er will nicht über Arwen nachdenken. Er vermisst ihr Lachen, ihre komischen Geschichten und ihre seltsamen Redewendungen, sehnt sich nach ihren zärtlichen Berührungen, ihren leidenschaftlichen Küssen und ihrer weichen weiblichen Hingabe. Trotzdem geht er ihr beharrlich aus dem Weg. Und das liegt nicht an einem gefrorenen Herzen, welches sie gestern in einer traurigen Ballade besungen hat. Vielmehr fürchtet er, dass die Reste des schmerzenden Organs in seiner Brust in tausend winzige Stücke zerspringen werden, sollte er sich noch mehr an dieses Wesen binden.

»Wenn du aus deinem Tümpel voll Selbstmitleid herausgekrochen kommst, können wir vielleicht vernünftig miteinander reden.« Bruder Martin wippt herausfordernd auf den Fersen.

Diese Provokation lässt Rhys ungerührt. Er blendet Martins Ansprache einfach aus und grübelt, wo er das Schriftstück mit der Beschwörungsformel hingelegt hat.

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Bruder Martin ist allmählich mit seinem Latein am Ende. Dass Rhys über Dafydds Vorhaben nicht begeistert sein würde, hatte er erwartet. Ebenso das erste Grummeln und Wüten nach seinem erzwungenen Einlenken. Alle hatten es geduldig ertragen. Niemand war ernsthaft zu Schaden gekommen. Lediglich Ulfar trug eine blutige Lippe und eine gebrochene Nase davon, als er wegen irgendeiner dummen Bemerkung buchstäblich hochkant aus der Schmiede flog, in der Rhys seinen Frust mit körperlicher Arbeit bekämpfte.

Der eisige, emotionslose Panzer, den Rhys jetzt trägt, bereitet ihm aber ernsthaft Sorgen. Dieses Stadium der kompletten Abschottung glaubte Martin längst bei Rhys durchbrochen zu haben. Er muss sich eingestehen, dass es ein Fehler war, Arwen in diese Angelegenheit mit hineinzuziehen. Der Mönch hatte gehofft, ihre Anwesenheit würde Rhys besänftigen und Dafydd gegenüber milde stimmen. Der Plan schien aufzugehen, doch nach dem vorzeitigen Fund des Briefes ist nun genau das Gegenteil eingetreten. Rhys verkriecht sich hinter seinem geballten Zorn und umgibt sich mit einer stachligen Hecke aus Misstrauen. Wenn dieser Sturkopf nur nicht so verschlossen wäre!

Aufgeben kommt für Martin nicht in Frage. Er versucht einen neuen Ansatz, um zu Rhys durchzudringen. »Ich habe dich nicht verraten, nur weil ich deinen Bruder unterstütze. Dafydd wird erwachsen. Er muss seinen eigenen Weg gehen. Du kannst ihn nicht gegen seinen Willen hier festhalten. Wenn du ihm die Flügel brichst, verfällt er womöglich noch dem Alkohol und stürzt sich von den Klippen.«

Endlich blickt ihm Rhys wieder in die Augen. »Ach, wenn dieser Ort so schrecklich ist, was hält dich dann noch?«

Für einen Moment muss Martin sich sammeln. »Wirfst du mich raus?«

Rhys schnaubt nur verächtlich. »Mach doch, was du willst.«

Der Mönch tritt an eines der Fenster und atmet erleichtert auf. Unten im Burghof herrscht die übliche Normalität. Es scheint die Sonne, die Kinder lachen und die Bewohner gehen ihrer täglichen Arbeit nach. Wieso sieht Rhys nicht, welches Glück er hat?

»Weißt du, ich habe dir das nie gesagt, aber du hast mir hier etwas gegeben, von dem ich nicht erwartet habe, es noch einmal zu finden. Ein Zuhause. So etwas wie Familie«, gesteht Martin wehmütig.

»Und wieso lässt du ein Familienmitglied auf solch eine bescheuerte Pilgerfahrt?«, faucht ihn Rhys an. Das wütende Funkeln ist in seine Augen zurückgekehrt.

Geht doch, denkt Martin. Ich fange mir heute vielleicht noch eine Tracht Prügel ein, aber wir kommen voran.

»Dafydd kann auf dieser Reise vieles lernen«, sagt er beschwichtigend. »Mit Rurik unterwegs zu sein, würde ich nicht wirklich als Pilgerfahrt bezeichnen. Mein alter Freund ist sehr flexibel, was seinen Glauben angeht. Er sucht sich zum Beten meist den Gott, den er gerade für passend hält.«

»Aber Dafydd glaubt an diesen Schwachsinn!« Mit der flachen Hand schlägt Rhys auf das Schreiben seines Bruders.

Der Mönch greift nach dem Kreuz an seiner Kette und murmelt ein leises »Herr, vergib ihm.«

»Das kannst du dir sparen«, giftet Rhys. »Der Herr weiß ganz genau, was ich über ihn denke. Schließlich habe ich wochenlang zu ihm gesprochen, als ich in diesem stockfinsteren, stinkenden Loch saß, in welches mich meine Pilgerreise gebracht hat. Jemand anderen zum Reden hatte ich nämlich nicht. Weißt du, wie das ist, wenn du dich verzweifelt nach dem Anblick einer menschlichen Seele verzehrst und gleichzeitig nichts mehr fürchtest als die Schritte der Wärter? Und was hat mir all mein Beten und Bitten und Schwören gebracht? Ich bin verschachert worden, wie ein Stück Vieh!«

Stille breitet sich nach dieser Offenbarung aus. Schweratmend starrt der Ritter erneut Löcher in die Wand. Längst hegte Martin eine Ahnung in diese Richtung. Aber Mitleidsbekundungen werden Rhys nicht helfen, sich endlich der Vergangenheit zu stellen.

»War dein Vater eigentlich damit einverstanden, dass du am Kreuzzug teilnimmst?«

Rhys zuckt kurz zusammen. »Ich war Schildknappe! Es war meine Aufgabe, meinen Herrn zu begleiten.«

Das lässt Martin nicht gelten. »Die Teilnahme ist vom höchsten Adligen bis zum kleinsten Gemeinen jedem freigestellt. Oder hat Baron Giffard dich gezwungen? Er hatte doch sicher mehr als einen Knappen, unter anderem einen seiner Söhne, nicht wahr?«

Rhys' Schweigen ist ihm Antwort genug. »Sei ehrlich. Du wärst todunglücklich gewesen, hätte dein Vater dich zurückgehalten.«

»Nur gut, dass es mir jetzt so blendend geht.« Höhnisch spottend legt sich Rhys die Hand aufs Herz und Martin wünscht sich verzweifelt, es gäbe ein Heilkraut für eine verletzte Seele.

»Lass Dafydd nicht für das büßen, was dir Schlimmes angetan wurde. Dein Bruder unternimmt diese Reise unter völlig anderen Voraussetzungen.«

»Und seine lauteren Absichten bewahren ihn dabei vor jeglichem Unheil?«, poltert Rhys aufgebracht. »Solch haarsträubende Märchen erzählt noch nicht mal Arwen.«

Der Mönch nimmt sich einen der harten Holzstühle und sinkt schwerfällig neben Rhys darauf nieder. »Du hast nie über deine Erlebnisse im Heiligen Land gesprochen und ich habe dich nie gefragt, warum eine Horde Sarazenen dich schwerverletzt auf den Stufen unserer Mission abgelegt hat. Gekleidet und bewaffnet wie einer der ihren. Es gab heftige Diskussionen unter meinen Brüdern, ob wir einem Ungläubigen helfen sollen. Wir haben uns für das Gebot der Nächstenliebe entschieden und wie groß war unser Erstaunen, als unter dem fremden Gewand ein Christenmensch zum Vorschein kam.«

Sinnierend streicht sich Martin über den lockigen Bart und legt seine große Hand auf die angespannte Schulter des Jüngeren. »Gott hat dich nicht vergessen. Aber du musst die Vergangenheit loslassen und dein Herz öffnen, mein Freund, um das Gute, was dir widerfährt, anzunehmen. Vergebung und Frieden wirst du nur erlangen, wenn auch du vergibst, vorallem dir selbst.«

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Mit aller Gewalt beißt Rhys die Zähne aufeinander, um nicht lauthals zu schreien. Der Mönch rührt an Dinge, über die er nie ein Wort verlieren wollte. Wie kann Martin großzügig von Vergebung reden, wo er doch diesen blutigen Wahnsinn selbst erlebt hat?

Sprich mit mir. Pah! Dem Mönch würde die Kutte flattern, wenn er wüsste, mit wem er aus Palästina zurückgekehrt war. Der vielgepriesene Smaragd Khalil al Jafars war kein Edelstein und die Geisel der Nefud kein Heuschreckenschwarm. Kein ehrbarer Mann vergab den Begriff Freund an eine männliche Hure, die sich plündernden Banditen angeschlossen hatte.

Und was Arwen angeht ... den Tylwyth Teg darf man nicht trauen. Elfen sind doppelzüngig und verschlagen. Menschen interessieren sie nur als kurzweiliger Zeitvertreib. Doch wie bringt man einen arglistigen Waldgeist zum Weinen?

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