Wetten, dass ...
Wäldchen bei Caer Draig, Frühjahr 1198
Liebliche Flötentöne begrüßen die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages. Die Melodie küsst die vom Tau benetzten Küchenschellen, läutet die Glöckchen der Schlüsselblumen, weckt die eingerollten Wedel von Hirschzungen- und Adlerfarn und entlockt den ersten Veilchen ihren betörenden Duft. Sie liebkost das frische Grün der Bäume, vereint sich mit dem vielstimmigen Chor munter zwitschernder Vögel und kündet vom Zauber knospenden Lebens.
Der Flötenspieler lehnt am Fuß einer alten knorrigen Eiche, die sich schräg zum Himmel emporstreckt, gerade als würde sie sich zurücklehnen, um es ihm so bequem wie möglich zu machen.
Ein silberblauer Falter umkreist ihn, verschwindet in einem aufsteigenden Nebelschleier und verändert seine Form. Aus dem Dunst tritt ein schlanker junger Mann hervor und setzt sich zu dem Musikanten. Silbriges Haar fällt ihm über die Schultern auf ein feingewirktes, zartgrünes Gewand, in welches bunte Blütenblätter und Knospen hineingewebt sind. Die beiden gleichen einander in Statur und Haartracht, den ebenmäßigen, erhabenen Gesichtszügen mit hohen Wangenknochen und den leicht schrägen Augen. Die Kleidung des Musikers ist von einem dunkleren Moosgrün und mit schimmernden Silberfäden durchzogen. Dadurch verschmilzt er geradezu mit den lichtgesprengelten Schatten des Waldrandes.
Seufzend bettet der Neuankömmling seinen Kopf auf den Schoß des Freundes und lauscht verzückt den letzten verklingenden Tönen.
Der Virtuose nimmt die Flöte von den Lippen und streicht seinem Geliebten die langen Strähnen hinter die spitzen Ohren.
»Was treibst du nur wieder, Tásúil? Verschwendest all deine Magie an diese unwürdigen Menschen.«
Seine amethystfarbenen Augen blicken mit Missbilligung auf die erschöpfte Gestalt.
»Ach Aranel. Wenn du es doch nur verstehen könntest.« Ein Blick, so silbrigblau wie die Flügel des Schmetterlings, streift die feingeschwungenen Lippen des Musikanten.
»Die Liebe der Menschen ist so etwas besonderes. Sie ist stark wie der Tod und mächtiger als die Zeit.«
»Du bleibst ein hoffnungsloser Träumer. Die Menschen lieben nur sich selbst«, brummelt Aranel griesgrämig. »Diese Kreaturen haben keinen Blick für unseren Zauber und die wahre Schönheit der Natur. Sie hören nicht die Stimmen der Bäume, sie spüren nicht den Herzschlag der Erde. Sie begreifen einfach nicht die Bedeutung vom Gleichgewicht der Dinge. Statt im Einklang mit der Schöpfung zu leben, pfuschen sie ständig daran herum und versuchen alles zu ihren Gunsten zu verbiegen. Das wird eines Tages noch unser aller Untergang sein.«
»Du irrst, Aranel. Gewiss, viele sind verlorene Seelen, doch es gibt noch immer Männer und Frauen, die die Wunder sehen und das Wissen bewahren und solche, die ihrem Herzen folgen und für ihre Liebe jedes Opfer auf sich nehmen.«
Der Elf verzieht die Lippen zu einem zynischen Lächeln.
»Von wem redest du, Tásúil? Von den alten Druiden, die in den letzten Eichenhainen auf Ynys Môn hausen und keine Nachfolger haben? Oder von den Priesterinnen von Llŷn? Ach nein, da gibt es ja auch keine mehr, weil die letzte statt einer Erbin nur Knaben zur Welt gebracht hat. Nur weil sie unbedingt ihrem Herzen folgen musste und einen gewöhnlichen Menschenmann zum Gefährten erwählte. Die Harfe ist verstummt und niemand besänftigt mehr die Meeresdrachen, wenn sie die Gezeiten mit Sturmfluten ans Land peitschen.«
»Rhaynes Sohn trägt die Gabe in sich. Immerhin hat er uns gerufen.«
»So, so, der Druidenfratz, hm«, Aranel spielt nachdenklich mit den Haaren seines Liebsten und flicht ihm Zöpfe mit frischem Frühlingsgrün und Gänseblümchen. »Er hat es dir wohl angetan? Dabei glaubt er weder an die alten Götter noch an den neuen Erlöser der Menschen und an die Liebe gleich gar nicht. Außerdem ist er völlig unmusikalisch«, fügt er noch trotzig hinzu.
Tásúil lächelt mit geschlossenen Augen. »Dafür habe ich das Mädchen geholt.«
Aranel verdreht die Augen und lockt mit seinen langen schlanken Fingern einen Sonnenstrahl in seine Hand.
»Die arme Maid. Wirfst sie diesem Primitivling vor die Füße. Eingehen wird sie, wie eine Primel bei Spätfrost. Oder dieser Barbar wird sie unter seinen Stiefeln zertreten. Sie können einander doch nicht mal verstehen.«
»Ich bin kein Novize, dem solch ein stümperhafter Anfängerfehler unterläuft«, tadelt ihn Tásúil. »Mir scheint, hier hat noch ein anderer jeglichen Glauben verloren.«
»Ich glaube, dass all deine Mühen verschwendete Kraft und Zeit sind. Die Menschen sind diese Anstrengungen einfach nicht wert. Komm mit mir mit. Ich werde den anderen an die westlichen Gestade folgen. Kehren wir heim in das alte Königreich, in unser Land unter den Hügeln.«
Fast beschwörend murmelt er die Worte und drückt dem Freund einen sanften Kuss auf die Stirn.
Tásúil hebt die schweren Lider und sieht das Sehnen in den edelsteinfarbigen Augen.
»Also gut. Sollte ich unrecht haben und die beiden sich nicht für die Liebe entscheiden, werde ich mit dir fortgehen.« Er lässt seinen Blick über die schimmernde Frühlingswiese gleiten. »Auch wenn mir dieses Fleckchen Erde so sehr ans Herz gewachsen ist.«
Aranel hebt erstaunt die Augenbrauen. »Eine Wette? Einverstanden! Aber es muss einen ultimaltiven Liebesbeweis geben. Ein einfacher Kuss zählt nicht.«
»Natürlich«, antwortet Tásúil gähnend, »du wirst sehen und staunen. Und dann bleiben wir hier in unserem Wäldchen, solange die Menschen noch Lieder über uns singen.«
»So sei es! Jetzt schlaf, mein Liebster, schlaf und träume. Ich werde weiter den Frühling rufen und wenn die nächsten Feuer brennen, wirst du mich auf meiner Reise begleiten.«
Selbstzufrieden lehnt er sich zurück und hebt die Flöte an die Lippen.
»Sag Aranel«, flüstert Tásúil, schon halb im Schlummer versunken, »wie groß ist deine Liebe für mich? Würde es dir das Herz brechen, mich zu verlieren?«
Der Elf unterbricht sein Spiel und schaut auf den schlafenden Gefährten hinunter.
Nachdenklich reibt er sich die Brust.
»Mein Herz? Ich weiß es nicht, mein Liebster. Aber ich wäre sicher sehr, sehr traurig. Deshalb werde ich diese Wette auf jeden Fall gewinnen!«
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