Bim ... Bim ... Bim ... Bim ... Bim ...
Ja Herrschaftszeiten! Kann mal einer dieses Gebaumel abstellen?
Mein Kopf dröhnt, meine Glieder sind taub und mir ist speiübel. Mit viel Mühe öffne ich ein Auge und juchhe! noch immer Felldecke, Himmelbett und historische Fresken an den Wänden.
Bim ... Bim ... Bim ... Bim ... Bim ...
Die Glocke der Kapelle im Burghof wird immer energischer. Es wird doch nicht brennen? Oder Krieg herrschen? Oder kommt ein König zu Besuch? Ich quäle mich stöhnend hoch. Zumindest bin ich heute noch bekleidet. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir vereinzelte Menschen, die zum Gotteshaus gehen.
Ach so, es ist Sonntag. Gottesdienst. Da kann ich noch eine Runde ins Bett kriechen. Doch dann wird mir klar, dass es sicher nach der Andacht Frühstück gibt. Wenn ich es nicht schon verpasst habe. Das wird dann ein Doppel-Intervallfasten. Auch wenn mir momentan nicht nach Essen ist, bis zum Abend halte ich ohne Nahrung nicht durch.
Also wieder rausgekrabbelt, kurz frisch gemacht, den grünen Umhang übergeworfen – wollte seine Lordschaft den nicht dringend wiederhaben? – und ab nach unten.
Auf dem Weg versuche ich den gestrigen Abend zu rekonstruieren. Es gab leckeres Essen und ich habe mich über Rhys geärgert, weil er so mufflig war. Dann wurde es fröhlich, mit Wein und Gesang, und ich habe mich über Rhys geärgert, weil er einfach verschwunden ist. Danach ist alles etwas undeutlich, aber ich habe mich mit Rhys gestritten, glaube ich. Zumindest sehe ich seine blitzenden grünen Augen ganz nah vor mir. Vermutlich war mein Verhalten wieder nicht in seinem Sinn. Der Mann ist wirklich kompliziert.
In der Kapelle drücke ich mich mit auf eine der hinteren Bänke. Der Gottesdienst unterscheidet sich nicht groß von denen, die ich kenne. Vorn erzählt der Priester mit gewichtiger Stimme von der Bedeutung unseres Handelns für unser Seelenheil und Gottes Wissen über alles. Mich wundert, dass er die Predigt nicht in Latein hält, aber Bruder Martin ist anscheinend ein sehr unkonventioneller Geistlicher. Trotzdem bin ich froh, ihm nichts über meine übernatürliche Erfahrung berichtet zu haben.
In erster Reihe sitzt die Elite. Die Kynan-Brüder, so ähnlich und doch nicht zum Verwechseln. Dafydd, vornehm, wie aus dem Ei gepellt. Rhys dagegen, wie der letzte Gast in einer Kaschemme. Irgendwie muntert es mich auf, dass er so aussieht, wie ich mich fühle. Ob er auch zuviel getrunken hat? Ich kann mich düster an einen Krug in seiner Hand erinnern.
Nach einem gemeinsamen Lied und dem obligatorischen Amen husche ich mit den übrigen hinaus und helfe Bronwyn die gesammelte Kinderschar in einem Rutsch in die große Halle zu scheuchen.
Die Würmchen dauern mich. Viele von ihnen haben ein oder sogar beide Elternteile verloren. Zum Glück sind die Menschen hier auf der Burg eine eingeschworene Gemeinschaft und kümmern sich, so gut es geht, um die Waisen.
Zum Frühstück gibt es etwas, das aussieht wie eine Mischung aus Griesbrei und Haferschleim. Ich spüre meinen Magen protestieren. Bronwyn drückt mir eine halbvolle Schüssel in die Hand. Verständnisvoll kommentiert sie mein wenig enthusiastisches Gesicht.
»Der Hirsebrei ist gut bekömmlich und bleibt auch drin. Nach einem Fest serviert Moira nichts, was uns die Männer in die Ecken spucken.« Zwinkernd reicht sie mir noch einen Becher Kräutertee und ich vertraue darauf, dass die Köchin uns nicht alle vergiften wird.
Die Grütze schmeckt wider Erwarten besser als gedacht. Wie auch in der Kapelle und am Tag zuvor, sitzen Männer und Frauen getrennt und diesmal bleibe ich bei meinen Geschlechtsgenossinnen. Nach dem gestrigen Abend haben die meisten ihre Scheu vor mir verloren und bombardieren mich mit Fragen, die ich nicht alle beantworten kann und mit Informationen, die ich mir nicht alle merken kann. Zumindest versuche ich mir Namen und Gesichter einzuprägen.
Zwischen dem ganzen Geschnatter schiele ich möglichst unauffällig zu den Männern hinüber. Rhys und Dafydd löffeln artig ihren Brei. Durch das Tuch, welches ich mir zum Kirchgang übers Haar gelegt habe, kann ich wie durch einen Schleier hindurchspähen, ohne dass sie es mitbekommen. Wenn ich nur wüsste, ob oder besser womit ich den Hausherrn verärgert habe. Schließlich bin ich durchaus auf sein Wohlwollen angewiesen.
Denn noch etwas anderes beschäftigt mich. Ich lasse mich ungern ohne Gegenleistung durchfüttern und möchte mich gern nützlich machen. Die Frage ist nur, wie?
Ich habe mir viel auf mein neuzeitliches Wissen eingebildet, aber jetzt nützt mir das alles kein Stück. Ich kann prima seitwärts einparken und ohne Probleme eine Fahrkarte am Ticketautomaten lösen, aber Feuer machen oder Hühner schlachten oder Brot backen ohne Supermarktbackmischung? Äh ..., null Ahnung. Mit meinen Handarbeitsfertigkeiten sieht es nicht besser aus. Meine Näh- und Strickkünste sind allenfalls amateurhaft und Wolle mit der Handspindel spinnen? Da hat sich Dornröschen besser angestellt. Korbflechten! Ja, klar, mit vorgefertigten Bauteilen und meine Kräuterkenntnisse? Da weiß ich durchaus die Namen vieler Pflanzen und meist auch ihre Verwendungsmöglichkeiten. Aber über Salbei- oder Pfefferminztee hinaus ernsthaft kranke Menschen behandeln? Keine Chance. Mal eben fix ein passendes DIY-Video reinziehen ist nicht drin.
Ich bin vollkommen nutzlos. Selbst für die Masche mit dem lieben Frauchen bin ich zu blöd und tauge damit noch nicht mal als hübsches Accessoire. Über kurz oder lang werde ich hier in hohem Bogen rausfliegen.
Und so schaue ich bald ebenso finster wie Rhys in meinen Brei. Da zupft es zaghaft an meinem Ärmel und Eirlys steht mit einem anderen kleinen Mädchen neben mir.
»Möchtest du mit uns die Gänse zum Weiher treiben?« Sie ist ja so ein Schatz! Augenblicklich hebt sich meine Stimmung. »Aber gern. Wer ist denn deine Freundin?«
»Das ist Ceri«, flötet Eirlys und zerrt sie nach vorn. Die Püppi hat Haare wie ein Rauschgoldengel und ein niedliches Stupsnäschen. Sie scheint sich ihres Aussehens schon sehr bewusst zu sein und schiebt Eirlys Hände energisch beiseite.
»Mein Name ist Ceridwen«, berichtigt die Kleine mit einem formvollendeten Knicks. Das kann ich gut verstehen, Spitznamen und Verniedlichungen sind auch nicht meins.
»Und ich bin Arwen«, antworte ich ihr. »Du brauchst nicht vor mir zu knicksen. Ich bin leider keine Prinzessin«, füge ich verschwörerisch flüsternd hinzu. Dann nehme ich die beiden an den Händen und lasse mich von ihnen zu den Stallungen führen. Auch wenn am Tage des Herrn keine Arbeit angesagt ist, um das Wohl von Tier und Mensch muss sich gekümmert werden.
Die Gänse sind von meiner Anwesenheit weniger angetan. Sehr zur Freude der Mädchen treiben diese Mistviecher eher mich den Burgberg hinunter, als umgekehrt. Ich habe kaum Zeit, die wunderschöne ursprüngliche Landschaft um mich herum zu bewundern. Ständig will mir so ein Federtier in die Waden zwicken.
Am Weiher angekommen, beruhigen sich alle und ich falle erschöpft ins frische Gras. Der kleine Teich wird von einem Bächlein aus dem nahen Wald gespeist und ist von Haselsträuchern, Erlen und Weiden mit langen, herabhängenden Zweigen umgeben. Die Frühlingssonne ist bereits kräftig und wärmt angenehm. Meine ganze Situation ist so was von unwirklich, aber warum soll ich diese schönen Momente nicht genießen? Ich schiebe alle Fragen, auf die ich keine Antwort habe, und Probleme, die unlösbar scheinen, beiseite und lausche fröhlichem Vogelgezwitscher und geschäftigem Insektenbrummen. Die Kinder sind noch immer am Kichern, doch ich nehme es ihnen nicht übel.
»Kennt ihr das Märchen von der Gänsehirtin am Brunnen?«, frage ich die beiden und kurze Zeit später hängen sie gespannt an meinen Lippen. Danach erzähle ich noch von der Gänsemagd und ihrem treuen Pferd Falada, der Goldenen Gans und von Nils Holgerssons wundersamer Reise. Mehr fällt mir mit Gänsen im Augenblick nicht ein, aber ich brauche auch dringend eine Pause.
Durch die überhängenden Weidenzweige schimmern die Sonnenstrahlen und zeichnen glitzernde Muster auf die Wasseroberfläche. Was für ein idyllisches Fleckchen. Vorsichtig tauche ich meine Hand in das Wasser. So kalt ist es gar nicht. Das wäre doch eine gute Gelegenheit für ein erfrischendes Bad.
Die Mädchen sitzen weiter vorn am Ufer und pflücken Brunnenkresse. »Hey«, rufe ich ihnen zu, »gebt ihr mir Bescheid, wenn jemand kommt? Ich springe nur mal kurz ins kühle Nass.«
»Da hinten ist es tief. Da musst du aufpassen.« Eirlys zeigt auf das gegenüberliegende Ufer. »In Ordnung. Keine Sorge, ich kann schwimmen«, antworte ich und setze meinen Plan in die Tat um. Die Kleidungsstücke hänge ich in greifbarer Nähe über einen Ast.
Mit dem Fuß fühlt sich das Wasser um einiges kälter an, aber jetzt will ich keinen Rückzieher machen. Als mir die Wellen um den Bauch schwappen, halte ich die Luft an und tauche kurz unter. Nach den ersten Schwimmzügen ist es einigermaßen aushaltbar. An der tiefen Stelle berühren die Blätter der langen Weidenzweige die Oberfläche des Teiches und ich lasse mich hindurchtreiben. Moosbedeckte flache Steine säumen den Uferbereich.
Der dichte Blättervorhang schafft einen abgeschirmten Bereich mit geradezu märchenhafter Stimmung. Die Luft ist erfüllt von frischem Frühlingsduft. Es riecht für mich nach Neubeginn, Aufbruchstimmung und Hoffnung. Ein Kaleidoskop an farbigen Lichtreflexen spiegelt sich in jedem Wassertropfen. Unwillkürlich blicke ich in die knorrigen Kronen der Weidenbäume. Welch passender Wohnort für spitzohrige Fabelwesen. Doch keine seltsamen Gestalten hocken in den Ästen. Allmählich fangen meine Hände und Füße an zu kribbeln und ich schwimme zurück. Natürlich habe ich jetzt kein großes Strandtuch zum abtrocknen, die Schürze muss genügen. Schnell noch BH und Slip ausgewaschen und ich recke mich in die Sonne und nach meinen Kleidern. Ceridwen und Eirlys starren auf meinen nackten Bauch.
»Ist das ein Edelstein?«
Die Frage überrascht mich. War Eirlys mein Nabelpiercing neulich gar nicht aufgefallen? »Nein, das ist nur blaues Glas«, sage ich und drehe mich leicht zur Seite. Doch da entdecken die beiden die kleine Tinkerbell auf meiner Hüfte.
»Sie ist eine Gezeichnete«, raunt Ceridwen Eirlys hinter vorgehaltener Hand überdeutlich zu. Das irritiert mich. Tätowierungen sind nun wirklich keine neuzeitliche Erfindung. Auch wenn eine kleine geflügelte Elfe oberhalb der Pobacke vielleicht ein wenig aus dem Rahmen der jetzt gängigen Motive fällt.
»Es ist nur ein Bild. Körperschmuck, so wie eure Haarbänder«, versuche ich es ihnen zu erklären und schlüpfe in meine geborgten Kleider. Ohne die Schürze ist es der reinste Schlabberlook, aber die hängt mit meiner Unterwäsche zum Trocknen im Gebüsch.
Die Mädchen kringeln sich bei meinem Anblick vor Lachen. Wenigstens haben sie keine Angst vor mir. Dann merke ich, dass ich das Oberteil verkehrt herum anhabe. Stöhnend zerre ich es wieder über meinen Kopf, wobei ich mich verheddere und hoffnungslos steckenbleibe, bis Eirlys mich befreit.
»Ich glaube, du brauchst doch eine Zofe«, meint sie schmunzelnd.
»Nein, ich brauche kein Dienstmädchen!«, erwidere ich forsch. Die Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben und ich ziehe an ihren langen Zöpfen. »Aber eine Freundin könnte ich gut gebrauchen«, dabei zwinkere ich Ceridwen zu, »oder auch zwei.«
Damit sind die Mädchen einverstanden und wir verbringen einen wundervoll friedlichen Tag zusammen. Meine Übelkeit und die Kopfschmerzen haben sich im Zauber von herrlicher Frühlingsluft, Sonnenschein und Kinderlachen verflüchtigt. Wann war ich das letzte Mal so entspannt und zufrieden?
Gemeinsam pflücken wir ein Körbchen voll mit Brunnenkresse, Sauerampfer, Knoblauchsrauke und ersten Gierschblättchen. Dabei kommt mir die Idee. In den schattigen Auwaldniederungen war ich oft mit meiner Großmutter zum Bärlauch sammeln. Gleich morgen früh werde ich mich auf die Suche begeben. Eine Bereicherung des Speiseplans ist sicher willkommen und ich kann ein paar Pluspunkte verbuchen. Zu Fuß ist es zwar ein ganz schönes Stück Weg, aber wer wird mich in den zwei, drei Stunden schon vermissen?
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