Wenn etwas schief geht, dann richtig.

Dieses Kapitel widme ich Molybdaen42. Danke, dass Du solange dabei geblieben bist. Ich freue mich immer, was von Dir zu hören.

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»Hey, hey, hey, wen haben wir da?« ... »Welch hübsches Vögelchen flattert denn hier herum?« ... »Komm in meine Arme, Liebchen!«

Mindestens fünf bärtige, in abgerissenes Fell und Leder gehüllte Männer, klettern in voller Bewaffnung zwischen den zerklüfteten Felssteinen hervor und reiben sich grinsend die Hände. Ihre heimtückische Ausstrahlung lässt keinen Zweifel an ihren bösartigen Absichten.

Ich schlage einen Haken, spare mir meinen Atem fürs Rennen und verzichte auf eine Antwort.

Ich bin eine gute Läuferin. Die hinderlichen Röcke habe ich nach oben gezogen. Das anzügliche Johlen und Pfeifen hinter mir, blende ich aus. Meine nackten Füße berühren kaum den Boden. Zielgerichtet schaue ich nach vorn. Die blühenden Wildblumen huschen als verwischte, bunte Flecken am Rande meines Sichtfeldes entlang. Ich kann es schaffen!

Nur noch eine Senke! Und noch einer dieser saftig grünen Hügel, die sich Woge für Woge bis zur Burg hinziehen. Wunderschöne Landschaftskalendermotive, doch furchtbare Hindernisse, wenn man dringend Sichtkontakt zu helfenden Menschen braucht.

Wenigstens die Kinder sind in Sicherheit. Dem Keuchen und Schnaufen nach, sind die Banditen alle hinter mir her. Oder stammen die Geräusche von mir selbst? Meine Lungen brennen, mein Atem pfeift immer lauter. Ich wage es nicht, mich umzudrehen. Nur noch wenige Meter. Ich werde es schaffen!

Meine Füße rutschen auf dem weichen Gras, heftiges Seitenstechen zwingt mich in die Knie. Auf allen vieren krabbel ich den Hang hinauf. Gleich! Gleich habe ich die rettende Kuppe erreicht. Mit letzter Kraft ziehe ich mich nach oben. Dort vorn leuchten die roten Zinnen von Caer Draig vor dem strahlend blauen Himmel. Erleichtert richte ich mich auf. Ich habe es gescha...

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Die warmen Strahlen der Nachmittagssonne tanzen über die dunklen Holzbohlen des Dielenbodens im Druidenturm und sprenkeln sie mit kleinen goldenen Tupfen. Hinter den dicken Mauern ist es angenehm kühl. Unzählige Bündel frischer Kräuter baumeln von der Decke und verströmen einen überwältigenden Duft. Schwach dringen von draußen die Geräusche der täglichen Arbeit der Bewohner herein.

›Und was mache ich?‹, grübelt Rhys missmutig. ›Ich versuche eine Elfe zum Weinen zu bringen!‹

Wie ehrenvoll. Und wie erfolgslos. Er streckt die Beine zwischen Stapeln von Büchern unter den kleinen wackligen Tisch. Vor ihm liegt die Pergamentrolle, nach der er lange suchen musste. Unentschlossen schiebt Rhys sie von einem zum anderen Ende des Tisches.

Keine einzige Träne hat Arwen vergossen. Weder für die Eschen, noch für den Eichenhain. Auch seine fantasievollen Pläne für Sumpfwiese und Murmelbach zeigten keinerlei Wirkung. Was für ein Naturgeist war sie, dass sie die angekündigte Zerstörung völlig kalt ließ?

Nachdenklich lässt er die zartgliedrige Eisenkette durch die Finger gleiten. Vor dem Eisen war sie zurückgeschreckt.

»Wieso musst du dich immer ganz oben verkriechen?«, poltert Bruder Martins Bass von unten herauf. Schnaufend schiebt sich der füllige Mönch die enge Treppe hoch und zwängt sich durch die schmale Luke in die vollgestopfte Kammer.

»Hier ist die Mitte, aber ich kann auch raufgehen, wenn dir die Aussicht da besser gefällt«, motzt Rhys, verärgert über die Störung seiner unausgegorenen Gedanken.

Martin walzt mit hochrotem Kopf auf ihn zu und knallt die geballten Fäuste auf die Tischplatte. Das arme Tischchen ächzt ängstlich und das zusammengerollte Schriftstück hüpft zitternd über die Kante. Reaktionsschnell stoppt Rhys die Flucht der Pergamentrolle mit seinem Stiefel. Sich danach zu bücken unterlässt er allerdings, lieber behält er den aufgebrachten Mönch im Auge.

»Was, in aller Welt, stimmt nicht mit dir?« Martins sonst so freundliche Augen blitzen ihn zornig an, seine massige Gestalt beugt sich über den bedrohlich knarrenden Tisch. »Musst du jeden Menschen fortstoßen, der versucht, dir ein bisschen näher zu kommen?«

Verwundert lehnt sich Rhys zurück. Dieser Wutausbruch ist für Martin völlig untypisch. Normalerweise ist der Mönch die Ruhe und Beherrschung in Person. Aber wenn er unbedingt Streit sucht, kann Rhys auch seinen eigenen Ärger loswerden. »So wie du mir hier auf den Schoß kriechst, muss ich das noch verbessern«, faucht er Martin an.

Der wedelt resigniert mit den Armen. »Mich wirst du nicht los. Ich habe ein dickes Fell. Aber so ein zartes Wesen, wie Lady Arwen, verkraftet das nicht. Sie war ja völlig aufgelöst!«

»Die Lady kannst du weglassen, aber Wesen trifft es ganz gut«, sinniert Rhys und spielt erneut mit der Kette. »Eines, welches Eisen fürchtet. Die sind ziemlich selten, aber in unseren Wäldern durchaus anzutreffen.«

Martin stutzt kurz und beäugt Rhys misstrauisch. »Hast du im Wald die falschen Pilze gegessen?« Sein Blick schweift nach oben zu den trocknenden Pflanzen. »Oder was von meinen Kräutern geraucht?«

Rhys lässt sich von dem spöttischen Tonfall des Mönches nicht beirren. »Die Schmiede hat sie gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. Zwei Tage ist sie um mich rumgeschlichen, anstatt mit mir zu reden. Wobei ihr dies doch angeblich so wichtig ist!« Aufbrausend springt er von seinem Schemel hoch. »Die Tylwyth Teg mögen ein anmutiges Äußeres haben, doch ihre wahren Absichten wissen sie gut zu verschleiern.«

»Aha.« Martin zupft skeptisch an seinem Bart. Dass Rhys Arwen so gut im Auge behalten hat, sagt ihm einiges. »Sind das die mit den spitzen Ohren oder wachsen ihr vielleicht kleine lila Flügelchen im Mondlicht? Ich meine nur, du hast ja sicher schon mehr von ihr gesehen als ich.«

»Spare dir deinen Spott! Du stammst nicht von hier.« Mit schmalen Augen baut sich Rhys vor ihm auf. »Elfen sind sehr reale Geschöpfe!«

»Pah! Red keinen Blödsinn!« Martins breite Brust bebt vor Empörung. »In die Schmiede hat sich keiner getraut, außer Evan. Der hatte nämlich Angst um seinen Amboss!«

Mit blumigen Worten, die selbst einen Fuhrknecht zum Erröten bringen würden, dreht sich Martin auf den Hacken um und stapft eine Runde durch die Turmkammer. Eine beachtliche Leistung angesichts seiner Leibesfülle und des mangelnden Platzes. »Weißt du, was ich an dir immer geschätzt habe?«, wettert er dabei, sichtlich um Fassung ringend. »Du verurteilst niemanden aufgrund seiner Herkunft oder seines Aussehens. Bisher zumindest.«

Wieder auf Augenhöhe mit Rhys schaut er dem Ritter offen ins Gesicht. »Jetzt rate mal, bei wem mir dies ebenso aufgefallen ist.« Dessen Schweigen quittiert der Mönch mit einem wissenden Nicken. »Selbst mal angenommen Arwen wäre solch ein ... ein ..., Herr vergib mir, ein mystisches Feenwesen ...«, Martin schüttelt sich kurz, »was wäre daran so schlimm? Selbst wenn sie Schwanz und Hörner hätte, geht von dieser Frau nichts Böses aus!«

Seine Hand weist auf Feder und Tintenfass. »Erkläre mir mal, welche heimtückische Absicht jemand verfolgt, der Kindern beibringt, ihren Namen zu schreiben! Oder welch verdorbener Charakterzug es ist, andere mit Liedern und Geschichten zum Lachen zu bringen. Oder wie boshaft ihr Handeln war, als sie Mari gegen ihren prügelnden Ehemann beistand. Soll ich noch mehr aufzählen?«

Beschämt lässt Rhys den Kopf hängen und sinkt wieder auf den Hocker. Doch Martin will der Sache auf den Grund gehen. »Was bringt dich überhaupt auf diese absurde Idee?« Argwöhnisch schielt er nach dem Pergament unter dem Tisch. »Und was treibst du hier eigentlich den ganzen Tag?«

Flink wie ein Eichhörnchen schnappt er sich das Schriftstück und beginnt zu lesen.

»Ich weiß es, weil ich sie herbeigerufen habe«, flüstert Rhys.

Der Mönch reißt die Augen auf. »Warum in aller Welt wolltest du eine Elfe beschwören?«, fragt er verständnislos.

»Wollte ich nicht«, entgegnet Rhys müde.

»Aber was ...« Martins Einwand verhallt zwischen Kräuterbündeln und Schriftrollen. Kopfschüttelnd setzt er mehrfach zum Sprechen an, belässt es jedoch bei ungläubigem Gebrumme. Rhys erkennt genau, als der Mönch die Stelle des Berichtes erreicht, an der vom entrückten Aufenthalt im verlockenden Elfenreich die Rede ist. Martins Hände zittern, als er das Pergament sinken lässt.

»Das war dein Plan? Dich in ein magisches Zwischenreich verdrücken?« Entrüstet wirft Martin das Schriftstück auf den Tisch. »Ich denke, du kannst das Reisen nicht ausstehen. Und was willst du denn da? Liebreizende Tänze und betörende Gesänge«, zitiert Martin höhnisch den Text. »Wo du so ein vergnügliches Gemüt hast. Außerdem habe ich dich mal singen gehört. Du würdest im hohen Bogen rausgeschmissen werden! Was rede ich hier eigentlich. Das sind doch alles Hirngespinste!«

»Seit wann bist du so engstirnig, wenn es um neues Wissen geht?« Trotzig greift Rhys nach dem Pergament und rollt es wieder zusammen. »Dafydd wird ein besserer Anführer sein, als ich es bin«, murmelt er schuldbewusst.

»Ach, deshalb warst du so gegen seinen Reisewunsch? Weil es deinen eigenen Plänen zuwiderlief? Pfui!« Martin spuckt voll Abscheu auf den Boden. »Ich weiß, dass man dir vieles nachsagt, was nicht mal ansatzweise gerechtfertigt ist. Aber für feige habe ich dich nie gehalten.«

Bedrückendes Schweigen senkt sich über die beiden Männer. Die Schelte des Freundes trifft Rhys unerwartet schmerzhaft, doch er kann die Wahrheit von Martins Worten nicht leugnen.

»Wie passt jetzt Arwen in diese Geschichte?«, will der Mönch nach einer unangenehm langen Pause wissen.

Rhys zuckt mit den Schultern. »Der Elf hat mir erklärt, es wäre ein Versehen.«

Mit zusammengekniffenen Augen mustert ihn Bruder Martin. »Der Elf? Aha. Und? Weiter! Wenn du schon beichtest, dann auch alles!«

Derart bedrängt, es laut auszusprechen, erkennt Rhys selbst die Unsinnigkeit seines Vorhabens. »Ich bin einen Handel mit ihm eingegangen.« Verzweifelt reibt er sich über das Gesicht. »Ich soll das Salz ihrer Tränen sammeln, was immer das heißen mag.«

Dieses Eingeständnis verschlägt Martin die Sprache. Als er sich wieder im Griff hat, ist seine Stimme schneidend kalt. »Allein dafür, dass du über so etwas nachdenkst, sollte ich dir die Freundschaft kündigen.«

»Ich habe ihr kein Leid zugefügt!«, verteidigt sich Rhys halbherzig.

»Zu Freudentränen hast du Arwen aber auch nicht gerührt.« Der Mönch knurrt wie ein gereizter Bär. Seine folgende Schimpftirade wird zu Rhys' stiller Erleichterung von aufgeregtem Rufen und Lärmen unterbrochen. Doch die kurzzeitige Dankbarkeit verfliegt mit dem Auftauchen von Owains dunklem Haarschopf und dem Anblick seiner leichenblassen Miene.

»Banditen! Mylord, die Môr-ladron sind eingefallen! Die Kinder haben an der Steilküste ihr Schiff gesichtet.« Schweratmend steht Owain gebeugt in der Aufstiegsluke und stützt die Hände auf die Oberschenkel.

Augenblicklich gehört ihm die Aufmerksamkeit der beiden Männer.

»Was machen die Kinder an der Steilküste? Allein?« Rhys drängt sich an Bruder Martin vorbei, um Owain die Stiege hinunter zu folgen.

»Ach du Scheiße«, zischt Martin hinter ihm.

Auf halber Treppe stoppt Rhys und wirft mit böser Vorahnung einen bangen Blick zu dem Mönch. »Nein«, haucht er mit Entsetzen.

»Sie waren nicht allein«, ruft Owain von unten. »Arwen hat die Kinder in einen unterirdischen Tunnel gescheucht und will diese Bastarde ablenken! Ihr könnt sagen was ihr wollt, sie ist eindeutig verrückt!«

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