Wählet Eure Wünsche weise ...
Noch immer kniet Rhys am Boden des obersten Turmstockwerkes. Seine miese Laune gewinnt zunehmend die Überhand über seine Furcht und das anfängliche Entsetzen. Auch ohne die spitzen Ohren des unheimlichen Besuchers zu sehen, kann er sich denken, wer da vor ihm steht.
»Bist du gekommen, um dich über mich lustig zu machen? Meine Mutter sprach immer voller Ehrfurcht und Bewunderung von den Tylwyth Teg. Sie mahnte aber auch zur Vorsicht vor deren Schalkhaftigkeit. Ich hätte besser auf ihre Warnung gehört«, faucht Rhys gereizt.
Der Elf tänzelt kichernd im Kreis um ihn herum.
»Ja, deine Mutter war eine kluge Frau. Zu schade, dass ihr keine Tochter vergönnt war.« Er bleibt vor der Harfe stehen und lässt die Finger erneut über die Saiten gleiten. »Oder wenigstens ein musikalisches Kind«, fügt er mit einem Seitenblick sarkastisch hinzu. »Wir waren sehr erfreut die alten Worte zu vernehmen und ich wollte sehen, wie unser Wirken von euch Menschen gewürdigt wird.« Selbstgefällig wendet er sich zu Rhys um.
Dieser knurrt nur undeutlich eine abfällige Verwünschung und schielt abschätzend nach seinem Schwert, die Hände dabei wohlweislich still haltend.
»Das klang aber nicht nach einem Dank«, beschwert sich der Elf. »Gibt es etwa ein kleines Problem?«
Rhys kann nur mühsam ruhig bleiben. »Das Problem ist ziemlich groß und hat feuerrote Haare!«, schnaubt er grollend. »Einen tollen Spaß habt ihr euch da erlaubt.«
Ungehalten winkt der Jüngling ab. »Wir Tylwyth Teg sind an die Worte gebunden, die geäußert werden. Wenn du dich ungenau ausgedrückt hast, ist das Ergebnis nicht unsere Schuld.« Er spitzt die Lippen und seine hochmütige Miene nimmt einen ernsten Ausdruck an. »Mit anderen Worten bist du nicht zufrieden?«
»Was bitte schön, soll ich mit einer Elfe anfangen?«, schimpft Rhys ungehalten. »Ich wollte ein neues Leben und endlich meine verfluchte Vergangenheit hinter mir lassen.«
»So hast du das aber nicht gesagt! Dann brauchst du dich nicht beschweren, wenn solch ein Missgeschick passiert.« Der Elf legt nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. »Diese vorwitzige Maid ist sozusagen einfach dazwischen geswitcht.« Seine Hände vollführen wellenartige Bewegungen, dann zuckt er mit den Schultern. »Nun ja, Shit happens.«
Die befremdlichen Redewendungen klingen für Rhys wie das seltsame Geschwafel seiner frühmorgentlichen Bekanntschaft. Doch das umständliche Gebahren des Burschen weckt in ihm einen kleinen Hoffnungsschimmer. Will sich dieser Waldgeist etwa entschuldigen?
»Also bist du jetzt hier, um das in Ordnung zu bringen«, stellt er als Behauptung in den Raum.
Entrüstet schüttelt sich der Elf. »Welch abwegiger Gedanke! Du hast bei deinem Wunsch einen Rückzieher gemacht und dieses ganze Kuddelmuddel selbst verursacht. Ich könnte dir höchstens eine Möglichkeit aufzeigen.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Der spitzohrige Gesell pustet in seine hohle Hand und eine Wolke aus Schneeflocken wirbelt auf Rhys und sein Schwert herunter.
»Nur, um dich ein wenig abzukühlen«, verkündet er verschmitzt. Dann schwingt er sich geschmeidig auf den Fenstersims und nimmt eine gönnerhafte Pose ein. »Was weißt du über das Gleichgewicht der Dinge?«
Rhys klopft sich den Schnee von den Schultern und brummt: »Gleichgewicht? Nach meiner Erfahrung scheißt der Teufel immer auf den größten Haufen.«
Der Elf verdreht genervt die Augen. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir die Mühe machen soll.«
»Schon gut, schon gut, ich höre zu«, beeilt sich Rhys zu beschwichtigen.
»Ich halte es einfach, damit du es verstehst.« Mit dieser bissigen Bemerkung fährt sein Besucher fort. »Dadurch, dass dieses liebliche Wesen hier aufgetaucht ist, ist anderswo eine Lücke entstanden.«
»Moment«, unterbricht ihn Rhys aufgeregt. »Willst du damit sagen, dass mir mein Wunsch doch noch gewährt wird?«
Stöhnend reißt der Elf die Hände in die Höhe. »Ich will damit sagen, dass der Pfad noch offen ist. Bist du dir sicher, diese Welt verlassen zu wollen?« Prüfend richtet er seinen violetten Blick auf Rhys.
Dieser wagt kaum Luft zu holen.
»Ich werde alles vergessen?«
»Du wirst in eine Welt gelangen, in der du dir keine Sorgen wegen deiner Vergangenheit machen wirst.«
Das Mienenspiel des Elfen ist vollkommen ausdruckslos und Rhys beschleicht ein ungutes Gefühl. Die Tylwyth Teg können angeblich nicht lügen, doch das heißt noch lange nicht, dass sie immer die Wahrheit sagen.
Aber seine Aufregung verdrängt das Misstrauen.
»Was muss ich tun?«
Mit einem listigen Lächeln spricht das mystische Wesen weiter. »Du musst den Zauber des Regenbogenmädchens stehlen und aufpassen, dass sie nicht vor dir den Weg zurück findet.«
Zweifelnd versucht Rhys den Sinn dieser Aufgabe zu verstehen. Dann fällt es ihm ein - Ich bin Arwen Enfys - Enfys bedeutet Regenbogen. Aber wie soll er einen Zauber stehlen?
»Stell dich nicht so an! Mit Stehlen, Rauben und Plündern kennst du dich doch bestens aus.«
Rhys wird ganz mulmig zumute. Kann dieser Kerl auch noch Gedanken lesen?
»Ja! Das kann er!« Der Elf baut sich vor ihm auf und lässt erneut seine mächtige Aura aufwallen. »Aber bedenke, du hast nicht ewig Zeit! Zur nächsten Sonnenwende, an Alban Hevin, musst du dein Werk vollbracht haben!«
Er tritt zurück und ein nebelhafter Schleier legt sich um seine Gestalt.
»Warte!«, ruft Rhys erschrocken. »Woran erkenne ich, ob ich erfolgreich war? Und was wird aus dem Mädchen?«
Ein regenbogenfarbener Schimmer durchzieht die Nebelwolke und ein kleiner grüner Vogel mit langen violetten Schwanzfedern schießt daraus hervor. Er schwirrt hinauf in die hölzerne Kuppel des Turmes und eine körperlose Stimme zwitschert Rhys zu:
Du wirst es schon merken. Sammle das Salz ihrer Tränen und kümmere dich nicht um dieses törichte Ding. Sie wird hierbleiben, sich eingewöhnen und anpassen und irgendwann dazugehören. Und dann werden sich deine Bedenken einfach auflösen ...
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