Schwein gehabt

»Buh-hu ... Klar doch! Jetzt ist es wieder mein Fehler! Vielleicht sollte ich mir einen zweiten Vornamen zulegen. Wie wäre es mit Ichbinschuld? Ich wollte lediglich Bärlauch pflücken und Holunderblüten sammeln.« Wütend fuchtelt Arwen mit den Armen, lässt es aber schnell bleiben, um sich besser im Geäst des Baumes festhalten zu können, von welchem sie zu ihm herunterschaut.

Was für eine dämliche Ausrede. Der Bärlauch blüht bereits und für Holunderblüten ist es noch zu früh. Aber Rhys hat weder die Lust, noch die Luft, um sich auf eine Diskussion mit ihr einzulassen. Sein Atem geht keuchend und nur langsam beruhigt sich sein Herzschlag. Im Gegensatz zu ihm hat das Weib keinerlei Atemprobleme und wettert munter weiter.

»Woher soll ich wissen, dass du hier einen privaten Jurassic-Park hast? Habt ihr dieses Monster-Mutanten-Schwein gezüchtet? Normale Wildscheine sind doch keine solchen blutrünstigen Bestien! Und es stand auch nirgends ein Warnschild: Achtung! Abseits des Weges droht Lebensgefahr!«

»Wieso nur abseits des Weges? Und wer soll so ein Schild lesen können?«, knurrt Rhys das Eichenlaub an. Missmutig betrachtet er einen langen Riß in seinem geliebten Lederwams. Das gute Stück ist längs über Brust und Rippen aufgeschlitzt. Ausgerechnet sein Lieblingsteil! Prüfend testet er die Tiefe der Beschädigung. Auch das Hemd darunter scheint in Mitleidenschaft gezogen. Seine Finger sind feucht und rot, als er sie wieder herauszieht. Super! Erschöpft lehnt er sich gegen den Stamm des mächtigen Baumes. Jetzt vergießt er schon sein Blut für den frechen Kobold. Diese Frau raubt ihm den letzten Nerv.

»Man kann das auch mit Bildern ausdrücken.« Mit viel Geraschel und Geschimpfe klettert Arwen weiter herunter. Lose Blätter und abgebrochene Zweige regnen einem Herbststurm gleich auf ihn herab. Und da heißt es Elfen wären geschickt und behände. Von einem der unteren Äste späht sie wie ein verschrecktes Eichhörnchen auf seinen Jagderfolg.

»Ist das Vieh wirklich tot?«

»Was glaubst du denn?«, schnaubt er entrüstet. »Dass ich ihm ein Schlaflied ins Ohr geflüstert habe?« Da riskiert er sein Leben, um sie zu retten und sie zweifelt an seinem Geschick als Jäger. Dieser agressive Keiler hat bei der letzten Jagd im Herbst die Reihen der Treiber durchbrochen und zwei Jagdhelfer ernsthaft verletzt. Rhys findet, dass ihm durchaus ein angemessenes Lob zusteht. Wieso fällt sie ihm nicht erleichtert und glücklich um den Hals? Undankbares Weib.

Arwen bleibt misstrauisch. »In den Horrorfilmen springt das Monster immer genau dann wieder hoch, wenn der Held denkt, er wäre in Sicherheit.«

Rhys brummt beleidigt. Er gibt sich redlich Mühe, sie zu verstehen. Doch wie so oft begreift er nur die Hälfte von dem, was sie von sich gibt. Aber er weiß ohne Zweifel, dass sein männlicher Stolz gerade im Morast versenkt wird. Er stemmt sich von dem Baumstamm ab und versetzt dem Wildschwein einen derben Tritt in die Seite. Wie ein monströser Stoßzahn ragt der abgebrochene Schaft des Sauspießes aus der Flanke des Tieres. Zusammen mit den riesigen Hauern ein wahrhaft furchteinflößendes Bild.

»Und, zufrieden?« Lässig postiert er sich neben dem Kadaver. Nie im Leben würde er zugeben, wie mulmig ihm ist. Hätte er nur eine Sekunde später losgelassen und den Schwung nicht rechtzeitig zum Abrollen genutzt – tja dann ... seine Fingerspitzen fahren über die ramponierte Kleidung ... dann wären jegliche Gedanken über verletzten Stolz überflüssig. Zeit für Helden! Das hätte ein tolles Bardenlied abgegeben. Um zu retten die Schönheit, eilt ein Recke herbei ... dann pfählt er sich selbst, als sein Spieß bricht entzwei ... Der Schönheit indes, macht sein Unglück nichts aus, hat sie doch noch den Wildbretschmaus. Tralali und tralala ...

»Alles in Ordnung?« Arwen ist endlich von diesem Baum herunter und versucht ungelenk ihre störrische Lockenpracht zu bändigen. So fahrig, wie sie an dem verrutschten Haarband zieht und zerrt, ist es von wenig Erfolg gekrönt und resigniert schielt sie ihn durch die wirren Strähnen an.

»Klar, alles bestens.« Abwartend blickt Rhys ihr entgegen. Jetzt wird sie ihm sicher gebührend danken.

»Du wirkst ziemlich käsig um die Nase. Ist dir schlecht?« Mit schräggelegtem Kopf mustert Arwen ihn skeptisch. »Vielleicht setzt du dich besser. Wenn du dich übergeben musst, könnte das noch Wölfe oder Bären oder gar einen Oger anlocken.«

Rhys zieht geräuschvoll die Nase hoch und spuckt auf den Boden. Kopfschüttelnd weist er auf das tote Schwein. Bei dem vielen Blut, welches den Waldboden um den Kadaver dunkel färbt, dürfte ein wenig Erbrochenes kaum ins Gewicht fallen.

»Danke für deine Besorgnis«, meint er angefressen angesichts ihrer mangelnden Anerkennung. »Mir ist lediglich zum Kotzen, weil du nur Ärger machst!« Immerhin verdrängt sein Zorn das kurzzeitige Schwächegefühl.

»Ich mach das doch nicht mit Absicht.« Wenigstens hat sie den Anstand, schuldbewusst dreinzuschauen. »Es ist nur so ... schwierig. Hier funktioniert alles ganz anders, als da ... wo ich herkomme.« Nur stockend kommen ihr die Worte über die Lippen. Rhys ist verblüfft. So zaghaft hat er sie noch nicht erlebt. Sein erhitztes Gemüt beruhigt sich augenblicklich. Selbst die Stimmen des Waldes verstummen zu bedeutungsschwangerer Stille. Wird sie ihm jetzt von der Anderswelt berichten?

»Du bist verwundet!« Schwupps, der seltsame Moment ihrer Unsicherheit ist vorüber. Zielstrebig tritt Arwen an ihn heran.

»Es ist nur ein Kratzer«, will er sie enttäuscht abwimmeln, doch sie ergreift bereits seine Hände. Ach ja, da klebt unübersehbar sein Blut. Rhys öffnet den Mund, um ihren Irrtum aufzuklären, da pustet sie zärtlich über seine Handflächen. Also klappt er ihn wieder zu. Solche Fürsorglichkeit gefällt ihm schon besser.

»Hast du zufällig einen Weinschlauch dabei?«

Rhys hebt fragend die Augenbrauen. Dem Wein scheint sie sehr zugetan. Aber wenn es die gleiche Wirkung hat wie neulich ... Er spitzt die Lippen und pfeift zweimal kurz und einmal lang. Aus dem Unterholz schält sich ein dunkler Schatten und trabt an seine Seite. Mit Nachdruck schiebt sich der Hengst zwischen ihn und Arwen. Schmunzelnd greift Rhys nach dem Weinschlauch an der Satteltasche. »Schwarz ist ein wenig dominant.«

Ebenfalls lächelnd kommt Arwen um das Pferd herum. »Woher er das wohl hat?« Sie greift nach dem Schlauch und träufelt ihm den Wein über die Hände.

»Ich dachte, du möchtest auf den Schreck was trinken. Zum Waschen hätte ich auch an den Bach da hinten gehen können.« Verärgert über die Verschwendung nimmt er ihr das Gefäß ab.

»Wir können das Wasser dort trinken. Aber die Wunde sollte gereinigt werden. Glaub mir, so herum ist es besser.« Unbeeindruckt nimmt sie seine Hand und tupft sie behutsam mit ihrem Schürzentuch ab. »Nanu, gar nichts zu sehen.«

Eilig zieht er seine Hand zurück. »Ich habe gutes Heilfleisch.« Für einen Augenblick erwägt er, sich Lederwams und Hemd herunterzureißen und ihr die echte Schürfwunde zu präsentieren, die er dem morschen Jagdwerkzeug verdankt. Doch schnell verwirft er den Gedanken wieder. Die Erkenntnis, wie sehr er einen ablehnenden Blick aus diesen tiefblauen Augen fürchtet, verwirrt ihn gehörig.

»Hilf mir mal mit dem Schwein.« Mit zwei Lederschnüren umwickelt Rhys die Hinterläufe des Keilers und wirft die Enden über einen starken Ast. Gemeinsam ziehen sie das Tier in die Höhe. Es nörgelt ein wenig an seiner verletzten Seite, doch aus Erfahrung weiß er, dass eine ernsthafte Wunde sich anders anfühlt. Rhys ignoriert das Brennen, schneidet mit geübten Handgriffen die Bauchdecke des Wildschweines auf und weidet es aus. Das schlüpfrige Gedärm landet dumpf schmatzend vor seinen Füßen.

»Soll ich das da bewachen, während du ein paar Helfer für den Abtransport organisierst?«, fragt Arwen naserümpfend.

Argwöhnisch zieht er die Stirn in Falten. Das könnte ihr so passen! Die Chance zu verschwinden, wird er ihr nicht geben. »Nein«, erwidert er knapp. Am Sattel hängt ein kleines Beil, mit welchem er zwei schlanke Eschenschösslinge fällt. Schon praktisch, wenn ein Elf einem das Pferd herrichtet. An alles ist gedacht.

Die langen Hölzer bindet er mit einem weiteren Lederstrick zusammen, von welchen sich ein unerschöpflicher Vorrat in den Satteltaschen befindet. Die Konstruktion hängt er über den Rist des Pferdes, sodass die Stecken links und rechts hinterherschleifen. Arwen beäugt interessiert sein Werk und packt dann tatkräftig mit an, als er die breiten hinteren Enden mit einigen Querhölzern verbindet. Auf diese provisorische Stangenschleife bugsieren sie das erlegte Wild. Kurz spielt Rhys mit dem Gedanken, auch Arwen gleich mit festzuzurren.

»Ich denke, jetzt sollten wir diesem Bach einen Besuch abstatten.« Auf Arwens Nasenspitze glitzern kleine Schweißtröpfchen, ihre Wangen sind gerötet und ihr Busen hebt und senkt sich heftig.

»Hm, einverstanden.« Diskret begutachtet er ihren Gesamtzustand. Wenn er einen kleinen Umweg über die sumpfige Feuchtwiese macht, besteht die Hoffnung sie noch ein wenig mehr einzusauen. Unglücklicherweise wird sie dann dringend ein Bad benötigen. Und glücklicherweise kennt er einen wunderbar geeigneten Platz.


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