Prolog
𝔒𝔟𝔴𝔬𝔥𝔩 𝔴𝔦𝔯 𝔥𝔢𝔲𝔱𝔢 𝔦𝔪 շյ. 𝔍𝔞𝔥𝔯𝔥𝔲𝔫𝔡𝔢𝔯𝔱, 𝔡𝔢𝔪 ℨ𝔢𝔦𝔱𝔞𝔩𝔱𝔢𝔯 𝔳𝔬𝔫 ℑ𝔫𝔱𝔢𝔯𝔫𝔢𝔱 𝔲𝔫𝔡 𝔐𝔲𝔩𝔱𝔦𝔪𝔢𝔡𝔦𝔞, ü𝔟𝔢𝔯 𝔞𝔩𝔩𝔢𝔰 𝔞𝔲𝔣𝔤𝔢𝔨𝔩ä𝔯𝔱 𝔲𝔫𝔡 𝔬𝔣𝔱𝔪𝔞𝔩𝔰 𝔡𝔢𝔪𝔢𝔫𝔱𝔰𝔭𝔯𝔢𝔠𝔥𝔢𝔫𝔡 𝔞𝔟𝔤𝔢𝔨𝔩ä𝔯𝔱 𝔰𝔦𝔫𝔡 𝔲𝔫𝔡 𝔡𝔢𝔫 𝔊𝔩𝔞𝔲𝔟𝔢𝔫 𝔞𝔫 𝔳𝔦𝔢𝔩𝔢 𝔇𝔦𝔫𝔤𝔢 𝔳𝔢𝔯𝔩𝔬𝔯𝔢𝔫 𝔥𝔞𝔟𝔢𝔫, 𝔴𝔢𝔯𝔣𝔢𝔫 𝔴𝔦𝔯 𝔦𝔪𝔪𝔢𝔯 𝔫𝔬𝔠𝔥 𝔐ü𝔫𝔷𝔢𝔫 𝔦𝔫 𝔊𝔩ü𝔠𝔨𝔰𝔟𝔯𝔲𝔫𝔫𝔢𝔫, 𝔰𝔠𝔥𝔞𝔲𝔢𝔫 𝔰𝔢𝔥𝔫𝔰ü𝔠𝔥𝔱𝔦𝔤 𝔫𝔞𝔠𝔥 𝔖𝔱𝔢𝔯𝔫𝔰𝔠𝔥𝔫𝔲𝔭𝔭𝔢𝔫 𝔲𝔫𝔡 𝔢𝔯𝔷ä𝔥𝔩𝔢𝔫 𝔲𝔫𝔰𝔢𝔯𝔢𝔫 𝔎𝔦𝔫𝔡𝔢𝔯𝔫 𝔡𝔦𝔢 𝔤𝔩𝔢𝔦𝔠𝔥𝔢𝔫 𝔐ä𝔯𝔠𝔥𝔢𝔫 𝔲𝔫𝔡 𝔏𝔢𝔤𝔢𝔫𝔡𝔢𝔫, 𝔡𝔦𝔢 𝔴𝔦𝔯 𝔰𝔠𝔥𝔬𝔫 𝔳𝔬𝔫 𝔲𝔫𝔰𝔢𝔯𝔢𝔫 𝔊𝔯𝔬ß𝔢𝔩𝔱𝔢𝔯𝔫 𝔤𝔢𝔥ö𝔯𝔱 𝔥𝔞𝔟𝔢𝔫.
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Llanrhaeadr-Ddu, Frühjahr 2008
Caroline Holyhead stöhnte innerlich, während sie den Anstieg zur Burgruine von Caer Draig bewältigte. Dies lag nicht etwa an der stetig zunehmenden Steigung des schmalen Weges, der sich durch Wiesen und Wälder zum weithin sichtbaren Wahrzeichen von Llanrhaeadr-Ddu hinaufschlängelte. Als Trägerin der Goldenen Wandernadel und Bezwingerin sämtlicher Fernwanderstraßen Europas, besaß sie selbstverständlich die Kondition für diesen knapp vierzigminütigen Fußmarsch. Das Stöhnen galt viel mehr dem unmotiviert dahintrottenden und dabei unnötig lärmenden Haufen Teenager, deren Beaufsichtigung an ihren Nerven zerrte.
Caroline war mit Leib und Seele Lehrerin und konnte sich auch nach dreißig Berufsjahren keine schönere Aufgabe vorstellen, als jungen Menschen Wissen und Erfahrungen fürs Leben zu vermitteln. Dennoch schockierte es sie jedes Mal, wenn fröhliche, wissbegierige Kinder über Nacht zu augenrollenden, tageslichtscheuen Wir-Sind-Dagegen-Monstern mutierten.
Auch die Klasse, die sie jetzt seit fünf Jahren betreute, war von dieser Wandlung nicht verschont geblieben. Die Mädchen machten wie immer den Anfang. Die übermäßige Schminke konnte Caroline noch tolerieren, doch einige der jungen Ladys kamen doch tatsächlich mit High Heels zum Wandertag. Nun gut, Lernen durch Schmerz war auch eine Methode und Wundsalbe und Blasenpflaster hatte sie genügend dabei.
Die Burgtore waren weit geöffnet und wie immer erfüllte es die Lehrerin mit Ehrfurcht und Stolz, in das mächtige Bauwerk einzutreten. Aus der anfänglich nur mit Holzpalisaden gesicherten Ansiedlung hatten ihre Ahnen die stattliche Festung errichtet und diese erfolgreich gegen alle Eroberungsversuche von Römern, Angelsachsen und Normannen verteidigt. Auch wenn Wales mittlerweile längst dem Vereinigten Königreich angehörte, war es doch ein kleiner Triumph, dass dieser Ort nie unter fremder Besatzung gestanden hatte.
Was diese Mauern wohl alles berichten könnten? Obwohl die Mythen und Überlieferungen, die sich um die Burg und ihre Herrschaft rankten, oft nichts anderes als ausgeschmückte Geschichten waren, würde Caroline doch zu gerne einen Blick darauf erhaschen.
Jedes Jahr erschienen aufs Neue Archäologen, Geschichtsstudenten und andere Wissenschaftler, um die Geheimnisse der Festung zu ergründen. Doch nach wie vor gab es viele ungelöste Rätsel, die die Legendenbildung weiter befeuerten. Wie die Unmengen von Muschelschalen, die im letzten Sommer im Boden um den freistehenden Druidenturm, dessen Existenz selbst ein Rätsel war, gefunden wurden.
Lautes Kreischen und Johlen riss Mrs. Holyhead aus ihren verträumten Gedanken. Wieder einmal hatte es Ron Wilbury erwischt. Der Hänfling der Klasse hing am Pranger, der eigentlich zu Fotozwecken diente und wurde von seinen Mitschülern mit den übriggebliebenen Pausenbroten beworfen.
»Hey!« Die Lehrerin schob zwei Finger in den Mund und schickte einen gellenden Pfiff über den Hof. »Schluss damit! Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf! Reisigbesen und Kehrschaufeln stehen in der Schmiede. Und für die Ausarbeitung über die Bedeutung der Erhaltung historischer Kulturstätten bekommt ihr 14 Tage Zeit. Also Herrschaften, Eindrücke sammeln, Fragen stellen, Notizen machen! Ihr gehört zu den ersten Besuchern, die die neue Ausstellung besichtigen dürfen.«
»Was? Gehen wir gar nicht in die Tunnel runter?« Unter dem vielstimmigen Gemaule und Gebrumme stach der tiefe Bass von Ryan Bowen hervor. Der Junge hatte das letzte Schuljahr wiederholt und war bereits im Stimmbruch. Aber das Jahr älter merkte man seiner geistigen Reife nicht an.
»Für den Pappmachédrachen seid ihr zu alt. Wir beschäftigen uns heute mit dem wahren Leben unserer Vorfahren. Auf geht's, Kinder. Marsch, marsch!« In die Hände klatschend trieb Caroline die unwillige Herde zum Hauptgebäude. Es war schwer genug, diesen Sack Flöhe dort vom Blödsinnmachen abzuhalten. Das unterirdische Labyrinth würde sie mit dieser hormongesteuerten Meute tunlichst meiden.
Das weitläufige Tunnelsystem unter der Burg war größtenteils durch Auswaschung des Kalksteins entstanden und älter als die gesamte oberirdische Anlage. Vermutlich wurde es seit der ersten Besiedlung durch die Kelten als Zufluchtsort und Kultstätte genutzt. Das Burgmuseum besaß eine gut erhaltene Pergamentrolle aus dem späten 12. Jahrhundert, auf der bereits ein Großteil der Stollen exakt eingezeichnet war. Die meisten davon, aber längst nicht alle, waren vom Heimatverein des Ortes gesichert, ausgebaut und mit elektrischem Licht versehen worden.
Irgendwo in diesem geheimnisvollen, finsteren Reich sollte, laut Überlieferung, ein einstiger Burgherr seine zusammengeraubten Schätze versteckt haben. Die Legende vom Roten Drachen, der den Märchenschatz des berüchtigten Kreuzritters bewachte, war eine der meisterzählten Geschichten um die Drachenfestung. Und natürlich gab es in einer der größeren Höhlen eine wasserspuckende, bewegliche Smaug-Attrappe, um große und kleine unvorbereitete Besucher zu erschrecken.
Der Museumsführer erwartete sie auf der Eingangstreppe in stilechter, knielanger Tunika mit breitem Ledergürtel und Namensschildchen. Mr. Trevor Jones, Museumspädagoge, stand in fettem Kursiv darauf.
»Die Kostüme von meinem Dad sind viel cooler«, ertönte ein erster Kommentar aus der hinteren Reihe. Mrs. Holyhead wusste sofort, von wem der Einwurf kam. Arwen Enfys, die bei ihren Großeltern aufwuchs, während der vielgepriesene Herr Vater mit seiner Band durch das ganze Land tourte.
Mr. Jones begrüßte die Schüler mit einem offenen freundlichen Lächeln. Mit Begeisterung in der kräftigen Stimme gab er einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Burganlage. »Über die Jahrhunderte gab es natürlich viele Umbauten und Veränderungen. Wir versuchen, bei der Rekonstruktion der Gebäude und des Geländes, die Gegebenheiten aus der Zeit des Hochmittelalters umzusetzen. In dieser Zeit lebte unser berühmtester Burgherr, namens Rhys ap Kynan, von dem ihr sicher schon alle gehört habt.«
Mit ausgestrecktem Arm zeigte der Herr auf einen schmalen Durchgang in der inneren Ringmauer.
»Eine Ausnahme macht der wunderschöne Rosengarten an der Südseite des Palas. Dieser wurde nachweislich im frühen 18. Jahrhundert angelegt. Doch unsere Landschaftsgärtner haben es nicht übers Herz gebracht, ihn umzugraben. Dafür entsteht am südlichen Burghang eine Streuobstwiese mit alten Obstsorten, so wie sie damals zur Versorgung der Burgbewohner sicherlich hier vorhanden war. Wer nach unserem Rundgang noch ein wenig Lustwandeln möchte, sei auf eine Besonderheit hingewiesen. Die beiden Olivenbäume direkt an der Turmmauer sind mehr als achthundert Jahre alt. Wahrscheinlich brachte Lord Rhys höchstpersönlich die Samen auf seinem Rückweg vom Kreuzzug mit.«
»Vielleicht hat er den Schatz darunter vergraben?«, fragte eine der Schülerinnen.
Trevor breitete schicksalsergeben die Arme aus. »Das werden wir wohl nie erfahren, denn diese Bäume umzusägen, bringt laut einer Sage großes Unglück. Demnach leben in ihnen die Seelen zweier Liebender. Es ist ein sehr beliebter Platz bei Brautpaaren, die sich hier das Ja-Wort geben und auf den mystischen Segen für eine glückliche Beziehung hoffen.«
»Da hätten deine Alten mal besser hier heiraten sollen«, stichelte Ryan in Richtung Arwen, die ihm mit ausgestrecktem Mittelfinger antwortete. Bevor noch unflätige Schimpfwörter folgten, scheuchte Caroline die Jugendlichen dem Museumsführer hinterher in die Hauptburg.
»In diesem Gebäudeteil befand sich die Großküche, wie sich unschwer an den vielen Feuerstellen erkennen lässt. Hier wurde für den gesamten Haushalt gekocht, zu dem neben der herrschaftlichen Familie auch Bedienstete, wie Wachen, Mägde, Knechte und auf der Burg lebende Handwerker zählten. Die Rillen im Boden sind Abflüsse, bitte nicht stolpern!«
Mr. Jones trat neben einen neu restaurierten Lehmbackofen.
»Dieser Backofen verbindet die Küche mit einem weiteren Raum, zu dem es aber nur von außen einen Zugang gibt. Leider wissen wir nicht genau, wozu dies so errichtet wurde. Eventuell handelte es sich um ein besseres Gästequartier, welches von der Küche aus mitbeheizt werden konnte. Auch in diesem Raum befinden sich Ablaufrillen im Boden, weshalb vermutet wird, dass die Küche ursprünglich viel größer war und man diesen Teil später abgetrennt hat.«
Die Ausstellungsstücke im vorderen Bereich der Küche durften benutzt werden und das lustlose Gebahren ihrer Schützlinge wandelte sich langsam zu neugierigem Interesse. Caroline schmunzelte. Es war wohl doch nicht alle Hoffnung verloren. Ryan versuchte sich an dem mächtigen Kessel, der an einem Schwenkarm über der Herdstelle hing.
Der Museumsangestellte half ihm, das schwere Teil vom Haken herunter zu wuchten. »So mein Junge, jetzt stell dir vor, da sind noch fünf Liter Suppe drin und das Ding ist heiß!« Mr. Jones präsentierte eine riesige, handgeschmiedete Schöpfkelle. »Aus diesem Grund wurden die Mahlzeiten hier aufgeteilt und dann in der großen Halle serviert.«
Grinsend blickte Ryan zu seinen Mitschülern. »Ich sag's doch, unsere Schulspeisung ist aus dem Mittelalter.«
Mr. Jones schüttelte den Kopf. »Du würdest dich wundern. Zu essen gab es meist Getreidebreie, Brot, Milch, Eier und Gemüse. Fleisch stand selten auf dem Speiseplan. Das Nutzvieh war kostbar und für die Jagd hatte der Burgherr kaum Zeit. Nur zu Festen und Feierlichkeiten wurde dafür um so mehr aufgetafelt.«
Er nahm von einem Mauervorsprung einen Feuerstein und ein Schlageisen. »Na, wer will es versuchen?« Sofort meldeten sich mehrere der Jungen und probierten sich im Feuermachen.
»Für die Damen haben wir auch Interessantes. Wir begeben uns gleich im Anschluss hinauf, in die Wohnräume der Hausherrin. Dafür müssen wir reichlich Treppen steigen, also, will jemand vorher noch sein Schuhwerk wechseln?«
Caroline bemerkte das Zwinkern ihres Kollegen und gab ihm ein gedankliches High Five.
Die Kemenate war ein Traum für jedes heimliche Burgfräulein. Die gehobene Stellung der Bewohnerinnen dieses Raumes zeigte sich deutlich in seiner Ausgestaltung. Farbenfrohe Wandbehänge und eine kunstvoll verzierte Holztäfelung verliehen den steinernen Mauern Wärme. An einem Teil der Wand konnte man die freigelegten Reste einer wunderschönen Malerei bewundern. Auf lebensgroßen Puppen wurden nachgenähte Kleider und Schmuck aus verschiedenen Epochen ausgestellt. Die wenigen Möbelstücke unterstrichen den Wert dieser Kleidung, hoben den starken Gegensatz zum heutigen Konsumrausch hervor.
Am eindrucksvollsten war jedoch das stattliche Bett in der Mitte des Raumes. Rahmen und Pfosten bestanden aus mit aufwendigen Schnitzereien versehenem, dunklem Eichenholz. Darüber spannte sich ein Baldachin aus schwerem Brokatstoff. Hohe Matrazen und weiche Felle luden förmlich zum Hineinspringen ein. Doch dieses Originalstück war vorsorglich mit Absperrband gesichert.
Mit einer hochdramatischen Geste schwenkte Mr. Jones einen der Wandbehänge zur Seite und senkte seine Stimme zu einem geheimnisvollen Raunen. »Am Ende dieses Ganges befindet sich der größte Luxus dieser Räumlichkeiten. Und? Wer von euch traut sich?«
Die Jugendlichen spähten zögerlich in den dunklen Spalt.
»Boah! Ihr Schisser!« Eines der Mädchen drängte nach vorn und zog ein anderes mit sich. »Komm schon, Cindy. Das ist voll abgefahren!«
Natürlich. Arwen Enfys und Cindy Morgenstern, die beiden völlig gegensätzlichen und doch unzertrennlichen Freundinnen. Die Chaosqueen mit der großen Klappe und die Klassensprecherin mit dem großen Herzen. Die eine hochaufgeschossen, mit störrischen rotbraunen Locken, die andere strohblond, einen ganzen Kopf kleiner und dafür bereits mit den ersten fraulichen Rundungen.
Während die Mädchen giggelnd im Gemäuer verschwanden, erwägte Caroline kurz, den Wandvorhang gegen ein paar stabile Bretter auszutauschen. Unterdessen begutachteten die Jungen die Schnitzarbeiten an den Bettpfosten.
»Krasse Drechselei«, tönte Ryan und nickte anerkennend mit dem Kopf. Aus sicherem Abstand, von der anderen Seite der Bettstatt, klatschte sich Ron die Hand an die Stirn. »Das sind Schnitzereien, du Hirni!« Der ältere Junge warf einen gemeinen Blick zu ihm hinüber. »Ich glaube, dem Hobbit stehen die Zähne zu eng.«
Glücklicherweise lenkte es beide Parteien ab, als David, der Sohn des ortsansässigen Tischlers, sich bedrohlich weit über das Absperrband beugte. »Die hat aber einer vermurkst.« Mit ausgestrecktem Finger fuhr er über eine bestimmte Stelle am Pfosten.
Caroline schnappte erschrocken nach Luft, doch Mr. Jones trat mit leuchtenden Augen zu dem Jungen hin.
»Das hast du gut erkannt! Diese Kerben sind nachträglich entstanden und geben ebenfalls Rätsel auf. Gab es einen Kampf im Schlafgemach der Ladyschaft? Oder hat sie ihre heimlichen Liebschaften markiert? Ihr seht, es gibt noch immer viel Stoff, um unsere Fantasie anzuregen.«
David zuckte nachdenklich mit den Schultern. »Vielleicht hat sie nur Messerwerfen geübt?« Doch seine Idee fand keinen Anklang.
»Deine Begeisterung für waffenschwingende Ladys in vorzugsweise spärlicher Bekleidung ist uns allen bekannt. Die adligen Damen des Mittelalters haben sich aber doch eher mit Handarbeiten und der Führung des Haushalts beschäftigt.« Vorsichtig blickte Caroline zum Museumsführer, ob ihre Erläuterung bestätigt wurde.
Dieser zuckte lediglich mit den Achseln und strich über seinen Schnurrbart. »Wer weiß? Leider existieren viel zu wenig zuverlässige schriftliche Aufzeichnungen aus dieser Zeit und das, was vorhanden ist, gibt nur die Ansichten und Meinungen des damaligen Verfassers wieder.«
Aus dem schmalen Geheimgang erklang fröhliches Gelächter. » ... von allergrößter historischer Bedeutung!«, rezitierte eine verstellte Mädchenstimme. »Ein solch bedeutsames Objekt verdient allergrößten Respekt und Würdigung durch die Nachwelt.« Der hallende Schall verstärkte die parodistische Darbietung und die Klasse begann albern zu kichern. Mrs. Holyhead erkannte durchaus das künstlerische Talent, doch sie würde ihre Autorität nicht von einer Nachahmungsshow auf ihre Kosten untergraben lassen.
Als die Mädchen, mit Huflattichblättern wedelnd, wieder auftauchten, empfing sie die beiden mit verschränkten Armen, strengem Blick und hochgezogener Augenbraue.
»Ich gratuliere Ihnen, meine Damen. Sie haben sich soeben für einen Sondervortrag über Legende und Mythos von Caer Draig qualifiziert. Gern können Sie dazu auch Ihr schauspielerisches Können einbringen und uns ein Stück über das Leben unseres berühmten Ritters, Rhys ap Kynan, vorführen. Den restlichen Rundgang werden hoffentlich alle - «, Caroline musterte die gesamte Truppe betont langsam, »ernst nehmen und aufmerksam zuhören!«
Mit gespitzen Lippen und betretener Miene mischten sich die zwei Mädchen wieder unter ihre Klassenkameraden. Die Lehrerin vernahm deutlich ihr Getuschel.
»Echt jetzt? Das war voll der Griff ins Klo!«
»Ja, ins Plumpsklo.« Cindy und Arwen feierten ihren Insiderwitz, während ihre Mitschüler schadenfroh feixten. Dann polterte die ganze Horde gackernd die vielen Treppen hinunter zur großen Halle.
Hier waren die meisten Ausstellungsstücke in Glasvitrinen untergebracht. Historische Waffen, Ritterrüstungen, Fragmente von Kettenhemden und Pferdezaumzeug, ebenso wie Essgeschirr, Leuchter und verschiedene alte Bücher und Schriftrollen. Dazwischen gab es Schautafeln mit näheren Informationen zu den einzelnen Objekten.
Mr. Jones schritt zielstrebig zum großen offenen Kamin am Ende des Saales und winkte alle heranzutreten. Mit andächtigen Bewegungen zog er ein Stoffrollo an der Wandseite nach oben und deutete auf das darunter zum Vorschein kommende Kunstwerk.
»Mit Hilfe vieler großzügiger Spenden konnten wir diesen wertvollen Wandteppich restaurieren lassen und haben jetzt die Möglichkeit, uns ein genaues Bild von unserem berühmten Ritter zu machen. Ich präsentiere - Burgherr Rhys ap Kynan mit Schwert und Wappenrock vor der Silhouette von Caer Draig. Bei der verschleierten Dame auf dem schwarzen Pferd im Hintergrund, handelt es sich angeblich um eine Prinzessin aus dem Morgenland, die er aus dem Orient entführte und die mit ihm in seine Heimat zurückkehrte.«
Das fortwährende Gemurmel der Klasse erstarb und dehnte sich zu einem beängstigenden Schweigen. Das Ausbleiben der schnatternden Geräuschkulisse irritierte die Lehrerin, während Mr. Jones von der geballten Aufmerksamkeit der Jugendlichen sichtlich gerührt war.
Misstrauisch folgte Caroline den Blicken ihrer Schüler und blieb ebenso gebannt an den mandelförmigen, türkisblauen Augen der Prinzessin hängen, die dem Betrachter unerschrocken entgegen schauten. Meist zeigten mittelalterliche Darstellungen Frauen mit demütig geneigtem Haupt. Doch die Lady mit dem ausdrucksstarken Blick auf der unglaublich detailgetreuen Handarbeit, strahlte Selbstbewusstsein und eine gewisse Arroganz aus, die der Lehrerin sehr bekannt vorkam.
Der erstaunte Ausruf von Cindy Morgenstern brachte es schließlich auf den Punkt. »Ja, leck die Katz, Arwen, das bist ja du!«
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Ich habe das mit der Widmung oben nicht hinbekommen, also dafür an dieser Stelle nochmals vielen Dank an Irres_Irrlicht und Weenaz für die tolle Idee mit diesem Rückblick. Ich hoffe, dass ich hiermit einen kleinen Bogen schlagen kann und die ein oder andere Sache euch bekannt vorkommt oder, wenn ihr neu dazukommt, euch später wiederbegegnet.
Bildquelle: copyrightfreephotos.com
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