Neue Freunde - neue Feinde
Die Junisonne lacht aus einem azurblauen Himmel zu mir herunter und umarmt mich mit all ihren wärmenden Strahlen. Vom Meer weht ein laues Lüftchen, zupft letzte verspätete Apfelblüten von den Bäumen im Obstgarten und lässt sie als Sommerschneeflocken durch den Burghof tanzen. Flora und Fauna befinden sich im Wachstumsrausch, das Leben summt und brummt um mich herum und ich sitze neben Moira und heule Rotz zu Wasser.
»Du darfst dir nicht die Augen reiben, Mädchen!« Die Köchin klatscht mir einen nassen Lappen auf die Hände.
Schniefend drücke ich ihn mir ins Gesicht. »Aber es brennt so furchtbar!«
»Herrgott nochmal, so ein Theater wegen ein paar Zwiebeln.«
Ein paar? Ein paar Kilo trifft es besser. Durch einen Tränenschleier schiele ich zu dem noch halb vollen Korb.
»Wer für ein paar fremde Bälger eine Prügelstrafe riskiert, muss Schmerzen in Kauf nehmen.«
»Hä?« Verständnislos blinzel ich Moira an.
»Natürlich. Für Diebe gibt's Hiebe.« Sie langt nach der nächsten Knolle und schält sie, ohne mit den Wimpern zu zucken.
»Aber ich habe den Kuchen nicht gestohlen!« Doch meine Empörung trifft auf taube Ohren.
»Willst du ernsthaft wieder behaupten, unser Priester hätte sich einfach bedient? Also, ich hätte dich für schlauer gehalten.«
Mit offenem Mund glotze ich dumm aus der Wäsche.
»Lass das Gemüse, Moira! Schnippel lieber mehr Fleisch in den Eintopf«, rufen zwei der Wächter lachend vom Wehrgang herunter und ich habe eine Eingebung.
»Gut, du hast Recht. Ich gebe es zu. Es war Owain.« Ich greife nach dem bösartigen Gemüse und beginne mit angehaltener Luft die Zwiebel in kleine Würfel zu schneiden. Es hilft nicht. Die nächsten Tränen fließen.
Moira schnaubt wie ein brünftiger Büffel. »Netter Versuch. Aber wenn Owain den Kuchen stibitzt hätte, wäre nicht ein Krümel bei den Rackern angekommen.« Mit ihrem Schürzentuch fächelt sie sich frische Luft zu. »Puh, ist das heiß heute. Du hast wirklich Glück, dass der kleine Kynan momentan das Sagen hat. Bruder Martin rät ihm immer zu Nachsicht und Mitgefühl. Und ich habe ihm nicht verraten, dass du ihn angeschwärzt hast. Aber wenn seine Lordschaft da wäre, huhuhu ...«
Sie zieht eine Grimasse, die wohl Furcht ausdrücken soll. Als ob diese Frau sich von irgendetwas oder irgendjemand Angst einjagen lassen würde.
»Ja klar, huhuhu!«, ahme ich sie nach. »Warum tut ihr alle so, als wäre Rhys ein schreckenerregendes Monster?«
Sie unterbricht ihre Fächelei und wirft mir einen langen Blick zu. »Fürchtest du dich denn kein bisschen vor ihm?«
»Warum das denn?« Jetzt versuche ich mich an einem abschätzigen Schnauben. Doch mit meiner laufenden Nase wird ein unappetitliches Schneuzen daraus. Moira zieht die Schüssel mit den fertig geschälten Zwiebeln beiseite.
»Du hast doch sicher die Geschichten gehört, die über ihn erzählt werden.« Sie zieht ein sauberes Tuch aus ihrer Schürzentasche, wirft es in meinen Schoß und deutet zum Pranger hinüber. »Denkst du, das Ding steht dort, weil es so hübsch aussieht?«
»Danke.« Ich putze mein kribbelndes Näschen und nicke dabei. »Wenn es etwas gibt, was ich richtig gut kann, dann ist das spannende Geschichten erzählen. Ein bisschen weniger hier, ein bisschen mehr dort und schon entstehen die schönsten Märchen.« Ich bemühe mich angestrengt, nicht zu dem Strafwerkzeug hinzuschauen.
»So, so, kannst du das. Na ja, ich sag's ja immer. Jedes Ding ist zu irgendwas nütze.«
Wenn das ein Lob sein soll, so macht es ihr missbilligender Blick und der abfällige Ton nicht wirklich deutlich. Bekümmert senke ich meinen Kopf und versuche, mich auf das Zwiebelschneiden zu konzentrieren.
»Ja, ich weiß. Es ist nichts, was unbedingt gebraucht wird ...« Weiter komme ich nicht, denn Moira zerrt mich schwungvoll an ihren üppigen Busen und quetscht mir mit ihren kräftigen Armen die Luft aus dem Leib.
»Haha, ich hab' dich drangekriegt!« Ihr dröhnendes Lachen lässt mein Trommelfell zittern. »Du glaubst nicht, wie flink meine Küchenhelfer jetzt sind, nur um rechtzeitig zu deiner Erzählstunde fertig zu sein. Ich kann meine Kelle getrost an der Wand hängen lassen. Obwohl es mir schon ein bisschen fehlt.« Sie entlässt mich aus ihrem Würgegriff und schiebt mit einer schüchternen Geste einige vorwitzige Löckchen wieder unter ihre Haube.
Ich hole dankbar tief Luft und weiß nicht, was mich mehr irritiert. Die plötzliche Verlegenheit der Dampfwalze oder ihre unerwartete Zuneigungsbekundung. Moira ist nicht unbedingt der Inbegriff von Herzlichkeit.
Sie ruckelt auf ihrem Schemel hin und her und das Holz ächzt bedrohlich. »Es ist wirklich schön, dass wir jetzt jemanden haben, der immer ein Auge auf die kleinen Plagen hat.« Mit einem Stirnrunzeln schiebt sie mir die Schüssel mit den geschälten Zwiebeln wieder zu. »Aber nicht, dass du jetzt die Nase in die Wolken reckst, nur weil du unseren Drachen zum Lächeln gebracht hast.«
»Warte mal. Was?« Vor Aufregung fällt mir das Schneidbrett zamt Zwiebelwürfeln vom Schoß und alles kullert in den Dreck zu meinen Füßen.
»Grrr...« Jeder Funken Fröhlichkeit ist aus Moiras Miene verschwunden. Doch bevor sie mich anschreit, wandert ihr Blick weiter und sie springt erschrocken auf. Mit stiller Freude sehe ich weitere Zwiebeln über den Boden davonrollen.
»Mari!« Die Köchin eilt zu einer jungen Frau, die gebeugt im Hof steht, eine große Kiepe Holz auf dem Rücken, einen kleinen Jungen an der einen Hand, die andere schützend über ihren dicken Bauch gelegt. Sofort renne ich Moira hinterher und nehme Mari das schwere Bündel ab.
»Bist du verrückt? In deinem Zustand kannst du doch nicht so schwer tragen!« Mit vereinten Kräften bugsieren wir sie zu einer Bank im Schatten. Ihr Sohn zerrt mit seinen dünnen Ärmchen ein Bündel Reisig hinter sich her und wirft ängstliche Blicke Richtung Schmiede.
Wie aufs Stichwort ertönt lautes Gebrüll von dort herüber und Mari und Shay zucken gequält zusammen. Mit langen Schritten und gerötetem Gesicht stampft Ulfar auf uns zu. Hin und wieder hilft er Evan in der Schmiede aus, hin und wieder auch dem Steinmetz, wenn Ifor jemanden zum Steine schleppen braucht. Selbst Owain holt Ulfar nur hin und wieder, wenn er gar keinen anderen zum Wachdienst findet. Seine Qualifikationen als Ehemann erscheinen mir ebenfalls äußerst mangelhaft. Doch seit der Schmied mit Rhys unterwegs ist, wird Ulfars großspuriges Gehabe von Tag zu Tag schlimmer.
»Faules Weibstück! Wie lang soll ich noch warten?« Mit blutunterlaufenen Augen stiert er durch verschwitzte Strähnen seines hellen Haares. Evans Selbstgebrannten genießt er wohl öfter, als nur hin und wieder.
Ulfars nackten, muskulösen Oberkörper bedeckt nur eine Lederschürze und der Schweiß lässt seine sonnengebräunte Haut glänzen. Fast könnte man ihn als ansehnlich bezeichnen, wäre nicht der verschlagene Ausdruck in seinen blassblauen Augen und seine unflätige Art.
»Beweg deinen lahmen Hintern, du fette Kuh«, schnauzt er die arme Mari an, die sich sofort mit gesenktem Blick duckt und nach der schweren Kiepe langt.
»Nichts da!« Energisch ziehe ich sie zurück. »Trag das gefälligst selber, du Proll!«
»Du musst dich ja mit Trollen auskennen, Hexe! Lass die Finger von meinem Weib.« Ulfar packt Mari im Genick und schubst sie neben den Holzkorb. Sie verliert ihr Kopftuch und krümmt sich in Erwartung weiterer Schläge zusammen.
»Mam!« Der kleine Shay schreit entsetzt auf und fällt seinem Vater in den Arm. Doch der Mistkerl schüttelt den Fünfjährigen ohne Mühe ab und schleudert das Kind auf die harte Erde.
»Halt!« Moira stellt sich mit ausgebreiteten Armen vor Mari und den wimmernden Shay. Doch das bremst Ulfar nicht aus. »Weg da!«, brüllt er sie an und schlägt ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Moira taumelt beiseite und Blut schießt ihr aus der Nase.
Ich sollte mich raushalten. Ich sollte weglaufen und Hilfe holen. Aber ich kann mich nicht abwenden. Vor mir liegt ein hilfloses Kind und dieser Schlägertyp zerrt seine hochschwangere Frau an den Haaren nach oben. Maris einfaches Kleid rutscht über ihre schmale Schulter und offenbart dunkellila Blutergüsse. In mir legt sich ein Schalter um und ich sehe buchstäblich Rot. Mit einem Wutschrei trete ich Ulfar von hinten in die Kniekehle und bringe ihn zum Straucheln. Als er sich verdutzt stolpernd zu mir herumdreht, schwinge ich den Holzschemel wie einen Wurfhammer und lasse ihn gegen sein kantiges Kinn krachen. Ulfar geht wie ein gefällter Baum zu Boden.
Stille senkt sich über den Burghof. Alle halten in ihren Arbeiten inne und starren mich mit großen Augen an. »Was denn?«, rufe ich, noch immer voller kalter Wut. »Wolltet ihr etwa alle zuschauen, wie er sie verprügelt?« Ich helfe Mari aufzustehen und Moira nimmt Shay auf die Arme. Dann verpasse ich der Kiepe noch einen Stoß, sodass der Inhalt den benommen stöhnenden Ulfar zuschüttet. »Arschloch«, zische ich und führe Mari zum Wohnturm.
»Aber, das geht nicht.« Sie beginnt sich zu sträuben und schaut ängstlich zu dem Holzhaufen mit Beinen. »Ich muss zurück. Er wird sonst sehr böse.«
Ich fasse ihre Hand fester und ziehe sie mit Nachdruck weiter. »Er wird böse? Und was war das eben? Leichte Verärgerung? Du musst dich von diesem Idioten fernhalten und deshalb kommst du mit zu mir. Ich habe ein riesiges Zimmer und an der Wand im Flur hängen genug Äxte und Spieße. Nur für den Fall der Fälle.«
Von Moira kommt ein zustimmendes Brummen. Schnauben kann sie im Moment nicht. »Ich lass euch was zu Essen bringen. Und Bruder Martin wird nach Shay schauen.« Sie drückt den mageren Jungen an ihre große Brust. »Was für ein Hurensohn. Du hast einen guten Schlag, Mädchen.« Anerkennend nickt sie mir mit einem grimmigen Lächeln zu. »In nächster Zeit solltest du nicht ohne Waffe rausgehen. Aber meine Kelle brauche ich selber!«
Dann umringen uns plötzlich die anderen Frauen und Kinder. Unzählige Hände drücken und streicheln uns. Jemand übernimmt Shay und Moira bekommt ein nasses Tuch für ihre geschwollene Nase. Wir sind nicht allein. Und über der ganzen Aufregung und dem ohrenbetäubenden Geschnatter vergesse ich glatt, Moira nach dem Drachen zu fragen. Dabei ist mir das doch so wichtig, oder?
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Frohe Ostern euch allen!
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