Licht und Schatten
***
~ Heiß. Ihm ist so unerträglich heiß.
Die erdrückende Hitze erstickt seinen Willen, lähmt jeden Gedanken und saugt den letzten Rest Feuchtigkeit aus seinem Körper.
Etwas krabbelt ihm übers Gesicht. Instinktiv will er es verscheuchen, versucht vergeblich, seine kraftlosen Arme zu heben.
Seine Hände! Wieso spürt er seine Hände nicht?
Eisiges Entsetzen frisst sich durch seine Eingeweide. Was haben Saladins Folterknechte mit ihm angestellt? Vor welchem Grauen flüchtete sein Geist in die gnädige Umarmung der Bewusstlosigkeit?
Keiner der Gefangenen weiß, wonach sich die sadistischen Wärter ihre Spielzeuge aussuchen. Es gibt nichts zu gestehen, nichts zu verraten. Die willkürlichen Folterungen und Verstümmelungen dienen nur dem Zeitvertreib der Peiniger.
Mühevoll zwingt er seine geschwollenen Lider nach oben. Seine Augen brennen, obwohl die gleißenden Sonnenstrahlen von dunklen Zeltplanen gedämpft werden. Allmählich erkennt er Schemen und Umrisse im Dämmerlicht. Kunstvolle, farbenfrohe Muster zieren den Teppich unter ihm. Schlagartig kehrt seine Erinnerung zurück. Er ist nicht mehr in der finsteren Zelle des Felsenkerkers. Doch er kann sich nicht darüber freuen. Dies ist nur der nächste Kreis der Hölle. Er weiß nun, weshalb gerade die jüngeren Gefangenen von den schlimmsten Mißhandlungen verschont blieben.
Beschädigte Ware verkauft sich nicht gut.
Seine Hände sind mit straffen Lederriemen gefesselt. Die Schnüre haben sich so fest zusammengezogen, dass er jedes Gefühl verloren hat. Verzweifelt kämpft er darum, die tauben Finger zu bewegen. Feiner Sandstaub kratzt unter seiner Wange, schmirgelt über seine, von der Sonne verbrannte, nackte Haut. Überall ist dieser verdammte Sand. Durch die Fesseln führt ein raues Seil zu einem Pflock in der Mitte des Zeltes. Das andere Ende hängt als lose Schlinge um seinen Hals.
Ein heiseres Schluchzen entrinnt seiner wunden Kehle. Als ob er hier irgendwohin entfliehen könnte.
Das Rascheln der Zeltplane lässt ihn erstarren. Jemand schleicht um ihn herum, kniet neben ihm nieder. Ein nasses Tuch streicht über seine Wangen. Wassertropfen benetzen seine aufgesprungenen Lippen. Er schnappt danach, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Winzige Schlucke werden ihm eingeflößt. Gerade genug, um die Mundhöhle zu befeuchten. Viel zu wenig gegen den quälenden Durst.
Knochige Hände streichen ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn. Eine heisere Stimme flüstert Worte in einer kehligen Sprache. Er will nichts hören. Er will nichts verstehen. Am allerwenigsten will er diese Hände auf sich fühlen. Er verflucht sich selbst, verachtet sich für seine Schwäche. Warum schafft er es nicht, das wenige Wasser und die knappe Nahrung, die man ihm gibt, zu verweigern?
›Kyrie, eleison! Christe, eleison! Kyrie, eleison!‹, fleht seine gequälte Seele stumm um Erbarmen.
Der Besucher greift ihm unter die Arme, zieht ihn auf die Knie. Der Mann hockt sich hinter ihn, stützt ihn mit seinem Körper. Das feuchte Tuch streicht ihm über Hals und Schultern, zieht Kreise auf seiner Brust und über den straffen Unterleib.
Er muss würgen. Ihm ist übel, doch in seinem Magen befindet sich nichts, was er erbrechen könnte. Wenn es doch nur schnell vorbei wäre. Er ist zu schwach, um sich groß zu wehren. Die schwieligen Hände greifen in sein langes Haar, ziehen ruckartig seinen Kopf zurück, wenn er kurz davor steht, wegzutreten. Die heisere Stimme zischelt ihm fremde Worte ins Ohr, aromatischer Rauch wird ihm ins Gesicht geblasen. Der kif lullt ihn ein, betäubt seinen Verstand, mildert den unerträglichsten Ekel. Der Abscheu wird folgen, Stunden später, wenn er wieder klar denken kann. Doch er klammert sich an das bisschen Leben, welches noch in ihm steckt. Tief inhaliert er die Droge, gierig trinkt er den angebotenen, mit Opium versetzten Wein. Irgendwie wird er es überstehen.
Gierige, ölbenetzte Finger streicheln ihn erneut, fremde Lippen küssen seinen Nacken. Ein schweißnasser Körper reibt sich an seinem Rücken. Die groben Hände packen seine Schultern und drücken ihn nach unten ... Kyrie, eleison!~
***
»Aaah!«
Ein schmerzhafter Schlag trifft meine Rippen und ich schrecke aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Es ist zappenduster und ich habe nur meine Hände, um mich zu orientieren. Sie ertasten einen warmen Körper, der neben mir unruhig mit den Armen rudert.
»Rhys?«
Ich bekomme keine Antwort. Er murmelt mit brechender Stimme nur unverständliches Zeug, welches wie ein Gebet klingt. Vorsichtig rutsche ich vom Bett und krabbel um das Lager herum, auf der Suche nach einer Kerze, die ich doch nicht anzünden kann. Unsere hastig abgelegte Kleidung raschelt, als ich mich durch den Haufen wühle. Meine Finger berühren ein bauchiges tönernes Gefäß. Zögerlich schnuppere ich daran. Zum Glück ist es ein großer Wasserkrug und kein Nachttopf. Mit dem Zipfel eines herumliegenden Kleidungsstückes tunke ich in das Wasser und arbeite mich zurück zum Bett. Rhys' Gestammel wird immer aufgeregter und hat einen flehenden Tonfall, bei dem mir Angst und Bange wird. Welch furchtbarer Albtraum hält ihn gefangen?
Ich will ihn nicht erschrecken und krieche behutsam zu ihm, kühle mit dem feuchten Tuch seine heiße Haut.
Irgendwie macht das alles nur noch schlimmer. Panisch ringt Rhys nach Luft und stöhnt qualvoll. Leise rede ich auf ihn ein und streiche ihm durchs Haar. Schließlich weiß ich mir keinen anderen Rat, als ihn kräftig an den Schultern zu rütteln und lautstark seinen Namen zu rufen.
»NEIN!« Mit einem Aufschrei fährt er hektisch in die Höhe und verpasst mir einen brutalen Stoß, der mich rückwärts aus dem Bett befördert und gegen irgendetwas krachen lässt, das scheppernd umfällt. Instinktiv rolle ich mich zusammen und halte die Hände schützend über meinen Kopf.
Die Stille danach ist bedrückend. Der Mann im Mond zeigt ein wenig Mitleid und sendet einen schwachen Lichtstrahl durch das schmale Fenster. Von draußen höre ich das beruhigende Rauschen eines Regenschauers. Weniger beruhigend ist Rhys' zitternde Silouhette, die schweratmend auf dem Lager kauert. Ohne ein Wort zu verlieren schnappt er sich das Laken, schlingt es sich um die Hüften und stürmt aus dem Raum.
❧
Rhys stützt die Arme auf die Brüstung der Mauerkrone und lässt den Kopf hängen. Er zittert am ganzen Körper, doch es liegt nicht an dem strömenden Regen. Nur langsam beruhigt sich sein wild klopfendes Herz. Diese verfluchten Träume! Die Wüste ist weit weg, doch ihre Schrecken wird er nicht los. Khalil al Jafar und seine finsteren Spielchen, die weit über einen hastigen Paarungsakt hinausgingen. Er will nicht an diese Dinge denken, will sich nicht erinnern, was er getan hatte, um zu überleben. Nicht, wenn er die Nacht mit der Frau verbringt, die er begehrt.
Doch genau das ist die Krux. Arwen weckt in ihm Gefühle, die er eigentlich tief weggeschlossen wähnte. Er hat sich selbst abgehärtet, um die schlechten Taten, die er vollbracht und die an ihm verübt worden waren, zu überstehen. Wenn einen nichts berührt, empfindet man auch keinen Schmerz. Doch sie hat eine Tür geöffnet, durch die jetzt fröhlich pfeifend die Gespenster seiner Vergangenheit auftauchen. Rhys verschränkt die Arme vor der Brust und knirscht mit den Zähnen. Auf was hat er sich nur eingelassen?
»Rhys? Was machst du hier draußen? Es schüttet wie aus Kübeln, du wirst doch klatschnass.«
Scheiße. Rhys versteift sich unwillkürlich. Er hat nicht die Kraft für Erklärungen.
»Na und? Das ist meine Burg. Ich kann tun und lassen, was ich will«, blafft er, um seine Schwäche zu überdecken.
Arwen steht in der Turmpforte und schaut besorgt zu ihm. Ihr helles Unterkleid schimmert vor dem grauen Stein und lässt sie unwirklich und zerbrechlich erscheinen. Nach kurzem Zögern dreht sie sich um und kehrt in die schützenden Mauern zurück.
Scheiße. Das macht es auch nicht besser. Rhys schließt verzweifelt die Augen und reibt sich mit der Faust über die schmerzende Stelle in seiner Brust. Das Bild, wie Arwen sich furchtsam neben dem Lager zusammenrollt, peinigt sein Gewissen. Was war er doch für ein Mistkerl. Er war dafür verantwortlich und hatte sich nicht mal nach ihrem Befinden erkundigt. Kein Wunder, wenn sie sich von ihm abwendet.
Eine leichte Berührung lässt ihn zusammenzucken. Arwen steht ihm gegenüber und zieht ihm einen langen Umhang über die nackten Schultern. Rhys scheut sich, ihr in die Augen zu sehen. Er will weder reden, noch bedauert oder gar bemitleidet werden. Doch Arwen stellt keine Fragen, gibt ihm keine wohlgemeinten Ratschläge. Sie macht es ihm dort angenehmer, wo er gerade sein will. Obwohl sie ihn an einem ziemlichen Tiefpunkt erlebt hat, bleibt sie bei ihm, fällt kein Urteil, ist einfach nur für ihn da. Diese kleine selbstlose Geste sprengt die letzten Mauerreste seines Herzens. Er fühlt sich ihr näher, als während ihres leidenschaftlichen Liebesspiels der letzten Nacht.
Rhys öffnet seine verschränkten Arme und zieht Arwen zu sich unter den Umhang. Sie erwidert seine Umarmung, legt den Kopf auf seine Schulter und schmiegt sich eng an ihn. Allmählich verebbt sein Zittern und eine tiefe Ruhe erfüllt ihn. Der Sommerregen hüllt sie in einen plätschernden Kokon, in dem nur sie beide existieren, während der Rest der Welt in einem rauschenden Schleier versinkt. Er könnte ewig hier stehenbleiben und ihm wird klar, dass er sie nicht mehr loslassen möchte. Nicht jetzt, nicht morgen, niemals wieder.
»Ich mag Regen«, flüstert Rhys mit rauer Stimme, »dann weiß ich, dass ich zu Hause bin.«
Arwen hebt den Kopf. Das Leuchten ihrer wunderschönen Augen erhellt die tiefen Schatten seiner verlorenen Seele. All seine Gefühle einzuschließen war keine Frage der Stärke, wie er es sich immer eingeredet hatte. Es hatte ihm geholfen zu überleben, doch dies kann er so nicht länger.
»Jeder braucht ein Zuhause«, haucht sie mit sehnsuchtsvoller Stimme.
Richtig, meldet sich die Stimme seines Gewissens. Und sie muss ihres vergessen, um bei ihm zu bleiben. Doch wer wird welchen Preis dafür zahlen?
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