Irrungen ...
Dieses Kapitel möchte ich Fortuna_Fox widmen, die meine Geschichte - worüber ich noch immer total baff bin 😍 - während einer Wales-Reise zu lesen angefangen hat. Ich danke dir hiermit ganz hochoffiziell für deine tollen Hinweise und Anmerkungen. Sie sind eine unglaubliche Bereicherung und ich hoffe, ich kann noch viel davon umsetzen. 👍
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Roderick prustet erschrocken. Der Bierkrug rutscht ihm aus der Hand, seine Augäpfel quellen aus den Höhlen. Er reißt sich keuchend los und springt auf. Sein Stuhl kracht polternd nach hinten.
Wieder verstummen alle anderen Gespräche schlagartig, nur folgt diesmal kein andächtiges Staunen. Nach einem Schockmoment flutet heftiges Gebrüll den Saal, Geschirr klirrt, Bänke werden umgestoßen. Wie geisterhafte Schatten huschen die dunklen Leiber der Jagdhunde durch die Männerbeine und schnappen gierig nach den herunterfallenden Essensresten. Ein Wirrwarr an Beleidigungen schwirrt über die Tische. Die einfallsreichen walisischen Kraftausdrücke stehen dabei den blumigen französischen Beschimpfungen in nichts nach.
Angesichts des wachsenden Tumultes verdreht Rhys die Augen und angelt sich eine Handvoll frischer Johannisbeeren von der fein dekorierten Gebäckplatte. Er lehnt sich zurück und zupft in aller Seelenruhe die säuerlichen Früchte von der Rispe.
»Sacre bleu! Was willst du damit sagen?«, fährt Roderick ihn empört an. Sein rechtes Augenlid zuckt hektisch und sein Kehlkopf hüpft unablässig auf und nieder. Giffards Leibwächter scharen sich zusammen und bilden Schulter an Schulter einen schützenden Halbkreis um ihren Herrn. Hell mischt sich der schneidende Gesang blankziehender Klingen unter die tiefen Männerstimmen.
Mit einem warnenden Aufschrei zücken die Waliser ebenfalls ihre Waffen und umringen das kleine Häufchen Normannen mit grimmigen Gesichtern.
Rhys verzehrt die letzten Beeren und wirft die leeren Stängel auf den Tisch. Was für ein unnötiges Chaos. Rodericks Zwergenaufstand ist nun wirklich keine Bedrohung. Herausfordernd sieht er den ehemaligen Kameraden an. »Muss ich das ernsthaft noch näher ausführen?«
Roderick läuft puterrot an. Der Schweiß perlt ihm von der Stirn und seine Augen huschen nervös über die aufgebrachte Meute. Ungeachtet seiner unterlegenen Position plustert er sich dennoch mächtig auf und tritt Rhys entgegen. Zugleich hebt er die freie Hand, um seine Männer zurückzuhalten. »Ferme ta geule! Wie kannst du es wagen? Meine Mutter war eine ehrbare Lady, egal, was der alte Zausel im Fieberwahn gefaselt hat! Wie kannst du ihr unterstellen, dass sie ... dass sie ...« Seine Stimme überschlägt sich. Er schnappt nach Luft und bringt den Satz doch nicht zu Ende. Die tiefrote Gesichtsfarbe seiner Wangen verblasst und in seinen aufgerissenen Augen spiegelt sich der Schrecken einer Erkenntnis.
»Dass sie zu allem bereit war, um ihrem Sohn zu helfen?«, ergänzt Rhys trocken. Seine gerechte Empörung hat wie überschäumende Milch die züngelnden Flammen seiner Wut erstickt. Müde winkt er ab. »Mach nicht so ein Gewese und setz dich wieder hin.«
Die kurze Nacht und das lange morgendliche Gespräch mit Arwen haben ihn erschöpft. Er möchte den Tag nur noch hinter sich bringen. Wozu Roderick Vorhaltungen für Dinge machen, die keiner von ihnen zu verantworten hat? Dieser ganze Aufruhr bringt nur neues Leid, statt altes zu lindern.
Bilder aus der Vergangenheit drängen sich ihm auf. Das imposante, weitläufige Anwesen der Giffards. Der einschüchternde und herablassende Empfang durch den Baron. Und der gleichaltrige, vornehm herausgeputzte Junge, der sich immer furchtbar wichtig gab und doch ständig seine Nähe suchte. Vom Vater abgelehnt, von den Geschwistern ignoriert, von den Untergebenen gemieden. Roderick hat seine eigene Hölle durchlebt, auch wenn seine Narben nicht offensichtlich sind.
»Bleibt friedlich, alle miteinander!« Energisch bedeutet Rhys den Männern, die Waffen zu senken. »In dieser Halle wird es kein Blutvergießen mehr geben.«
Mit seiner ihm eigenen Autorität erhebt er sich und alle weichen einen Schritt zurück. Kopfschüttelnd stellt er Rodericks Stuhl wieder auf und schiebt ihn dem verdutzten Normannen von hinten gegen die Kniekehlen. Roderick plumpst schwerfällig wie ein Sack Mehl auf seinen Hintern und glotzt ihn ungläubig an.
»Deine Mutter war eine verzweifelte Frau, die ihr Kind beschützen wollte. Dein Wohlergehen war ihr wichtiger als jegliche Ehre. Mit Sicherheit hat sie dir das Leben gerettet. Du hättest doch keine Woche länger durchgehalten.« Rhys spricht die Worte ohne Groll. Er wundert sich selbst, welchen Frieden er im Innersten verspürt. Ist das Martins vielgepriesenes Wunder der Vergebung? Er schielt zu seinem Freund und bemerkt den blitzenden Stahl, der gerade wieder in Martins weitem Kuttenärmel verschwindet. Seinem fragenden Blick begegnet der Mönch mit einem unschuldigen Lächeln.
Gut zu wissen, wer einem im Ernstfall den Rücken freihält.
»Ich habe das ehrlich nicht gewusst.«
Das Holz der Stuhlbeine schabt quietschend über den Steinboden als Roderick umständlich zurück an die Tafel ruckelt.
Die Männer folgen dem Beispiel ihrer Obrigkeit und begeben sich murrend wieder auf ihre Plätze. Die Schwerter werden weggesteckt, doch es gibt noch das ein oder andere Gerangel und mehr als ein Dolch spießt sich provokant in die Tischplatte. Rhys schnalzt missbilligend mit der Zunge und wartet, bis auch diese Waffen wieder am Mann sind, bevor er sich setzt.
Roderick ist in sich zusammengesunken. Bekümmert trommelt er sich mit der Faust gegen die Brust. »Du bist doch mein Freund. Mit dir verbindet mich mehr als mit meinen leiblichen Geschwistern. Von denen hat sich nie einer für mich eingesetzt.«
Er macht einen tiefen Atemzug und seine Stimme zittert mit ehrlichem Bedauern. »Ich war davon überzeugt, dass du die Gunst der Stunde genutzt hast, um aus dem Dienst bei meinem Vater herauszukommen. Ich weiß doch am besten wie abfällig er dich behandelt hat. Oft genug hast du seinen Spott und die erniedrigenden Strafarbeiten für den Unterlegenen auf dich genommen. Dabei hättest du mich nie gewinnen lassen müssen. Dein Verhalten war damals schon nobel und wahrhaft ritterlich. Ich war immer zu stolz, dir dafür zu danken.«
Sein Kopf ruckt hoch, seine Hände packen Rhys und pressen ihn fest an seinen fülligen Körper. »Ich stehe tief in deiner Schuld. Ich werde dir nie vergessen, welche Opfer du meinetwegen erbringen musstest.«
Rhys versteift sich und schiebt Roderick eilig von sich. Erzwungene Nähe bereitet ihm Unbehagen und so viel umarmt wie heute, wurde er die letzten Jahre nicht. Arwens Zuwendung bildet da eine erfreuliche Ausnahme. Allerdings riecht sie auch nicht nach Männerschweiß und Pferd.
Trotzdem klopft er Roderick begütigend die Schulter. »Schon gut. Dafür könntest du ganz schnell vergessen, warum du hierhergekommen bist.«
»Ähm, wie soll ich das jetzt verstehen? Willst du unser Bündnis aufkündigen? Mein Besuch war zwar längst überfällig, aber du weißt doch selbst - ständig kommt einem was dazwischen.« Verlegen kratzt sich Roderick den Nacken.
»Du erscheinst zu einem Freundschaftsbesuch ohne Ankündigung auf meinem Land? Mit einer Kampftruppe statt Hofstaat?« An diesem Tag der schonungslosen Wahrheit will Rhys keine Ausflüchte hören. Mit verschränkten Armen wartet er auf Rodericks Antwort, der sich zu seiner Genugtuung sichtlich windet.
»Tja, also ...« Giffard hüstelt verlegen, schnauft ein paar Mal und wirft schließlich ergeben die Arme in die Luft. »Es ist halt verdammt peinlich zuzugeben, dass man sich verlaufen hat! Wir haben eine Horde marodierender Soldritter bis in die Ausläufer des Snowdown verfolgt. Es war kein leichtes Unterfangen, dieser eidbrüchigen Halunken habhaft zu werden! Auf dem Rückweg wollte ich etwas abkürzen, dabei sind wir viel weiter südlich rausgekommen, als geplant. In diesem Wald verliert man einfach jede Orientierung! So, jetzt kannst du mich auslachen, ich habe es verdient.«
Roderick grummelt ein paar Verwünschungen und langt nach einem neuen Bierkrug.
Diesmal ist es Rhys, der verdutzt blinzelt. »Du bist nicht wegen dieser leidigen Entführungsgeschichte hier?«
Roderick verschluckt sich, wieder tropft ihm der Schaum aufs Gewand. Verärgert stellt er sein Trinkgefäß ab, greift nach einem der Leintücher und reibt über die nasse Stelle. Der Fleck wird noch größer. Leises Gelächter klingt zu ihnen herüber. Daraufhin fliegt das Tuch zusammengeknüllt einem der grinsenden Normannen an den Kopf.
»Entführung? Welche Entführung?« Roderick runzelt verwundert die Stirn. Dann erhellt ein Lächeln sein Gesicht. »Ach, meinst du diese alberne Posse?« Er beginnt herzhaft zu kichern. »Die ist fast so amüsant wie die Geschichte von deiner letzten Schlacht! Welch herrliche Bardendichtkunst!« Schniefend wischt sich Roderick erste Tränen aus den Augenwinkeln. »Aber bleib mir weg mit den hochedlen Weibern! Meinetwegen kannst du dir einen ganzen Turm voll davon zulegen. Ich hab eine daheim ...«, er rümpft missmutig die Nase, »... den lieben langen Tag am frömmeln und des nachts anschmiegsam wie ein Hackstock.« Vorsichtig lugt er in Richtung des Mönches und lehnt sich näher zu Rhys. »Wenn ich nicht meine vergnüglichen Badejungfern hätte - meine Männlichkeit wäre längst verdorrt.« Seine Stimme senkt sich zu einem verschwörerischen Raunen. »Also, falls dir der Sinn nach einem Ausflug steht, im nördlichen Flügel kennst du dich doch aus, ich würde mich auch erkenntlich zeigen ...«
Rhys traut seinen Ohren nicht. »Hat dich dein Pferd getreten? Und ich habe dann deinen erbosten Schwiegervater am Hals!«
»Es wäre doch nur vorübergehend. Ich hole sie schon wieder ab. Dann wäre Madame vielleicht etwas ... entgegenkommender?« Roderick wiegt bedächtig sein Haupt.
»Wie wäre es, wenn du deiner Frau genauso viel Aufmerksamkeit entgegenbringst wie deinen Gespielinnen?« Rhys kann ein Aufstöhnen gerade noch unterdrücken. Rodericks Eheprobleme sind das Letzte, womit er sich jetzt beschäftigen will.
»Die anstehenden Johannisfeuer wären dazu ein guter Anlass«, tönt es von Bruder Martin mit unverhohlener Freude. »Ich habe bereits die ersten Sträuße und Kränze gebunden. Sieben Kräuter mit besonders starker Heilkraft, die auch dem Liebesglück recht zuträglich sind. Über Geschenke sind die Damen, egal welchen Standes, immer erfreut.« Der Mönch unterbricht kurz und faltet bedächtig die Hände. »Zumindest wurde mir dies so berichtet.«
Rhys stützt sich auf die Ellenbogen und verbirgt sein Gesicht hinter den gespreizten Fingern. Warum noch mal hat er vorhin die anstehende Prügelei verhindert?
»Hm«, brummt Roderick nachdenklich. »Da müsste ich aber gleich aufbrechen, um noch rechtzeitig zurück zu sein.«
»Ratsam wäre es«, stimmt Rhys todernst zu. »Auch wenn ich es natürlich sehr bedauere.«
Martin hüstelt leise und Rhys verpasst ihm unterm Tisch einen Tritt.
»Die gesegneten Kränze bieten dir auch Schutz vor allerlei heidnischem Zauber. Das sollte euch die Durchquerung der wilden Wälder erheblich erleichtern.«
Rodericks Miene bleibt skeptisch und sein Blick wandert zwischen Rhys und dem Mönch hin und her. »Ihr verscheißert mich doch.«
Rhys zuckt gelangweilt mit den Schultern und zieht einen Teller mit Moiras köstlichen Schmalzkrapfen heran, der schon reichlich abgeräumt ist. Das frische Obst hat seinen Appetit geweckt und Martin braucht keinen weiteren Speck auf seinen Rippen. »Du musst sie nicht mitnehmen«, antwortet er kauend. »Wenn du auf dem Weg bleibst, der zwischen den Silberweiden am Gänseweiher entlangführt, kommst du auch relativ gut hindurch ... irgendwann.«
»Schon gut, schon gut! Ich werde dieses großzügige Angebot doch nicht ablehnen. Segenswünsche für eine gute Heimkehr wissen wir schließlich beide zu schätzen, nicht wahr?« Roderick hebt seinen Becher und prostet Rhys zu. »Und wenn deine zauberhafte orientalische Blüte hier gedeiht, dann wird sich meine englische Rose sicher auch einleben.«
Im Klang ihrer anstoßenden Becher hört Rhys den Mönch leise vor sich hinbrummen. »Hoffentlich wird da nicht der Bock zum Gärtner.«
Er fragt lieber nicht nach, wen genau Martin damit meint. Insgeheim beschleicht Rhys die böse Vorahnung, dass Roderick auch diesmal mehr Glück als er haben wird.
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