Gerüchteküche
Wir sind kaum durch das Burgtor, als mich Rhys vom Pferd schubst. Ein undamenhafter Quietscher entschlüpft mir, doch bevor ich im Dreck lande, ist er hinter mir abgesprungen und fängt mich auf. Er schwenkt mich herum und drückt mich in die Arme von Tabor, der mit einigen Mägden die Neuankömmlinge im Burghof begutachtet. Mit einem fast unmerklichen Nicken deutet Rhys auf das hintere Gesindehaus, dann drückt er dem herbeieilenden Stallburschen die Zügel des Hengstes in die Hand.
»Reib ihn gut ab und gib ihm frisches Wasser«, befielt er im üblichen Kommandoton. Tabor zerrt mich indes mit erstaunlicher Kraft zum Nebengebäude. »Kommt schnell, Mylady«, krächzt er mit seiner rauen Stimme und versucht, mich mit seiner dürren Gestalt vor den Blicken der Fremden abzuschirmen.
Die drei Männer stehen mitten im Burghof, nah beieinander und dicht an ihren Pferden, im Halbkreis umringt von Owain, Evan und vier weiteren Burgwächtern. Unter ihren staubigen Umhängen sehe ich rot-goldene Wappenröcke mit dem Abbild von liegenden Löwen. Das Motiv wiederholt sich auf den Satteldecken der Pferde. Ihre Kleidung und ihr entrüstetes Gebahren lässt auf wichtige Leute schließen. Wenn sie hier seit mehr als einer Stunde wartend rumstehen, kann ich ihren Unmut gut verstehen. So ungastlich hätte ich die Burgbewohner nicht eingeschätzt. Die einzig freundliche Geste ist, dass sie die Reiter überhaupt hereingelassen haben.
Ich will nichts verpassen und stemme die Hacken in den Boden, um Tabor abzubremsen. Da er genauso neugierig ist wie ich, ist das nicht allzu schwer. Über die Schulter schaue ich zurück und sehe Rhys auf die kleine Gruppe zugehen. Niemand zieht eine Waffe, keine bedrohlichen Worte fallen. Dennoch scheinen sich die Herrschaften nicht recht wohl zu fühlen.
Rhys nimmt sich für die paar Meter alle Zeit der Welt. Mit erhobenem Haupt und stoischer Miene schlendert er über den Hof. Die Tatsache, dass er nur einfache Sachen und noch dazu ein schmutziges, blutbeflecktes Hemd trägt, scheint seinen Gästen mehr Unbehagen zu bereiten als ihm. Einer der Männer tritt nach vorn, verbeugt sich knapp und hält ihm eine Pergamentrolle entgegen. Rhys wirft nur einen gelangweilten Blick darauf und geht einfach weiter in Richtung der Treppe zur Großen Halle, als Dafydd, im Kettenhemd und mit Schwert und Schild angetan, aus dem Eingang gestürmt kommt. Rhys schnappt seinen Bruder am Oberarm und schiebt ihn rückwärts wieder hinein. Owain und Evan schließen sich ihnen wortlos an. Die drei Boten schauen ziemlich betreten drein. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als, flankiert von den übrigen Wächtern, den Männern zu folgen.
Wie die Hauptattraktion des Tages hinter den dicken Mauern verschwindet, lösen sich die Grüppchen der Schaulustigen rasch auf und alle gehen weiter ihren täglichen Aufgaben nach. Tabor umklammert weiter meine Hand, obwohl ich mich längst nicht mehr sträube und schiebt mich in das Arbeitsreich der Frauen.
Die ebenerdige Stube ist dank großer Fenster überraschend hell und weniger überraschend ziemlich kalt. Die Hitze des Feuers der offenen Kochstelle reicht nicht viel weiter als bis zu dem großen Topf, der an einem Eisenhaken darüber hängt. Auf dem Boden stehen überall Körbe mit feingezupfter Wolle. Säuberlich nach Farben getrennt in cremigem Weiß, sattem Braun und sogar leuchtendes Rot, tiefes Blau und ein dunkles Grün sind dabei.
Inmitten dieser Rohstoffberge zukünftiger Handarbeitsträume steht Bronwyn an einem langen Tisch, die Hände in einer Schüssel mit warmer Seifenlauge und vielen bunten Wollflocken. Hinter ihr sitzt Eirlys Mutter, Rhiannon - ich habe es mir gemerkt! - mit der Handspindel und verspinnt in einem Affenzahn einen Bausch Rohwolle nach dem anderen. Mit dem Fuß tippt sie dabei gleichmäßig gegen eine wunderschöne Wiege, in der ein Säugling friedlich schlummert. Das sanfte Wasserplätschern, das Surren der Spindel und das rhythmische Klappern der Wiege schaffen eine geradezu meditative Geräuschkulisse.
»Hier seid Ihr in Sicherheit, Mylady«, schnauft Tabor, als hätte er mit dem Wildschwein gekämpft und mich den ganzen Weg getragen. Seine Hand rutscht von meinem Rücken auf meinen Hintern und schiebt mich noch ein Stück weiter in die Stube.
Ich erspare mir jeglichen Kommentar dazu und werfe ihm nur einen finsteren Blick mit einer gehobenen Augenbraue zu. Diese wunderbar arrogante Geste habe ich mir von Rhys abgeschaut. Da ich Tabor auch noch um einen halben Kopf überrage, wirkt es hervorragend. Die Hand verschwindet zusammen mit einem verlegen hüstelnden Tabor. Dafür blicke ich in die schreckgeweiteten Augen der beiden Frauen. Was bitte, habe ich jetzt schon wieder verkehrt gemacht?
»Ihr himmlischen Heerscharen! Mädchen, was ist dir Schreckliches widerfahren?« Bronwyn stürzt mit ihren seifigen Händen auf mich zu und ich weiche erschrocken rückwärts. Dann dämmert mir, dass mein ramponiertes Äußeres der Grund für ihre Sorge sein könnte.
»Alles in Ordnung.« Beschwichtigend hebe ich die Hände. »Es geht mir gut. Wirklich! Das viele Blut stammt nur von dem bösartigen Schwein, welches mich angegriffen hat und das von Rhys abgestochen wurde.«
Bronwyn erstarrt in ihrer Bewegung, tappst zitternd zur Seite und sinkt auf einen Schemel. »Sie sind wieder da? Ich sag doch. Ein Unglück kommt selten allein! Erst die Sendboten des Grauens und nun das.«
Rhiannon legt ihre Spindel beiseite und nimmt das jetzt quengelnde Baby aus der Wiege. »Sch, sch, mein Liebling«, herzt sie den kleinen Jungen. »Wir wissen doch noch gar nicht, was die Abgesandten des Fürsten wollen.«
Bronwyn schnaubt nur. »Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn gleich drei der fürstlichen Reiter hier auftauchen. Oder hast du einen Sack Geschenke gesehen?«
Rhiannon schüttelt traurig den Kopf und gibt dem Baby einen Kuss auf die Stirn. Sogleich bin ich von Bronwyns Gestammel abgelenkt. Der Winzling hat den gleichen dunklen Haarschopf und dieselben großen braunen Kuhaugen wie Rhiannon und Eirlys. Doch wie fragt man eine Frau, die seit vier Jahren Witwe ist, unverfänglich nach ihrem Nachwuchs?
»Wie viele waren es? Sind sie schon ganz in der Nähe?« Bronwyn bringt sich wieder in Erinnerung. Ich verstehe ihre Angst nicht. Die Wildscheine werden kaum die Burgmauern niederreißen. Diese Boten sind viel interessanter. Und weshalb wollte Rhys mich von ihnen fernhalten? Aber höflich, wie ich nunmal bin, antworte ich ihr.
»Es war nur ein Einzelgänger. Ein ziemlich gestörter. Rhys hat ihn schon ausgeweidet und wir wollten ihn mitbringen, aber dann schallte das Horn durch den Wald und wir haben das Vieh unter einen Busch geschoben.« Ich suche mir ebenfalls einen Hocker und strecke meine müden Beine von mir. So viel, wie in den letzten Tagen, bin ich in meinem bisherigen Leben noch nicht gelaufen. Und dieser Ritt zurück war auch nicht wirklich entspannend.
»Da fällt mir ein, jemand sollte den Kadaver holen. Wäre doch schade um das Fleisch.«
Wieder schauen mich beide Frauen mit entsetzten Blicken an. Rhiannon fasst sich als erste. »Du redest von dem Bastard, den Lord Rhys getötet hat?«
Ich nicke und spähe zu dem Kochtopf über dem Feuer. Mist. Nur heißes Wasser drin.
»Normalerweise sind die Môr-ladron nicht allein unterwegs. Du hast großes Glück gehabt.« Rhiannon legt den Säugling zurück in die Wiege.
»Wer?« Ich lege die Hand auf meinen knurrenden Magen. Die Fähigkeit, längere Tagesabschnitte ohne Essen zu überstehen, habe ich vermutlich evolutionstechnisch verloren.
»Die Môr-ladron, Banditen, die die Küste entlangsegeln. Sie überfallen kleinere Dörfer, plündern und stehlen, was sie in die Finger bekommen. Die schlimmsten dieser Piraten haben sich auf Menschenhandel spezialisiert. Wir hatten jetzt viele Jahre Ruhe hier bei uns.« Ihre schönen dunklen Augen sorgenvoll in die Ferne gerichtet, steht Rhiannon gedankenverloren an der Wiege. Erlebtes Leid und Entbehrungen haben Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, doch nicht die Freundlichkeit aus ihrem Wesen vertrieben. Ich möchte den beiden eine Angst nehmen und kläre das Missverständnis auf.
»Nein, nein. Es war ein echtes Schwein. So mit Borsten und Grunzen und großen gelben Hauern.«
Die Frauen schauen mich einige Sekunden sprachlos an, dann beginnen sie zu prusten.
»Das klingt wie eine Beschreibung von Cynwrig«, keucht Bronwyn lachend.
»Genau«, stimmt ihr Rhiannon bei, »den hat seine Lordschaft auch abgestochen und ausgeweidet.«
Jetzt bin ich sprachlos und auch etwas entsetzt, während die Zwei sich gar nicht mehr einkriegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit verebbt das Gelächter und Bronwyn wischt sich schniefend die Tränen von den Wangen.
»Ach je, Mädchen, das kannst du mit mir alten Frau nicht machen. Sag doch gleich, dass du mit Lord Rhys auf der Jagd warst.«
»Na ja, er war auf der Jagd. Ich war nur der Köder«, brumme ich etwas verstimmt. Schön wenn die beiden wieder lachen können, aber muss es ausgerechnet über mich sein?
Doch meine Antwort löst nur die nächste Kicherrunde aus. »Und ich dachte Lord Rhys übertreibt, als er meinte du wärst ein wenig verrückt«, keucht Bronwyn. Na toll, das denkt er also von mir. Und ich frage ihn allen Ernstes nach einem schuppigen Fabeltier. Das wird seine Meinung von mir sicher noch bekräftigt haben.
»Danke, danke«, sage ich hoheitsvoll zu den Damen. »Macht nur so weiter. Dann verrate ich niemandem, wo dieser leckere zukünftige Braten versteckt ist und werde alles alleine aufessen. Samt Knochen und Schwarte!«
»Oh, kannst du inzwischen Feuer machen oder willst du es roh runterwürgen?«
Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und versuche es mit einem lautstarken Schluchzen. Bronwyn hat die Güte, mich in den Arm zu nehmen. Noch immer nach Luft japsend, tätschelt sie mir den Rücken. »Ich mach dir einen Kamillentee. Zur Beruhigung.«
»Ich will keinen Tee«, maule ich. »Ich will endlich wieder einen richtigen Kaffee. Meinetwegen auch schwarz und ohne alles. Aber es gibt ja noch nicht mal Muckefuck. Wachsen hier irgendwo Zichorien?« Hoffnungsvoll blicke ich in ratlose Gesichter.
Bronwyn zwinkert Rhiannon zu. »Besorg doch einen Schlauch Selbstgebrannten von deinem Bruder.«
»Meinst du das Gebräu, mit dem er den Rost von den Rüstungen poliert? Das Zeug bringt einen Stein zum Singen.« Sie zieht skeptisch die Augenbrauen zusammen.
»Her damit!«, rufe ich enthusiastisch. »Das kann das Niveau dieses Tages nicht mehr schädigen. Wir machen uns einen lustigen Mädels Nachmittagabend mit Keksen und einer Tasse Schuss ohne Tee und ich trinke für dich mit, wenn du noch stillst«, sage ich zu Rhiannon. »Und dann erzählt ihr mir sämtlichen Klatsch und Tratsch und wir werden hinterhältige Ränke schmieden, um herauszubekommen, was der Fürst von Gwynedd von uns will.« Auf ihre perplexen Mienen hin füge ich noch hinzu: »Vertraut mir! Wenn was schiefgeht, ist es eben meine Schuld. Wegen anerkannter Unzurechnungsfähigkeit habe ich ein Vorrecht darauf.«
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