Every cloud has a silver lining
Das Kapitel heute zum 3. Advent widme ich Dir, liebe Anna_Valentin mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das lachende, weil mich Deine lieben Kommentare immer zum Strahlen bringen, das weinende, weil Du mich fast eingeholt hast und ich nicht so schnell mit Schreiben voran komme, wie Du mit Lesen. ;)
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Noch immer sitze ich in diesem Zuber. Das Wasser ist bereits kalt, meine Finger und Füße sind schrumpelig, doch ich kann mich nicht aufraffen, herauszuklettern. Rhys ist schon lange gegangen, oder kommt es mir nur so vor? Ich schwebe in einer zeitlosen Blase der Unwirklichkeit.
»Na komm, Mädchen. Moira hat eine feine Suppe über dem Feuer. Die wird dir guttun.« Bronwyn hält mir ein großes Leinentuch hin, ein frisches Kleiderbündel liegt auf der Bank hinter ihr.
»Ich habe keinen Hunger«, antworte ich lustlos. Mein Magen ist anderer Meinung und protestiert grummelnd.
Sie streicht mir das feuchte Haar aus der Stirn und schmunzelt mütterlich. »Hör auf deinen Bauch. Der weiß, was du jetzt brauchst.« Ihre Hand legt sich sanft auf meine Brust. »Männer mögen mehr Muskeln als wir Frauen haben, aber unsere Stärke kommt von da drinnen. Du schaffst das!«
Ich bin mir da nicht so sicher. Mein Benehmen war gerade alles andere als stark. Welchen Schwachsinn habe ich Rhys eben an den Kopf geworfen?
»Kann ich nicht einfach hier sitzen bleiben? Vielleicht löse ich mich in Regenbogenschaum auf, wie die kleine Meerjungfrau.«
»Du kannst in der Küche noch ein bisschen jammern.« Bronwyn gibt sich flapsig, doch ich bemerke den Kummer in ihrer Stimme und schäme mich. Wann bin ich das letzte Mal so fürsorglich bemuttert worden? Höchste Zeit, aus diesem Bottich und meinem Selbstmitleid rauszukommen.
Bronwyn wuselt um mich herum und wischt den nassen Boden auf. »Wir sind alle froh, dass seine Lordschaft dich heimgebracht hat. Die Kinder warten schon ganz ungeduldig.«
Die Kinder!
Mit einem Ruck springe ich auf und verliere um ein Haar das Gleichgewicht. Wie konnte ich die Kinder vergessen?
»Sind alle wohlauf? Sie haben sich nicht verlaufen? Wie geht es Ceri? Sie hat sich böse das Knie aufgeschlagen. Hat Sion den Männern Bescheid gegeben? Ich muss mich doch bedanken.« Ungeduldig lange ich nach dem Tuch und rubbel mich in Windeseile trocken.
Mit einem tiefen Seufzer und einem echten Lächeln drückt mich Bronwyn herzlich an sich und achtet nicht weiter auf die nächste Seifenlaugenpfütze, in der wir jetzt beide stehen. Sicher ein ulkiges Bild, da sie einen ganzen Kopf kleiner ist als ich. Ich störe mich nicht daran. Es fühlt sich einfach nur gut an.
»So ist es Recht! Und danken müssen wir dir. Wobei es durchaus ein wenig seltsam ist. Um diese Gänge unter der Burg wurde immer ein großes Geheimnis gemacht, aber anscheinend kennt sie nun jeder.«
Ich schüttel mir das Wasser aus den Ohren, putze sie umständlich und überhöre geflissentlich ihre unausgesprochene Frage. Bronwyn bedrängt mich nicht weiter und hilft mir beim Anziehen. Das neue Gewand hat einen verlängerten Saum und passt auffallend genau. Ich frage mich, ob die Frauen schon einen Vorrat an abgeänderten Kleidern angelegt haben.
Auf dem Weg zur Küche werde ich immer wieder angehalten. Die Bewohner winken, rufen Grußworte und schütteln mir die Hände. Der ganze Auflauf ist mir etwas peinlich. War das bei unserer Rückkehr genauso? Ich kann mich nur an Rhys und seine starken Arme erinnern.
Und dann umschwärmen mich die Kinder und drängeln alle anderen rücksichtslos zur Seite. Unzählige kleine Hände greifen nach mir, ziehen an meinem neuen Kleid und überreichen mir Geschenke. In kürzester Zeit hängen mir ein halbes Dutzend Blumenkränze um den Hals, schmücken mein Haar und baumeln an meinen Handgelenken. Mir schwirrt der Kopf vom lautstarken Geschnatter meiner Lieblinge und meine Beine werden weich wie Watte. Inmitten der Kinderschar setze ich mich auf den staubigen Boden und versuche, alle in meine Arme zu nehmen.
Und wieder schießt mir das Wasser in die Augen.
»Jetzt drück nicht so dolle! Du tust ihr doch weh!« Energisch müht sich Eirlys, Sion zurückzuziehen. Seine dunkelbraunen Augen huschen erschrocken zu meinem Gesicht. Ich halte beide fest und küsse ihre Köpfchen.
»Nicht doch, ihr könntet mir niemals wehtun.«
Ich lache und weine und kann nicht aufhören, die Kinder zu herzen und ihnen durch die Haare zu wuscheln. Mein Zorn ist längst in sich zusammengefallen und die Finsternis auf meiner Seele weicht einem strahlenden Leuchten. Ceri zwängt sich zwischen ihre Freunde und reckt mir ihr Flickenpüppchen entgegen.
»Hier, für dich. Das ist mein Trösterlinchen. Du musst es unters Kissen legen, dann hilft's gegen das Aua.«
Wie soll ich da mit der Heulerei aufhören können?
»Das brauchst du doch selber«, schniefe ich gerührt.
»Nö.« Stolz präsentiert sie den dunkelroten Schorf auf ihrem schmalen Knie. »Ist gar nicht schlimm und schon fast wieder gut.« Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick legt sie mir das Püppchen entschlossen in den Schoß.
Weitere Tränen kullern über meine Wangen.
»So, Kinder, jetzt ist's aber gut! Arwen muss etwas essen und sich ausruhen. Ihr habt alle noch eure Aufgaben zu erledigen!« Bronwyn klatscht in die Hände und hilft mir wieder hoch. Ich schaue dem fröhlichen Haufen hinterher, der sich im Gelände verstreut. »Bis morgen ... «, rufen helle Kinderstimmen von allen Seiten.
Das Leuchten in mir dimmt sich zu einem mickrigen Flackern.
»Die kleinen Racker können einem den letzten Nerv rauben.« Bronwyn trippelt geschäftig vor mir her in Richtung Küchentrakt, während ich mich langsam im Kreis drehe und jede Kleinigkeit in mich aufnehme. Sie hat mein Aufseufzen völlig falsch gedeutet.
Die dampfende Suppe löffle ich stillschweigend. Sicher ist sie so lecker wie alles, was Moira auf den Tisch bringt, doch ich schlucke mechanisch, ohne etwas zu schmecken.
»Hywel! Ich brauche noch mehr Eier! Jenni, verklecker nicht den guten Rahm! Was ist mit dem Feuerholz? Wieso legt keiner Feuerholz nach?« Die Köchin bellt in gewohnter Manier ihre Befehle, während sie Teig in einer Rührschüssel schlägt, die zwischen ihrem Arm und der beachtlichen Oberweite klemmt. Ihre Adleraugen überwachen jede Bewegung und sie ertappt mich sogleich, als ich versuche, mich davonzustehlen.
»Hiergeblieben! Das Eisen ist bereits im Feuer. Gleich gibt es noch frische Waffeln! Die sind gut fürs Gemüt.« Flink umrundet sie den Tisch und stellt sich mir in den Weg, ohne das eifrige Rühren zu unterbrechen. Ihre rotgoldenen Löckchen wippen dazu im Takt und genervt zerrt Moira an ihrer rutschenden Haube. Der flüssige Waffelteig tropft vom Quirl auf sie herunter. Mit einem ärgerlichen Brummen knallt Moira die Schüssel auf den Tisch. Sie greift nach meinen Händen und drückt mich wieder auf die Bank. »Sitzenbleiben!«
Mein Widerspruchsgeist hat mich verlassen und so befolge ich ihre Aufforderung artig. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich zurück. Trotz hektischem Topfklappern und lautstarken Wortwechseln döse ich ein. Erst das Zischen des Waffeleisens und der sich entfaltende himmlische Gebäckduft wecken mich wieder.
Erneut bekomme ich feuchte Augen. Garantiert stehe ich noch unter Schock, wenn Moiras bärbeißiger Kommandoton mich derart rührt.
Nach drei geleerten Tellern kann ich endlich ihrer erdrückenden Aufmerksamkeit entfliehen. Eilig laufe ich die Stufen zur Kemenate hinauf. Ich muss jetzt allein sein, brauche Abstand zu allem. So lieb im Moment auch alle zu mir sind, ich will wieder zurück in meine vertraute Umgebung ohne Angst und Gewalt.
›... und ohne Rhys, ohne Sion, ohne Eirlys und Ceri, ohne Martin und Rhiannon ...‹, flüstert es in meinem Hinterkopf.
»Ruhe!«, schnauze ich mich selbst an. Natürlich werde ich sie alle vermissen. Aber ich habe ebenfalls Freunde und Familie. Ein Leben.
Irgendwie und irgendwo.
Dass ich mich hier willkommen fühle ist doch geradezu ein Paradebeispiel für das Stockholm-Syndrom.
Ich öffne die Tür zu meiner Kammer und taumle fassungslos gegen den Rahmen. Das Zimmer ist fein säuberlich gefegt und mit duftenden Binsen und Blüten ausgestreut. Luftige Seide schwingt vom Baldachin und ersetzt die schweren Vorhänge. Überall im Raum sind Blumen verteilt und frisches Grün schmückt die Bettpfosten und die Fensterstöcke. Ein Traum wie aus einem Märchen. Der Anblick brennt sich tief in meine Seele.
Meine Erinnerungen sind das Einzige, was ich mitnehmen kann.
☘
Nur werde ich sie mit niemandem teilen können.
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