Erstens kommt es anders ...

Heute werde ich es tun! Kein Zaudern, keine Ausflüchte, keine Ablenkung! Heute werde ich endlich mit Rhys das Gespräch führen, welches ich schon viel zu lange vor mir her schiebe. Ich setze einfach darauf, dass sein Groll, nach einer Nacht drüber schlafen, abgeflaut ist.

Derart vom Tatendrang beseelt, springe ich beim ersten Hahnenschrei aus dem Bett. Nur, um dann im Burghof festzustellen, dass ich bei weitem nicht die Erste auf den Beinen bin. Wie hat Martin es gestern so schön formuliert? Der Mensch macht Pläne und ... nun ja.

Gleich beim Verlassen des Wohnturmes bemerke ich eine seltsame Unruhe, die sich auf alles und jeden überträgt. Die Hühner ducken sich unter dem großen Leiterwagen in den Staub und die Hunde streichen winselnd an den Burgwänden entlang. Von den anderen Frühaufstehern erhalte ich nur ein knappes Nicken als Begrüßung und sie eilen ohne die übliche Flachsereien weiter.

Neugierig lenke ich meine Schritte in die gleiche Richtung. Ich vermisse das Plappern der Kinder und die üblichen morgendlichen Geräusche der Handwerker, an die ich mich schon so gewöhnt habe. In der Luft hängt ein beißender Geruch nach heißem Teer, der den lieblichen Duft der blühenden Linde im Hof verdrängt. Unwillkürlich muss ich an Autobahnbaustellen und Stau im Hochsommer denken. Wie abwegig! Was das wohl zu bedeuten hat?

Das aufgeregte Schnattern der Gänse hört sich dagegen wundervoll normal an. Doch die Biester sind nicht auf dem Weg nach draußen, sondern kommen mit hochgereckten Hälsen zischend und flügelschlagend auf mich zu. Mit eingezogenem Bauch quetsche ich mich an die Mauer des schmalen Durchganges zur Vorburg und stelle mich auf die Zehenspitzen, um den zwackenden Schnäbeln so wenig Angriffsfläche wie möglich zu geben.

»Kusch, kusch, kusch!« Annwyl scheucht das Federvieh mit einer langen Rute in den Innenhof und steuert im Laufschritt den hinteren Obstgarten an.

»Was ist denn passiert?«, rufe ich ihr nach, erhalte aber keine Antwort. Noch mehr seltsames Benehmen zeigt sich mir beim Blick in den vorderen Teil der Burganlage. Zwischen dem Brunnen und den hölzernen Umbauten steht eine Menschenkette. Volle Wassereimer werden nach vorn und leere wieder zurückgereicht. Thomas und Squirrel balancieren geschickt wie zwei Äffchen oben auf den schmalen Balken und ziehen die Eimer an einem Seil mit Haken zu sich hinauf. Schwungvoll übergießen sie die Strohdächer der Ställe und die gezimmerten Aufgänge zur Ringmauer mit dem frisch geschöpften Nass. In kleinen Rinnsalen plätschert das Wasser herunter und sammelt sich am Boden in wachsenden Pfützen.

So vollkommen ungesichert würde mir die Höhe Angst machen, aber die beiden meistern das Herumklettern ohne das geringste Zaudern. Der Sinn des Ganzen bleibt mir verborgen, denn ich sehe weder Rauch noch Flammen. Am beängstigendsten ist die Stille, in der die Arbeiten von statten gehen. Nur das Ächzen der Winde und das Gluckern des zurückfließenden Wassers schallt über den Hof.

Um so mehr erschrecke ich, als mich plötzlich jemand anspricht.

»Was machst du denn hier draußen? Wieso bist du schon aufgestanden?«, raunt mir Gladys vorwurfsvoll zu. Sie zurrt sich energisch die Schürze fest und wischt ihre blitzblank sauberen Hände daran ab. »Geh wieder rein, drinnen bist du besser aufgehoben. Die Kinder sind auch alle in der großen Halle.«

»Was? Wieso? Weshalb? Warum denn?« Ich bin ganz durcheinander. »Macht ihr hier eine Feuerwehrübung?«

»Hä?« Gladys blinzelt zu den Eimerträgern. »Das ist nur zur Vorbeugung, solange wir nicht wissen, was der nervige Nachbar will. Aber das klärt sich schon noch.« Sie schiebt mich eindringlich wieder auf den Rückweg und wuselt dann zu den anderen.

Ich stehe dumm in der Gegend rum und versuche, mir einen Reim darauf zu machen. Nervige Nachbarn? Im Mittelalter waren territoriale Streitigkeiten keine Seltenheit. Verhalten sich deshalb alle so als wäre es die normalste Sache der Welt, dass streitlustige Besucher vor dem Tor stehen? Doch wer könnte das sein? Und warum muss das ausgerechnet jetzt passieren?

Befangen tapse ich wieder zur Hauptburg. Rhys wird jetzt sicher weder Zeit noch Nerven für eine ruhige Aussprache haben. Warum habe ich es auch so lange aufgeschoben? Niedergeschlagen trotte ich am Druidenturm vorbei. An die hölzerne Tür sind mit Kreide ominöse Symbole gezeichnet, doch ich mag jetzt nicht über weitere Rätsel nachdenken. Schritt für Schritt steige ich die Stufen zum Haupteingang empor. Ich muss mich zusammenreißen. Kinder sind so wahnsinnig empathisch. In meiner jetzigen Stimmung werden sie mir keine lustige Geschichte abkaufen.

Aber kaum habe ich den schweren Türflügel aufgedrückt, gerate ich in eine heftiges Streitgespräch zwischen Martin und Owain.

»Diesem normanischen Gierschlund zeigen wir besser gleich, wohin er wieder verschwinden kann! Evan ist bereits am Pech kochen. Die Bogenschützen habe ich auf dem Wehrgang postiert. Wir bereiten ihm einen Empfang, der der Hölle würdig ist, in die dieser Schmutzpuckel fahren soll. Was will der überhaupt hier?« Owain stiefelt aufgebracht hin und her, seine Hand greift immer wieder nervös zum Schwertgriff. Bruder Martin dagegen steht als unerschütterlicher Ruhepol mitten im Gang. »Das sollten wir ihn erst mal fragen, bevor wir uns zu unüberlegten Handlungen entschließen«, schlägt er beschwichtigend vor.

»Pah! Das würde ja voraussetzen, dass wir diesem Hundsfott trauen könnten!«, knurrt Owain und spuckt kräftig aus. Dabei entdeckt er mich und presst augenblicklich die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

»Guten Morgen, meine Liebe. Ihr seid schon wach?«, säuselt Martin mit unschuldigem Lächeln. »Natürlich«, antworte ich leicht beleidigt. Was haben die heute nur alle? So lang schlafe ich sonst auch nicht. Was kann ich denn dafür, dass der Wecker noch nicht erfunden wurde? 

Am anderen Ende der Halle sehe ich Mari und Bronwyn mit den Kindern auf dem Fußboden sitzen. Bunte Murmeln rollen klappernd über die Steinplatten. Gut. Dort werde ich jetzt nicht gebraucht. Mein Blick fällt auf die verrauchte Öffnung des großen Kamins. Kalt und schwarz klafft sie hinter ihnen wie ein Schlot zur Unterwelt. Ich reibe mir über die Gänsehaut auf meinen Armen und verbanne jeden düsteren Gedanken. »Was ist hier los?« Fest entschlossen, mich nicht abwimmeln zu lassen, zische ich die Männer mit durchgestreckten Schultern an. 

Die zwei tauschen einen langen Blick. »Über Nacht ist der Marcher Lord mit seinem Heer angerückt«, brummt Owain grantig.

»Es sind nur ein paar Reiter«, verbessert Martin ihn geduldig. Seinem Augenrollen entnehme ich, dass diese Diskussion schon ein Weilchen läuft. »Mit kriegerischen Absichten würde er sich kaum so offen präsentieren.«

»Wozu braucht er seine halbe Ritterschaft, wenn er aus friedlichen Gründen da ist?« Owain scheint nicht gewillt, nachzugeben.

»Vermutlich aus Angst vor dem Wilden Volk der grünen Hügel«, ruft Martin mit sichtlich abnehmender Geduld.

»Welches Wilde Volk denn?«, fragt Owain lauernd und baut sich mit breiter Brust vor dem Mönch auf.

»Solltet ihr diese Angelegenheit nicht mit Rhys besprechen? Wo steckt er überhaupt?«, falle ich den Streithähnen ins Wort. Wieder wechseln sie einen verschwörerischen Blick und scheinen zu einer stummen Übereinkunft zu kommen. Jedenfalls schweigen beide unisono. Owain nestelt an seiner Gürtelschnalle und Martin schiebt die Hände in die weiten Ärmelumschläge seiner Kutte.

»Halloho! Hat irgendjemand Rhys überhaupt informiert?«

»Wir sollen ihn nicht stören«, murmelt Owain als Rechtfertigung und Martin äußert voller Gottvertrauen: »Er kommt schon, wenn es ernst wird.«

»Arrrg!« Ich höre wohl nicht recht. »Wie kann man nur ...?« Ich spreche lieber nichts aus, was als Beleidigung aufgefasst werden könnte. »Wo ist er?« Diesmal knurre ich und knirsche mit den Zähnen.

Owain blickt sturr zu Boden, aber Martin deutet mit dem Kinn hinüber zum Druidenturm. Ohne ein weiteres Wort lasse ich die beiden stehen und stampfe die Treppe wieder hinunter. Dieses Problem muss schnellstens aus der Welt, damit ich endlich mein persönliches Dilemma angehen kann.

* * *

Die beiden Männer sehen Arwen nach, die mit gerafften Röcken davonstürmt.

»Meinst du, es bringt was?«, fragt Owain zweifelnd. 

Der Mönch zuckt mit den Schultern. »Mhm. Wir hätten ihr einen Knüppel mitgeben sollen.« Er kratzt sich nachdenklich den Bart. »Was die Meute da draußen angeht – halt bloß die Füße still. Deinem dummen Gequatsche haben wir den Ärger erst zu verdanken.«

Der Burgwächter grunzt nur. »Ihr habt doch alle das Gleiche gedacht. Ich leiste schon fleißig Abbitte und ich werde mein Leben dafür geben, dass sie keiner mehr wegholt!« Mit geballten Fäusten wendet Owain sich ab und ruft nach ein paar jungen Stallburschen. Martin greift seufzend nach seinem Rosenkranz.  »Nun, deine Kirchgänge sind erfreulich regelmäßig geworden mein Freund und vor zweiterem bewahre uns der Herr.«

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