Der Zwiespalt mit der Wahrheit
Nachdem ich technisches Anti-Genie endlich herausgefunden habe, wie das mit dem Widmen richtig funktioniert, möchte ich diese Möglichkeit nutzen, um mich bei meinen vielen lieben Lesern zu bedanken. Dieses Kapitel widme ich LittlePolarfox , die anscheinend einen sechsten Sinn für meine Geschichte hat und mehr als einem wichtigen Detail bereits auf der Spur war. Ich denke, Du wirst lachen, wenn Du den letzten Satz liest. 💕
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»Schnell, schnell, wir müssen hinterher!«
Bruder Martin zieht mich, ohne meine Einwände zu beachten, mit fester Hand zum Stallgebäude, in dem Rhys mit Dafydd verschwunden ist. Sämtliche Stallburschen streben unterdessen im Laufschritt in die Gegenrichtung. Die Glücklichen!
In den brüderlichen Gedankenaustausch der zwei will ich nicht mit hineingezogen werden. In gewisser Weise kann ich die Ansichten beider verstehen. Doch der Mönch gibt mir keine Chance, ebenfalls die Flucht zu ergreifen.
Das Bild, welches sich mir im Halbdunkel des Stalls bietet, ist allerdings anders, als ich es befürchtet habe. Rhys tigert unruhig zwischen den Boxen hin und her, Dafydd steht mit verschränkten Armen und trotzig verkniffener Miene breitbeinig im Gang.
»Das ist vollkommen inakzeptabel!«, wettert Rhys. »Ich lasse dich doch nicht mit diesen windigen Gestalten durch die Lande ziehen!« Heftige Handbewegungen unterstreichen seine ablehnende Haltung.
»Rurik ist ein ehrbarer Händler und ein alter Freund von Martin«, entgegnet Dafydd mühsam beherrscht.
»Sag ich doch. Windige Gestalten!« Rhys' eisiger Blick schwenkt zu uns herüber. »Ha! Und ihr habt von der ganzen Aktion natürlich nichts gewusst. Wirklich ein raffiniertes Ablenkungsmanöver«, zischt er verächtlich und spuckt vor uns auf den Boden.
Mein Mund klappt auf, doch mir fehlen vor Empörung die Worte. Von dem Mann, der eben noch herzhaft mit mir gelacht hat, ist nichts mehr zu sehen. Mein Verständnis für Rhys schwindet zusehends.
»Es war allein meine Entscheidung und du kannst mich weder davon abbringen, noch frage ich dich um Erlaubnis.« Mit schmalen Lippen und streitlustig erhobenem Kinn bietet Dafydd seinem Bruder die Stirn.
Ich bin beeindruckt.
Rhys offensichtlich auch. Er erstarrt mitten in der Bewegung. Schlagartig fährt sein Kopf herum, als müsse er sich überzeugen, dass dies wirklich sein kleiner Bruder ist, der ihm hier Widerwort gibt.
Dieser Schockmoment ist jedoch nur von kurzer Dauer und er bleckt die Zähne wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Seine Fäuste sind geballt, seine smaragdgrünen Augen blitzen bedrohlich und sein ganzer Körper bebt vor unterdrückter Wut. »Fordere mich nicht heraus! Sonst stecke ich dich die nächsten Wochen in den Turm, damit du zur Besinnung kommst.«
Dafydd wird blass, aber er weicht nicht zurück.
»Dann musst du mich für den Rest meines Lebens wegsperren, denn sobald ich eine Möglichkeit bekomme, werde ich gehen!«
Jetzt verliert Rhys jede Farbe im Gesicht. Eilig tritt Bruder Martin zwischen die beiden und bemüht sich, zu vermitteln.
»Es wäre ja nicht für immer. Der Junge zieht nicht in eine Schlacht, er will nur was von der Welt sehen. Da ist es doch besser, wenn er es mit erfahrener Begleitung tut.«
Na prima, Martin war also eingeweiht. Und ich darf es mit ausbaden.
Dafydd unternimmt einen weiteren Versuch, seinen Bruder umzustimmen. »Ich habe mir das genau überlegt«, wirft er ein. »Die Mönche überlassen uns nur einen geringen Teil von dem, was sie mit unserer Wolle einnehmen. Damit reichen wir geradeso über den Winter. Dabei ist unsere Ware von ganz besonderer Qualität. Ich weiß, wovon ich rede. Die Mönche haben mich in ihrer Buchführung angelernt. Das ist nicht gerade deine Stärke. Wenn ich in Gent nur ein oder zwei Tuchhändler finde, die uns die Wolle direkt abnehmen, bekommen wir mehr als das Doppelte. Wir wären in der Lage, wichtige Rücklagen anzulegen und müssten keine Missernte mehr fürchten. Dafür lohnt es sich sogar, Frachtraum auf einem Schiff anzumieten.«
Das sind wirklich gute Argumente und das beste bringt Dafydd zum Schluss.
»Außerdem brauchst du dann nicht mehr springen, wenn Llywelyn pfeift.«
Diesmal macht Rhys den Mund auf und wieder zu, ohne etwas zu sagen. Er fährt sich mit den Händen durch die Haare und knurrt kein bisschen besänftigt.
»Komm mir jetzt nicht so! Um mich musst du dir keine Sorgen machen.«
»Tue ich aber. Und ich will dir meinen Wert beweisen und dich unterstützen.«
Meine Bewunderung für Dafydd wächst. Auch wenn er oft noch sehr kindlich naiv ist, bei dieser Diskussion benimmt er sich wie ein Erwachsener. Rhys dagegen tobt nur, ohne echte Gründe für seine Ablehnung zu nennen. Einmischen werde ich mich trotzdem nicht, denn ich vermute ganz stark, dass genau diese Gründe Rhys nachts aufschrecken lassen.
»Lady Arwen, Ihr seid ebenfalls weitgereist. Was ist denn Eure Ansicht?« Bruder Martin sieht mich bittend an.
Soviel zu meinen guten Vorsätzen.
»Nun ja, dem Handel gehört auf jeden Fall die Zukunft.« Zögerlich schaue ich zu den Männern, die tatsächlich meine Meinung hören wollen. »Und Gent liegt in Holland - nein, Belgien - also ich meine Flandern, das ist ja nicht am Ende der Welt.«
Der Mönch nickt mit dem Kopf, Dafydd strahlt und Rhys knirscht mit den Zähnen.
»Ich gebe nichts auf Ratschläge von jemandem, der nicht mal weiß, wo er herkommt«, fährt er mich an.
Wie spitze Scherben bohren sich seine Worte in mein Herz. Bisher hat ihn meine nebulöse Herkunft doch auch nicht gestört. Ich schlucke den bitteren Geschmack seiner Zurückweisung hinunter und überspiele meinen Schmerz mit einer flapsigen Bemerkung. »Du kannst froh sein, dass Rurik kein Nachfahre von Leif Eriksson ist. Sonst würde Dafydd vermutlich mit nach Amerika segeln. Obwohl ... dann hätten wir bald Tomaten und Paprika, Kartoffeln, Mais, Kürbisse und Bohnen ...«
Rhys verdreht genervt die Augen und Martin blinzelt irritiert.
»Wo soll das sein?«, fragt Dafydd interessierter, als mir Recht ist.
»Westlich von Grönland, aber dort leben sehr wehrhafte Eingeborene.« Nähere Ausführungen unterlasse ich lieber.
»Ihr meint das Westland, in das Prinz Madog ap Owain von Gwynedd übergesiedelt ist?« Seine Stimme überschlägt sich fast vor Aufregung.
Verflixt, an diese alte Legende habe ich überhaupt nicht gedacht. Anscheinend steckt da mehr dahinter, als ich in meiner Zeit darüber erfahren habe.
»Warum nicht gleich Atlantis? Von dort könntest du wenigstens Unsterblichkeit mitbringen«, brüllt Rhys uns an und erinnert mich damit an meine momentane Wirklichkeit. Ich sehe die Angst in seinen Augen und schäme mich für meine Sorglosigkeit. Wieder einmal habe ich vergessen, dass ich im Mittelalter festhänge, in dem Reisen doch um einiges anstrengender ist. Rhys will seinen Bruder nur vor sehr realen Gefahren der jetzigen Welt beschützen, allerdings mit dem völlig falschen Ansatz.
Dafydd senkt den Kopf und tritt einen Schritt auf ihn zu. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht in Zwietracht mit dir gehen. Aber ich werde auch nicht bleiben. Ich möchte nur wissen, ob ich zurückkommen darf.«
Stöhnend schließt Rhys die Augen und presst die Lippen aufeinander. »Hier ist dein Zuhause«, krächzt er schließlich mit brüchiger Stimme, »und das wird es auch immer sein.« Dann packt er seinen Bruder und zieht ihn in eine feste Umarmung. Dafydd ist mehr als überrascht und tätschelt Rhys unbeholfen den Rücken.
Dieser lässt ihn genauso plötzlich wieder los und weist auf eine der Pferdeboxen. »Nimm den Zelter. Du brauchst ein anständiges Pferd unterm Hintern.« Ohne mich oder Martin anzusehen, verschwindet Rhys nach draußen.
Wir Zurückgebliebenen schauen uns in sprachlosem Erstaunen an. Als Erster überwindet Dafydd diese Phase. Er schüttelt sich kurz und beginnt hastig, das graue Pferd aufzuzäumen.
»Denk daran, du hast mir versprochen, mindestens eine Woche zu warten!«, ruft er dabei Martin zu. Der Mönch knetet fahrig seine Finger und tritt von einem Bein auf das andere.
»Hast du den Brief hinterlegt?«, fragt Martin flüsternd.
»Mhm, er liegt zwischen den Abrechnungsbüchern. Freiwillig geht Rhys da nicht ran. Erst Mitte des Monats, wenn die Bauern ihre Abgaben bringen.«
»Stopp, stopp, stopp!«, rufe ich aufgebracht. Mein Puls beschleunigt auf Hyperschallgeschwindigkeit. »Wovon redet ihr da?« Ich greife nach den Zügeln des Reisepferdes. »Wohin reist du wirklich?«
Dafydd knabbert an seiner Unterlippe. »Nach Gent?«
Allein dass er es als Frage formuliert, bestätigt mein Misstrauen. »Und danach? Wenn Rurik seinen Kram verscherbelt hat, von wo holt er neue Waren?« Mein Gott, Rhys hat wirklich keine Ahnung vom Handel treiben, sonst wäre ihm dieser Gedanke auch gekommen.
Der junge Lord druckst herum, doch Bruder Martin seufzt ein gehauchtes »Santiago de Compostela. Seine Felle und die guten Stoffe sind dort sehr begehrt und im Sommer kommt er da günstig an Zitrusfrüchte, Datteln und Gewürze. Von den geweihten Devotionalien gar nicht zu reden.«
Mein Herzschlag setzt aus und ich klammere mich haltsuchend an die Boxenwand. »Das ist nicht euer Ernst«, keuche ich fassungslos. »Das dauert nicht nur Wochen, sondern Monate! Rhys wird ausflippen vor Sorge.«
Dafydd sinkt vor mir auf die Knie und greift nach meinen Händen. »Bitte, Ihr dürft nichts verraten! Es ist meine einzige Chance, hier wegzukommen. Ich will dort für sein Seelenheil beten, aber Rhys hätte niemals zugestimmt, wenn er die ganze Wahrheit wüsste. «
Sein bettelnder Dackelblick ist so flehentlich, dass ich es nicht fertig bringe, ihn zu enttäuschen. Auch wenn mir beim Gedanken an Rhys' zu erwartende Reaktion der Arsch gehörig auf Grundeis geht, denn jetzt bin ich quasi eine Mitverschwörerin.
Dafydds kniende Gestalt gleicht der üblichen Pose eines Freiers aus jedem guten Schnulzenfilm. Ein unbestimmtes Gefühl lässt mich stutzen und eine Erinnerung drängt sich mir auf. Eine Erinnerung an einen besonderen Bestandteil des Burggartens, welchen ich hier nicht vorgefunden habe. Mein Gehirn denkt einmal um die Ecke und erleuchtet mich mit einer Eingebung.
»Also gut, ich stimme zu. Aber nur unter einer Bedingung!«, erkläre ich mit Nachdruck. »Du musst zwei Olivenbäume mitbringen!«
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