Der Klügere ... isst Kuchen! - 1 -
Ich brauche Bewegung! Um mich abzureagieren könnte ich bis nach Timbuktu laufen, die Burgmauern mit meinen Fäusten zertrümmern oder einen Weltrekord im Tellerweitwurf aufstellen. Doch mein Protestmarsch endet bereits am Tor, denn dieses ist jetzt geschlossen. Die beiden Posten oberhalb des Zuggitters blicken grimmig zu mir herunter, als wäre ich Schuld an ihrem Pech mit der Nachtschicht.
Also schlurfe ich eine Runde durchs Gelände. Auf die direkte Konfrontation Faust vs. gemauertes Felsgestein verzichte ich lieber und mangels eigenem Geschirr fällt auch die dritte Option flach.
Meine Großmutter ist immer in der Küche zur Hochform aufgelaufen, wenn sie verärgert war. ›Wenn meine Hände beschäftigt sind, bekomme ich den Kopf frei‹, sagte sie mir oft. ›Beim Eier aufschlagen und trennen lernst du, deine Wut zu kontrollieren und wenn am Ende ein leckerer Kuchen rauskommt, ist das allemal besser als zerbrochenes Porzellan.‹ Wehmütig schaue ich zum niedrigen Anbau des Gesindehauses. Hier wird sich in ferner Zukunft das B&B befinden, in dem meine Oma viele Jahre das Zepter schwingen darf. Welchen Rat sie mir jetzt wohl geben würde?
Noch während ich darüber nachdenke, stiehlt sich ein Schmunzeln in meine Gedanken. ›Kopf hoch, Liebes und lächeln! Nichts wird so heiß gegessen, wie's gekocht wird und jammern ist den Leuten vorbehalten, denen echtes Leid widerfährt!‹, höre ich sie gutmütig brummen. Der Geruch von frisch gebackenem Kuchen durchdringt meine Erinnerung und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Warum habe ich nur so eine lebhafte Fantasie? Wenn ich nicht ständig von dieser Ritterwelt geträumt hätte, wäre mir mein Ausflug mit dem Elfenexpress sicher erspart geblieben.
Unschlüssig schlendere ich weiter. Die Feuer sind jetzt auf einige wenige reduziert und alle die noch munter sind, drängen sich dort singend und scherzend zusammen. Was mache ich jetzt bloß? Müde bin ich nicht. Soll ich mich wieder unters Volk mischen oder mich in die Küche schleichen und Teig kneten?
Rauch weht zu mir herüber und gibt dem süßen Kuchenduft eine holzige Note. Es riecht wirklich nach frischem Gebäck! Neugierig begebe ich mich zum Kücheneingang der Hauptburg. Drinnen klappern die Waffeleisen und ich höre Moiras kräftiges Organ wettern. Owain zwängt sich zur Tür heraus und schlängelt sich grinsend an mir vorbei. Dabei balanciert er pustend zwei kleine Küchlein in den Händen hin und her.
Ah ja, da bin ich aber gespannt, ob er demnächst auch Zwiebeln schälen muss.
»Du kannst uns gleich beim Tragen helfen«, ruft mir Moira entgegen, als sie mich entdeckt. Ein ganzer Berg köstlich duftender Waffeln türmt sich auf einer großen Platte und sie stapelt eifrig die dampfenden Kuchenstücke auf zwei weitere. Der Mitternachtssnack ist also keine neuzeitliche Erfindung.
»Hm, das riecht lecker.« Mit dem Finger angele ich nach ein paar Krümeln. »Denkst du, das kann da draußen noch einer würdigen?«, frage ich skeptisch. »Na, das soll sich mal einer trauen! Mein Essen wird immer geachtet. Von jedem! Egal zu welcher Tageszeit.« Gebieterisch reckt Moira ihr Kinn nach oben.
»Genau!« Lachend kommt Bronwyn mit dem Brotschieber um den großen Tisch herum und wischt sich die mehligen Hände an die Schürze. »Für Moiras Kuchen werden Fehden unterbrochen, Hochzeiten abgesagt, Kindstaufen verschoben und Beerdigungen vorverlegt.«
»Verzeih mir meine Zweifel«, rufe ich aus und verbeuge mich ergeben vor ihr. Dabei gelingt es mir nur unzureichend, das Lachen zu unterdrücken.
»Ach ihr!« Moira wedelt mit den Händen. Eine leichte Röte überzieht ihre Wangen. Sie überspielt ihre Verlegenheit mit weiteren Befehlen. »Schiebt es in der Mitte zusammen! Nicht, dass noch was runterfällt. Und Moment noch ...« Sie greift nach einem Tuch und breitet es auf dem Tisch aus. Von den Platten nimmt sie je zwei Waffeln und Küchlein herunter und schlägt das Gebäck mit dem Stoff ein.
»Hier, nimm das für dich und den Jungen mit.« Die Köchin gibt das Bündel einer zusammengekauerten Gestalt auf der Ofenbank.
»Mari!« Eilig laufe ich zu ihr hinüber. »Ist alles in Ordnung?« Besorgt und in Erwartung neuer Schrammen oder Prellungen hocke ich mich vor ihr nieder.
»Ja, ja«, stöhnt sie mit einem Lächeln, drückt den Rücken durch und reibt sich das Kreuz. »Außer dass ich nicht mehr richtig liegen, sitzen oder laufen kann.« Mit einer Hand hält sie das Kuchenpäckchen, mit der anderen schiebt sie sich nach oben. »Danke dir«, sagt sie zu Moira. »Ich geh dann mal zu Shay rüber.«
Verwirrt richte ich mich ebenfalls auf. »Wollte Ulfar euch nicht sofort wieder bei sich haben?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Ich sollte Shay nicht extra wecken und ich muss doch eh alle paar Stunden raus. Das ist ihm zu nervig. Die Stube fegen und Wäsche waschen kann ich auch morgen.«
»Er wird es sich jetzt dreimal überlegen, bevor er Hand an euch legt.« Bronwyn reicht ihr noch einen Krug Milch. »Vor seiner Lordschaft hat er mächtig Schiss.«
»Pah! Als ob Rhys groß was unternommen hätte. Ihn kümmert ihr Schicksal doch herzlich wenig.« Brummig verschränke ich meine Arme vor der Brust. Noch während die letzten Worte meinen vorlauten Mund verlassen, bereue ich sie auch schon. Denn alle drei Frauen blicken mich entrüstet an. Oh, oh, meine Beliebtheitskala rauscht beim Burgherrenfanclub offensichtlich rasant abwärts.
»Lord Rhys gibt sein Bestes, um für unser aller Wohl zu sorgen«, rügt mich Moira aufgebracht. »Obwohl er keine Erfahrung in all dem hat. Schon als kleiner Bub musste er für unsere Sicherheit herhalten. Und diesen Kriegszug hätte er ganz einfach mit der geforderten Ablöse umgehen können. Wenn es ihn nicht kümmern würde, wären ihm nämlich die Abgaben egal, die dafür eingetrieben werden müssten.«
»Das ... das wusste ich nicht.« Betreten kaue ich auf meiner Unterlippe. »Manche Dinge hier verstehe ich einfach nicht.« Zu meiner Schande muss ich mir eingestehen, dass ich ständig vergesse, in welcher Zeit ich mich befinde. Über Rhys' Sicht der Dinge habe ich gar nicht nachgedacht.
»Es kommt sicher daher, weil in deinem Kopf was kaputt ist.« Mari versucht doch tatsächlich, mich damit zu verteidigen. Auf meinen entgeisterten Blick fügt sie hinzu: »Gwladys hat gehört, wie seine Lordschaft zu Owain gesagt hat, er soll nicht alles ernst nehmen, was du erzählst. Du bist vom Pferd gefallen und hast dir böse den Kopf gestoßen, danach sind Menschen oft etwas durcheinander.«
»Soweit ich mich erinnern kann, saß er auch auf diesem Pferd und ist unter mir gelandet«, entgegne ich leicht säuerlich. Die Mienen der Frauen wechseln von empört zu höchst interessiert.
»Ganz so furchtbar ist er wohl doch nicht?«, fragt Bronwyn mit einem wissenden Schmunzeln. Jetzt färben sich meine Wangen dunkler.
»Äh, ach ich weiß auch nicht.« Ich kann ihnen schlecht erzählen, dass mein aktueller Status von auswärtiger Verrückter zu freizügiger Drachentrösternymphe gewechselt hat. »Mal ist er ganz nett und dann plötzlich nur grrrr ...« Meine Grimasse bringt sogar Moira wieder zum Lachen.
»Mädchen, wenn du einen ganzen Ochsen verspeisen willst, geht das nicht mit einmal. Du musst dich Stück für Stück vorarbeiten.«
Hat sie Rhys jetzt indirekt als Ochsen bezeichnet? Aber das frage ich lieber nicht nach. Außerdem ist Maris Situation viel wichtiger. Behutsam streiche ich ihr die dunklen Locken aus dem herzförmigen Gesicht. »Willst du wirklich wieder zu Ulfar zurück?«
»Er sorgt für uns«, antwortet sie leise, ohne mich anzusehen. »Mein Vater wollte mich wegen der Schande verstoßen, hätte Ulfar mich nicht zur Frau genommen. Wo soll ich denn hin? Ich habe doch niemanden.« Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was aus ihr geworden wäre. Trotzdem mag ich sie nicht in die Nähe dieses Unmenschen lassen. »Quatsch. Du hast uns!« Bronwyn und Moira nicken zustimmend. »Du bist nicht sein Eigentum, Mari. Wir werden dir jederzeit beistehen.«
Sie blickt ergriffen zu mir auf. »Ulfar ist nicht immer so. Nur, wenn er zuviel getrunken hat. Dann erzählt er auch manchmal ganz komische Sachen.« Mit gestrafften Schultern watschelt sie zur Tür. Dort dreht sie sich um und lächelt schüchtern. »Es hat sich noch nie jemand so für mich eingesetzt. Also ich finde, du kannst ruhig so wirr bleiben.«
Jetzt bin ich ganz gerührt und direkt sprachlos.
❧
Beladen mit den süßen Köstlichkeiten begeben wir uns im Gänsemarsch zu der wartenden Menge am Feuer, wie die Heiligen Drei Könige zum Christkind und werden mit unseren Gaben ebenso begeistert empfangen. Der flackernde Flammenschein beleuchtet fröhliche Gesichter und kleine und große Hände, die aus dem Dunkel nach den Leckereien greifen.
Ich will mich bei Rhys entschuldigen und lächle reumütig in die Runde, doch Lord Runzelbraue ist mal wieder abwesend. Alle rücken noch enger zusammen und wir quetschen uns dazu. Bruder Martin geht es anscheinend besser, denn er gibt mit Rurik verwegene Geschichten zum Besten. Dafydd hängt mit glänzenden Augen an ihren Lippen und saugt jedes Wort auf wie ein Schwamm. Die Mädels haben sich aufgeteilt und bestaunen mit den größeren Kindern Owain und Malik, die fingerfertig kleine Zauberkunststücke vorführen. Lustige Verse werden erzählt und immer wieder gehen die Krüge mit Bier, verdünntem Wein und süßen Met reihum. Mehr als ein erwartungsvoller Blick schwenkt zu mir. Die offene Herzlichkeit der Menschen überwältigt mich. Ich möchte sie nicht enttäuschen und als ich die tiefe Dankbarkeit für diesen schönen Tag in Bruder Martins freundlichen Augen sehe, brauche ich nicht lange nachzudenken. »Oh happy day ...«
Leise steigen die ersten Töne in den sternenklaren Nachthimmel auf. Der einfache Text wird schnell aufgegriffen und nach und nach stimmen alle mit ein.
Schade, dass es der erste Gospelchor der Geschichte nicht in die Geschichtsbücher schafft.
❦ ❦ ❦
Rhys traut seinen Augen nicht. Die Frau, nach der er die ganze Burg abgesucht hat, tanzt inmitten des angetrunkenen Volkes und schäkert schamlos mit sämtlichen männlichen Wesen zwischen zwölf und zweiundsiebzig. Dabei singen alle davon, dass Gott sie von ihren Sünden reinwaschen wird. Als ob der dafür Zeit hätte.
Nachdem Rhys sich selbst um sein Pferd gekümmert, die Schließung des Tores überwacht und die Besetzung der Wachposten veranlasst hatte, war er ruhelos durch die Burggänge gewandert. Mühsam legte er sich Worte zurecht. Worte, die Arwen zeigen sollten, wieviel ihm ihre intime Zweisamkeit am Weiher bedeutet. Sie soll ihn nicht für einen Mann halten, der bedenkenlos am beliebigen Objekt seine Triebe befriedigt. Doch seine schönen Worte blieben unerhört. Arwen war weder in ihrer Kammer, noch in der großen Halle und auch nicht im Gesindehaus bei den schlafenden Kindern.
So, wie sie ausgelassen um das Feuer springt, kommen ihm Zweifel, ob ihr die ganze Sache wenigstens ähnlich wichtig ist, wie ihm. Sein Wunsch, die eisige Leere in seinem Inneren möge verschwinden, erscheint ihm immer idiotischer. Dieses brodelnde Durcheinander an Gefühlen, welches ihn nun heimsucht, entzieht sich völlig seiner Kontrolle. Rhys hasst diese Hilflosigkeit. Arwen ist tröpfchenweise in winzige Ritzen seiner Mauern vorgedrungen und wie der Frost den stärksten Fels bezwingt, bringt sie seine errichteten Barrikaden zum Bröckeln. Doch was, wenn seine einzige Stütze zusammenbricht und nichts von ihm übrigbleibt?
Verdrossen stapft er zum erloschenen Feuer des Spanferkels und säbelt sich ein Stück des verkohlten Spießbratens ab. Lustlos schnitzt er mit seinem Dolch die schwarze Rinde vom Fleisch.
»Magst du nicht mit rüber kommen?«
Rhys erstarrt beim Klang ihrer Stimme. »Ich will mich nicht aufdrängen«, knurrt er durch zusammengebissene Zähne. »Ihr habt doch ohne mich genug Spaß und außerdem bist du ja vollauf damit beschäftigt, deine Bewunderer zufrieden zu stellen.«
❦ ❦ ❦
Ich glaube, ich höre nicht richtig. Da gebe ich mir die größte Mühe, verständnisvoll und freundlich zu sein und dieser Griesgram blafft mich an?
»Ein Hund, der nur am Knurren und Zähnefletschen ist, darf nicht erwarten, gestreichelt zu werden«, kontere ich mit wachsender Empörung.
Rhys bekommt schmale Augen.
»Ich bin in deinen Augen also ein räudiger Köter?«
»Boah!« Entnervt werfe ich die Arme nach oben. »Du bist eine Bilderbuchmimose! Wie kann man nur so überempfindlich sein.« Mit dem Zeigefinger pikse ich ihn in die Brust. »Ein starker Charakter verträgt auch mal Kritik.«
Mit mahlenden Kiefermuskeln starrt er mich an. Die Luft zwischen uns ist von negativer Spannung aufgeladen. Seine grünen Augen blitzen vor Wut. Ich begreife nicht, wie man so miesepetrich sein kann. Vermutlich reißt er sich nur zusammen, weil Bruder Martin mittlerweile hinter uns steht.
»Lasst mich doch alle in Ruhe!«, faucht er schließlich und stiefelt mürrisch davon.
Jetzt bin ich auch wütend. Rhys hat mir die Freude am Fest endgültig verdorben.
»Nicht aufgeben, Mädchen. Nicht aufgeben.« Geradezu bittend äußert sich der Mönch.
»Ich verstehe ihn einfach nicht. Wieso kann er sich nicht einfach mal mit uns freuen?«
»Weil er glaubt, es nicht zu verdienen.«
Diese Eröffnung dämpft meinen Zorn. »Wieso das denn?«
Doch Bruder Martin sieht mich nur traurig an. »Das muss er dir selber sagen.«
Eine Weile bleibe ich noch am Feuer, aber meine Gedanken kreisen um den schwierigen Mann, der sich in mein Herz geschlichen hat. Die Nähe, die wir am frühen Abend miteinander geteilt haben, war nicht nur körperlicher Art. Für mich hat es sich angefühlt, als hätte ich etwas wiedergefunden, von dem ich nicht wusste, es verloren zu haben.
Aber ob Rhys dies ebenso empfindet? Bin ich jetzt hoffnungslos naiv romantisch oder einfach zu ungeduldig? Andererseits hat das starke Geschlecht selbst im 21. Jahrhundert noch seine Probleme mit dem Ausdrücken von Gefühlen.
Nun, wenn ich hier rumsitze, werde ich es nicht herausfinden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top