Kapitel 11
Ich lasse den Ring ebenfalls in meiner Manteltasche verschwinden und mache mich zum Landen bereit. Dann gleite ich neben Edrono in den Schnee und rücke näher an ihn heran, um herauszufinden, wieso er ohnmächtig ist; ich kann aber nichts entdecken, keine Wunde. Es ist das erste Mal, das ich wirklich Zeit habe, Edrono zu betrachten: Er hat rabenschwarze Haare und seine Augen sind, wenn ich mich recht erinnere, blau. Aber ich verschwende nicht viel Zeit, denn ich mache mir Sorgen, da er sich nicht rührt! Ich flüstere ein paar Worte in der Elfensprache, doch die Worte werden vom Wind fortgeweht, deswegen wirkt diesmal die Magie nicht... Was soll ich machen? Da fällt mir etwas ein: Ich könnte zu Vater den Berg hoch fliegen; Er kann Edrono sicher helfen! Aber es gibt einen Haken an der Idee: Dann müsste ich ihm gestehen das ich Edrono mag... Das will ich auf keinen Fall tun...
Es gibt also zwei Optionen: erstens, ich bringe ihn zu Vater und muss ihm gestehen, dass ich diesen Menschenjungen mag, oder ich lasse ihn hier im Schnee liegen und er stirbt, wenn er nicht schon tot ist.. Na gut, ich bringe Edrono zu Vater und gestehe es ihm! Ich seufze laut auf und hebe Edrono hoch. Er ist zwar leicht für einen Jungen, aber für mich als kleine zierliche Elfe ist er ziemlich schwer! Ich spanne meine Flügel an und springe in die Luft, ich flattere mit ihnen und segele knapp über den Boden! Dass es so leicht ist, hätte ich nicht... Doch ich habe keine Zeit weiter zu denken, denn ich stürze ab!!! Ich flattere wie verrückt mit den Flügeln, aber ich stürze immer tiefer. Meine einzige Chance zu überleben wäre es, Edrono fallen zu lassen - aber das werde ich niemals tun!!! Komm schon, Wind!, bete ich, du bist doch so stark, trag uns! Aber natürlich passiert nichts... Ich atme langsam und gepresst. Ich werde mich nun von der Welt verabschieden, da ich sterben werde! Ich schließe die Augen. Es tut mir so leid, Vater!!! Dann lande ich mit einen dempfen Geräusch auf dem Boden, und bin NICHT tot!!! Moment mal, ist es wirklich der Boden? "Nein, Eragona es ist nicht der Boden, und du bist auch nicht tot." Ich öffne die Augen, ganz langsam - und sitze auf einem violetten Drachen, vor mir liegt Edrono! Ganz vorne sitzt - "Milonan! Wie hast du mich gefunden? und.." Er funkelt mich an, so schrecklich, dass ich aufhöre, zu reden. Im ersten Moment dachte ich es wäre besser auf einen violetten Drachen mit Milonan (der Helfer meines Vaters, der nebenbei noch Gedanken lesen kann) und Edrono zu sitzen, aber jetzt bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. "Du hast einem Menschen das Leben gerettet!"
Milonan spuckt die Worte förmlich aus. "Ich hoffe, dein Vater wird dich deswegen bestrafen!" In seinen Augen glitzern Tränen, vermutlich vor Wut. "Ich-...." "Spar dir die Ausreden!," faucht er. Ich richte mich auf dem Drachen auf. Wenn ich falle, werde ich einfach fliegen. "Jetzt mach mal halblang! Nur weil ich Mitleid mit einem im Sterben liegenden Menschen hatte, musst du ja nicht gleich ausrasten! Mein Vater wird entscheiden, was mit mir passiert, und ich werde das, was er mir sagt, tun!" Meine Stimme bebt vor Zorn. Jetzt richtet auch Milonan sich auf dem Drachen auf. "Mitleid! Du solltest Angst vor ihnen haben! Sie suchen uns seit Jahren, um uns zu töten! Das weiß jeder! Selbst die Kleinkinder.
Die Menschen sind gefährlich.
Wenn schon die Jüngsten bei uns das sogar wissen, dann solltest du, ein sechzehnjähriges Mädchen, ja sicherlich gut informiert sein!"
Jetzt kann ich mich einfach nicht mehr beherrschen; ich muss es hinauschreien! "Was geht dich denn die ganze Sache an? Ich entscheide, vor wem ich Angst habe, oder?! Oder bist du da anderer Meinung?!" Milonan funkelt mich an. Dann sind wir auch schon da, sein Drache landet. Milionan streicht seinem Drachen über die Schnauze, dann dreht er sich zu einem anderen Helfer um. "Josh, kommst du bitte? Bring Lilly Nachhause!" Josh wirft einen Blick auf Edrono, den ich nun mit aller Kraft von Lilly gezerrt habe, sagt aber nichts. "Bis morgen, meine Süße. Schlaf gut," sagt Milonan an Lilly gewandt, die ihn mit ihren hell-lilafarbenen Augen anblinzelt; dann kommt er zu mir herüber. "WAS HAST DU DIR EIGENTLICH DABEI GEDACHT EINEN MENSCHEN HIER HIN ZU SCHLEPPEN, HMM? HAST DU AN DIE FOLGEN GEDACHT? WOHL EHER NICHT, WAS? FRÜHER DACHTE ICH DU WÄRST SCHLAU, ABER HEUTE WEIß ICH DAS DU EINFACH NUR EIN DUMMES, VERWÖHNTES MÄDCHEN BIST!" Ich schnappe bei dieser Beleidigung nach Luft. "Menschen kommen nie alleine! Ich sag dir, bald wird es hier nur so von ihnen wimmeln, und die werden alle nach ihm...." er deutet auf Edrono. "...suchen!" "Das denke ich nicht, weil wir ihn..." zu diesen Worten musste ich mich zwingen, "...sobald er wieder gesund ist, dorthin zurück bringen, wo ich ihn gefunden habe." Milonan starrt mich ein paar Minuten fassungslos an und dann fängt er an laut zu lachen. Ich sehe ihn überrascht an. "Du glaubst, das wäre so einfach? Pfffffff!" Ich streiche Edrono über die Haare und seufze. "Nein." -"Gut, dass wird es nämlich auch nicht!" Er zieht an Edronos Beinen. Ich sehe ihn wütend an. "Hey, was machst du denn da?" Milonan lacht trocken auf. "Na was wohl? Ich bringe ihn dorthin wo ihm geholfen wird." So zerre ich ihn zu Milonan herüber. Dann sitze ich teilnahmslos in der Ecke. "Und du könntest ruhig mal zu deinem Vater hoch gehen!" Ich stehe noch ein paar Minuten unschlüssig da; dann mache ich mich auf den Weg zum Aufzug. Ich höre Milonan Befehle rufen:
"Leonard?! Komm mal her! Hilf mir bitte mal kurz." Leonard, der vielsagend lächelt, kommt zu Milonan herüber und stemmt Edrono mit aller Kraft zu ihm hin. Beide keuchen.
Ich drehe mich schließlich nach ein paar Minuten um und werfe mich in den Aufzug, der automatisch Wind von unten bläst, der mich nach oben treiben läßt.
Ich schließe die Augen.
Mein Vater war nie streng, aber mir ist klar, dass er diesmal nicht gnädig sein wird. Nicht gnädig sein darf.
Mit einem Surren öffnet sich die Tür des Aufzugs und ein Windstoß von hinten stößt mich aus dem Luftschach in das Büro meines Vaters. Ich richte mich auf und streiche mir eine meiner roten Locken hinter meine Ohren. Ich öffne meinen dicken Mantel und ziehe meine Pelzmütze aus. Mein Vater steht scheinbar ruhig und mit dem Rücken zu mir gewandt da. Sein Blick ist aus dem Fenster gerichtet. Er dreht sich um.
"Eragona, du bist alleine zu mir gekommen, ohne deiner Mutter Bescheid zu sagen und dazu hast du noch einen Menschen mitgebracht!" Mein Vater holt tief Luft und sieht mich genau an. "Du weißt, dass ich da nicht nicht nachsichtig sein kann, Eragona. Als Leiter dieser großen Drachenschutzorganisation muss ich leider...." - doch ich unterbreche ihn wütend. "Hört mir denn hier niemand zu?! Erst Miliavanan und dann du! Ich bin alleine gegangen, weil Mutter mich nie gelassen hätte, sie meint, dass junge Elfenmädchen nicht für die 'harte' Welt der Drachen gemacht sind! Und Edrono wäre gestorben, wenn ich ihn nicht mitgenommen hätte. Das ist so gemein - warum versteht mich denn hier keiner?"
Eine Falte bildet sich auf der Stirn meines Vaters. Ich beiße mir nervös auf die Unterlippe.
"Eragona, ich habe keine andere Wahl, wir müssen zu Elania; die Entscheidung, ob du unter diesen Umständen bleiben kannst, kann ich nicht mehr alleine fällen. Es tut mir leid."
"Was?! Nein, Vater, das kannst du doch nicht Ernst meinen....!" Meine Stimme überschlägt sich fast vor Wut und Aufregung. Doch die zwei Soldaten, die bei meiner Ankunft im Eingang standen, zerren mich nun an meinen Armen zurück.
"Wir bringen sie also hin."
Mein Vater nickt. Ich kann ihn nur fassungslos anstarren.
"Das werde ich dir nie verzeihen, glaub' mir!", brülle ich noch, bevor die Soldaten mich aus dem Büro zerren und zusammen mit mir in den Aufzug springen, um nach unten zu kommen. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurück halten.
Elania würde kein Erbarmen haben, das war mir klar. Ich würde aus der Stadt verbannt werden, nur weil ich nicht wollte, dass Edrono stirbt. Elania ist unsere junge Königin. Sie ist 17, nur ein Jahr älter als ich, doch verhält sich schon so wie eine alte, Frau. Sie hat blonde, lange Haare, die immer zu einem streng-geflochten Zopf nach hinten gebunden sind, strahlend türkise, kalte Augen und trägt hochgeschllossene, graue oder schwarze Kleider. In ihrem Haar stecken meist viele schwarze oder weiße Spangen, damit auch ja keine Strähne aus der Reihe tanzt. Sie ist sehr strikt, was Sachen mit Menschen betrifft, auch sonst hat sie den Ruf, gnadenlos zu sein. Immer mehr Tränen laufen meine Wangen hinunter, es ist wie ein Fluss, den ich nicht stoppen kann..
Dann sind wir auch schon unten. Doch wie angewurzelt bleiben die Wachen stehen. Milionan hat sich ihnen in den Weg gestellt.
"Was macht ihr denn mit ihr? Sag mal, Eragona, weinst du etwa?" Ich antworte nicht und halte meinen Kopf weiterhin gesenkt.
"Wir sollen
sie zu Elania bringen."
"Oh nein."
"Jetzt lass uns durch."
Milonan tritt unvermittelt auf mich zu und will wohl etwas sagen, kommt aber nicht dazu, da die Wachen ihn beiseite stoßen und mich mit fortzerren. Tausend Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Und kalte Angst lähmt meinen Körper.
Ich bin auf dem Weg zu Elania. Ich werde verbannt werden.
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