Ärger

Ich stürmte in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Versteck! Ich brauche ein Versteck! dachte ich immer wieder. Instinktiv wollte ich mich hinter der Tür verstecken, doch ich ahnte, dass sie mich hier sofort finden würden. Also entschied ich mich für den Kleiderschrank meiner Zimmergenossin Lydia, denn in meinem eigenen würden sie bestimmt nachsehen. Also riss ich die beiden kunstvoll verzierten, hölzernen Schranktüren auf.
Kaum hatte ich mich in den Schrank gequetscht und die Türen zugemacht, wurde die Zimmertür aufgestoßen und die zuckersüße Stimme von Ariana rief: ,,Grace, wir wissen, dass du hier bist? Komm raus aus deinem Versteck!" Ich machte keinen laut und saß reglos in meinem Versteck. Die Beine aufgestellt, an die Brust gezogen und den Kopf auf die Knie gestützt.
,,Du willst nicht rauskommen? Gut, dann suchen wir dich und dafür, dass du so unartig warst, bekommst du deine gerechte Strafe!" fügte Mackenzie, Arianas Gehilfin, hinzu. Als sich Schritte dem Schrank, in dem ich mich befand näherten, hielt ich vor Schreck den Atem an.
Plötzlich wurden die Schranktüren neben mir aufgerissen und wieder geschlossen. - Zum Glück hatte ich mich für Lydias Schrank entschieden. Dennoch war ich ordentlich zusammen gezuckt. Meine Hände waren nass geschwitzt und meine Finger krallten sich verkrampft in den Stoff meiner Hose.
,,In ihrem Kleiderschrank ist sie nicht. Ariana, bist du sicher, dass sie hier ist?" fragte eine andere Person und ich spürte, wie Wut und Trauer in mir aufstiegen. Es war die Stimme von Rocco. Meinem ehemaligen besten Freund, der früher immer zu mir gehalten hat, als wir noch kleiner waren. Doch als seine anderen Freunde auf Arianas Seite gewechselt sind, ist er ihnen gefolgt und hat mich somit verraten. Das war auch der Grund, warum Ariana alle meine Geheimnisse kannte, die ich Rocco anvertraut hatte. Ich hätte niemals gedacht, dass seelischer Schmerz so weh tun konnte, schlimmer als all das, was die anderen Kinder hier im Waisenhaus mir jemals angetan haben. Letztens haben sie mich so lange im Waschbecken untergetaucht, dass ich fast ohnmächtig geworden wäre. Wenn Madame Colett, die Einzige die noch zu mir hielt, nicht hineingekommen wäre, hätten mich sie mich wahrscheinlich ertränkt.

,,Sucht genauer! Sie muss hier irgendwo sein!" herrschte Ariana ihre Komplizen an und ich hörte, wie sie anfingen Lydias und mein Zimmer zu durchwühlen. Und ich konnte nichts weiter tun, als in diesem engen, kleinen und stickigen Schrank zu sitzen und abzuwarten. Doch schon nach einigen Minuten wurde die Tür erneut geöffnet. ,,Was macht ihr denn hier drin?" tobte eine der Erzieherinnen und scheuchte meine Feinde nach kurzen Protest hinaus. So wie es aussah, hatte sie den Krach gehört, den diese Idioten verursacht hatten. Aber erst als ich seit ein paar Minuten nichts mehr gehört hatte, traute ich mich die Schranktür einen kleinen Spalt zu öffnen und in das Zimmer zu spähen. Alles war ruhig, doch ich wusste, dass meine Feinde bald wieder kommen würden und dann würden sie mich finden, das wusste ich.
Also beeilte ich mich aus meinem Versteck zu klettern und lief zum Fenster. Schnell riss ich es auf und schwang mich auf das Fensterbrett. Mein Zimmer lag im zweiten Stock, wenn ich versuchen würde rauszuspringen, würde ich mir sämtliche Knochen brechen. Nun tastete ich mit meinem Fuß nach dem Risalit. Das war ein hervorspringender Gebäudeteil, der eigentlich nur zur Dekoration diente. Langsam balancierte ich mit dem Rücken dicht an der Wand entlang. Als ich meinen Kopf nach links, zurück zum Fenster drehte, hörte ich die Stimmen von Ariana und Co. ,,Hey! Das Fenster ist offen!" rief jemand. Schon streckte Rocco den Kopf zum Fenster raus und blickte mich böse mit seinen giftgrünen Augen an. Ich konnte nur traurig zurückschauen, doch sein Blick blieb kalt. Anscheinend waren wir nun wirklich Feinde, was mir immer noch sehr weh tat.

Ich blickte wieder nach rechts, vielleicht zwei Meter bis zu dem Fallrohr, welches das Wasser aus der Regenrinne nach unten leitete und von dort in eine Regentonne. Dieses Fallrohr hatte eine Art Stufen, welche ich zum runterklettern benutzen konnte. ,,Hinter her! Na los! Worauf wartet ihr noch?!" donnerte Ariana und Rocco nahm die Verfolgung auf. Ich beeilte mich und erreichte die Rinne. So schnell ich konnte kletterte ich hinab und sprang den letzten Meter auf den Boden. Nur ein paar Sekunden später folgte Rocco meinem Beispiel und sprintete mir hinterher. Ich steuerte das Baumhaus im Garten des Waisenhauses an und griff nach der Strickleiter. Doch als ich fast oben war, packte eine Hand meinen Fuß und hielt mich fest. ,,Hierbelieben Miststück!" zischte Rocco und versuchte mich zu sich runter zu zerren. Verzweifelt klammerte ich mich an dem hölzernen Geländer des Baumhauses fest und versuchte meinen Fuß irgendwie frei zu bekommen. ,,Bitte! Lass mich los!" rief ich und hoffte, dass er mich loslassen würde, doch er tat es nicht.
,,Bitte Rocco! Ich werde dich nicht verraten!" versuchte ich es weiter, da ich nicht wusste, wie lange ich mich noch halten konnte.
,,Es tut mir so leid Grace." sagte Rocco nur und ich hörte das ehrliche Bedauern in seiner Stimme.
,,Was..." wollte mich fragen, doch dann zog mich mein ehemaliger bester Freund mit einem Ruck nach unten. Er stieß mich zu Boden und bevor ich irgendwie reagieren konnte, lag ich im Gras und Rocco legte seine Hände um meinen Hals. Dann drückte er zu.
Er drückte mir die Luft ab und ich keuchte, hustete, spuckte, schrie, nichts half. Ich konnte nicht mehr atmen, es war schrecklich. Er wird mich umbringen! dachte ich verzweifelt. Instinktiv musste ich an den Vorfall im Waschraum denken, wo ich fast ertränkt worden wäre. Doch diesmal war es anders. Ganz anders. Wir waren zu zweit. Rocco und ich.
,,Es tut mir so leid, wirklich. Aber ich muss das tun, verstehst du? Ariana hat es mir befohlen, sonst bin ICH dran." flüsterte Rocco und drückte fester zu. Dunkle Punkte tanzten vor meinen Augen und meine Lunge schrie nach Luft! Es ging nicht mehr! Ich konnte nicht mehr! Verdammt noch mal, ich wollte nicht sterben! Also hob ich mühsam meine Hände und begann nun auch nach Rocco zu schlagen. Dieser war wohl so überrascht, dass er seinen Griff lockerte. Gerade genug, um mir die Gelegenheit zu geben, mich frei zu kämpfen. Ich war selbst so überrascht, dass ich es geschafft hatte, mich zu befreien, dass ich erst einmal einige Sekunden sitzen blieb, während ich nach Luft schnappte.
Dann sprang ich so schnell auf, dass mir schwindelig wurde und atmete gleichzeitig tief ein, um wieder Kraft zu tanken. Ich rannte zum Gebäude zurück und sah, wie Roccos "Freunde" auf ihn zugestürmt kamen und Ariana ihm eine Ohrfeige gab. Ich drehte mich wieder um und lief weiter.

Auf einmal kam mir die besorgt aussehende Madame Colette entgegen. ,,Grace! Da bist du ja! Ich habe mir sogen gemacht! Was ist passiert?" rief sie aufgeregt und ich erzählte ihr die ganze Geschichte. ,,Ich möchte nicht mehr hier sein. Ich bin es leid, die ganze Zeit fliehen zu müssen." klagte ich und Colette schien zu überlegen. ,,Komm mit." sagte sie entschlossen und ich folgte ihr.

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1066 Wörter

Wie findet ihr die Story bis jetzt?

LG

Lorely Mystery

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