Kapitel 1.11 ~ Freez

~ Hoffnung ~

Seit Stunden bin ich ein einziges Nervenbündel. Tekno hat unter allen Admiralen, Offizieren und Leutenants den Notstand ausgerufen. War vorher Firea unser größeres Problem, so zieht jetzt die unbekannte Elementris unsere volle Aufmerksamkeit auf sich. Alle wichtigen Feen aus unseren Reihen haben sich im Konferenzraum verschanzt und brüten einen Plan aus, wie wir mit der uns unbekannten, aber durchaus nützlichen Fee, fortfahren. Gehen wir das Risiko ein Verluste zu erleiden und retten wir sie oder ihn? Oder lassen wir die Fee in Dragoreons Fängen, die er wahrscheinlich nur gefangen genommen hat, weil sie ihm gefährlich werden kann?
Ich möge verflucht sein, weil ich nicht zu dem inneren Kreis dazugehöre.
Außerdem zerreißen mich die Fragen, die bei dem gemeinsamen Abendessen vor sieben Stunden aufgeworfen worden sind. Wer von den beiden Mädchen ist Firea? Ist überhaupt jemand von ihnen Firea? Sind sie überhaupt Feen? Arbeiten sie nicht vielleicht doch für Dragoreon?
Ich darf Tekno am Abend des Balls auf jeden Fall nicht aus den Augen lassen, das schwöre ich mir. Nur weiß ich nicht, wie ich das hinbekommen soll. Schließlich trifft er sich mit Fiona. Und als David stehe ich mit ihr, als auch mit Eric, offiziell auf dem Kriegsfuß. Dass mich das allerdings vom Spionieren abhalten wird, bezweifle ich sehr.
Bis dahin ist das Einzige, das ich tun kann, die paar Unterrichtsstunden besuchen, meine Mutter nach Firea ausfragen, mich fertig machen und mit meinem 'Date' Cherry McKenneth den Ball besuchen.
Dass viele Mädchen zu der rothaarigen Schönheit aufschauen, verwundert mich doch. Denn egal wie sehr sie über dem menschlichen Durchschnitt, was das Äußerliche angeht, steht, ich habe noch niemanden getroffen, der sich so dämlich anstellt, nur um die Aufmerksamkeit Anderer zu erlangen. Würde ich mir mehr Gedanken um sie machen, würde sie mir vielleicht sogar leidtun. Schließlich hat sie einige Talente, wie beispielsweise ihre Begabung für Sprachen. Doch lieber schmeißt sie alles hin und gibt sich als 'obercool' aus. Wie so viele Menschen.
Cherry ist auf meiner Liste der Probleme leider ganz weit unten, weshalb ich die Gedanken an sie verdränge.
Aus meinem Kleiderschrank fische ich mir wahllos etwas zu anziehen. Glücklicherweise habe ich nur Jeans und kann unbesorgt sein, denn alles passt dazu und ich begehe keinen tragischen Modefehler. Nicht, dass es den Freez in mir viel kümmern würde. Aber David kann es sich bei seinem Ruf nicht leisten etwas anderes als Perfektion zu zeigen.
Fertig angezogen packe ich das Nötigste in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg durch das nächste Portal, das mich nach Irland und weg von dem unterirdischen Bau bringt, das die meisten hier ihr "Zuhause" nennen. Bald schon werden wir wieder in unserer wahren Heimat, Elestrya, sein. Wir müssen nur diesen Krieg gewinnen. Auch wenn keiner so recht weiß wie.

Ich weiß nicht, wie ich normalerweise ihre Nähe aushalte. Aber heute muss ich mich dazu noch mehr als sonst zwingen Cherry nicht anzuschreien, von mir zu schleudern und mit meinem kleinen Finger zu zerquetschen. Doch sie kleibt stärker an mir, als eine Klette an Wolle.
Meinen Kiefer mahlend schiele ich zur Uhr auf dem Schulhof. Sie mag zwar dutzende jahrzehnte alt sein, doch sie passt perfekt zum restlichen Gebäude und erfüllt ihren Dienst. Nicht einmal zwei Stunden und ich bin sie fürs erste los.
Ich spiele mit dem Gedanken mich heute von ihr zu trennen. Es hat doch keinen Sinn, wenn ich mich weiterhin quäle, oder? Obwohl gar nicht erst aufzutauchen eine noch bessere Möglichkeit darstellt als ihr aus dem Weg zu gehen. Aber ich habe es Tekno versprochen, es ist mein Pflicht, die ich zu verrichten habe.
Meine 'Freundin' ist wohl diejenige an der Schule, die jeden, inklusive seine tiefsten Geheimnisse, kennt. Wenn es Tratsch und Klatsch gibt, redet sie ununterbrochen darüber. Wenn jemand Geheimnisse hat, kommt sie ihm auf die Schliche. Und wenn sie sich angegriffen fühlt, macht sie einem das Leben zur Hölle. Selbst unser werter General ist extrem vorsichtig und meidet das Mädchen so weit es geht, was schon einiges zu heißen vermag.
Trotzdem kann sie sich als nützlich erweisen, wenn sie nun alles über jeden weiß. Ich muss nur heute alle Informationen über Fiona und Cathrin aus ihr herausquetschen und dann bin ich sie los.
Schon von Weitem erkenne ich die beiden Mädchen, die nahe meines Spindes stehen. Genau ihnen wollte ich am Wenigsten über den Weg laufen.
Durch mein ausgeprägteres Gehör bekomme ich wohl mehr von ihrem Gespräch mit, als ich sollte.
"Du weißt ganz genau, was ich davon halte. Er ist...er tut dir nicht gut. Man kann Eric nicht trauen."
Fiona beißt sich auf die Lippe, scheinbar unsicher was sie denken soll.
Ich tue so, als würde ich meine Schuhe binden. Da sie Schnürsenkel haben, falle ich umso weniger auf.
"Menschen können sich ändern. Er hat versucht dir zu erklären wie Leid es ihm tut und-"
"Das tut es aber nicht. Fiona, merkst du denn nicht, wie er dich anlügt? Dass er dich jede Sekunde hintergehen könnte?" , unterbricht sie ihre Freundin
"Ich meine es doch nur gut mit dir!"
Cathrins Verzweiflung kann sie nicht länger zurückhalten. Doch Fiona wirkt nicht so, als würde das etwas helfen. Stattdessen ist sie hin- und hergerissen, zwischen ihrer besten Freundin und, Cathrins Hass nach zu urteilen, Tekno, alias Eric.
"Ja, du bist meine beste Freundin und sehr, sehr, sehr wahrscheinlich sollte ich auf deine Worte vertrauen. Aber wenn du die Wahrheit wissen willst..."
Sie dreht sich um, um sich zu vergewissern, dass sie ungehört bleiben. Als ich aufstehe und sich unsere Blicke treffen, erkenne ich kochende Wut darin. Mit deutlich leiser er Stimme fährt sie schließlich fort: "Ich kann nicht sagen, das er mit nichts bedeutet. Klar, die paar Tage, die wir uns kennen, sind eigentlich nichts. Aber ich habe in ihm einen Freund gefunden. Nenn mich töricht und naiv...ich werde mich trotzdem erst selbst überzeugen müssen."
Am liebsten hätte ich jetzt anerkennend gepfiffen. Dass in dem emotionslosen Tekno jemand steckt, der einem Mädchen derart den Kopf verdrehen kann, hätte ich vor wenigen Augenblicken nicht gedacht.
Mit diesen Worten schließt die ihren Spind und verschwindet wie die meisten anderen Schüler auch in ihr Klassenzimmer.
Ich hingegen schlüpfe schnell durch die nächste Tür auf die Toilette und schreibe Tekno eine Nachricht.
»Fisch hat angebissen. Wirst sogar vor C. in Schutz genommen. Trotzdem Vorsicht! «
Noch einmal kurz durchatmen und schon sprinte ich in Richtung Unterricht. Ein Glück, dass Mr. Chaborry nicht so streng ist, was das Zuspätkommen angeht. Und es ist nur Geschichte.

Frisch geduscht und lediglich mit einer Jogginghose bekleidet betrete ich mein Zimmer und hätte beinahe alles schockgefrostet. Tekno steht mit dem Gesicht zum Fenster, die Hände hinter dem angespannten, durchgestreckten Rücken verschränkt.
"Wow, was machst du hier? Hast du etwas herausgefunden?"
Dabei wechselt meinte Stimme schnell von verwundert zu neugierig.
Er regt sich nicht und steht weiterhin stumm da. Sein nachdenklicher Blick gleitet zu dem farbenfrohen Wintergarten unserer Nachbarn und verweilt dort. Minuten verstreichen, bis ich anfange ungeduldig zu werden. Als würde er es merken, dreht er sich dann um, als ich kurz davor bin zu ihm zu stampfen und ihn zur Rede zu stellen.
"Cathrin ist keine Fee. Sie scheint mich zu hassen, verständlicherweise, und beschützt nur Fiona vor mir. Aber ich habe nach Schwingungen gesucht, die Feen für gewöhnlich aussenden. Und keine gefunden."
Er macht eine kurze Pause. Ehe ich meinen Mund öffnen kann, fährt er auch schon weiter: "Von Fiona konnte ich aber auch nichts empfangen. Ich fürchte...wir sind auf der falschen Fährte."
Seine im Licht der dunklen Wolken grauen Augen treffen die Meinen und ich erkenne nichts als Enttäuschung und Wut darin. Dass er einen Fehler gemacht hat. Dass er nicht auf die Lösung des Problems kommt.
Mit einem leisen Seufzen fällt die Spannung von seinem Körper und er setzt sich auf mein Bett hin. Darauf bedacht, dass er meinen frisch gebügelten Anzug für heute Abend nicht zerknittert.
"Ich war mir so sicher, dass eine von ihnen...es könnte jede verdammte Person auf dieser Erde Firea sein und ich habe weder die Zeit noch die Ressourcen, um sie zu suchen. Ja, ein Suchtrupp ist schon unterwegs, aber wie lange haben wir bis Dragoreons Armee uns überrollt? Laut meiner Kalkulation kann es nicht lange dauern, schließlich sind sie in der Überzahl. Auf jeden von uns kommen in etwa vier bis fünf seiner Leute. Die alle zwar weitaus schwächere Magie in sich tragen, aber im Nahkampf bestens ausgebildetet sind."
Meine Gedanken schweifen zu meinem letzten Kampf mit Dragoreons Elementfeen, der schon eine Weile her ist. Ich hatte so große Mühe alle drei Eisfeen abzuwehren, dass meine Mutter mir helfen musste. Und das hatte sie auch nur dank ihres Feuers gekonnt. Noch einer mehr und ich hätte ein ernsthaftes Problem gehabt. Wir hätten das. Schließlich kämpfe ich nicht schon seit ich laufen kann, sondern erst seit sieben Jahren.
"Rufst du bitte Ella hierher?"
Mit einer Hand fährt er sich übers Gesicht und schaut zu mir hoch. Plötzlich wirkt er Jahre älter. Die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit zeigen sich nicht nur in seinen Augen, sondern auch in einigen neuen Stirnfalten. Er ist nicht nur gestresst, er glaubt nicht, dass wir diesen Krieg gewinnen können. Und wenn er als General, als Anführer der Armee, schon so denkt, wie geht es dann meinen Mitstreitern? Wie kann er uns führen, wenn er selbst nicht auf einen Sieg glauben kann, nicht hoffen kann?
Er ist der Einzige neben meiner Familie, den ich einen Freund nennen kann. Dass sein Anblick mein sonst so kaltes Herz so sehr schmerzen lässt, hätte ich bis dato nicht gedacht.
Unterbewusst hallt meine Stimme durch das ganze Haus. Neben Tekno lehne ich mich schließlich an die Wand und warte die wenigen Sekunden, die meine Mutter bis in mein Zimmer braucht.
Panisch reißt sie die Tür auf, auf einen Kampf vorbereitet. Da sie Tekno erblickt, lässt sie ihre Haltung nicht fallen.
"Ich dachte ich hätte dir erklärt, dass-"
"Wir sind tot."
Die Verwirrung ist es, die meine Mutter aus der Angriffsposition lockt.
"Wir sind tot, wenn Dragoreon jetzt zuschlägt. Der ganze Rat weiß es schon seit Monaten. Dragoreons Armee ist uns zu sehr überlegen. Wenn wir nicht auf irgendeine Weise neue Kämpfer mobilisieren können, könnten wir genauso gut auch aufgeben. Denn egal wie man es dreht oder wendet. Die Wahrscheinlichkeit für unseren Sieg ist kleiner, als die, dass deine Firea in zwei Sekunden hier auftaucht."
Und diese Sekunden sind um.
Mom erkennt, dass Tekno die Wahrheit sagt, wobei nicht zuletzt sein äußeres Erscheinungsbild dazu beiträgt.
"Wenn du mir schon nicht verraten willst wer sie ist, dann sag mir wenigstens wie stark sie ist. Wie weit entwickelt sind ihre Fähigkeiten? Kann sie es mit Dragoreon aufnehmen? Wie weit reichen ihre Kräfte gegen unsere Feinde?"
Während seines Redeschwalls ist er aufgestanden und langsam auf sie zugeschritten. Mom ist nicht klein, was keine Fee ist. Aber Tekno überragt sie mit seinen fast zwei Metern um einen ganzen Kopf. Er ist ihr aber nicht so nah, dass sie ihren Kopf mehr anheben muss, als bei Jay oder mir.
Mom zögert, sie presst ihre Kiefer aufeinander und denkt angestrengt nach. Ich hoffe zwar, dass sie Antworten gibt, aber sie schweigt. Als Tekno tief durchatmet, nickt und sich umdreht, öffnet sie schließlich doch den Mund: "Ja" , räuspert sie sich.
"Ja, sie kann es mit Dragoreon aufnehmen, sie..."
"Sie was?"
Nicht nur Teknos sondern auch mein Geduldfaden ist zum zerreißen gespannt. Ich hasse es auf die Folter gespannt zu werden.
Ich sehe, wie sich ihr Körper entspannt und sie gibt sich geschlagen: "Sie hat es schon öfters mit ihm aufgenommen. Ich weiß nicht wie oder warum, aber durch eine bestimmte Art der Verbindung einiger Elemente gelingt es ihr ihn zu schwächen. Seit einem Jahr, als sie das zum ersten Mal geschafft hat, jagt Dragoreon sie mehr als jede andere Fee. Und er vergeudet auch seine Männer an sie."
Wenn das stimmt und Teknos Zahlen über Dragoreons Armee veraltet ist, dann müsste diese mittlerweile geschrumpft sein. Ein Blick zu meinem Freund reicht, um zu wissen, dass er dasselbe denkt. Und da ist es, ein kleiner Hoffnungsschimmer.
"Aber mittlerweile hat er aufgegeben und lässt sie in Ruhe."
Schulterzuckend dreht sie sich in Richtung Tür um.
"Sie ist in der Lage ihn umzubringen?"
Am Türrahmen bleibt sie kurz stehen und nickt langsam.
"Lass sie in Ruhe. Wenn ich dir vertrauen kann, verrate ich dir ihren Aufenthaltsort. Aber solange du dich wie dein Vater benimmst, werde ich alles in meiner Macht stehende tun, um dich von meiner Tochter fernzuhalten. Und wenn ich meine Magie gegen dich erheben muss. Und jetzt macht euch gefälligst fertig!"
Mit dieser Drohung schlägt sie nicht nur meine Zimmertür zu. Ich höre auch, wie die Haustür ins Schloss fällt.
Womöglich hat sie recht, der Ball fängt in nicht einmal mehr zwei Stunden an. Aber wir müssen beide ihre Worte zuerst verarbeiten.
"Allein wenn wir sie hätten, um Dragoreon umzubringen, steigen unsere Chancen von Null auf 17,8 Prozent. Und dabei ist noch nicht die aktuelle Zahl der lebenden, kampffähigen Feen, die nun sicherlich geringer ist."
"Tja, und du musst lediglich nett zu meiner Mutter sein, damit diese Chancen auch real werden. Und natürlich diesen Abend überstehen."
Damit stehe ich auf, um mich um meine mittlerweile trockenen Haare zu kümmern. Ich meine noch ein resigniertes "Ja, noch diesen Abend überstehen" von ihm zu hören, dann ist er auch schon durch ein selbst geöffnetes Portal verschwunden.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top