Kapitel 2- Lily

"Untersteh dich, Ri!", kicherte ich.

Meine Cousine lachte. "Ich fand schon immer, ihr passt gut zusammen, ihr müsst einfach ein Paar werden!"

Ich rollte mit den Augen. Ryu war einiges, aber nicht einfühlsam, wenn es um mein "Liebesleben" ging. Zumindest nicht bei El.

Elliot und ich kannten uns schon, seit wir klein waren und irgendwie waren wir nie mehr als normale Freunde gewesen. Ryu, die immer mehr als nur eine Cousine für mich war, sondern eher sowas wie eine beste Freundin, shippte uns nun schon seit Äonen.

So fühlte es sich zumindest an.

"Aber er ist schon attraktiv, was?", fragte Ryu und grinste. Ich umging diese Frage, da sie es wahrscheinlich eh nur rhetorisch gemeint war. Ri liebte rhetorische Fragen.

Stattdessen wechselte ich das Thema: "Wie fandest du das Essen?"

Ryu schwärmte gleich von dem wundervollen Truthahn los und Elliot Lightcroft war vergessen. Zum Glück.

Wir quatschten noch ein bisschen, doch es wurde langsam Abend und so machten wir uns schnell auf den Weg zu unseren Hütten.

"Ich freue mich so, endlich hier zu sein! Weißt du, im Reservat war es immer so langweilig!", seufzte Ri.

Ja, das Reservat. Weltweit wurden nach dem siebten Weltkrieg Reservate eingerichtet, wo wir Magier eingeschränkt leben mussten. Sowas wie Schulen gab es, doch weiterhin entschied nur die Regierung, was uns beigebracht wurde und niemand durfte seine Meinung sagen. Bewacht von der Magiesicherheits-Behörde und behandelt wie Monster.

Die Menschen da draußen mussten ziemlich Angst vor uns Magiern haben...

Ich erinnerte mich, als Ryu und ich einmal die Regeln gebrochen hatten.

Wir waren einmal aus dem New Yorker Reservat weggerannt, um uns in der Stadt umzusehen.

Danach waren wir zwar sicher zurückgekommen, doch unsere Eltern hatten uns als Bestrafung sehr lange Hausarrest gegeben, was die Höchststrafe für Magier war, die sich gerne in der Natur aufhielten. Als ich älter war, verstand ich sie, da sie in Furcht vor der Regierung lebten. Schließlich wusste niemand, was damals passiert wäre, wenn einer vom Magie-Sicherheitsdienst das mitbekommen hätte...

Niemand durfte das Reservat verlassen und die Regierung kontrollierte uns. Ohne Ausnahme.

"Oh, hier muss ich hin, Lily! Vielleicht sehen wir uns später, tschüss!"

Ryu unterbrach meine Gedanken über mein früheres Leben. Wo waren wir?

Ich blickte auf ein Gebäude aus schwarzem Marmor. Die Säulen wurden von Flammen umspielt. "Feuer" stand in roten Buchstaben auf einem eisernen Schild.

Ach ja, das war das Gebäude, in dem die Feuermagier untergebracht waren. Ich fand es sehr schön und obwohl ich eine stolze Luftmagierin war, dachte ich für einen kurzen Moment darüber nach, wie toll es wäre, hier mit Ri in einem Zimmer zu wohnen, so wie damals im Reservat.

"Tschüss Ri!"

Ich winkte meiner Cousine zu, die mit wippenden Haaren in das Feuergebäude eintrat.

Oh, an der Stelle sollte ich mal Ri's Haare erwähnen. Sie waren merkwürdigerweise von Natur aus grün, was bei Magiern durchaus möglich war und sie hatte sie immer zu zwei Spacebuns geflochten. Das sorgte dafür, das ihre Haare bei jeder kleinsten Bewegung wackelten, was irgendwie lustig aussah.

Ich schaute ihr und ihren wippenden Haaren noch kurz nach, dann setzte ich mich aber wieder in Bewegung. Wo war das Luft-Gebäude? Ich lief weiter und kam an einem kleinen Bach vorbei. Die Wasser Hütte konnte nicht mehr weit sein.

Das Camp lag in den Wäldern Kanadas, zwischen Bergen, Flüssen und wunderschönen Seen. Hier gab es so viel an der Urmagie, die durch alles Lebendige floss. Bisschen wie die Macht in Star Wars. In New York hatte ich das nie gespürt. Da gab es zwar viele Menschen, aber wenn Natur vorhanden war, vermischte sich der süßlich florale Duft und der Geruch nach gemähtem Gras mit den Abgasen und dem Benzingeruch, was dann keine gute Luft ergab. Hier war die Luft anders, klarer.

Ich füllte meine Lunge mit dieser Energie. Es begann in meinem Bauch zu kribbeln, wie als hätte ich einen Swimmingpool voll mit Brause ausgetrunken. Unpassender Vergleich, aber so fühlte sich Magie an.

Durch diese berauschende Wirkung glühten meine Hände, meine Haare flogen herum und ich hob ein paar Zentimeter ab.

Wie lange hatte ich nicht mehr gezaubert? Ich wusste es nicht.

Durch die geballte Kraft schloss ich benommen meine Augen, nur um sie dann wieder zu öffnen. Ich musste keinen Spiegel verwenden, um zu wissen, dass sie in hellstem Weiß glühten. Nach einigen Sekunden bildete sich ein kleiner Wirbelsturm um mich und wehte ein Paar Herbstblätter umher.

Wie hatte ich das vermisst?!

„Ähm, Lilly?", hörte ich eine mir bekannte Stimme hinter mir. Der Sturm hörte auf, meine Augen wurden wieder, wie gewöhnlich, blassblau und eine leichte Brise setzte mich auf den Boden.

Hinter mir stand ausgerechnet Elliot Lightcroft. Eine Milisekunde lang verlor ich mich diesen grünen Augen mit dem goldenen Funkeln. „Geht es dir gut, Lilly?", sagte er, die Stimme voller Sorge. Elliot wurde bald 14 Jahre alt, man sah es ihm aber nicht an. Er war einen halben Kopf größer als ich, breit und stark gebaut. Er hatte im Reservat immer trainiert, daran erinnerte ich mich noch gut. Sein entschlossener und ernster Blick fixierte mich noch einige Sekunden, dann seufzte er und verwuschelte sich seine goldblonden Haare, was er übrigens nur machte, wenn er nervös war. „Wenn du Hilfe mit deinen Kräften brauchst, dann zögere nicht, okay?", flüsterte er und ich bemerkte erst jetzt, als sein Gesicht nicht mehr weit von meinem entfernt war und ich die goldenen Sprenkel in seinen Augen sah, dass er so nah bei mir stand. Er räusperte sich und ich ging ein paar Schritte zurück. Schweigend setzten wir meinen Weg zur Lufthütte fort.

Ganz in Gedanken versunken, bemerkte ich fast nicht, wie er sich verabschiedete.

Ah, dort waren wir auch schon: Die Wasser-Hütte. Obwohl, Hütte war die Untertreibung des Jahrhunderts! Ein steinernes und großes Gebäude. Davor gab es einen kleineren Teich, in dem Fische umherschwammen.

Gerade saß ein Mädchen mit kurzen braunen Haaren auf den Stufen vor dem Haus und las ein Buch. Sie bemerkte nicht, wie El das Haus betrat und mir nochmal winkte, als ich vorbeiging, blickte sie jedoch kurz auf und lächelte.

Ich erinnerte mich noch gut an sie. Ich hatte Yara Jades vorhin beim Buffet kennengelernt, als wir beide in der Schlange anstanden. "Hi Yara!"

"Hallo Lily!", sie winkte mir zu, widmete sich aber dann weiterhin ihrem Buch.

Etwas weiter vom Wassergebäude stand das Gebäude, in das gerade Ecila, eine meiner Freundinnen reinging. Beim Wald, versteckt unter zwei großen Tannen. "Hey Lily!", rief sie. Ich grüßte sie zurück, bevor ich das Erde-Gebäude genau musterte.

Das Gebäude von Erde- Nein, es war kein Gebäude! Eine wunderschöne Höhle, gleich am Waldrand, bewachsen mit Pflanzen und Kristallen war das Haus der Erdwirker.

Wow, wunderschön.

Gleich beneidete ich Ecila, diese Höhle war so hübsch!

Ecila und ich kannten uns übrigens auch schon sehr lange. Genau wie Ri und Elliot lebte sie im New-Yorker Reservat und wir waren schon seit wir klein waren, beste Freundinnen. Ich freute mich, sie hier wiederzusehen, wir würden zusammen wahrscheinlich alle Schulregeln auf einmal brechen.

Obwohl... Dazu waren wir zu schüchtern. Klar, wir hatten im Reservat zusammen jede Regel mindestens zweimal gebrochen, aber keine von uns wollte hier weg und zurück ins Reservat, wo man uns wie Monster behandeln würde.

Ich bemerkte den kalten Wind hinter mir nicht, der mich schon die ganze Zeit verfolgte... Jedoch sah ich etwas anderes. Mein neues Zuhause!

Das Gebäude war weiß gestrichen und sah einladend aus. Einige echte Wolken umringten zwei mächtige Säulen und sahen dabei so fluffig aus wie Zuckerwatte. Ein gewundenes Symbol auf der Haupttür verkündete: Luft

Endlich! Musste mein Haus auch am weitesten vom Hauptplatz entfernt sein?

Neugierig betrat ich es durch eine große, weiß gestrichene Holztür.

Die Eingangshalle wirkte sauber und verlassen. Ich sah mich genau um. Es gab ein Regal mit ein paar Büchern, eine Matte, auf der schon einige Paare Schuhe standen, zwei große Zimmerpflanzen, einen funkelnden Kronleuchter und viele Spinde angeordnet in Reihen, mit immer fünf von ihnen. In einer waren vier von ihnen geschlossen, nur einer stand noch offen. Ich ging auf ihn zu.

Auf der Spindtür stand in goldenen Lettern: "Lily Rose Parker"

Drinnen fand ich zwei Schlüssel. Einen für mein Zimmer sowie einen, der für den Spind gedacht war. Außerdem lagen dort noch zwei Blätter. Eines, wo alle zehn Regeln noch mal abgedruckt waren. Die Letzte mit dem Haunted Forest war sogar fettgedruckt. Das schien Mrs. Brooks scheinbar wichtig zu sein....

Allein schon der Name dieses Waldes klang mysteriös.

Ich faltete das Papier, steckte es in meine Jackentasche und widmete mich dem nächsten Blatt. Dort war die Zimmerverteilung des Camps abgedruckt. Meine Mitbewohnerinnen hießen Nova Wild und Gwendolin Fall. Beide Namen klangen eigentlich ganz nett, ich hoffte, dass ich keine Zicken als Mitbewohnerinnen erwischt hatte. Außerdem wohnten auf meinem Stockwerk noch Charlie Windwhisperer und Nisha Atok, die sich ein Zweierzimmer teilten.

Nachdem ich den leeren Spind geschlossen hatte. (Ich hatte keine wirklichen Wertsachen, die ich dort hinlegen wollte), ging ich eine lange, hellgestrichene Wendeltreppe nach oben.

Das Haus Luft war in fünf Wohngruppen eingeteilt. Orkan, Windhauch, Brise, Wind und Wirbelsturm. Ich war in „Wirbelsturm". Diese bestanden wiederum aus circa fünf Mitgliedern. Jede Wohngruppe hatte ihr eigenes Stockwerk für sich mit je einem Gemeinschaftsraum.

Die ersten vier Stockwerke waren wie ausgestorben, ab und an hörte ich gedämpfte Stimmen.

Im obersten, dem fünften Stockwerk, in dem auch meine Wohngruppe, bestehend aus Gwendolin, Nova und mir, sowie Nisha und Charlie lag, hörte ich gerade ein lautes Lachen.

Zaghaft öffnete ich die erste Tür im Gang, die als "Gemeinschaftsraum" gekennzeichnet war.

Vier Augenpaare fixierten mich.

"Uhm, hallo?", sagte ich, wobei das eher wie eine Frage klang. Zuerst blieb es leise, dann redeten alle vier wild durcheinander. Das Durcheinander an Hallo's, Hi's und weiteren Begrüßungen verstummte plötzlich, dann kicherten alle los.

Dann reichte mir das großgewachsene Mädchen mit den lockigsten schwarzen Haaren, die ich je gesehen hatte, die Hand: „Nisha Atok. Freut mich dich kennenzulernen!"

Sie schien sehr nett zu sein.

Nach und nach stellten sich auch alle anderen vor. Da gab es Nova, die etwas kränklich aussah und eher schüchtern war. Gwendolin, die wie ein Wasserfall redete, weshalb ich mich gleich fragte, wieso sie nicht in Wasser war. Und natürlich auch Charlie. Der erste Eindruck von allen vieren wirkte gut. Sie waren wirklich nett und man konnte sich gut mit ihnen unterhalten. Mit Charlie redete ich über Harry Potter, Charlie liebte queere Ships wie zum Beispiel Jegulus. Und Charlie selbst war demi-omnisexuell und bevorzugte das Pronomen xiem. (Kleine Erinnerung nochmal)

Mit Gwen unterhielt ich mich darüber, dass Luftmagier häufig unterschätzt werden. „Ich finde das unerträglich! Wir können genauso mit einem Wirbelsturm Städte plattmachen, wie Erdelementare mit ihren Erdbeben und Wassermagier mit Überflutungen! Außerdem Prophezeiungen? Das ist doch die coolste Gabe überhaupt!" Ich kam nicht ganz mit, nickte aber höflich. Gwen war echt lieb, sie erinnerte mich irgendwie an so eine typische große Schwester, wie man sie aus Büchern und Filmen kennt. Mit Nova redete ich ein wenig über das Zeichnen, es stellte sich heraus, dass wir beide ähnliche Hobbys hatten.

Nisha hingegen erzählte mir von ihrem Haustier: „Sie heißt Scorpy, ich selbst bin Skorpion und ich liebe einfach mein Sternzeichen! Du musst Scorpy erst mal sehen!"

In der Überzeugung, eine Katze oder einen Hund zu sehen, folgte ich Nisha in das Bad, das sie sich mit Charlie teilte. „Sie ist gerne im Bad. Scorpyyyy! Scorpy-Schätzchen, komm zu Mama!"

Ein schwarzes Etwas glitt über den Boden. Zuerst dachte ich, es wäre eine Einbildung, doch dann realisierte ich, dass die schwarze Mamba auf dem Boden da echt war. Kurz vernebelte sich mein Blick. Ich sah eine Schlange, genau, Scorpy, auf mich zuspringen. Ich hatte in die Zukunft gesehen. Schnell wich ich Scorpy aus, die ins Leere sprang. „Oh, sie ist bei Fremden manchmal etwas aggressiv, sorry!", entschuldigte sich Nisha.

Ich nickte kurz und lief dann zurück in den gemütlichen Gemeinschaftsraum. Von Schlangen hatte ich erstmal genug...

Später im Bett sortierte ich meine Gedanken. Meine Kräfte, El, meine netten Mitbewohnerinnen, die in den blasslila Himmelbetten neben mir lagen.

Alles war so ungewohnt, dennoch schlief ich mit dem Gedanken ein, dass morgen Unterricht war. Wie würde es wohl werden?

Vor dem Fenster materialisierte sich der kalte Wind zu Elliot, der zuerst Probleme hatte, sich festzuhalten. Dann legte er eine Hand auf die Scheibe. Seine Kraft, Eis, besaß den Bonus, sich zu verwandeln, also hatte sie vorhin nichts gesehen. Jetzt lag Lily Rose im Bett ungeahnt von ihren Kräften...


-2000 Wörter-


Bilder zu diesem Kapitel:

-Der Gemeinschaftsraum-

-Der Luftflur-

-Der kleine Bach in der Nähe vom Wassergebäude-

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