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„Mir?", wiederholte ich irritiert. Mein Blick wanderte unstetig umher. „Wieso wie es mir geht? Ich war nicht diejenige, die im Krankenflügel lag."
„Lina, sieh mich an.", bat er und hob seine Hand zu meinem Gesicht.
Ich zuckte zurück. „Nicht!" Schnell kroch ich rückwärts, um den Abstand zwischen uns etwas zu vergrößern. Ich spürte das Feuer zwar nicht mehr, aber das musste nicht heißen, dass es vollständig erloschen war. Vielleicht hatte ich mich nur daran gewöhnt und er verbrannte sich die Haut, wenn er mich berührte.
Er ließ die Hand langsam wieder sinken. In seinem Gesicht stand die Enttäuschung für jeden ersichtlich geschrieben.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Ich bin sehr froh, dass es dir wieder gut geht! So fit sahst du lang nicht mehr aus. Musst du irgendwelche Fotos machen? Dann wäre heute die Gelegenheit!"
„Lina."
„Was denn?", fragte ich und gab mir Mühe ein natürlich klingendes Lachen zustande zu bringen. Ich musste Remus überzeugen, dass ich glücklich war, entspannt, ohne Schmerzen. Remus, aber auch meinen eigenen Körper.
„Hör auf damit, Lina!", schrie er mich an.
Sein Tonfall ließ mich ein wenig zusammenzucken. Er hatte in meiner Anwesenheit seine Stimme noch nie auf derartige Weise erhoben. „Womit soll ich aufhören?", fragte ich lächelnd und mit, hoffentlich, unschuldiger Miene.
„Hör auf zu lächeln, hör auch zu lachen!", forderte er. „Hör auf so zu tun, als würde es dir gut gehen und als wärst du glücklich, wenn du es nicht wirklich bist! Ich merke doch, dass du das nur vorspielst! Jeder ist mal schlecht drauf, da bildest du keine Ausnahme! Verdammt, Lina! Du darfst auch mal schlechte Laune haben!"
„Nein darf ich nicht!", schrie ich zurück und versuchte die Tränen zu unterdrücken. „Ich darf nicht einfach mal schlecht drauf sein! Ich muss immer gute Laune haben. Ich habe keine Wahl!" Ich wendete mich von ihm ab und griff nach meiner Kette, doch sie half nicht. In meiner Brust wütete ein Sturm. Schmerz, Angst, Wut, Enttäuschung, Trauer und Verzweiflung. „Verdammt!"
„Natürlich darfst du das!", widersprach er. „Du bist doch auch nur ein Mensch! Niemand kann 24 Stunden am Tag glücklich sein! Das geht nicht! Und Lina, ich kann nicht länger mitansehen, wie du alles in dich hineinfrisst! Lass es zu! Lass es einfach raus!"
Ein trockenes, wenn auch ehrliches, Lachen verließ meinen Mund. „Genau das habe ich die letzten Stunden getan!"
„Und wieso kannst du es jetzt nicht? Wieso kannst du es nicht, wenn jemand bei dir ist? Wenn ich bei dir bin?"
„Weil... Weil... Scheiße!", brüllte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
„Rede mit mir, Lina. Bitte."
Ein und aus. Ein und aus. Es wird alles gut. Beruhige dich. Du hast alles unter Kontrolle.
Es vergingen mehrere Minuten, in denen keiner von uns etwas sagte. Als es mir wieder besser ging, als ich das Gefühl hatte, dass ich es beherrschen konnte, setzte ich mich erneut, mit einem gewissen Sicherheitsabstand, neben Remus.
Er beobachtete mich bei jeder Bewegung. „Wie hast du das gemacht?"
„Was gemacht?"
„Was wohl?"
Ich runzelte die Stirn. „Was genau meinst du?"
„Du hast mich geheilt."
Es war keine Frage, aber ich wusste dennoch nicht, was ich darauf antworten sollte. Er hatte ja recht, keine Frage, aber woher bei Merlins Bart, wusste er es? Gonnie oder Poppy hatten ihm das bestimmt nicht erzählt.
„Du hast mich geheilt.", wiederholte er und sah mich aufmerksam an.
„Du bist ein Werwolf.", erwiderte ich und bereute es direkt wieder.
Er zuckte heftig zusammen. „Woher... Du hast Angst vor mir."
„Nein, habe ich nicht." Hatte ich wirklich nicht. Er war nicht ansatzweise so gefährlich wie ich selbst es war. Er war nur eine Nacht im Monat gefährlich und ich war das jeden einzelnen Tag.
Er streckte seinen Arm zu mir aus und ich zuckte zurück.
„Siehst du. Du hast Angst vor mir.", wiederholte er. „Ich darf dich nicht einmal anfassen und vor zwei Tagen hattest du noch kein Problem damit. Du hast Angst vor mir."
Ich lachte auf, was mir einen verwirrten Blick einbrachte. „Wieso lachst du? Ich finde das gar nicht komisch."
„Tut mir leid.", entschuldigte ich mich und versuchte das Lachen zu beenden. „Es ist nur tatsächlich echt witzig. Ich habe keine Angst vor dir, Remus. Dass ich dich nicht anfassen möchte, liegt nicht daran, dass ich Angst vor dir habe, sondern darum, dass du Angst vor mir haben solltest."
„Vor dir?", fragte er mit gerunzelter Stirn. „Warum sollte ich?"
„Weil ich gefährlich bin. Viel gefährlicher als du es bist.", fuhr ich fort und schaute ihm zum ersten Mal heute in die Augen. Das braun wirkte durch die noch immer tief stehende Sonne noch heller, fast golden. Erst wenn man genau hinsah, konnte man sehen, dass sie nicht nur braun waren, sondern an manchen Stellen grün wirkten. „Du solltest Angst vor mir haben. Du solltest große Angst vor mir habe. Ich für meinen Teil habe sie. Ich zumindest habe Angst vor mir und das sollte jeder haben."
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