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Ich holte Lily bald ein. Sie hatte zwar einen Vorsprung, aber ich war schneller.

Ich griff sie am Handgelenk und zog sie sofort in meine Arme. Sie akzeptierte es, ohne Widerstand und vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter.

Leise sprach ich auf sie ein, während ich ihr tröstend über den Rücken strich. Als sie aufhörte zu schluchzen, führte ich sie zu einer Mauer, auf die wir uns gemeinsam setzen konnten.

Vereinzelnd flossen noch immer Tränen aus ihren verquollenen Augen.

„Wie konnte er nur?"

Ich schluckte. Keine Ahnung, was ich ihr sagen sollte. Ich konnte es ja selbst nicht glauben. Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. „Ich weiß es nicht."

„Ich dachte... ich dachte... ich hielt ihn für meinen Freund."

„Ja, ich weiß...", murmelte ich und nahm ihre Hand in die meine. Das einzige Positive, was ich gerade erkennen konnte, war die Tatsache, dass ich selbst gerade wütend und traurig war. Ich hasste Snape für das, was er gesagt hatte, aber zur selben Zeit war ich unglaublich traurig, weil Lily traurig war. Ich hatte ihr Herz förmlich zerspringen sehen. Das Gute daran war aber, dass das Feuer und das Eis in mir entgegengesetzt arbeiteten und ich mir keine Sorgen über meine Kräfte machen musste. „Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, Lily."

„So ein Arsch!", stieß sie mit zitternder Stimme aus. Jemand der sie nicht kannte, würde annehmen, sie sei wütend, aber in Wahrheit war sie nur noch traurig.

„Ja.", stimmte ich ihr zu. „Lily, ich weiß, dass du das eigentlich weißt, aber nur um sicher zu gehen: Du bist eine wundervolle Hexe! Du bist eine der talentiertesten Hexen, die ich je getroffen habe! Du gehörst zu den Besten! Ganz gleich, ob deine Eltern Muggel sind! Ich hatte nebenbei bemerkt schon immer das Gefühl, dass diese Tatsache sogar den gegenteiligen Effekt hat. Ich glaube, dass muggelgeborene Zauberer sogar oft besser sind, weil sie alles lernen wollen. Für mich ist vieles davon selbstverständlich, aber ich bin mir sicher, dass du, als du nach Hogwarts gekommen bist, nach jedem Bisschen Magie gestrebt hast. Du wolltest alles lernen! Ist es nicht so gewesen?"

Sie nickte und schenkte mir sogar ein kleines Lächeln. „Das wollte ich wirklich! Ich hab die Hausaufgaben sogar gerne gemacht und jede Zusatzaufgabe gleich mit!"

„Siehst du!", rief ich lachend. „Für mich war es anders. Ich wusste immer, dass es Magie gab und ich wusste auch, dass ich lernen würde sie zu benutzen. Als ich dann zur Schule kam, war es zwar cool die Sachen zu können, aber ich war ziemlich faul. Ich wollte nicht mehr dafür tun als unbedingt notwendig. Es ist eine so veraltete Ansicht, dass reinblütige Zauberer besser sind, denn das sind sie ganz sicher nicht. Meine Eltern..." Ich schluckte. „Meine Eltern haben mich nicht zu einer besseren Hexe gemacht. Meine Eltern haben mich nicht einmal zu einem besseren Menschen gemacht. Meine Eltern..." Ich musste den Blick abwenden. „Weißt du, Lily, ich will nicht wirklich darüber reden, aber meine Eltern waren furchtbar. Albus hat mich aufgenommen, als sie weg waren, aber er hat in den letzten Jahren immer wieder gesagt, dass wenn er gewusst hätte, was meine Eltern für Menschen waren, dann hätte er mich viel früher da raus geholt..."

„Lina...", flüsterte sie und legte ihre Hand auf meine Schultern.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es geht jetzt nicht um mich und wie gesagt, ich will auch gar nicht darüber reden! Es ging mir nur darum, dass ich erklären wollte, dass meine Eltern zwar beide Zauberer waren, aber das ganz sicher nicht dazu geführt hat, dass ich auch nur im Entferntesten stolz auf sie sein kann. Deine Eltern sind Muggel, was sie absolut nicht minderwertig macht oder sonst etwas in der Art. Deine Eltern sind Muggel und fantastische Menschen, die dich aus tiefsten Herzen lieben. Du hast allen Grund dazu stolz auf sie zu sein und sie haben allen Grund, um auch stolz auf dich zu sein!"

„Wenn du... Wenn du mal darüber reden möchtest, dann..."

„Dann bist du für mich da.", beendete ich ihren Satz. „Ich weiß, Lily, aber ich will wirklich nicht darüber sprechen. Tatsächlich ist es für mich gar nicht so schlimm. Albus hat mehr Schwierigkeiten damit umzugehen als ich." Das stimmte wirklich. Es war wie er selbst gesagt hatte. Ich empfand nichts für meine Eltern. Ich konnte sie nie lieben, aber genauso wenig konnte ich sie hassen. Mir was es nicht möglich es auch nur in Gedanken zu formulieren, was ich fühlte, wenn es um die ersten Jahre meines Lebens ging. Ich hatte damals keine Gefühle und es fühlte sich, im Nachhinein betrachtet, seltsam an. Ich wusste, dass in diesen Erinnerungen etwas fehlte, aber ich konnte einfach nicht sagen was. Und danach konnte ich zwar plötzlich fühlen, aber es dauerte lange bis ich so fühlen konnte, dass ich die Gefühle auch erkennen konnte. Eine ganze weile war es einfach nur eine Lawine, die mich verschlang. 

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