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„Oh, was machst du denn hier?" Seine Mutter stand an der offenen Tür.

„Ist er da?"

„Ja, er ist oben. Er schläft."

„Kann ich trotzdem zu ihm?"

„Natürlich." Sie trat beiseite. „Er freut sich bestimmt dich zu sehen. So traurig wie er die letzten Tage war, dachte ich, ihr hättet euch getrennt..."

„Das... Das haben wir auch... In gewisser Weise..." Die Tränen drohten wieder zu kommen, auch wenn ich der Ansicht gewesen war, dass ich mich leergeweint hatte.

„Oh, das tut mir leid... Vielleicht kriegt ihr es ja wieder hin, wenn ihr miteinander sprecht..."

„Äh... Ich befürchte nicht, aber ich muss ihm das alles erklären..."

Sie schaute mir mit gerunzelter Stirn hinterher, als ich die Treppen hoch in sein Zimmer rannte.

Er lag wach in seinem Bett und starrte aus rot gequollenen Augen auf seine Zimmerdrecke.

„Hey..."

„Lina!" Ruckartig richtete er sich auf. „Du... Merlin! Du bist hier! Du lebst!"

Ich senkte den Blick. Mir steckte ein riesiger Kloß im Hals und meine Augen brannten.

Er sprang auf und nahm mich in den Arm. „Ich bin so froh, dass du hier bist. Was ist passiert? Du hast einen Weg gefunden! Ich wusste, dass du das schaffst!"

Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe das Opfer gebracht, nur hatte ich es falsch verstanden."

„Was? Wie meinst du das? Du lebst doch!"

„Die Prophezeiung war sehr deutlich formuliert, deswegen bin ich nicht auf die Idee gekommen, aber die meisten Prophezeiungen sind ja nicht wörtlich zu nehmen..." Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Ich musste mein Lebenselixier opfern und ich dachte, damit wäre mein Leben gemeint... Aber das war es nicht. Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich gewesen war als ich plötzlich im Wald aufwachte... Ich dachte ich würde sterben. Ich war bereit gewesen zu sterben. Aber das war nicht das Opfer, das gemeint gewesen war."

„Was war es dann?"

„Meine Kräfte." Meine Knie gaben nach, aber Remus starke Arme hinderten mich am Fallen. Mir war gleichzeitig heiß und kalt. Mein Inneres fühlte sich leer an, tot.

„Du... Oh, das tut mir leid... Aber immerhin lebst du."

„Ich wäre lieber tot als ohne meine Kräfte am Leben."

„Sag so etwas nicht!"

„Es ist die Wahrheit. Die Magie hat mich ausgemacht, Remus. Das war ich. Ich habe mein Leben geopfert, nur nicht im wörtlichen Sinne, aber die Magie war mein Leben im übertragenen Sinne. Ich, mein altes Ich, das Ich, das du kennst, ist tot. Ohne Magie bin ich ein ganz anderer Mensch. Sie hat mich zu dem gemacht, was ich war."

„Das stimmt nicht, Lina. Du bist immer noch du!"

„Nein, bin ich nicht.", widersprach ich und entwand mich seiner Umarmung. Stattdessen drehte ich ihm den Rücken zu. Ich konnte ihm dabei nicht ansehen. „Ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass ich am Leben bin, aber ich werde nicht bleiben. Ich werde gehen und nie wieder zurückkommen."

„Was?"

„Ich kann nicht hierbleiben."

„Wieso? Das macht doch gar keinen Sinn!" Ich spürte, wie er näher an mich herantrat. „Nur weil du deine Kräfte verloren hast, heißt das doch nicht, dass du gehen musst. Du bist hier zuhause. Ich liebe dich!"

„Ich liebe dich auch, Remus. Das werde ich immer, aber ich gehöre nicht mehr hierher. Ich bin keine Hexe mehr."

„Was? Oh... Du meinst... Ich dachte nur deine... Also..."

„Nein, ich kann nicht mehr zaubern. Ich habe nicht nur die Verbindung zu den Elementen verloren und auch nicht nur meine Fähigkeit zu heilen. Ich habe nicht einmal nur den Teil meiner Seele verloren, der mir ermöglicht mich in ein Tier zu verwandeln. Was schon schlimm genug wäre. Ich habe alle diese Fähigkeit verloren, aber auch meine Magie als Hexe. Ich kann nicht mehr zaubern. Auf keine Art. Ich bin keine Hexe mehr..."

„Aber... Lina, du gehörst trotzdem hier her!"

„Ich kann nicht. Das ist egoistisch von mir. Das weiß ich, aber ich kann nicht hierbleiben. Ich kann nicht zusehen, wie ihr alle Magie verwenden könnt und ich nicht. Ich ertrage es nicht in einer Welt mit Magie zu leben, wenn ich sie selbst nicht mehr spüren kann..."

„Wieso denn nicht? Meine Mutter kann auch nicht zaubern!"

„Es ist eine Sache, wenn du es nie konntest und etwas anderes, wenn du es verloren hast... Nichts fühlt sich mehr so an wie vorher, Remus. Ich bin im Wald aufgewacht und für einen Moment dachte ich, ich wäre tot. Ich konnte die Natur nicht mehr spüren. Wahrscheinlich kannst du das nicht nachvollziehen, aber meine ganze Welt hat sich verändert. Sonst konnte ich die Pflanzen spüren, ich konnte das Wasser spüren überall in der Luft und auch in den Körpern der Menschen. Ich kann es nicht einmal beschreiben, was ich fühlte. Es war ein Teil von mir. Ich war ein Teil von dem. Ein Teil von der Natur. Aber es ist noch mehr. Habe ich mal versucht zu erklären, wie ich die Temperatur gespürt habe? Ich glaube nicht... Du weißt, dass mir nie kalt oder warm war, aber ich konnte es auch nicht spüren. Deshalb habe ich immer gefragt, ob es von der Temperatur passt. Ich wusste nicht, wie es ist. Ich hatte nie Wärme oder Kälte gespürt. Das war mir vollkommen fremd. Wenn du mir eine Tasse mit kochendem Wasser gegeben hättest, hätte ich dir blind nicht sagen können, ob es warm oder kalt ist, weil ich es nicht spürte. Ich konnte nur die Magie spüren. Das Feuer und das Eis, aber auch kochendes Wasser ist nicht frei von Eismagie, weißt du? Wenn du mir zwei Tassen gegeben hättest, hätte ich dir sagen können, welche wärmer ist, aber nicht, ob du dich daran verbrannt hättest. Jetzt aber spüre ich Kälte und Wärme und, Merlin, das ist grauenhaft!"

Remus lachte kurz auf.

„Ich kann das nicht. Ich kann nicht hierbleiben. Ich gehöre nicht mehr in diese Welt."

„Willst du damit sagen, dass ein Squib kein Recht hat in der magischen Welt zu leben?"

„Ich bin kein Squib, Remus. Ich bin ein Muggel."

„Was? Nein! Wie kommst du darauf?"

„Ich erkannte den Wald sofort, wo ich aufgewacht bin. Das war ganz in der Nähe von Hogwarts, also bin ich dahingelaufen. Mir blieb ja auch keine andere Möglichkeit. Ich konnte nicht mehr zaubern und irgendwann stand ich vor einer Bruchbude. Ein wirklich baufälliges Gebäude. Ich dachte ich hätte mich verlaufen, dabei war ich mir so sicher, dass dort Hogwarts sein musste und dann begriff ich es. Es war Hogwarts, nur konnte ich es nicht mehr erkennen, weil mir jeder Funke Magie fehlte. Die Tarnzauber wirken nun auch auf mich. Ich bin keine Hexe mehr, ich bin auch keine Squib, ich haben jeden Funken Magie in mir verloren. Wirklich jeden. Selbst die meisten Muggel tragen mehr Magie in sich als ich. Bei mir ist nichts mehr." Ich trat ans Fenster. „Es ist egoistisch von mir, aber ich kann es nicht. Ich bin nicht in der Lage bei euch zu bleiben. Es tut mir auch leid, aber ich muss gehen. Ich werde niemals zurückkehren. Keinen von euch jemals wiedersehen. Ich wünsche euch ein wunderbares Leben und ich habe alles in meiner Macht stehende getan, um euch ein gutes Leben zu ermöglichen. Voldemort wird untergehen. Ich weiß nicht wann, aber es wird passieren."

„Lina."

„Es tut mir leid, Remus. Ich wollte... Vielleicht hätte ich nicht her kommen sollen... Ich dachte, es wäre besser, dass du weißt, dass ich lebe, aber vielleicht macht es das auch nur noch schlimmer für dich. Es tut mir leid, wirklich Remus, es tut mir leid, aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht."

„Lina, ich liebe dich! Bitte!" Ich hörte die Verzweiflung in seiner Stimme.

„Versteh mich doch, Remus..."

„Ich verstehe dich, aber..."

„Dann mach es mir nicht noch schwerer... Bitte, Remus. Es ist alles andere als leicht für mich, aber ich würde vollständig daran zerbrechen, wenn ich bleibe."

„Ich liebe dich Lina."

„Und ich liebe dich, Remus." Ich drehte mich zu ihm um.

Auch ihm flossen die Tränen über das Gesicht. „Darf ich dich ein letztes Mal küssen?"

„Natürlich."

Ich spürte wie mein Herz in tausend Stücke zerbrach, als wir uns lösten und ich das Haus verließ.

Ich würde nie zurückkehren.

Das war ein endgültiger Abschied.

Für immer. 

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