Kapitel 5

Rache ist süß. Das war momentan mein Motto und die Tönung in meinen Händen roch ebenfalls süß nach Pfirsichen. Ach, das würde ein Spaß werden.

Ich packte sie schnell in meinen Ranzen und verabschiedete meine Mutter, bevor ich das Haus verließ. Ich hatte Tyler die letzte Woche beobachtet und Pläne geschmiedet.

Heute war Dienstag und Tyler hatte in der ersten Stunde einen freiwilligen Sportkurs und soweit ich wusste, gingen sie danach immer alle duschen. Ich musste also nur abwarten.

Ich hatte eigentlich geplant, meine erste Stunde zu schwänzen, aber da sie ausfiel, war es sogar noch besser. Dann konnte ich wenigstens ohne schlechtes Gewissen meine Rache vollziehen.

Ich schlich mich also leise in die Umkleiden und nahm das Shampoo von Tyler aus seinem Rucksack. Ich leerte die Flasche etwas im Waschbecken aus und füllte die Tönung rein, die ein paar Haarwäschen halten sollte.

Er konnte froh sein, dass Emily mir geraten hatte keine richtige Farbe zu kaufen, sondern die Tönung zu nehmen, die in meinem Zimmer stand. Das Mädchen war ein Engel und trotzdem mochte sie mich und hatte mir geholfen, ein paar Ideen zu finden. Ein kleiner Teufel, der in einem Engel steckte.

Ich machte die Flasche wieder zu und verließ leise den Raum. Ich ging in die Abstellkammer, die außerhalb der Sporträume war und meistens abgeschlossen war und schaltete das Licht an. Emily hatte heute Morgen den Hausmeister abgelenkt und ich konnte mir in der Zeit die Schlüssel klauen.

Eine Stunde verging, in der ich die ganze Zeit an meinem Handy war und mit Emily schrieb. Sie war mir in einer Woche wirklich sympathisch geworden, irgendwie komisch, dass sie mich so akzeptierte, wie ich war. Aber ich war froh, dass ich ihr noch eine Chance gegeben hatte, denn bisher verstanden wir uns blendet. Vor allem überraschte es mich aber, dass sie das komplette Gegenteil von mir war und trotzdem dabei war, wenn ich irgendeinen Blödsinn plante. So ein Mädchen hatte ich noch nie kennen gelernt.

Nach einiger Zeit hörte ich, wie ein paar Jungs die Umkleide verließen und schaute durch das Guckloch. Ich wusste, wie viele Jungs sich in dem Sportkurs befanden, ich hatte extra nochmal nachgezählt und nachdem alle 13 Jungs draußen waren, bis auf Tyler, ging ich wieder leise aus der Abstellkammer und machte vorsichtig die Tür der Umkleide auf.

Keiner, außer Tyler, befand sich mehr hier und ich hörte, wie er das Wasser abstellte. Schnell nahm ich alle seine Sachen und lief aus der Umkleide raus. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass das wirklich funktionierte, aber wenn Tyler so lange duschen musste, dann war er selber schuld, dass keiner mehr auf seine Klamotten aufpassen konnte.

„Ey!", hörte ich jemanden rufen und ich fing an schneller zu laufen. Ein Grinsen machte sich in meinem ganzen Gesicht bemerkbar und meine Haare flogen in alle Richtungen.

Als ich endlich draußen war, kam Emily mir entgegen und sah mich ebenfalls grinsend an. „Jetzt wird's peinlich", murmelte ich und sah wie Tyler erbost aus der Umkleide kam.

Ich musste anfangen zu lachen und konnte mich kaum noch halten. Er stand mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt vor der Tür der Umkleiden und kam gerade auf uns zu, als wir in das Gebäude rannten.

„Madison! Ich mach dich fertig!", rief er und ich konnte nur lachen, während ich von ihm davon lief.

In der Cafeteria angekommen, setzte ich mich in die hinterste Ecke und wartete darauf, dass Tyler endlich kommen würde und all den Menschen seine schöne Haarfarbe präsentieren würde.

Und schon erschien ein leicht roter Kopf und Emily musste wieder anfangen zu lachen, doch sie war sicherlich nicht die einzige, denn hier wimmelte es nur von Schülern, die ihn teilweise schockiert, aber auch amüsiert ansahen. Für mich hätte es wirklich nicht besser ausgehen können. Der ganze Plan hatte perfekt funktioniert, auch wenn seine Haare nur ganz leicht rot waren. Schließlich hatte er die Tönung nicht einwirken lassen, sonst wäre es noch viel knalliger gewesen.

Tyler sah jedoch so aggressiv aus wie schon lange nicht mehr und ich wedelte mit seinen Sachen herum, damit er mich hinten in der Ecke bemerkte. Pure Schadenfreude floss durch meinen ganzen Körper und ließ mich ein tolles Gefühl der Genugtuung erleben.

„Na, Pumuckl, vermisst du etwas?" Emily gab mir ein High-Five und die Schüler konnten sich nicht mehr halten vor Lachen.

„Du Hexe! Gib mir sofort die Sachen wieder!" Er kam auf mich zu, doch ich lief schnell um die Tische herum, damit er sich noch ein bisschen mehr blamieren würde. Er lief mir hinterher, doch konnte mich mit einem Handtuch um die Hüfte niemals einholen. Ich war viel zu schnell.

„Wie gefällt dir eigentlich die Haarfarbe, Pumuckl?", fragte ich lachend und lief weiter durch die Cafeteria, während immer mehr Schüler auftauchten.

„Was für eine Haarfarbe?", wollte er verwundert wissen und ich gab Emily ein Zeichen, dass sie ihm einen Spiegel geben sollte.

Es gab keine Spiegel in der Jungs Umkleide und ich wusste, dass Tyler sich noch nicht gesehen hatte, sonst wäre er wohl nie nach draußen gegangen, so wie er jetzt aussah.

Tyler blieb rasend vor Emily stehen und riss ihr den kleinen Spiegel aus der Hand. Er schaute sich geschockt an, während ich nur frech grinste. Das war der beste Tag meines Lebens!

„Willst du mich verarschen? Rot?!"

Ich legte den Kopf schief und sah ihn gespielt traurig an. „Warum so sauer, Pumuckl?"

Er wollte wieder auf mich zulaufen, als ein Lehrer die Cafeteria betrat und uns alle verwirrt anschaute. „Was ist hier los?!", donnerte seine Stimme bis in die Ecken der Cafeteria.

Tyler ging sofort wutentbrannt auf ihn zu. „Madison hat mir die Haare rot gefärbt und mir meine Sachen geklaut!" Ich verdrehte die Augen. Petze.

„Das ist nur eine leichte Tönung, beruhig dich Pumuckl", gab ich grinsend von mir und sah auf seine Haare.

„Halt doch einfach deine blöde Fresse!", zischte er wütend.

Herr Mainer sah uns geschockt an. „Ihr kommt jetzt beide mit in mein Büro und die anderen gehen gefälligst zum Unterricht!"

Genervt lief Tyler hinter Herr Mainer her und ich grinste in mich hinein. Das würde niemals jemand auf der Schule vergessen und ich hatte endlich einen Namen für Tyler. Pumuckl.

Tyler ging sich noch schnell anziehen und betrat anschließend ebenfalls das Büro. Ich lehnte mich grinsend an den Stuhl gegenüber vom Direktor und sah Tylers rote Haare an, die mittlerweile schon trocken waren. Es sah einfach zu lustig an ihm aus, vor allem weil es größtenteils rote Flecken waren.

Ich hatte die Tönung tatsächlich noch von damals in meinem Zimmer stehen. Ich wollte mir mal die Haare rot färben, aber bevor ich es tun konnte, ging die Phase auch wieder vorbei und aus dem Grund bekam Tyler meine Tönung, die ich nie benutzt hatte. War ich nicht nett? Nur leider stand es ihm absolut gar nicht.

Nachdem wir rauskamen, hatte ich zwei Wochen Nachsitzen und Tyler eine Woche. Der Direktor würde ebenfalls bei unseren Eltern anrufen.

Lustig fand ich das Ganze schon, da Pumuckl mich nur beleidigt hatte, aber da die Lehrer so streng waren und er schon immer so viel Müll gebaut hatte, riefen sie trotzdem bei seinen Eltern an. Für mich war das nur ein Punkt mehr, warum ich diesen tollen Tag nicht mehr vergessen würde.

Meine Mutter würde es sicherlich nicht toll finden, aber das war mir egal. Ich würde ihr das noch erklären, schließlich hatte ich es nicht grundlos getan. Tyler hatte es einfach verdient und dabei war das nichts im Gegensatz dazu, was er gemacht hatte. Deswegen würde meine Mutter das schon verstehen.

Fluchtartig verließ Tyler den Raum und wollte gerade aus der Schule gehen, als ich ihm noch etwas hinterher rief. „Bye, Pumuckl."

Er blieb stehen und steuerte sofort auf mich zu. „Wag es nicht, mich so zu nennen, sonst wirst du das noch bereuen, Madison!", drohte er mir und ich verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Was willst du machen? Du hast mein Leben schon genug zerstört", meinte ich abwertend.

Tyler sah mich fragend an. „Was ist dein scheiß Problem? Seitdem wir auf der Schule sind, machst du doch mich fertig und nicht anders herum. Ich habe mich nur verteidigt, meine Fresse."

Er hatte sich nur verteidigt, natürlich.

„Dann überleg mal, wieso ich wohl so gemein zu dir bin", gab ich von mir und wollte wieder gehen, als Tyler mich am Arm festhielt und zu ihm zog.

„Madison." Tylers fragender Blick lag auf mir. „Warum hasst du mich so?"

Ich war sichtlich verwirrt über die Frage. Er musste sich doch daran erinnern. Dass wir Freunde waren, dass alles immer gut war. Doch dann mussten wir ausziehen und das nur wegen Tylers Vater. Dass Tyler damals sogar die Idee hatte. Dass er uns die Heimat genommen hatte. Und dass mein Vater daraufhin gestorben war.

Umso schlimmer fand ich es, dass er sich nicht daran erinnerte. Wahrscheinlich war es unbedeutend für ihn und er hatte es vergessen. Wie konnte er nur vergessen, was passiert war?

„Wie kannst du sowas vergessen?", fragte ich ihn und er zog mich näher an ihn heran. Seine Augen spiegelte etwas wider, was ich nicht entziffern konnte. Doch ich riss mich wieder aus seinen Armen und funkelte ihn böse an.

Tyler schien verwirrt zu sein und wollte offensichtlich gerade etwas sagen, als ich mich wieder auf den Weg zum Klassenraum begab und ihn einfach stehen ließ.

Die Rache war noch lange nicht zu Ende. Selbst wenn er sich entschuldigen würde, es war schon lange zu spät.

***

Ich machte mich gerade auf den Weg zum Nachsitzen, als Emily mir entgegen kam. „Nur noch eine Stunde, dann haben wir endlich frei", erwähnte sie und ging neben mir her.

„Hast du jetzt nicht eigentlich schon frei?" Verwirrt sah ich sie an und sie schüttelte ihren Kopf.

„Ich bin zum Direktor gegangen und habe gesagt, dass das auch meine Schuld war. Ich kann dich doch nicht alleine lassen." Grinsend sah sie mich an und ich lächelte. Sie war wirklich ein Engel.

„Das wäre nicht nötig gewesen."

Sie winkte nur mit ihrer Hand ab. „Ich wollte sowieso im Reinen mit mir selbst sein."

Wie konnte ein Mensch so nett sein? War ich denn wirklich die richtige Freundin für sie? Sollte sie nicht lieber bei den Leuten sein, die genauso nett wie sie waren? Die Emily nicht in irgendein Chaos mit reinziehen würden.

„Emily, ich glaube nicht, dass ich der richtige Umgang für dich bin", setzte ich an. „Du bist viel zu nett."

„Genau wie du." Lächelnd setzte sie sich auf einen Platz und ich ließ mich neben sie fallen.

„Was? Ich soll nett sein?" Wieso dachte sie sowas?

„Weißt du, die Bäckerin neben unserem Haus ist mir richtig sympathisch. Und dazu quatscht sie auch noch gerne." Amüsiert betrachtete Emily mich.

Meine Augen weiteten sich. Verdammt, Ella! Hatte sie etwas ausgeplaudert?

„Sie hat uns schon öfter zusammen gesehen und mir dann erzählt, wie du früher warst. Wie herzlich und nett du zu jedem warst." Sie musste das auch echt jedem erzählen.

„Menschen verändern sich nun mal." Ich zuckte mit den Schultern und sah zur Tür, wo Tyler hereinkam.

Ich musste mir keine Sorgen um Emily machen, denn Ella würde niemals jemandem erzählen, was passiert war. Vielleicht erzählte sie, wie ich früher war, aber sie wollte die Menschen nur an die guten alten Zeiten erinnern und niemals an die schlechten. Das war eine Eigenschaft, die ich schon immer an Ella geliebt hatte.

Der Lehrer betrat ebenfalls den Raum und schickte mich sofort zu einem anderen Tisch. Tyler saß am Tisch gegenüber von mir und starrte mich an. Was war sein scheiß Problem? Konnte er mich nicht endlich in Ruhe lassen?

Ich legte meinen Kopf auf meine Hände ab, doch der Lehrer ermahnte mich sofort. Genervt stöhnte ich auf und starrte auf meinen Tisch.

Ich hasste diese verdammte Schule.

Die ganze Zeit spürte ich Tylers Blick auf mir und wäre am liebsten auf ihn losgegangen. Und genau bei dem Gedanken erschien mir sofort eine neue Idee. Oh, ich war ein Genie. Grinsend sah ich ihn an und erntete nur einen fragenden Blick. Pumuckl konnte sich auf was gefasst machen.

Als das Nachsitzen endlich vorbei war, ging ich mit schnellen Schritten aus der Klasse und wartete gar nicht mehr auf Emily. Ich wollte nicht, dass sie mich fragte, warum ich so geworden war.

Auf dem Parkplatz hielt mich jemand am Arm fest und ich dachte, es wäre schon wieder Tyler, doch es war Emily. Ich seufzte nur, riss mich aus ihrem Griff und ging davon. Da sie im gleichen Haus wohnte, wie ich, ging sie mir hinterher.

„Madison, warte doch!", rief sie und ich stöhnte genervt auf.

„Emily, nur weil wir uns einigermaßen gut verstehen, muss ich nicht jeden Tag mit dir nach Hause gehen, damit du mich mit Fragen löchern kannst."

Verwirrt sah ich sie neben mir hergehen. „Ich wollte dich aber gar nichts fragen."

Ich blieb abrupt stehen und neigte verwirrt meinen Kopf zur Seite. „Wolltest du nicht?"

Sie schüttelte lächelnd ihren Kopf. Gott, sie lachte echt viel zu viel. „Nein, wenn du etwas sagen willst, dann kommst du schon von selbst auf mich zu. Ich weiß mittlerweile, wie du tickst."

Überrascht sah ich sie an und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. War sie denn kein bisschen neugierig, warum Ella ihr nicht erzählt hatte, wieso ich jetzt so war, sondern nur darüber geredet hatte, dass ich früher total anders war? Wahrscheinlich war sie einfach viel zu nett und wollte nicht hinterfragen.

„Danke", erwiderte ich und setzte meinen Weg mit ihr nach Hause fort.

Wer hätte das gedacht? Jemand, der mich so akzeptierte, wie ich war und nicht wissen wollte, warum ich so war. Genau solch einen Menschen wollte ich schon immer kennen lernen. Jemand, den die Vergangenheit nicht interessierte, da die Person wusste, dass sie nicht schön war.

Offensichtlich wollte Emily nicht, dass ich daran dachte, doch es war schwieriger als gedacht, denn jeden Tag, wenn ich die Tür aufmachte, roch ich nicht mehr das Parfüm von meinem Vater, das ich in unserer alten Wohnung immer gerochen hatte, und das erinnerte mich jedes Mal aufs Neue an ihn. Irgendwie komisch.

An manchen Tagen dachte ich gar nicht mehr darüber nach, aber es gab immer noch Tage, an denen es die Hölle war und ich sofort Tränen bekam, wenn ich nur die Wohnung betrat. Umso glücklicher war ich, dass meine Mutter dann nicht da war und mich nicht so sehen musste.

***

Als es mittlerweile schon dunkel draußen war, kam meine Mutter nach Hause und begrüßte mich wieder herzlich. Da ich ihr noch was zu beichten hatte, tat ich es lieber sofort.

„Mom, ich muss dir was erzählen." Ich schlenderte zu ihr in die Küche und sie setzte sich hin.

„Was ist los, Schatz?" Fragend sah sie mich an und ich erzählte ihr, was passiert war.

Sie konnte Tylers Familie auch noch nie ausstehen, deswegen war sie nicht so wütend, wie ich es erwartet hätte. „Du hättest dich lieber an Tylers Vater und nicht an ihm rächen sollen", kicherte sie und nahm mich in den Arm.

Besser gesagt, sie war gar nicht wütend.

Das Telefon klingelte Sekunden später und meine Mutter löste sich aus der Umarmung. Das war wahrscheinlich der Direktor, der mit meiner Mom reden wollte. Ich hatte ihm extra gesagt, dass meine Mutter später von der Arbeit nach Hause kommen würde.

Sie nahm den Hörer ab und erklärte dem Direktor, dass ich ihr schon alles erzählt hätte und trotzdem wiederholte er das ganze Szenario noch mal für sie. Wahrscheinlich, weil er mir nicht vertraute.

„Klar, Madison wird definitiv Ärger dafür bekommen. Dann bedanke ich mich für den Anruf und einen schönen Abend noch, tschüss", verabschiedete meine Mutter sich, bevor sie auflegte und mich seufzend ansah. „Was für ein Spießer", bemerkte sie und rollte mit den Augen.

Ich fing an zu lachen und nahm sie in den Arm. „Du bist die Beste, Mom."

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