Kapitel 1
Madisons Sicht
„Wieso will das nicht in meinen Kopf?!" Frustriert schlug ich mir gegen den Schädel und hoffte, dass sich die blöden Französisch-Vokabeln endlich einpflanzten. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich beherrschte jedes verfluchte Fach perfekt, aber ausgerechnet kein Französisch? Meine Güte.
Was hatte diese Sprache bloß an sich, dass ich sie nicht verstehen konnte? Früher hatte ich immer gedacht, dass sie viel einfacher wäre. Okay, zugegebenermaßen hatte ich früher als Kind auch nur Baguette verstanden und somit direkt geschlussfolgert, dass alles an der Sprache so einfach zu verstehen wäre. Da hatte ich mich allerdings gewaltig getäuscht.
„Was ist denn hier los?" Meine Mutter stürmte mit dem Kochlöffel ins Zimmer und sah mich verwirrt an. Wow, da war jemand ganz sicher nicht auf Einbrecher gewappnet. „Hast du so geschrien?"
Ich verdrehte meine Augen. Die Frage war so unnötig, da die Antwort doch wohl auf der Hand lag. Oder erwartete sie etwa, dass ich jemanden im Schrank versteckte?
„Nein, Mom, meine imaginäre Freundin hat so geschrien", gab ich ironisch von mir und sie grinste mich mit ihren blauen Augen fröhlich an. Was gab es denn da noch zu grinsen?
„Früher hattest du wirklich so eine."
Ich seufzte. Warum musste sie mich nur daran erinnern, was für ein komisches Kind ich früher war? Mag zwar sein, dass einige mich heutzutage immer noch komisch fanden, aber immerhin redete ich nun nicht mehr mit Personen, die nicht existierten. Ich persönlich würde das einfach mal als Steigerung betrachten.
„Mittlerweile bin ich aber aus dem Alter raus, findest du nicht?", erwiderte ich und versuchte mich wieder auf die Vokabeln zu konzentrieren. Wenn ich mich so leicht ablenken ließ, dann war es kein Wunder, dass ich eine Niete in Französisch war.
„Ja mittlerweile solltest du echte Freunde haben", redete sie weiter und als ich meinen Blick wieder hob, stemmte sie ihre Hände in die Hüften. Das durfte doch wohl nicht wahr sein.
„Freu' dich doch lieber, dass ich keine Verbrecherin bin, oder schlimmeres. Ich habe einfach keine Freunde, ja und? Was ist schon dabei?" Ich konnte nicht begreifen, warum meine Mutter mich jedes Mal deswegen nerven musste.
„Dir könnte etwas Gesellschaft nicht schaden", erwiderte sie ehrlich und gab mir wieder einmal zu verstehen, dass sie meine Ansichten einfach nicht nachvollziehen konnte. Jedenfalls nicht bei diesem Thema. Meine Mutter mochte es schon immer, wenn viele Menschen um sie herum waren und wünschte sich, dass es mir ähnlich ergehen würde. Aber so war es nun mal nicht.
Ich klappte genervt mein Französisch-Buch zu und stand auf. „Warum kannst du nicht verstehen, dass ich gerne alleine bin?", stellte ich ihr die Frage, ohne auf ihre Antwort abzuwarten. Stattdessen stürmte ich enttäuscht an ihr vorbei, aus meinem Zimmer heraus und verließ die Wohnung. Ich musste jetzt meine Ruhe haben.
Ich wollte keinen an mich heranlassen, warum konnte meine Mutter das nicht verstehen? Manchmal wünschte ich mir, dass mein Vater immer noch hier wäre. Er hatte mir immer bei allem geholfen und seitdem er weg war, hatte ich mich verändert. Ich wollte mich nur noch von jedem abschotten und mit niemandem etwas zu tun haben. Denn wer gab mir die Sicherheit, dass diese Menschen nicht auch jede Sekunde ums Leben kommen konnten? Ganz genau, niemand. Mag sein, dass ich feige war. Dass ich mich hinter Mauern in meinem Zimmer versteckte und das Leben an mir vorbeizog. Aber ich war nicht bereit für sowas. Ich konnte es nicht. Und lieber war ich feige, anstatt wieder mit gebrochenem Herzen in meinem Zimmer zu sitzen, weil ein weiterer Mensch mein Leben verlassen hatte. Nein, das wollte ich wirklich nicht.
Am Anfang, als mein Vater gestorben war, kam ich kaum zurecht. Manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, an meinen Tränen zu ersticken, obwohl ich so dringend leben wollte. Ich hatte Angst zu weinen, Angst darüber nachzudenken, Angst neue Menschen kennenzulernen, sogar Angst davor, mein Bett zu verlassen, weil jeden Moment etwas passieren konnte. Ich hatte Angst um das Leben meiner Mutter. Ich wollte nur noch zu Hause sitzen und so viel Sicherheit wie möglich haben. Ich hatte Angst vor allem, aber am meisten hatte ich Angst vor dem Leben. Davor, was es mit mir anstellen würde. Ob ich auch so enden würde wie mein Vater. Ob meine Mutter mich auch so früh verlassen würde.
Seitdem hatte ich mir geschworen, nie wieder jemanden an mich ranzulassen, jedenfalls nicht so sehr, dass ich der Person alles erzählen würde, oder dass ich wieder abhängig von jemandem wäre. Oh nein, das wäre mein schlimmster Albtraum. Ich wollte von niemandem abhängig sein, aber manchmal fragte ich mich, ob das auf dieser Welt überhaupt möglich war.
Man war so unfassbar abhängig von den Eltern und für einige Jahre war das natürlich toll. Man hatte eine Heimat, wusste, wo man Liebe finden konnte. Aber keiner sagte einem, was passieren würde, sobald diese Heimat einmal anfing zu bröckeln. Man zerbrach innerlich, so sehr.
Mein Herz hatte jeden Tag so viel geweint und so laut gegen meine Brust randaliert, dass ich es selber kaum fassen konnte. Jeden Tag ertranken meine Sommersprossen in dem salzigen See, den ich nicht zurückhalten konnte, obwohl ich es so oft versucht hatte. Jeden Tag hatte ich rote Augen gehabt. Jeden verdammten Tag konnte ich kaum atmen, weil ich so viel geweint hatte. Es war, als wäre der Schmerz in den Vordergrund gerückt und das Atmen wäre nur noch an zweiter Stelle gewesen. Und ich habe Angst, diese Abhängigkeit und Trauer ein weiteres Mal zu spüren.
Doch selbst wenn man keine solch enge Familie hatte, dann gab es eben Freunde auf der Schule und auch von denen war man teilweise abhängig. Freunde begleiteten einen jedoch länger als die Eltern. Wahrscheinlich bis man mit Falten und leicht zerbrechlichen Knochen im Rollstuhl saß. Jedenfalls, wenn man Glück hatte. Und dann wären wir wieder bei dem Thema. Niemand konnte mir versichern, dass Freunde bei einem blieben. Niemand auf dieser verdammten Welt konnte auch nur irgendwas vorhersehen und doch liefen sie alle herum, mit der Sicherheit, dass ihr Leben morgen nicht zu Ende sein könnte. Aber niemand gab ihnen die Sicherheit. Sie hatten nur noch nicht genug darüber nachgedacht. Oder sie waren mutig. So verdammt mutig, dass selbst der Gedanke daran mir wieder eine Heidenangst einjagte.
Ich wusste noch genau, wann ich angefangen hatte, so zu denken. Mein Vater war gestorben, als ich in der achten Klasse war. Seitdem hatte es angefangen. Und er hatte nie mitbekommen, wie ich auf die High School ging, was schon immer sein Traum gewesen war. Er wollte immer, dass ich eine tolle Zukunft haben würde und freute sich schon mehr auf die High School und das College als ich.
Früher war ich tatsächlich wie mein Vater, lieb, herzlich, abenteuerlustig und humorvoll. Manchmal vermisste ich mein altes Ich, aber ich konnte nichts daran ändern. Vielleicht wollte ich auch nichts ändern. Aber egal, welcher Aspekt es nun war, ich würde nicht mehr so sein, wie ich früher war. Niemals wieder.
Ich setzte mich auf die kleine Holzbank in dem Park, den ich immer besuchte, und lehnte mich kurz zurück. Die Blätter an den Bäumen flatterten herum, einige von ihnen fielen herunter, suchten sich auf dem Boden ein neues Leben und flogen schnell davon, weil das Leben doch viel zu kurz war, um nicht nach etwas Neuem zu schauen. Sie wussten, wie begrenzt ihre Zeit war und vergeudeten sie nicht, so wie ich es tat.
Mein Blick ging, wie von selbst, nach oben und ich fing wieder einmal an, diesen wunderschönen Himmel zu bestaunen. Die Wolken tanzten um die Farben herum, die die Sonne uns als Abschied dagelassen hatte und freuten sich, dass ein weiterer Tag sein Ende fand. Früher hatte ich mir immer Sonnenuntergänge mit meinem Vater angeschaut, ich hatte es geliebt und das tat ich immer noch.
Wenn ich von etwas fasziniert war, dann war es der Himmel. Ich fragte mich immer, wie viele Sterne es wohl gab, die versuchten mir zuzuwinken und wer wohl im gleichen Augenblick auch in den Himmel schaute. Was den Himmel betraf, hatte ich eine Einstellung wie eine Neunjährige, aber hatte nicht jeder noch eine kindliche Seite an sich? Und diese kindliche Seite war eine Seite, auf die ich mächtig stolz war, denn sie erinnerte mich jedes Mal an meinen Papa.
Als ich plötzlich spürte, wie etwas Hartes meine Bauchgegend berührte, beugte ich mich sofort nach vorne und verzog schmerzverzerrt das Gesicht.
„Verdammt!", schrie ich auf und schaute auf den Basketball, der vor mir lag. Welcher Idiot hatte sich getraut mich abzuschießen? Na warte!
Ich sah rauf und konnte erkennen, wie jemand von dem Sportplatz in meine Richtung lief. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich Tyler. Super, er hatte mir ja noch nicht genug mein Leben versaut.
Er kam auf mich zu und wollte sich gerade den Ball nehmen, als ich mich schnell bückte und ihm den Basketball wegschnappte.
„Wer war das?!", zischte ich gefrustet und sah ihn abwartend an.
„Dreimal darfst du raten." Er verdrehte seine Augen und wollte den Ball wieder aus meiner Hand nehmen, als ich sie schnell wegzog. Vollidiot.
„Wo ist die Entschuldigung, du Arschloch?"
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. „Da esse ich lieber meine Haare."
Das konnte ja noch interessant werden. „Ich warte." Zu gerne würde ich das sehen.
Er schnaubte und sah mich mit verächtlichem Blick an. „Du hast sie ja nicht mehr alle!"
Wutentbrannt stand ich von der Bank auf. „Ich hab sie also nicht mehr alle? Du hast mich doch mit dem blöden Ball abgeworfen und dich nicht mal entschuldigt. Wie schlecht musst du eigentlich sein, dass du nicht treffen kannst?!"
Ich überlegte kurz und mir kam sofort ein Gedanke in den Kopf. „Wenn du wieder zurückgehst, dann werfe ich dir den Ball zu und dann kannst du von der Meisterin persönlich lernen. Ich verfehle nie mein Ziel." Er grinste. Oh, wenn du nur wüsstest.
„Schaffst du es überhaupt, bis nach dahinten zu werfen?", gab er spöttisch von sich.
Ich nahm den Basketball, ließ ihn einmal auf dem Boden aufschlagen und nahm ihn wieder in meine Hand. „Lass dich überraschen."
Mit dem Rücken zu mir gedreht ging er auf seine Freunde zu, die uns verwirrt anschauten. Na bitte, darauf hatte ich gewartet. Ich nahm den Basketball und warf ihn so feste, wie ich noch nie etwas in meinem Leben geworfen hatte.
Natürlich war ich fest auf mein Ziel fixiert, Tyler. Gerade, als er sich umgedreht hatte, flog der Ball genau zwischen seine Beine und ließ mich vor Glück aufspringen. Mein Plan hatte tatsächlich funktioniert.
Er bückte sich, so wie ich es vorhin musste, und fiel vor Schmerzen um. „Bist du bescheuert?!", hörte ich ihn rufen.
„Ich habe doch gesagt, dass ich niemals das Ziel verfehle. Leg' dich nicht mit mir an", lachte ich und machte mich dann wieder aus dem Staub.
Egal, wie eiskalt ich war, man konnte sich schneller an mir verbrennen, als manche dachten.
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Hey und herzlich Willkommen ❤🙈
Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen 😌
Ich entschuldige mich schon mal dafür, falls Rechtschreib- oder Logikfehler auftauchen sollten. Ich versuche es so gut, wie möglich zu vermeiden 😇
-Laura 🌸
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