3. Kapitel
Nun war sie verheiratet.
Flora konnte es immer noch nicht fassen. Es war so schnell gegangen. Sie hatte mit etwas anderem gerechnet, aber nicht mit so einer schlichten Zeremonie, die in ihren Augen doch sehr kurz gewesen war. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber wenn Raica hier gewesen wäre, hätte sie bestimmt beleidigt reagiert.
Es war wirklich sehr schnell vonstatten gegangen.
Sie sollte doch nur Eiriks Vater vorgestellt werden, aber nun war sie tatsächlich mit Eirik, dem schwarzen Teufel, verheiratet.
Flora konnte sich nur noch vage daran erinnern, was geschehen war. Die Ereignisse waren über sie hereingebrochen wie eine Lawine.
Eirik hatte sie in das Langhaus gezerrt und seinem Vater vorgestellt. Kaum hatte sie sich von den Eindrücken erholt, hatte sie nur noch die Worte Heirat und Sofort vernommen und Eirik hatte ihr einen Ring an den Finger gesteckt. Es wurde lautstark verkündet, dass sie nun verheiratet waren und die Männer hatten angefangen zu feiern.
Mehr war offenbar nicht von Nöten, um sie mit dem Mann zu verheiraten, der sie eigentlich gar nicht wollte.
Dann wurde sie neben Eirik gesetzt und sie musste mit ihm von einem Essbrett essen.
An den Rest erinnerte sie sich so gut wie nicht mehr. Sie war wie erstarrt neben Eirik gesessen und hatte keinen Bissen hinunter bekommen. Immer wieder wurden Segensprüche laut, die sie aber nicht verstand. Ihr neuer Ehemann hatte ein Trinkhorn nach dem anderen geleert, aber sie nicht einmal angesprochen. Als das Essen fertig war, wurde sie von einer Horde Frauen in eine Hütte gebracht. Man hatte ihr erklärt, dass es nun ihr neues Heim war.
Nun saß sie auf ihrer Truhe in Eiriks Hütte und sollte auf ihn warten.
Und das tat sie. Schon eine geraume Zeit. Sie wusste genau, dass Raica auch das nicht gebilligt hätte, aber sie, Flora, traute sich nicht etwas zu sagen.
Sie war sehr müde. Die Reise und die vielen Eindrücke machten ihr nun zu schaffen. Allerdings wollte sie sich nicht auf das Lager legen. Es war nicht ihr Lager, sondern seines. Sie hatte kein Recht darauf.
Sie stand langsam auf und lief langsam durch die Hütte. Irgendwie musste sie sich beschäftigen.
Viel war nicht in den zwei Räumen. Der Wohnraum hatte einen Kamin mit einer Kochstelle. Es gab nur einen Tisch mit zwei Hockern, die alle schon bessere Tage gesehen hatten.
An den Wänden und über ihr hingen Eiriks Waffen, was sie nicht gerade gemütlich fand. Aber sie würde nichts dazu sagen. Es stand ihr nicht zu.
Der Schlafraum, in dem sie eine Weile gewartet hatte, war genauso einfach eingerichtet. Es standen zwei Truhen darin und eben das Felllager. Ihre Truhen waren noch nicht hier. Aber sie legte keinen besonderen Wert auf die ganzen feinen Kleider. Sie hatte gesehen, wie schlicht sich die Frauen der Wikinger angezogen hatten. Sie würde nur auffallen. Vielleicht konnte man die Kleider eintauschen. Das käme Flora sinnvoller vor.
Wieder seufzte sie. Seine Kleidung lag neben der Truhe. Sie waren blutverschmiert und teilweise zerrissen.
Bevor sie danach greifen konnte, wurde die Tür aufgerissen und drei Wikinger kamen in die Hütte gestürzt. Eirik war in der Mitte und wurde von den anderen gestützt. Er war sturzbetrunken. Breitbeinig stand er nun vor ihr. Sein Mund war zu einer Grimasse verzogen und er sah sie herablassend an.
„Da! Seht sie euch an. Meine Braut. Meine schüchterne Braut! Warum bestraft mich mein Vater nur?", lallte er.
Die anderen zwei, die noch vor einigen Momenten noch gelacht hatten, schwiegen betreten. Die ganze Situation war ihnen unangenehm.
Flora schloss kurz die Augen und zeigte in den Schlafraum.
„Legt ihn auf sein Lager. Ich kümmere mich um ihn!"
Die Männer legten ihn auf das Felllager und verließen die beiden so schnell wie möglich.
Flora sah den Mann an, der nun ihr Ehemann war. Er lag, alle viere von sich gestreckt auf dem Felllager und starrte sie böse an.
„Sieh dich an. Du hast Angst vor mir! Ich will keine Frau, die sich vor mir fürchtet."
Sie nickte leicht.
Das war ihr bewusst. Langsam näherte sie sich ihm und kniete sich vor ihn hin. Sie löste die Lederriemen und befreite ihn von seiner Lederhose.
„Warum machst du das?"
Sie hob ihren Kopf und sah ihn an.
Er hatte einen Arm auf sein Gesicht gelegt. Er klang schläfrig.
„Ich will nicht, dass ihr unbequem liegt."
Er lachte laut auf.
„Als ob dich das interessieren würde. Es geht dich auch nichts an. Ich will keine Frau. Ich will keine Sachsenfrau, die sich vor mir fürchtet. Ich wollte dich nicht!"
Sie faltete die Hose zusammen und legte sie auf die Truhe.
Eirik lamentierte weiter, aber man merkte, das er immer schläfriger wurde. Flora legte seine Hose ordentlich auf die Truhe.
„Ich wollte keine Frau! Ich wollte dich nicht!"
Sie seufzte, drehte sich aber nicht zu ihm um.
„Das weiß ich, Herr! Niemand will mich!", erwiderte sie so leise wie möglich.
Eirik wachte sehr früh auf. Sein Schädel brummte.
Bei den Göttern, so viel trank er eigentlich nie.
Er hatte keine Ahnung, was geschehen war, nachdem er vom Langhaus in seine Hütte geschleift worden war. Eirik wurde bewusst, dass er verheiratet war, doch als er sich umdrehte, lag keine Frau neben ihm.
Langsam hob er seinen Oberkörper und stützte sich auf die Ellbogen. Er war ausgezogen worden, bis auf die Bruche. Dunkel erinnerte er sich daran, dass ihn Raica aus seinen Sachen geholfen hatte, während er sie beschimpft hatte.
Dann war er eingeschlafen. Das glaubte er zumindest.
Wo war sie?
Er ließ seinen Blick durch die Kammer gleiten. Ein Fellberg erregte seine Aufmerksamkeit.
Lag dort Raica?
Auf dem Boden?
Bei den Göttern, wie sehr hatte er sie denn beschimpft, dass sie nicht einmal in seiner Nähe schlafen wollte?
Er versuchte sich zu erinnern, was er zu ihr gesagt hatte und verzog dann das Gesicht.
Verflucht, es waren keine nette Worte gewesen.
Doch dann kam ihn ein anderer Satz in den Sinn, den sie gesagt hatte.
Niemand will mich!
Er wischte sich fahrig über das Gesicht und verfluchte sich. Er musste zugeben, dass er keine Ahnung von seiner Frau hatte. Vielleicht war sie doch keine so verwöhnte Sachsenfrau, wie er immer angenommen hatte.
Vorsichtig nahm er sie in seine Arme und trug sie auf das Lager. Sie murmelte irgendetwas undeutliches, schlief dann aber weiter.
Er nahm seine Kleidung, die ordentlich gefaltet auf der Truhe lag und verließ das Schlafgemach.
Im Wohnbereich blieb er erst einmal erstaunt stehen.
Was war denn hier geschehen?
Er wusste genau, dass es am Tag vorher noch nicht so ausgesehen hatte. Alles war ordentlich und sauber. Der Kessel an der Feuerstelle war geschrubbt worden und nun dampfte heißes Wasser darin.
Auf dem Tisch war eine Waschschüssel und es lagen ein Handtuch bereit, sowie ein Krug mit kaltem Wasser.
Das schiefe Regal an der Wand, dass er schon lange hatte gerade hängen wollen, hing nun an seinem richtigen Platz. Außerdem war das Essgeschirr dort aufbewahrt. Seine verdreckten Klamotten waren zum Einweichen in einem kleinen Zuber gelegt worden.
Er schaute noch einmal zu der Feuerstelle und sah, dass sie sogar einen kleinen Topf mit Hafergrütze angesetzt hatte.
Es war alles sauber und ordentlich. Nur seine Waffen hatte sie nicht angerührt.
Nun bekam Eirik erst Recht ein schlechtes Gewissen. Sie musste die ganze Nacht die Hütte geputzt haben. Und das nachdem er sie beschimpft hatte.
Eirik wusch sich und hängte die Handtücher auf die Stange, die Raica über der Feuerstelle angebracht hatte. Dann aß er etwas Hafergrütze und spülte danach die Schüssel grob ab.
Irgendwie wollte er hier nichts unsauber hinterlassen.
Doch als er sich anzog kam die ganze Wut wieder über ihn.
Bei allen Göttern. Sie fing schon an ihm ihren Willen auf zu drücken.
Nein, das wollte er nicht.
Er schnappte sich seine Waffen und ging aus der Hütte, bevor Raica noch erwachte und Lob für ihre Arbeit von ihm erwartete.
Darauf konnte sie nämlich lange warten! Er würde weg sein. Am besten für ein paar Tage.
Flora wurde durch ein Klopfen geweckt.
Verschlafen richtete sie sich auf und wunderte sich, warum sie auf dem Lager lag und nicht mehr auf dem Boden, auf dem sie sich in der Nacht hingelegt hatte.
Wieder klopfte es, dieses Mal lauter.
„Raica? Bist du wach?"
Einen Moment wusste sie nicht, wer Raica sein sollte.
Doch dann fiel es ihr wieder ein. Sie war Raica. Sie war mit Eirik, dem Dunklen verheiratet und er konnte sie nicht ausstehen.
„Ja, einen Moment!"
Sie schlurfte zur Tür. Jeder einzelne Knochen tat ihr weh. Sie hatte in der Nacht noch die ganze Hütte sauber gemacht, um Eirik keinen Grund zu geben, auf sie böse zu sein.
Im Vorbeigehen konnte sie erkennen, dass er alles benutzt hatte, was sie ihm hin gestellt hatte. Er hatte sogar die nassen Handtücher über die Feuerstelle gehängt. Doch er war verschwunden. Beinahe war sie froh darum. Sie wollte nicht mehr beschimpft werden.
Wieder klopfte es und sie öffnete die Tür.
Eine Frau stand vor ihr.
Flora erinnerte sich daran, dass sie bei der Hochzeit anwesend gewesen war, denn entgegen den anderen Wikingerfrauen hatte diese hier schwarzes Haar. Flora rieb sich verschlafen über das Gesicht.
Jetzt erkannte sie erst die Ähnlichkeit der Frau mit ihrem Ehemann. Vor ihr stand wohl Fara, die Ehefrau von Egil Magnusson.
Schnell neigte sie ehrerbietig den Kopf.
Fara schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Lass das! Du bist nun meine Tochter und ich bestehe nicht auf solche Ehrbezeugungen."
Sie lächelte Flora an und umarmte sie dann.
„Ich wollte nur sicher gehen, dass du die erste Nacht hier gut überstanden hast. Mein Sohn...nun...er ist früh zur Jagd gegangen und ich habe ihn nicht mehr gesehen! Sonst hätte ich es nicht zugelassen, dass er dich jetzt schon alleine lässt!"
Flora hob erschrocken eine Hand vor den Mund.
„Ihr müsst mich für eine schlechte Frau halten, Herrin!"
Fara lachte laut auf.
„Ich? Nein!" Sie schaute sich in der Hütte um. Sie wirkte erstaunt.
„Warst du das, Mädchen? Ich glaube, ich habe die Hütte meines Sohnes noch nie so sauber gesehen! Du musst die ganze Nacht geschuftet haben!"
Flora senkte den Kopf. Sie war es nicht gewohnt Komplimente zu hören. Meist war es für alle selbstverständlich gewesen, dass sie so etwas ohne Aufforderung tat.
Fara hob ihr Kinn an und lächelte sie gütig an.
„Du hast dir eine Belohnung verdient. Da dein Ehemann durch Abwesenheit glänzt, werde ich dich mit in unser Schwitzhaus nehmen. Du wirst sehen, dass danach deine Knochen nicht mehr so wehtun! Nein, sag nichts. Ich sehe, dass du etwas Schmerzen hast."
Sie nahm Flora an der Hand und zog sie mit sich mit.
„Ich...ich bin doch aber erst aufgestanden!"
Fara nickte lachend.
„Ja. Das ist mir bewusst. Doch wer so fleißig ist hat auch eine Belohnung verdient."
Vor der Schwitzhütte stand eine andere Frau. Sie war draller als Fara und eindeutig eine Wikinger-Frau. Ihre roten Backen leuchteten in ihrem Gesicht. Sie musste schon länger im Freien gestanden sein.
„Raica! Das ist Ylvie. Die Frau von Randulf, dem Bruder meines Mannes!"
Auch Ylvie nahm Flora in ihre starken Arme und drückte sie allerdings erstaunlich sanft.
„Herzlich willkommen, Raica. Wir hatten gestern keine Gelegenheit mit dir zu reden. Aber Eirik...nun ja, der Junge ist eben so...so ungestüm!"
Fara seufzte.
„Wem sagst du das. Er ist nicht einmal dein Sohn. Aber ich habe ihn auch noch groß gezogen. Ich muss mir also die ganze Schuld geben. Oder Egil. Ja, das ist besser!"
Sie sah bedauernd zu Raica, aber man konnte einen schelmischen Ausdruck in ihren Augen sehen. Dann lachte sie laut auf.
„Es tut mir leid, aber die schlechten Eigenschaften hat er von seinem Vater!"
Ylvie prustete los und knuffte Fara freundschaftlich in die Seite.
Dann führten sie Flora in das Innere der Schwitzhütte.
Schon im Vorraum war es sehr warm. Die Frauen zogen sich aus, doch Flora behielt ihr Unterkleid an. Fara schnalzte mit der Zunge. Sie hatte sich komplett ausgezogen und bedeckte ihre Blöße mit einem großen Tuch.
„Ihr Sachsen habt wirklich keine Ahnung, wie man das Schwitzhaus richtig benutzt. Du musst das Kleid auch ausziehen! Ich habe gedacht, dein Vater hätte auch ein Schwitzhaus?"
Flora geriet in Panik. Wenn sie ihr Kleid auszog, dann konnte man ihr Sklavenzeichen sehen. Das musste sie verhindern. Denn auch wenn die Frauen sehr nett zu ihr waren, das würde ihren Tod bedeuten, wenn Eirik es herausfand.
„Es geht schon so!", versicherte sie, doch Ylvie hob ihr Kleid hoch.
„Von wegen! Das ist kein richtiges Schwitzen."
Flora versuchte sich gegen Ylvie zu wehren, doch sie schaffte es nicht gegen die starke Wikingerfrau, die es wohl als Spiel ansah. Zumindest lachte sie und zerrte an dem Unterkleid.
„Ylvie! Hör auf!"
Fara klang sehr ernst und Flora wusste, was das zu bedeuten hatte. Die Frau des Jarl hatte ihr Zeichen entdeckt.
Sie schloss die Augen und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden gekauert, doch Ylvie hob sie immer noch fest.
Sie spürte, wie eine Hand leicht über das Brandzeichen auf der Schulter strich.
„Keine Tätowierung, wie es sonst üblich ist. Warum haben sie dich gebrandmarkt?"
Flora hob vorsichtig den Kopf. Sie rechnete mit wütenden Blicken. Doch mit dem, was sie bei den Frauen sah, hatte sie nicht gerechnet.
Nein, Fara sah nicht wütend aus. Eher mitleidig. Und auch Ylvie hatte von ihrer Güte in den Augen nichts verloren.
„Ich bin wohl von einer Sklavin geboren worden und ihr Herr hatte Spaß daran, seine Sklaven zu quälen. Deswegen hat er mir das Brandzeichen verpasst, kaum dass ich drei Monate alt war. Er hatte wohl gehofft, dass ich an der Verletzung sterbe, doch ich war zäher als er annahm. Ich habe überlebt! Aber ich habe keine Erinnerung mehr daran."
Fara strich ihr leicht über die Wange.
„Wie ist dein Name, Mädchen? Ich meine, dein richtiger Name."
Sie senkte wieder den Blick.
„Flora! Mein Name ist Flora!"
Ylvie zog ihr doch das Kleid aus und die Frauen nahmen sie mit in das Innere des Schwitzhauses. Sie setzte sich auf eine der Bänke. Fara hielt immer noch ihre Hand.
„Erzähl uns deine Geschichte, Flora! Warum bist du hier? Und warum behauptet der Sachse, dass du seine Tochter seist?"
Flora begann stockend zu erzählen, wie sie von Raica gezwungen wurde ihren Platz einzunehmen. Auch das ihr eingeredet wurde, dass man sie töten würde, wenn jemand herausfand, dass sie eine Sklavin war. Und das sie Angst vor ihrem Ehemann hatte.
Als sie geendet hatte, hob sie den Kopf und sah die beiden älteren Frauen an. Sie erwartete fast, dass irgendjemand den Jarl holte und ihr letztes Stündlein geschlagen hatte.
Doch die beiden Frauen bewegten sich nicht von ihrer Seite.
Fara seufzte nach einer Weile.
„Es wiederholt sich alles. Nur das Eirik in dem Fall wohl nicht wie sein Vater sein wird!"
Flora betrachtete sie fragend und Fara hob ihr schwarzes Haar von der Schulter. Eine Tätowierung kam zum Vorschein.
„Aber...aber Herrin...ihr tragt..."
Fara nickte.
„Ja, Flora. Ich war auch eine Sklavin. Genau wie du! Ich hatte Glück mit Egil, denn ich bin eine Heilerin und er hat mich deswegen aus der Sklaverei entlassen."
Sie fuhr ihr leicht mit der Hand über die Wange.
„Mein Sohn wird nicht so sein. Er ist...gnadenlos. Er darf es nie erfahren, Flora. Nie! Ein Wikinger heiratet keine Sklavin. Schon gar nicht der Sohn des Jarl! Eine Sklavin kann das Lager mit einem Wikinger teilen, aber sie wird immer Sklavin bleiben! Ein Wikinger, der eine Sklavin geheiratet hat, wird von seinem Volk geächtet. Eirik...er würde dich töten, wenn er es herausfindet. Ich kenne meinen Sohn. Er würde es als Schande ansehen!"
Ylvie nickte zustimmend.
„Er ist wie sein Vater bevor Egil dich kennen gelernt hat!"
Fara nickte und seufzte leicht.
„Wenn Eirik mit dir das Lager teilt, musst du sehr vorsichtig sein! Er darf das Brandmal auf keinen Fall sehen!"
Flora lachte verbittert.
„Ich brauche mir keine Sorgen darüber machen!"
Fara hob eine Augenbraue.
„Wieso nicht? Denkst du, dein Mann hat keine Bedürfnisse?"
Flora seufzte leise.
„Doch. Aber er will mich nicht. Das hat er mir gestern gesagt, als er betrunken vom Langhaus gekommen war. Deutlicher kann man es nicht ausdrücken, wie er es getan hat."
Wieder seufzte Fara.
„Das ist die Schuld meines Mannes. Er hat Eirik zu der Hochzeit gezwungen. Ich denke, Eirik hält dich für eine verwöhnte Thantochter. Und wenn ich mir deine Geschichte durch den Kopf gehen lasse, wäre Raica wohl auch so gewesen, wie er vermutet. Aber er hätte doch heute Morgen schon merken müssen, dass du anders bist, als er vermutet!"
Flora senkte ihren Kopf.
„Er war nicht da! Er ist verschwunden, bevor ich aufgewacht bin. Ich weiß, dass du deinen Sohn liebst, aber schonungsloser hätte er mir wohl nicht beibringen können, dass ich unerwünscht bin!"
Ylvie nickte.
„Sie hat Recht, Fara. Er ist zur Jagd. Meine Söhne sind bei ihm. Sie haben heute Morgen Proviant verlangt. Für mehrere Tage. Und du weißt, dass er gestern mit deinem Mann besprochen hat, dass sie alle bald wieder in See stechen werden! Eirik zeigt sehr deutlich seine Verachtung!"
Die beiden Frauen standen auf und nahmen Flora bei der Hand.
Gemeinsam gingen sie nach draußen und tauchten in ein Becken mit kaltem Wasser. Dann begaben sie sich wieder in die Hütte.
Erst dort nahm Fara das Gespräch wieder auf.
„Ja. Es ist mir bewusst, dass Eirik sich wehrt. Aber irgendwas muss man doch tun können!"
Fara sah Flora mitleidig an.
„Er wird lange unterwegs sein. Ich kenne ihn. Er ist wütend. Auf seinen Vater, auf die Sachsen und vor allen Dingen auf sich selbst, weil er nicht aus der Sache herauskommt. Er muss seine Wut loswerden und das schafft er am Besten..."
Sie senkte ihren Kopf.
Flora nickte.
„Ich habe gesehen, wie er seine Wut los wird! Man hat mir erklärt, dass er das Dorf nur überfallen hat, um seine Wut nicht an seinen Männern aus zu lassen!"
Fara und Ylvie sahen sie erstaunt an.
„Er hat ein Dorf überfallen? Nachdem er dich geholt hat?"
Flora nickte, war aber verständnislos.
„Ja. Ich dachte, das wäre normal?"
Fara schüttelte den Kopf.
„Nein! Er hatte den Befehl seines Vaters, dass er dich holen und unverzüglich her bringen sollte. Ich habe mich schon über die Sklaven gewundert und dachte, sie wären ein Geschenk des Than."
Fara schüttelte den Kopf.
„Nein! Wenn das Egil erfährt!"
Sie seufzte leise, doch Flora nahm ihre Hände.
„Bitte, Herrin, sagt ihm nichts! Ich will nicht, dass Eirik sich im Streit von euch trennt!"
Fara sah lächelnd zu Ylvie, bevor sie die jüngere Frau umarmte.
„Du bist ein liebes Mädchen. Ich werde meinem Mann nichts sagen. Aber wir sollten uns überlegen, was wir mit dir machen!"
Flora hielt den Atem an.
Wollten sie ihr Geheimnis nun doch verraten?
Doch die Frauen lächelten sich gegenseitig an.
„Wir machen aus dir eine Wikingerfrau!"
Eirik war erschöpft.
Er war mehrere Tage auf der Jagd mit seinem Bruder Tjelvar und seinen Vettern gewesen, nur um seiner Frau aus dem Weg zu gehen.
Tjelvar hatte ihn die ganze Zeit verspottet. Er selbst hatte nichts an Raica aus zu setzen.
Er hatte sie auch nicht heiraten müssen.
Es war nun spät in der Nacht, doch die Mitternachtssonne erhellte das kleine Gut seines Vaters. Dennoch war kaum jemand zu sehen, doch es erklangen Geräusche aus dem Langhaus. Seine Vettern hatten sich schon verabschiedet und waren in ihre Hütten gegangen.
Eirik und Tjelvar legten ihre Jagdbeute in die dafür vorgesehene Hütte und schlossen die Tür fest zu, damit kein Raubtier sich angelockt fühlen konnte.
„Es scheint lustig bei Vater zu zugehen. Sollen wir uns dem Treiben anschließen?"
Eirik hatte eigentlich kein großes Verlangen danach, sich wieder zu besaufen. Vor allem, weil er in ein paar Tage wieder in See stechen wollte. Doch dann müsste er in seine Hütte gehen und würde wieder seiner Ehefrau gegenüberstehen, die ihn ängstlich anstarren würde.
Wie sehr er sie dafür verachtete.
Er streckte seinen Rücken durch.
Irgendwann musste er sich mit ihr befassen. Er konnte ihr doch nicht immer aus dem Weg gehen.
„Nein! Geh nur alleine. Ich werde in meine Hütte gehen!"
Tjelvar grinste ihn an.
„Willst du dich einschmeicheln?"
Eirik verpasste ihm einen Stoß gegen die Schulter.
„Halts Maul! Aber es war wohl schon seltsam genug, dass ich gleich nach unserer Hochzeit abgehauen bin!"
Tjelvar zuckte mit den Schultern.
„Oh ja. Besser hättest du deine Verachtung kaum ausdrücken können!"
Das war Eirik schon klar.
Es war eine offene Beleidigung gewesen. Aber er hatte seiner Frau klar gemacht, dass er nichts von ihr und der Hochzeit hielt.
Er hatte sich die Worte seines Vaters gemerkt.
Irgendwann würde er es schaffen und Raica würde sich freiwillig von ihm scheiden lassen. Auf dieses Ziel würde er hinarbeiten.
Mit der Jagd hatte er schon angefangen. Nun musste er noch ein paar Tage ihren Anblick ertragen und dann würde er wieder aufbrechen.
Er verabschiedete sich von seinem Bruder und ging langsam zur Hütte.
Ja, er würde ihr die Scheidung schon schmackhaft machen und dann wäre er wieder frei für eine Frau, die auch hier her passte.
Alle Leute verglichen ihn immer wieder mit seinem Vater, aber Eirik war nicht ganz so. Er war auch grausam und er hatte sich einen Ruf erstellt, der dem seines Vaters nicht ganz unähnlich war. Aber im Gegensatz zu seinem Vater hatte er nichts gegen eine Heirat. Aber er wollte selbst entscheiden, wen er zur Frau nehmen wollte. Und das Sachsenmädchen war es definitiv nicht.
Er polterte in die Hütte und erwartete beinahe, dass sie wieder ängstlich in einer Ecke stand und ihn furchtsam anstarrte.
Doch hier war niemand.
Wo war Raica?
War sie vor der Arbeit geflohen, die seine Mutter ihr bestimmt aufgetragen hatte.
Nun, das konnte er sich nun nicht vorstellen. Er wusste ja, was sie in seiner Hütte geleistet hat. Auch jetzt strahlte seine Hütte vor Sauberkeit.
Er war schon vor zwei Tagen beeindruckt gewesen, was sie alles in einer Nacht geschafft hat, aber nun hatte sie noch einen drauf gesetzt.
Der Boden war gefegt und gereinigt worden. Frische Binsen verströmten einen angenehmen Duft. Statt den zwei einfachen Hockern standen nun Stühle um den Tisch, der ebenfalls ordentlich gescheuert worden war.
Wieder standen eine Waschschüssel und saubere Handtücher für ihn bereit und über dem Feuer hing saubere Kleidung für ihn zum Anwärmen.
Als er die Kleidung genauer betrachtete, entdeckte er, dass es die Kleidung war, die er in eine Ecke geschmissen hatte, weil sie zerrissen war. Raica hatte sie fein säuberlich genäht und auch die Lederhosen, die über einen Hocker hingen, waren weich und geschmeidig.
Er knirschte etwas mit den Zähnen.
Egal, was noch kommen würde, aber er konnte ihr nicht vorwerfen, dass sie sein Haushalt und ihn vernachlässigte.
Er sah sich im Schlafgemach um.
Auch da war alles sauber und ordentlich. Nur dass sie ein kleines Lager in der Ecke errichtet hat, in der Eirik sie am ersten Morgen entdeckt hatte. Und es sah auch so aus, als ob sie nicht in seinem Lager geschlafen hätte. Sie hatte das Stroh erneuert und neue Laken aufgelegt und auch die wärmenden Pelze waren sehr sauber, aber sie hatte nicht darin geschlafen. Vor den Schlafstätten hatte sie ebenfalls Pelze ausgelegt, was alles gemütlicher erscheinen ließ.
Er ging wieder in den Wohnraum und wusch sich.
Dieses Mal stand kein Essen warm, aber das konnte er ihr nicht vorwerfen. Raica hatte ja nicht gewusst, wann er wieder kommen würde. Dass sie trotzdem seine Kleidung für ihn heraus gelegt hatte, war schon eine große Aufmerksamkeit.
Er legte seine Sachen wieder in den kleinen Zuber und zog sich nach dem Waschen an.
Nun, da seine Frau nicht hier war, würde er ins Langhaus gehen und dort essen. Vielleicht wusste ja seine Mutter, wo er Raica finden konnte.
Er wusch grob seine Haare und fuhr sich über seinen Bart. Vor der Hochzeit hatte er ihn immer abrasiert, aber nun...er legte einfach keinen Wert mehr darauf.
Schnell schlang er wieder die nassen Tücher über die Stange und ging dann zum Langhaus.
Gelächter und Stimmengewirr kamen ihm schon vom Weiten entgegen. Er trat ein und wurde von seinen Männern begrüßt. Er wechselte einige Worte mit ihnen, aber insgeheim schaute er sich nach Raica um. Eine Augenbraue hob sich, als er sie unter den Sklaven fand. Sie verteilte das Essen. Das war nicht einmal erstaunlich. Das Lächeln, dass sie dabei auf den Lippen trug, das verwunderte Eirik.
Sie scherzte mit den Männern, blieb bei den Frauen stehen und wechselte einige Worte mit ihnen. Nicht nur ihr Verhalten, auch ihr Aussehen hatte sich verändert. Sie trug nun die typische Kleidung einer Wikingerfrau. Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Ihre Wangen waren rosig von der Hitze, doch sie schwitzte nicht, als ob sie es gewohnt sei, jeden Tag schwere Essbretter umher zu tragen.
Als sie ihn erblickte, erstarb ihr Lächeln.
Wieder senkte sie den Kopf und machte sich schnell an die Arbeit, als ob er sie rügen würde, dass sie kurz geplaudert hatte.
Auch wenn er sich deswegen schuldig fühlte, war er seinem Plan offensichtlich einen Schritt weiter gekommen. Sie sah in ihm wohl den wütenden und brutalen Ehemann, den sie schon immer vermutet hatte.
Er ging zu seiner Familie, die am Kopfende des Langhauses zusammen saßen. Leicht neigte er seinen Oberkörper erst vor seinem Vater, dann seiner Mutter, die ihn mild anlächelte. Erst danach setzte er sich auf seinen Platz.
„Warum so ein finsteres Gesicht, mein Sohn?", fragte seine Mutter.
Eirik nahm ein Trinkhorn entgegen und leerte es in einem Zug.
„Es tut mir leid, wenn ich nicht gerade die beste Laune habe. Aber ich habe noch viel vorzubereiten, wenn ich bald in See stechen will!"
Er starrte wieder düster auf das Geschehen vor ihm und bemerkte nicht den wissenden Blicke, den seine Mutter seinem Vater zuwarf. Der grinste nur.
Eirik beobachtete Raica genau.
Sie machte wieder die Arbeit, die eigentlich einer Sklavin zu stand und nicht der Frau des zukünftigen Jarl. Auch sein Vater schien das nun zu bemerken. Oder er wollte Eirik einfach nur reizen mit seiner folgenden Handlung.
„Raica! Sei doch so gut und bring meinem Sohn das Essen. Und dann setze dich zu ihm. Du hast auch noch nichts gegessen!"
Sie erstarrte, als Egil ihr das zurief und suchte nun Eiriks Blick, als ob sie um Erlaubnis fragen wollte.
Eirik nickte und winkte sie zu sich her.
Während sie ihm das Essen anrichtete, ließ er sich sein Trinkhorn wieder auffüllen.
„Du hast eine tüchtige Frau, mein Sohn! Sie ist sich für keine Arbeit zu schade. Ich hoffe doch, ihr vertragt euch jetzt besser?"
Sein Vater hob eine Augenbraue.
Eirik wusste nicht, was er dazu sagen sollte, während sein Bruder leise kicherte. Bei den Göttern, sein Vater wusste doch, dass er Raica nicht länger als eine Nacht gesehen hatte.
„Wenn dem nämlich nicht so wäre, dann wäre ich gezwungen, deine Reise auf zu schieben!"
Eirik riss seine Augen auf.
„Das kannst du nicht machen!"
Sein Vater richtete sich auf und Eirik musste zugeben, dass er trotz seines Alters ein furchterregender Mann war.
„Ich bin der Jarl. Was ich sage, geschieht!"
Gerade als Eirik eine passende Antwort geben wollte, kam Raica an den Tisch. Sie setzte sich nur zögerlich neben ihn, aber er drückte ihr gleich das Trinkhorn in die Hand.
„Spiel mit, Weib! Sonst bin ich nicht in ein paar Tagen weg und du musst mich den ganzen Sommer über ertragen!", zischte er ihr zu.
Dann wandte er sich wieder an seinen Vater, während er Raicas freie Hand in seine nahm und einen Kuss auf den Handrücken hauchte.
„Wir verstehen uns schon besser, Vater. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!"
Egil schien nicht überzeugt zu sein.
Gerade als er etwas sagen wollte, mischte sich Raica ein.
„Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen, Vater. Ich bin überzeugt, dass Eirik sich bestimmt nicht lange aufhalten wird. Schließlich will er bestimmt wieder schnell zu mir zurück!"
Eirik drückte fest ihre Hand. Wut übermannte ihn wieder. Sie hatte den Jarl tatsächlich Vater genannt!
Es musste sie schmerzen, aber sie gab keinen Ton von sich.
Egil lächelte sie an.
„Wenn du nichts dagegen einzuwenden hast, werde ich es auch nicht haben!"
Damit war diese Angelegenheit für ihn wohl beendet. Er widmete sich wieder dem Essen.
„Wir sprechen uns nachher noch!", zischte Eirik Raica zu, bevor er ihre Hand losließ.
Er sah die Abdrücke, die seine Finger hinterlassen hatten und auch die einzelne Träne, die ihre Wange herunter rann. Dennoch nickte sie nur und hielt sein Trinkhorn fest.
Sie aß nichts, bis er ihr ein Stück Fleisch vor die Nase hielt. Nur zögerlich nahm sie es, aber sie aß wenigstens.
Nachdem er satt war, stand er auf, verabschiedete sich von seinen Eltern und schnappte die Hand seiner Frau. Sie zuckte kurz zusammen, aber folgte ihm dann.
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