Table for Two

[TW: fat-shaming, verbal abuse]

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Mit rasendem Herzen strich Cecilia Pikes das lose Kleid und den Mantel darüber glatt, als sie fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit durch den Haupteingang der Mall am Hudson River trat. Ihre Nerven waren angespannt, als sie auf einem der Situationspläne das Café 'Table for Two' suchte und ihr Herz hämmerte auch dann noch in ihrer Brust, als sie ihn an einem der kleinen Tischen sitzen sah – sich immer wieder umsehend.

Das Klopfen ihres Herzens verlangsamte sich ein Stück, als sie sah, dass er tatsächlich so aussah, wie auf den Fotos und sie konnte etwas leichter atmen.
Nun musste sie nur noch den Mut aufbringen, die letzten Schritte zu tun.

Um Punkt 14:00 Uhr stand sie vor ihm und sah in sein überraschtes Gesicht. Es war das Gesicht, das sie die letzten 24 Stunden immer wieder angesehen hatte, damit sie es sich einprägen konnte.
„Austin Mole?", fragte sie dennoch vergewissernd und wünschte sich im gleichen Moment, er würde ihr einfach nur ins Gesicht schauen, denn er musterte sie von Kopf bis Fuß.

Sein Blick glitt von ihrem Gesicht über ihren Vorbau hinab zu ihrem Bauch und blieb an ihren Beinen etwas zu lange hängen, ehe er ihr wieder in die Augen sah.

Schlussendlich nickte er und sie stieß einen Teil der angehaltenen Luft aus, während sie ihre Tasche unter dem Stuhl zwischen ihre Beine klemmte, den Mantel über die Stuhllehne hängte und sich dann mit dem Stuhl ein wenig an den runden Tisch zog.

Cecilia war froh, dass sie sich darauf geeinigt hatten, sich an einem öffentlichen Ort zu treffen. Es waren zwar nicht alle Tische des Cafés besetzt, aber ein Paar etwas weiter im Café selber und zwei Einzelpersonen an der Bar registrierte sie.
Natürlich waren unter diesen Umständen tiefe Gespräche nicht wirklich möglich. Aber es war ja auch erst das erste Date, erinnerte sie sich selber.

Somit strich sie sich ihre braunen Haare, die gerade lang genug waren, hinter ihr linkes Ohr und blickte wieder mit dem schnellen Herzschlag gegen ihren Brustkorb zu ihrem Date.
Die eisblauen Augen ihres Gegenübers, die hauptsächlich der Grund dafür gewesen waren, weshalb sie sein Profil angeklickt hatte, vermittelten keine Freundlichkeit, sondern eher Widerwille, und blickten sie nach wie vor unverwandt an und sie war sich schlagartig ihrer Pausbacken und ihrer alles andere als definierten Kieferpartie bewusst.

„Also ... chrm ... ich bin Cecilia", versuchte sie das aufkommende Unbehagen zu fesseln und streckte dem jungen Mann vor ihr die rechte Hand entgegen.

Austin sah kurz auf die ausgestreckte Hand ehe er den Kopf schüttelte, als wollte er ein unliebsames Bild aus dem Kopf bekommen, ihr dann ein Stück entgegenlehnte und leise meinte: „Soll das ein Witz sein?"

Ihr Herz sackte in den Keller und verdoppelte gleichzeitig den Schlagrhythmus.
Überrumpelt zog sie ihre Hand wieder zurück, sah sich nochmals um und entgegnete dann unsicher: „Ehm ... was meinst du?"

„Das fragst du noch? Hast du geglaubt, dass du, wenn du genug Wimperntusche aufträgst, über den Fakt hinwegtäuschen kannst, dass du fett bist?"

Der Stich in ihrem Herzen war so unvermittelt, wie er vorausschaubar hätte sein sollen. Schließlich hätte sich Cecilia darauf einstellen sollen, hätte damit rechnen sollen, dass so etwas kommen musste. Himmel, sie war sogar versucht gewesen gar nicht erst zum Date zu erscheinen, aber als sie die regen Nachrichten, die sie über die letzten Wochen miteinander ausgetauscht hatten, einige Male durchgelesen hatte, hatte sie sich einen Ruck gegeben.

Austin Mole war der Typ, der in einem das Gefühl 'zu schön um wahr zu sein' aufkommen ließ, wenn er einem seine Aufmerksamkeit schenkte. Und so war es auch bei Cecilia gewesen. Eine Woche nachdem sie sich bei der Dating Seite angemeldet hatte, fand sie eine Nachricht von ihm in ihrem Posteingang. Als sie sein Profil durchgesehen hatte, war sie sich sicher, dass er sich entweder vertippt hatte oder aber jemand anderes war, als der hübsche Mann auf den Fotos.

Natürlich hatte sie die Nachricht ignoriert und durch die Profile weiterer potenzieller Matches gestöbert.
Erst als er ihr ein zweites und ein drittes Mal geschrieben hatte, ließ sie sich doch noch zu einer Unterhaltung hinreißen.

Und was für eine Unterhaltung das gewesen war. Austin entpuppte sich als ein höflicher, zuvorkommender und gebildeter junger Mann, dessen Hobbies und Weltanschauungen ihren gar nicht so fern waren.

Tag für Tag legte sie ein Stück ihres Argwohns und ihrer Zurückhaltung ab, bis sie seine Bitte, sie auf ein Date auszuführen, nicht mehr mit gutem Gewissen und Ehrlichkeit ihr selber gegenüber abwinken konnte und mit einem übermütigen 'Ich würde mich geehrt fühlen' beantwortete.

Nun saß sie bei eben diesem Date und suchte krampfhaft nach Worten, die den abstoßenden Blick ihres Gegenübers mit einem freundlichen ersetzen würde.
„Also ... ich dachte ... ich war der Meinung, dass wir über unser beider Erscheinungsbilder gesprochen haben und ich habe in meinem Profil ja auch geschrieben, dass ..."

„Dass du etwas fülliger bist. Aber das ist nun doch ein Stück mehr als nur 'etwas' oder? Und dein Profilfoto ist wohl auch von vor zehn Jahren, oder? Oder woher kommt plötzlich das zweite Kinn?", er hatte sich nicht mehr die Mühe gemacht, leise zu sprechen und einige der vorbeigehenden Leute sahen neugierig zu ihnen.

Zu geschockt und entblößt, um ihm direkt zu antworten, versuchte sie die Tränen hinter ihren Augen zu halten und schalt sich selber dafür, dass sie ihr Profilbild nicht angepasst hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen. Schließlich hatte sie nach dem Friseur Besuch direkt ein Selfie gemacht, um es Ana, ihrer besten Freundin, zu schicken.

Leider war sie aber nicht vollständig zufrieden mit ihrer neuen Frisur gewesen und hatte deshalb noch das Foto ihres Urlaubs in Hawaii von vor zwei Jahren drin gelassen.
Cecilia war keine Selfie-Queen und mochte Fotos von sich allgemein eher selten, weswegen sie auch keine aktuellere Fotos von sich besaß.

Dies war auch der Grund, weshalb sie in ihrem Profil dann explizit schrieb, dass das Foto zwei Jahre alt und sie nun tatsächlich etwas fülliger wäre.
Austin schien sich darunter etwas Anderes vorgestellt zu haben, denn er war aufgestanden und hatte sich seine Lederjacke übergeworfen.

„Und ihr Frauen fragt euch, weshalb wir Männer Vertrauensprobleme haben. Tzz, verarschen kann ich mich auch selber!"
Mit diesen Worten steckte er seine Brieftasche ein und eilte so schnell wie möglich um die nächste Ecke.

Vor den Kopf gestoßen und den Tränen gefährlich nahe war Cecilia dennoch zu geschockt, um sich zu bewegen.
Das, was sie befürchtet hatte und Austin in ihren Text-Nachrichten auch immer wieder mit anderen Worten versucht hatte zu erklären, war nach drei Jahren seit ihres letzten Dates wieder geschehen. Trotz seiner Beteuerung, dass er von ihr als Person fasziniert sei, hatte er ihr heute noch nicht mal die Chance gegeben, sich richtig vorzustellen – ihm ein klein wenig zu zeigen, wer sie war.

Mit dem Rand der Serviette versuchte sie die beim letzten Blinzeln doch noch übergelaufenen Tränen zu stoppen und die schwarzen Striemen, die sie unweigerlich gezogen hatten, zu beseitigen.
Trotz Nervosität und Unsicherheit hatte sie heute Morgen optimistisch zur normalen Wimperntusche und nicht der wasserfesten gegriffen.

Als die Spuren ihres schwachen Moments weitestgehend weggewischt waren, wollte sie nichts weiter, als hier zu verschwinden und sich mit einem heißen Kakao in ihr Bett zu verkriechen. Doch ehe sie sich aus dem Stuhl erheben konnte, trat einer der Herren, die sie zuvor bei der Bar gesichtet hatte, an den Tisch und ließ sich zu ihrem großen Erstaunen und noch größeren Missfallen auf den Stuhl nieder, der einige Augenblicke zuvor noch durch den blauäugigen Sportlehrer besetzt gewesen war.

Obwohl sie wusste, dass es unhöflich war, ihm keine Beachtung zu schenken, versuchte sie stur, ihre Handtasche hochzuheben, deren Henkel sich zu allem Übel in den Stuhlbeinen verfangen hatten. Sie wusste, dass ihre Augen rot sein mussten und war absolut nicht erpicht darauf, von einem weiteren Mann schräg angesehen zu werden.

„Es tut mir leid, dass ich dich hier so überrumple, aber ich kam nicht umhin, die Konversation zwischen dir und diesem Vollidioten mitzuhören."

Na toll. Cecilias Magen verkrampfte sich und sie wünschte sich, der Boden unter ihr würde sich auftun. Auf vermeintlich hilfreiche Sätze wie 'Du bist schön, lass dir nichts Anderes einreden' oder 'Männer wie er haben ein tiefer liegendes Problem' konnte sie alleweil verzichten und so brachte sie die Tasche mit einem Ruck hoch und wühlte nach ihrem Smartphone.

Dabei fiel ihr auf, wie der Neue ihr seine Hand entgegenstreckte. „Ich bin Harry."
Ungläubig sah sie auf die Hand und folgte dann dem Arm bis zu seinem Gesicht, das keinen mitleidigen, sondern bloß einen aufrichtigen und freundlichen Ausdruck trug.

„Darf ich dieses Date mit dir fortführen?"

Und ungeachtet aller Alarmglocken in ihrem Kopf sah sie in Harrys sympathische waldgrüne Augen und schob ihre Hand in seine.
„Hi Harry, ich bin Cecilia."


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Jetzt, meine Freunde, bin ich gespannt, was ihr von dieser kurzen Szene haltet.

Hat sie euch grundsätzlich gefallen, oder eher nicht?

Was sagt ihr zum Ende?

Ich hoffe, dass niemand von euch je eine solche Demütigung erleben musste. Falls doch, dann hoffe ich, dass ihr erkennen durftet (ob direkt oder nach einer Weile), dass diese Situation nicht eure, sondern voll und ganz Sache des Gegenübers war/ist.

Nun wünsche ich euch einen wunderbaren Abend und hoffe, ihr habt wieder gut mit der Arbeit/Schule gestartet, falls es wieder losging. Ansonsten wünsche ich euch noch weiter schöne Ferien :)

Glg und bleibt gesund
Eure StephVi

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