Schnee
Plötzlich, mitten in meiner Mathestunde, steht die Fünfzehnjährige auf, geht zum Fenster, blickt nach draussen und fragt in perfekter Mundart: "Esch jetz das Schnee?" Sie dreht den Kopf und blickt in die erstaunten Gesichter ihrer Mitschüler. Zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, dass sie die ersten vierzehneinhalb Lebensjahre in Papua-Neuguinea gelebt hat. Weit weg also von jeder Art Schnee. Sie kannte ihn wohl, von Bildern, aber live ist immer anders. Wir also nichts wie Mathebücher hingelegt, Mützen auf und ab in den Schnee. Das war vielleicht ein Erlebnis. Selten so viel gelacht und sich im Schnee gekugelt wie damals. Schneebälle geworfen und Schneemänner gebaut.
Auf einmal war es wieder da, das kindlich lustvolle Herumtollen im Schnee. All die Bilder meiner Kindheit. "Pflotschnass" in die Schule kommend, ein glückliches Grinsen im Gesicht, umrandet von kalt-roten Wangen und mit verschmitztem Blick den strengen Worten der Lehrerin horchend. Dann warten, trocknen, aufwärmen (die Schule war durchaus zu etwas gut) nur um schliesslich, am Ende des Morgens, endlich wieder hinauszurennen und Schnee pflügend heimwärts zu tollen. Die Worte der Mutter waren danach zwar ähnlich streng wie jene der Lehrerin, aber hei - es hat geschneit! Was haben die Erwachsenen bloss für ein Problem mit dem Schnee - alle finden sie ihn dämlich. Warum eigentlich? Schnee ist pure Fantasie. Er nimmt jede Form an, die mir in den Sinn kommt. Er macht aus einem Waldrand einen Zauberwald. Der kleine Abhang wird zu einer weissen Rutschbahn, der Haufen zu einer Höhle.
Die Schule verbietet das Werfen von Schneebällen - Ha! Erwachsene. Waren die eigentlich nie Jungs? Okay, man sollte schon genau zielen können mit diesen Schneebällen. Schulhausscheiben sind ein ungünstiges Ziel. Mädchen sind da viel besser - sie kreischen so schön, wenn du triffst. Aber am besten sind die Kumpels - vor allem wenn du besser triffst als sie! Schnee verbindet. Wir alle tun das Gleiche und haben sehr viel Spass dabei.
Schnee dämpft und entschleunigt. Alles wird ruhig. Der Zug gleitet lautlos über die Schienen, der Verkehr rollt langsam und still, die Kirchenglocken können nicht mehr bis ins Nachbardorf gehört werden. Was für ein Aufwachen früh morgens, wenn du die Stille hörst und dann merkst: Hei, es hat geschneit!
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